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db deutsche bauzeitung 06|2013
Essen und Trinken
db deutsche bauzeitung 06|2013

Inszenierte Tafelrunde

»Noir Cuisine & Bar« in Stuttgart

Der Name ist französisch, die Küche vietnamesisch, der Innenraum beinahe gänzlich schwarz: Das »Noir« im Stuttgarter Süden bricht mit gängigen Vorstellungen von Restaurantbesuchen und erfreut sich dennoch großen Zuspruchs. Das starke Raumkonzept bildet dabei den gelungenen Rahmen für eine Mischung aus asiatischer und europäischer Esskultur im urbanen Kontext.

3. Juni 2013 - Martin Höchst
An warmen Abenden herrscht reges Treiben auf dem großen steinernen Marienplatz mitten im aufstrebenden Stuttgarter Süden. Durch Zentrumsnähe und gute Infrastruktur steigen auch hier im ehemals eher einfachen Viertel die Mieten z. T. erheblich. Viele Nutzer der Ladenflächen an den Hauptachsen mit dichter Blockrandbebauung haben gewechselt. Zunehmend beleben Restaurants und Bars mit Tischen im Freien Straßen und Plätze. So auch im EG eines ausgesprochen reich detaillierten und denkmalgerecht sanierten Gründerzeithauses zwischen zwei Straßen, die in spitzem Winkel in eine Ecke des Marienplatzes münden.

Schwarze Bierbänke, cremefarbene Sonnenschirme und eine auf ihre technische Substanz reduzierte und dadurch objekthafte Leuchtreklame an der Fassade weisen eher unauffällig auf das Restaurant »Noir« hin. Mit der – aus der vormaligen Nutzung als Verkaufsraum eines Optikers – erhalten gebliebenen Sonnenschutzverglasung vermitteln die großen Schaufenster aufgrund ihrer verminderten Transparenz einen scheinbar unbelebten Eindruck des Innenraums. Der Erhalt dieses optischen Filters ist jedoch vielmehr Ausdruck eines dem begrenzten Budget geschuldeten Kompromisses als eines Wunschs nach Abschirmung. Die geringe Außenwirkung kann dem Zulauf des Restaurants mit vietnamesischer Küche jedoch nichts anhaben, es läuft gut.

Exotische Kombination

Die Betreiber der Szenebar »Schocken« in der Stuttgarter Stadtmitte wollten ihre Vorliebe für asiatische Küche und ihr Faible für »Film Noir« in ein gastronomisches Konzept überführen. Nach zwei abgebrochenen Versuchen mit anderen Planern fand man mit den jungen Stuttgarter Architekten von raumspielkunst in Zusammenarbeit mit dem freien Architekten Florian Lachenmann eine gemeinsame Linie: Mitten im urbanen Treiben sollte ein reizreduzierter schwarzer Raum, der sich ganz bewusst zurücknimmt, das Essen selbst inszenieren. So sollte die Gestaltung nicht als beliebige Dekoration dienen, sondern vielmehr anhand starker Hell-Dunkel-Kontraste Speisen und Gäste in den Mittelpunkt rücken. Auch das limitierte Budget und die aufgrund des mehrfachen Planerwechsels knapp gewordene Realisierungszeit galt es zu berücksichtigen. Der effizient neu organisierte tortenstückförmige Grundriss des Bestands verschafft dem eintretenden Gast ganz selbstverständlich gute Orientierung. Die zentrale Verteilerfläche ist von einer goldfarbenen Bodenbeschichtung und Leuchten, die an Straßenlaternen erinnern, gekennzeichnet. Hier zwischen Gastraum und Theke sind auch ein kleiner Wartebereich und der Abgang zum UG mit Bar und Toiletten angesiedelt; schmale Fenster mit leuchtend roten Laibungen bieten einen diskreten Einblick in die Küche.

Sämtliche sonstigen Oberflächen zeigen sich ganz in Schwarz: Tresenblock Einbauschränke und die Decke wurden lackiert, die Wände z. T. über verbliebene Tapetenreste hinweg mit Innenraumfarbe gestrichen und matt versiegelt. Den Gastraum füllt vom Boden bis auf Sitzhöhe ein Podest, dessen Schichtholzkonstruktion in mehreren Arbeitsschritten mit einer weichen PU-Beschichtung einheitlich mattschwarz überzogen wurde. Durch die eingeschnittene Rampe, die vom Verteilerniveau zur schmalen Stirnseite des Gastraums hin auf Sitzebene ansteigt, und die sechs Sitzmulden, in denen die Tische aufgestellt sind, entsteht eine Art Sitzskulptur. Die größtenteils asymmetrisch zugeschnittenen Tischplatten, ebenfalls PU-beschichtet, scheinen darüber zu schweben.

Im selben Boot

Anstelle von Stühlen eine große Sitzskulptur in den Raum einzupassen, geht auf die Idee zurück, angesichts des begrenzten Raumangebots die Gäste in der großen gemeinsamen Sitzgelegenheit bei Bedarf leichter zusammenrücken lassen zu können. Dadurch, dass alle in der durchgängigen Sitzskulptur wie zu einer Bootspartie Platz nehmen, ergibt sich automatisch das Gefühl einer temporären, die Tischrunde vereinenden Gemeinschaft. Keine Reservierungen anzunehmen, ist Teil dieses Konzepts, und so finden sich häufig bunt zusammengewürfelte Tischgemeinschaften. Das für europäische Restaurants ungewöhnliche Einsteigen in die Sitzskulptur bietet sogleich einen ersten Anlass, mit den zufälligen Tischnachbarn ins Gespräch zu kommen. Der allein wartende Gast indes kann sich Kurzweil verschaffen, indem er durch die großen Fenster die Straßenszenen draußen betrachtet, ohne sich unangenehm exponiert zu fühlen. Von außen betrachtet ergibt sich abends aufgrund der punktuell nach unten gerichteten Beleuchtung ein eher ungewohnt rätselhaftes Bild eines Restaurants: Wie Fragmente eines Film noir leuchten einzelne Gesichter und Gegenstände im Dunkel des Raums auf. Viele Passanten jenseits der Sonnenschutzverglasung fühlen sich unbeobachtet, weil sie den Innenraum nur vermindert wahrnehmen, und verhalten sich entsprechend ungezwungen. Mit zunehmender Belegung des Restaurants gewinnt jedoch die Konzentration auf das Geschehen im Innern an Gewicht.

Die ursprüngliche Idee, sich stärker an den Gepflogenheiten in einigen asiatischen Ländern zu orientieren und zu diesem Zweck Schuhe aus dem Gastraum zu verbannen, wurde als unpraktikabel eingeschätzt und wieder verworfen. Die Lösung, bei der die Schuhe anbehalten werden können, trage der europäischen wie der asiatischen Esskultur Rechnung, so Architekt Fabrice Henninger von raumspielkunst. Darüber hinaus verschafft die ansteigende Rampe den schwarzgekleideten Service-Kräften die erhöhte Aufmerksamkeit der Gäste und lässt aus ihren Wegen kleine Auftritte werden.

In der radikal schwarzen Szenerie sorgen die Gäste und gut angerichtete vietnamesische Speisen auf sorgfältig ausgewählten Geschirrteilen für Farbe und rücken dadurch in den Fokus. Besonders bei abendlicher Beleuchtung der Tischflächen durch tiefhängende Halogenleuchten kommt das starke Bild der Tischgemeinschaft zum Tragen. Zu kontemplativ wird es aber dennoch nicht, da der Geräuschpegel bei voller Belegung auch wegen der vielen schallharten Oberflächen – trotz partieller textiler, schwarzer Wandbespannung – kaum gedämpft wird. Ein Ort der Ruhe im akustischen Sinne konnte also nicht entstehen, die Unaufgeregtheit der Einrichtung vermindert jedoch wohltuend die Reizflut.

Konzept statt Luxus

Die Genehmigung für die Umnutzung des Optikerladens zum asiatischen Restaurant in dem ansonsten mit Wohnungen belegten und unter Denkmalschutz stehenden Haus war an strenge Auflagen der Behörden gebunden. So wurde, um den Schallschutz zu verbessern, der bestehende Estrich von den flankierenden Wänden aufwendig entkoppelt und eine abgehängte Gipskartondecke mit besonders hoher Dichte eingebaut. Die Nachrüstung einer leistungsstarken Absauganlage für die Küchendünste, inklusive des Abluftrohrs, das in enger Abstimmung mit der Denkmalbehörde an der Hoffassade hochgeführt wurde, war ebenso nötig, wie der Austausch des Fensterelements an der Stirnseite, das nun im Brandfall als Notausstieg bereitsteht.

Angesichts der bereits hohen Kosten für die genehmigungsrelevanten Umbauten, konnte die Innengestaltung nicht mit edlen Materialien auftrumpfen oder hohen Verarbeitungsaufwand rechtfertigen. Farbe als Gestaltungselement, zumal in Schwarz, kam diesem Zweck da sehr entgegen. Und so ist es eher charmant als der Atmosphäre abträglich, wenn Tapetenreste überstrichen wurden oder die PU-Beschichtung hie und da eine Tropfnase hat. Auch die Sanitärräume verzichten auf Überflüssiges und zeigen weiße Sanitärkeramik vor schwarz gestrichenen Wänden. Das starke und schlüssige Konzept ist so konsequent umgesetzt und so auf die vorhandenen räumlichen Qualitäten zugeschnitten, dass eine perfektionistische Ausführung vielleicht schon zu einer gewissen Kälte geführt hätte. Zu den gemäßigten Preisen, dem freundlichen und unkomplizierten Personal und dem bunten städtischen Treiben vor der Tür passt es allemal. Dem Zeitgeist verpflichtetes Publikum aus vorwiegend gestalterischen Berufen mischt sich hier mit Personen, die beim Essengehen eine gewisse Lockerheit schätzen.

Der kleinen schummrigen Bar im UG haftet noch etwas Provisorisches an, da das wichtigste Gestaltungselement, eine plastische rote Deckenbekleidung bisher noch nicht verwirklicht wurde. Aber auch schon vor deren Vollendung macht das Noir Lust, bald wieder in die Sitzskulptur zu steigen und entspannt vietnamesisch zu essen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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