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db deutsche bauzeitung 06|2013
Essen und Trinken
db deutsche bauzeitung 06|2013

Landpartie mit einem Hauch von Zen

»Festzelt« Des Restaurants »Les Cols« in Olot (E)

Das überregional bekannte Restaurant in einem ausgebauten Gehöft im Vulkangebiet der Garrotxa wurde um einen überdachten Freibereich erweitert, für dessen Gestaltung das Bild eines Picknicks im Grünen Pate stand. Transluzente Kunststoff-Bahnen dienen als Wetterschutz, zonieren den Raum und bilden schmale Atrien, aus denen Bäume emporwachsen. Die nahezu ganz entmaterialisierte Architektur lässt die Frage nach Drinnen oder Draußen nebensächlich werden.

3. Juni 2013 - Markus Jakob
Nach dem Umbau eines alten Bauernhofs in ein Restaurant, dessen minimalistischer Prunk auch in New York Furore machen würde, und den fünf Pavillons, die als rundum gläserne Behälter zu den eigentümlichsten Hotelzimmern der Welt gehören (vgl. db 3/2007, S. 32), hat das katalanische Architekturbüro RCR den Komplex »Les Cols« im Städtchen Olot nun um ein Bankettzelt erweitert. Es destilliert das architektonische Denken dieser Baukünstler auf seine Essenz und offenbart es damit in seiner Wundersamkeit wie in seiner Trickhaftigkeit.

Die Grundidee basiert auf der Vorstellung einer Landpartie: Man spaziert in eine Aue hinab, lässt sich an einem lauschigen Ufer nieder und breitet sein Picknick aus. Wer will, darf an Manets »Déjeuner sur l’herbe« denken. Nun aber die Wirklichkeit: Der Fluss, der streckenweise tatsächlich lauschige Fluvià, durchquert hier ein vorstädtisch verunstaltetes Gebiet. Das Grundstück selbst grenzt nicht an das Gewässer; und so haben die Architekten das Gelände neben dem Restaurant und den Pavillons gefahrlos absenken können, um darin jene Stätte zu schaffen, die man kaum ein Gebäude, aber auch nicht Bierzelt nennen kann – eher eine Ruine aus der Zukunft?

Uneindeutigkeit

Die Architektengruppe Aranda Pigem Vilalta, nach den Initialen ihrer Vornamen RCR genannt, hat weltweit Kultstatus erlangt. Rafael, Carme und Ramón stammen alle aus dem Städtchen Olot, 150 km nordöstlich von Barcelona. In und um Olot haben sie ein Œuvre aus Einfamilienhäusern, öffentlichen Bauten und landschaftlichen Interventionen geschaffen, das unverkennbar ihre Handschrift trägt. Über den Wert dieser Handschrift wird auch dieser Artikel keine gültige Antwort anbieten können.

Hält RCR daran fest, nur lokal tätig zu sein und Shanghai Shanghai sein zu lassen? Jein, so könnte man die Antwort Rafael Arandas wohl übersetzen. Jüngste Projekte in Barcelona – eine Bibliothek, ein Bürohaus – und in Südfrankeich – etwa das Musée Soulages in Rodez – können zwar noch zum natürlichen »Einzugsbereich« der Architekten zählen; ein Hotel in Dubai hingegen schwerlich. Dennoch sind RCR ein mit 14 Mitarbeitern überschaubares Büro geblieben (s. Erfahrungsbericht einer Mitarbeiterin in db 4/2007, S. 20), dessen Arbeitsräume in einer einstigen Glockengießerei im Zentrum des Städtchens gewiss eines der schönsten Beispiele dafür sind, was Rafael Aranda als ihr vorderstes Anliegen nennt: den Außenraum nach innen zu holen.

Eben eine solche Zwielichtigkeit oder Durchdringung von Außen und Innen kennzeichnet das Projekt Les Cols. In struktureller Hinsicht könnte man von einem künstlichen Tal sprechen. Das beim Aushub geförderte vulkanische Gestein wurde in unterschiedlichen Körnungen sowohl für den Boden als auch für die Bekleidung der z. T. zu Halden geformten Stützmauern verwendet. Mit diesem basaltenen, rauen, tektonischen Grund kontrastiert das schwebende, luftige, transparente Dach, welches das Erscheinungsbild auf dem Zugangsweg in das »Tal« bestimmt. Im Hintergrund erhebt sich, perfekt gerundet, einer der zahlreichen die Stadt Olot überragenden Vulkankegel.

Ist der Talgrund erreicht, so tritt man unter die metallenen Gestänge, die durchhängend, als wären sie Bambus, das Dach tragen. Einige Schritte noch, und man trifft auf den ersten Außen und Innen voneinander trennenden Vorhang. Es sind dies 30 cm breite, von der Decke hängende, durch ihre Bodenverankerung verstellbare PVC-Lamellen, die den Raum kaum sichtbar strukturieren. Sie bilden eine Art Zickzackweg durch die für den Ablauf eines Festbanketts typischen Stationen – Aperitif, Diner, Tanzfläche.

Dabei kommt den dazwischen gefügten schmalen »Patios« die entscheidende Rolle zu. Als nicht überdachte Intervalle dienen sie der Entwässerung, v. a. aber nehmen sie die (vorläufig noch jungen) almeces auf, auf Deutsch Zürgelbaum genannt – ein autochthones Gewächs, dessen Kronen dereinst ihren Schatten über das große Festzelt werfen werden. Laut den Architekten filtert die ETFE-Doppelmembran (mit 100 mm Zwischenraum), die auch akustischen Problemen mit der Nachbarschaft abhilft, das Sonnenlicht bereits zu 50 %. Das ist eine zuversichtliche Rechnung: Die Winter in der Garrotxa sind kalt, der Sommer ist heiß, und schon an einem milden Frühlingstag wird deutlich, dass es sich hier um eine Art Treibhaus handelt. Klimatisierung ist denn auch, wie diskret auch immer angebracht, unvermeidlich. Die entsprechenden Anlagen bekommt natürlich nur das Personal zu sehen: Sie befinden sich dort, wo auch etwa die Anlieferung mittels hydraulischer Aufzüge stattfindet. Denn das durchsichtige Traumreich hat – obwohl RCR sich nach dem Grundsatz richtet, Komplexität »in einer Einheit, einem räumlichen Fluss« zu lösen, seine Schattenseiten.

Die carpa – so der spanische Ausdruck für ein Festzelt – ist, wie schon die Pavillons, eine höchst seltsame Abstraktion: von Natur oder eher von Architektur? Versuchen wir, uns der Anlage ein zweites Mal zu nähern: Sie ist offensichtlich von den grundlegenden Elementen des Lichts und des Materials her konstruiert. Wie jedes Bauwerk von RCR hat sie den Anspruch, ein sinnliches Lehrstück zu sein – mit minimalen Mitteln maximale Wirkung zu erzielen. RCR-typisch, bildet eine dem Terrain genau angepasste Kubatur eine Art Chassis, über dem die niedrige Dachlinie schwebt. Für diese Architekten müsste man den Begriff der »angewandten Land Art« erfinden. Man kann die Carpa introvertiert oder extrovertiert nennen – beides trifft zu.

Oder ein dritter, ganz sachlicher Anlauf: Der Partygast – es sind überwiegend Hochzeiten, die hier stattfinden – wird sich (und soll sich, so Rafael Aranda) zunächst fragen, »warum da eigentlich nichts ist«. Selbst Glas erschien den Architekten als zu »materiell« – daher die PVC-Lamellen, und daher auch die eigentlich aberwitzige Plexiglas-Möblierung für maximal knapp 300 Gäste: so gut wie unsichtbar – bis sich ein Dickwanst darauf setzt und den Stuhl vermutlich nicht besonders bequem findet.

Ein Picknick-Platz nach alter Väter Sitte sieht so gewiss nicht aus. Aber wir haben selber kein Fest dort erlebt; und können uns daher nur vorstellen, wie gut die in die Metallrohrdecke integrierten LED-Leuchtschienen funktionieren, wie wunderbar das mittlerweile zwei Michelin-Sterne verdienende Essen in Les Cols ist, und ob die sehr großzügigen, scheinbar im Freien liegenden und wie die gnadenlos sachlich geordnete Küche als Extra-Geviert an die Carpa anschließenden Toiletten ganz einfach benutzbar sind.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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