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TEC21 2013|27-28
Geschütztes Moor
TEC21 2013|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Folgenreiche Initiative

Die Annahme der Rothenthurm-Initiative 1987 markiert einen Wendepunkt im schweizerischen Moorschutz. Seither sind Moore und Moorlandschaften von gesamtschweizerischer Bedeutung durch die Bundesverfassung geschützt. Anders als bei Eingriffen in andere Landschaften lassen die gesetzlichen Bestimmungen bei den Moorlandschaften keine Interessenabwägung zu.

28. Juni 2013 - Lukas Denzler
Der Moorschutz in der Schweiz ist untrennbar mit einem Ort in der Innerschweiz verbunden: mit Rothenthurm. Im Hochtal zwischen Biberbrugg und Rothenthurm wollte die Schweizer Armee in den 1980er-Jahren einen Waffenplatz mit Kaserne mitten in eine Moorlandschaft stellen. Die Bauern wehrten sich; sie hätten ihr Land verloren. Besonders aktiv war der Bauer vom Nesseli; sein Hof wäre dem geplanten Zielhang zum Opfer gefallen. Die Naturschützer waren natürlich auch dagegen, denn die Armee hätte die grösste zusammenhängende Moorfläche des Alpenvorlands in Beschlag genommen. Die Unterschriften für die Volksinitiative «Zum Schutz der Moore – Rothenthurm-Initiative» kamen in nur sechs Monaten zusammen – und am 6. Dezember 1987 hiess die Bevölkerung die Initiative mit fast 58 % der Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von mehr als 47 % gut. Die Sensation war perfekt; das Militärdepartement musste die Baumaschinen wieder abziehen.

Mit der Initiative wurde aber nicht nur der Bau des Waffenplatzes verhindert. Die Schweizer Bevölkerung befürwortete damit den Schutz sämtlicher Moore in der Schweiz – und zwar auf Verfassungsstufe. Seither dürfen in Mooren weder Anlagen gebaut noch Bodenveränderungen irgendwelcher Art vorgenommen werden.

Moorinventare von nationaler Bedeutung

Nach Annahme der Initiative erstellte der Bund verschiedene Moorinventare von nationaler Bedeutung. Das Inventar der Hochmoore trat 1991 in Kraft, dasjenige für die Flachmoore folgte 1994. Die Hochmoore umfassen 0.04 % und die Flachmoore 0.5 % der Landesfläche (vgl. Karte S. 20). Laut dem Verfassungsartikel waren auch Moorlandschaften zu schützen; dies geschah 1996 mit einem eigenen Inventar. Die Moorlandschaften umfassen zusätzlich zu den Mooren auch beträchtliche Nicht-Moorflächen. Die moorfreien Teile stehen allerdings in enger ökologischer, visueller, kultureller oder geschichtlicher Beziehung zu den Mooren. Die insgesamt 89 Moorlandschaften umfassen gemäss dem Bundesinventar der Moorlandschaften 874 km2 (2.1 % der Fläche der Schweiz).

Mit Mooren und Moorlandschaften besonders gesegnet ist das Entlebuch im Kanton Luzern. Als man dort realisierte, wie viel Fläche plötzlich mit Nutzungsbeschränkungen belegt war, entschied man sich für eine Vorwärtsstrategie und schuf ein Biosphärenreservat nach den Richtlinien der Unesco. Moorlandschaften belegen mehr als ein Viertel der Fläche der knapp 400 km2 grossen Unesco-Biosphäre Entlebuch (UBE). Sie sind das landschaftliche Kapital des Entlebuchs, das man zusammen mit dem Unesco-Label touristisch in Wert setzen möchte. Hochmoore umfassen 1.25 % und Flachmoore 15.2 % der Fläche der UBE.[1] Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Gründung des Biosphärenreservats gelungen ist. Nach der Annahme der Rothenthurm-Initiative gab es bei der Unterschutzstellung der Moorflächen nämlich grosse Auseinandersetzungen mit den Landnutzern.[2] Aber auch im Entlebuch wurde die Initiative mit 69 % der Stimmen deutlich angenommen. Vielen Stimmberechtigten dürfte indes nicht bewusst gewesen sein, welche Konsequenzen dieser Entscheid für ihre Region haben würde.

Die Moorlandschaften sind als einziger Landschaftstyp auf Verfassungsstufe geschützt. Doch wie strikt ist ihr Schutz wirklich? Im Rahmen der Erfolgskontrolle Moorschutz liess das Bundesamt für Umwelt unter anderem auch die Entwicklung der Moorlandschaften untersuchen. Die 2007 – also 20 Jahre nach Annahme der Rothenthurm-Initiative – präsentierten Ergebnisse lassen aufhorchen: So wurde über die Hälfte aller neu erstellten Gebäude in den Moorlandschaften durch die Experten als schutzzielwidrig eingestuft. Bei den neu gebauten Strassen und Wegen trifft dies sogar für zwei Drittel zu. Auch die Qualität der Schutzverfügungen und Schutzpläne für die einzelnen Moorlandschaften wurde in vielen Fällen als noch nicht ausreichend beurteilt.[3] Offensichtlich stellt die Umsetzung des Moorlandschaftsschutzes für die Kantone eine Herausforderung dar.

Das Bundesgericht bestätigt den strikten Moorschutz

Für Aufsehen sorgte jüngst der Fall des von Peter Zumthor entworfenen Sommerrestaurants für das Kloster Einsiedeln auf der Insel Ufenau im Zürichsee. Die Insel bildet zusammen mit den am Ufer von Pfäffikon SZ liegenden Flachmooren die Moorlandschaft «Frauenwinkel». Auf der Insel selber befindet sich ein geschütztes Flachmoor, das aber vom Neubau nicht tangiert worden wäre. Bei der Überarbeitung des ersten Projekts, das auf Kritik gestossen war, wirkten auch der Schweizer Heimatschutz und die Stiftung Landschaftsschutz mit. Beide Organisationen hatten schliesslich nichts mehr gegen das Projekt einzuwenden.[4]

Der Umweltschutzverband Aqua Viva erhob jedoch Beschwerde vor Bundesgericht, und die Richter aus Lausanne lehnten Ende 2011 den Neubau aus Gründen des Moorlandschaftsschutzes ab.[5] Wenige Monate später scheiterte auch das Projekt der Verbindung der Zürcher-Oberland-Autobahn bei Wetzikon an den Vorgaben des Moorlandschaftsschutzes. Im gesamten Perimeter gilt praktisch ein absolutes Bauverbot. Ausgenommen seien nur Einrichtungen, die dem Schutz oder der bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung der Moore und Moorlandschaften dienten, hielt das Bundesgericht in seinem Entscheid fest.6 Der Kanton Zürich pokerte sehr hoch und verlor. Er muss nun nach einer neuen Linienführung suchen.

Das Urteil zur Zürcher-Oberland-Autobahn ist aus einem weiteren Grund bemerkenswert. Das Bundesgericht befand nämlich, dass die Abgrenzung der Moorlandschaft durch den Bundesrat nicht korrekt erfolgt sei. Abgesehen von den Interessen des Strassenbauprojekts seien keine sachlichen Gründe für den Perimeterverlauf ersichtlich. Der Schutz von Moorlandschaften lasse aber keine Interessenabwägung zu, so das Bundesgericht.

Umstrittene Erhöhung der Grimsel-Staumauer

Die Frage der Abgrenzung des Moorlandschaftsperimeters dürfte auch bei der geplanten Erhöhung der Staumauer am Grimsel entscheidend sein. Die Kraftwerke Oberhasli wollen mit einer um 23 m höheren Staumauer die Speicherkapazität von heute 95 auf 170 Mio. m3 erhöhen.[7] Im September 2012 hatte das Berner Kantonsparlament die hierfür nötige Konzession mit 139 zu 14 Stimmen genehmigt. Gegen den Entscheid reichten die Umweltverbände beim Berner Verwaltungsgericht Beschwerde ein.[8] Sie sind überzeugt, dass eine höhere Grimsel-Staumauer den durch die Verfassung garantierten Schutz der Moorlandschaften verletzt. Das Vorhaben sei ein Präzedenzfall: Werde das Projekt akzeptiert, könnte das den Moorschutz auch in der übrigen Schweiz aushebeln. Auf dem Papier tangiert ein um 23 Meter angehobener Seespiegel die geschützte Moorlandschaft zwar nicht. Nach Ansicht der Umweltverbände ist dies aber nur der Fall, weil der Bundesrat auf Antrag der Berner Regierung 2004 den Perimeter der Moorlandschaft 27 Meter über dem aktuellen Seespiegel festgelegt hat – damit die Vergrösserung des Stausees realisiert werden kann.

Wird der aktuelle Perimeter der Moorlandschaft (der ein Höherstauen ermöglichte) von den Gerichten als zulässig erachtet, sind weitere knifflige Probleme zu lösen. Das Grimselgebiet liegt nämlich in einer geschützten Landschaft von nationaler Bedeutung (BLN-Objekt), und die Passstrasse ist im Inventar der historischen Verkehrswege (IVS) aufgeführt. Ein höherer Seespiegel würde zudem das geschützte Gletschervorfeld und etwa 50 Arven am Seeufer überfluten. Wie stark die Beeinträchtigung der Landschaft und die Zerstörung der Ökosysteme bei einer gerichtlichen Überprüfung ins Gewicht fallen würde, ist schwer zu sagen. Die Rodung der 50 Arven dürfte auf jeden Fall aber eine untergeordnete Rolle spielen. Werden die Arven gerodet, so ist dafür ein entsprechender Realersatz geplant (vgl. Kasten).

Die Beispiele verdeutlichen, dass nicht nur der Schutz der eigentlichen Moore, sondern auch der Moorlandschaftsschutz sehr strikt ist. Ein Abweichen von den Schutzinteressen kommt nur in Ausnahmefällen infrage, etwa beim Schutz vor Naturgefahren. Die strittigen Einzelfälle ziehen viel Aufmerksamkeit auf sich. Vielleicht zu viel. Denn wir sollten nicht vergessen, dass es sich bei den meisten Mooren um Kulturlandschaften handelt, die nur aufgrund der früheren landwirtschaftlichen Streunutzung existieren. Die entscheidende Frage bei der Erhaltung der Moore lautet deshalb vielmehr, ob wir nach dem Verschwinden der traditionellen Nutzung bereit sind, diese Lebensräume dauerhaft zu pflegen.


Anmerkungen:
[01] Thomas Hammer, M. Leng: «Wie lassen sich naturnahe Kulturlandschaften erhalten? Vorschläge für innovatives Handeln am Beispiel der Moorlandschaften der Schweiz» in: GAIA 20/4, S. 265–271. 2011
[02] Urs Müller: «Regionalisierung – Fallbeispiel Biosphäre Entlebuch» in: N. Bachkaus und U. Müller-Böker (Hg.): Gesellschaft und Raum. Zürich 2006, S. 53–71.
[03] Bundesamt für Umwelt: Zustand und Entwicklung der Moore in der Schweiz. Faktenblatt 1 vom 22. November 2007.
[04] Medienmitteilung des Schweizer Heimatschutzes vom 8. September 2009.
[05] Bundesgerichtsentscheid 1C_231/2011 vom 16. Dezember 2011.
[06] Bundesgerichtsentscheid 1C_71/2011 vom 12. Juni 2012.
[07] Vgl. www.grimselstrom.ch
[08] Gemeinsame Medienmitteilung der Umweltverbände vom 25. März 2013.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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