Zeitschrift

TEC21 2013|31-32
Station im Tunnel
TEC21 2013|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wie viel ein Hochwasser in Zürich kostet

Das von der Sihl ausgehende Hochwasserrisiko für die Stadt Zürich wurde lange unterschätzt. Mit einer Risikoanalyse liess die Stadt nun Ausmass und Verteilung möglicher Schäden durch ein solches Ereignis ermitteln, um darauf aufbauend Schutzmassnahmen planen zu können. Die Analyse zeigte, dass Durchschnittswerte für Sachwerte und Schadenempfindlichkeiten ortsspezifisch angepasst werden müssen und dass die Stadt Zürich innerhalb der Schweiz ein unverhältnismässig grosses Klumpenrisiko darstellt.

In den letzten 20 Jahren gab es in der Schweiz eine Häufung von Hochwasserereignissen, bei denen die Stadt Zürich teilweise nur knapp grösseren Schäden entging. Dies veranlasste den Kanton, sich besser gegen derartige Ereignisse zu wappnen (vgl. TEC21 17-18/2011). Bevor jedoch Schutzziele und -massnahmen definiert und sinnvoll priorisiert werden können, müssen die Risiken bekannt sein. Im Februar 2009 beauftragte die kantonale Baudirektion die Stadt Zürich daher mit der Umsetzung der Gefahrenkarte Hochwasser (Abb. 02). Die Gefahrenkarte zeigt zwar die Hochwassergefährdung eines Gebiets, spiegelt jedoch nicht das effektive Schadenrisiko wieder, da die gefährdeten Sachwerte nicht in die Gefahrenbeurteilung einfliessen. Daher wurde eine Risikoanalyse für ein Hochwasser der Sihl durchgeführt, die das grösste Hochwasserrisiko für die Stadt birgt. Sie dient als Grundlage für alle weiteren Massnahmen (Abb. 01).

Kalibrierung im Testgebiet Giesshübel

Für die Risikoanalyse verwendete die Stadt Zürich das vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) entwickelte Berechnungsinstrument EconoMe 2.1. Es berechnet die Risiken über schweizweit einheitliche Basiswerte (Sachwerte und Schadenempfindlichkeiten von einzelnen Objekttypen). Da diese Basiswerte schweizerischen Durchschnittswerten entsprechen, unterschätzt EconoMe in der Standardkonfiguration das Schadenpotenzial und die Schadenempfindlichkeiten für die innerstädtischen Gebiete Zürichs deutlich.

Für eine realitätsnahe Risikoberechnung passte die beauftragte Firma Geotest AG die Basiswerte daher an die Strukturen der Zürcher Innenstadt an: Anhand detaillierter hydraulischer Berechnungen (vgl. Kasten S. 22), Erhebungen mit den Gebäudeeigentümern und Expertenschätzungen kalibrierte sie die Werte im Quartier Giesshübel als repräsentativem Testgebiet. Für ein 300- und ein 500-jährliches Ereignis (HQ300 und HQ500) wurden rund 100 Objekte im Detail untersucht. Neben den Gebäudeschäden durch oberflächig eindringendes Wasser erhob die Gebäudeversicherung des Kantons Zürich (GVZ) dort, wo die Eigentümer entsprechende Auskünfte gaben, auch die bedeutenden Mobiliarschäden.

Der Vergleich zwischen der Modellberechnung und der Expertenschätzung im Testgebiet Giesshübel zeigt, dass das Berechnungsinstrument EconoMe das Schadenausmass für ein 300-jährliches Hochwasserereignis im Pilotgebiet massiv unterschätzt (Abb. 03), da es Schäden in den Untergeschossen nicht berücksichtigt. In den Erhebungen durch die Experten der GVZ stellte sich jedoch heraus, dass bei einem Hochwasser in praktisch alle Gebäude im Pilotgebiet Wasser eindringen kann, da die Gebäudeöffnungen grösstenteils bodeneben sind. Aufgrund der vielen Untergeschosse, der intensiven Nutzung und des hohen Ausbaustandards ist auch bei geringen Überflutungshöhen mit grossen Schäden zu rechnen.

Bei einem Extremhochwasser EHQ – hier gleichgesetzt mit einem 500-jährlichen Ereignis – stimmen Modellberechnung und Expertenschätzung hingegen besser überein, da die Schäden in den Untergeschossen vom Anteil her weniger ins Gewicht fallen. Ausgehend von diesem Modellvergleich wurden die Standardwerte von EconoMe angepasst, um eine möglichst gute Annäherung an die Ergebnisse der Expertenschätzungen zu erreichen.

Extrapolation auf das gesamte Überflutungsgebiet der Sihl

Insgesamt stehen in Zürich über 3000 Gebäude im potenziellen Überflutungsgebiet der Sihl. Zur Berechnung des gesamtstädtischen Risikos eines Sihlhochwassers wurden die betroffenen Objekte für die Szenarien HQ300 und HQ500 nach der berechneten Ereignisintensität (Überflutungstiefen und Fliessgeschwindigkeiten) klassiert und mit den kalibrierten Schadenempfindlichkeiten verknüpft.

Eine flächendeckende Abklärung am Einzelobjekt der betroffenen Sachwerte (Schienenverkehr, Leitungen, Gebäude und Mobiliar) hätte den Zeit- und Kostenrahmen der Studie gesprengt. Deshalb wurden hier lediglich die Objekte mit einem herausragend hohen Risiko (Sonderrisiko-Objekte) – sei es durch ihren hohen Sachwert oder durch ihre Funktion – als Einzelobjekte vertieft untersucht. Für die restlichen Objekte wurden die Standardwerte aus EconoMe verwendet, jedoch mit angepassten Schadenempfindlichkeiten aus dem Testgebiet. Die abgeschätzten Werte sind mehrheitlich Minimalwerte, weil davon auszugehen ist, dass viele Gebäude sehr hohe Mobiliarwerte in den Erd- und Untergeschossen aufweisen und diese zudem sehr empfindlich sein können (z. B. Serverräume). Neben den grossen Sachschäden ist aufgrund der kurzen Vorwarnzeit von rund zwei Stunden, der hohen Arbeitsplatzdichte, der vielen Besucher und der grossen Wohnbevölkerung in Kombination mit Fehlverhalten (z. B. Retten von Waren aus dem Keller) auch mit Personenschäden zu rechnen. Auf eine Quantifizierung des individuellen und des kollektiven Personenrisikos wurde aber verzichtet.

Resultat Risikoanalyse

Die Extrapolation über das betroffene Gesamtgebiet zeigte das Ausmass des Risikos durch ein Sihlhochwasser in der Stadt Zürich: Im Fall eines 100- bis 300-jährlichen Ereignisses ist mit Sachschäden in der Höhe von 1.56 Mrd. Fr. zu rechnen, während die Schadenssumme bei einem 500-jährlichen Ereignis sogar 5.68 Mrd. Fr. beträgt. Der grosse Anstieg des Risikos zwischen den Wiederkehrperioden beruht hauptsächlich darauf, dass bei einem 500- jährlichen Ereignis ein wesentlich grösseres Gebiet vom Hochwasser betroffen ist. Aus dem ermittelten Schadenausmass für die jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit kann das jährliche Risiko berechnet werden. Dieses beläuft sich für die Stadt Zürich auf rund 16.5 Mio. Fr.

Der Vergleich mit dem gesamtschweizerischen Hochwasserrisiko verdeutlicht die unverhältnismässig grosse Risikokonzentration auf dem Gebiet der Stadt Zürich: Gemäss Überschwemmungsmodell der SwissRe muss in der Schweiz alle 100 Jahre mit Schäden in der Höhe von rund 4.4 Mrd. Fr. gerechnet werden. Das Stadtzürcher Hochwasserrisiko von 1.56 Mrd. Fr. für 100- bis 300-jährliche Ereignisse stellt in der Risikolandschaft Schweiz also ein substanzielles Klumpenrisiko dar.

Neben dem räumlich differenzierten Bild beleuchtete die Risikoanalyse auch die strukturellen Eigenschaften des städtischen Hochwasserrisikos (Abb. 04). Dabei zeigte sich, dass das Gesamtrisiko im Wesentlichen durch Schäden an Gebäuden inkl. Mobiliar zustande kommt und dass Objekte mit einem aussergewöhnlich hohen Einzelrisiko den Grossteil des Gesamtrisikos ausmachen: Bezogen auf die finanziellen Sachrisiken stellen rund 5 % der Objekte über 50 % des Gesamtrisikos dar. Im Gesamtkontext aller städtischen Hochwasserschutzmassnahmen gilt es auch die spezifisch städtischen Charakteristika (viele bodenebene Gebäudeöffnungen, Wertekonzentration in Untergeschossen und grosses Personenaufkommen) zu berücksichtigen und dem Risiko mit adäquaten Schutzmassnahmen zu begegnen.

Praktische Anwendungen der Ergebnisse

Für die Umsetzung der Gefahrenkarte in der Stadt Zürich wurde ein Masterplan «Naturgefahren Stadt Zürich» erarbeitet (vgl. Abb. 01), in dem alle notwendigen Informationen zusammengetragen und für die städtische Verwaltung zugänglich gemacht wurden.

Dies nicht nur für die Sihl, sondern auch für alle anderen Gewässer. Der Masterplan dient als Grundlage für die Planung des wasserbaulichen Hochwasserschutzes, Objektschutzmassnahmen (Abb. 05–06) sowie die Notfallplanung und die Gebäudebeurteilung im Bewilligungsverfahren.

Die Gebäudeversicherung kann dank der Risikoanalyse Objekte mit besonders hohen Sachwertrisiken identifizieren und die Eigentümer bestehender Gebäude bzw. Bauherren und Planer neuer Gebäude beraten. Dabei geht es um ein Abwägen zwischen der Investition in Objektschutzmassnahmen gegenüber der Bereitschaft, das Risiko selbst zu tragen. Bei den Sonderrisiko-Objekten können die Eigentümer mit der Beratung von Schutz & Rettung Zürich ihre Notfallplanung für ein Hochwasserereignis anpassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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