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Idealerweise sind Kindergärten und Schulen Lern- sowie Schutzräume für Kinder und Jugendliche; inspirierende Lernlandschaften, die ihnen kognitive und soziale Erfahrungen ermöglichen und in denen die Kinder ganz selbstverständlich Lust zum Handeln, Ausprobieren und somit zum Lernen bekommen. Doch wie sieht die Realität aus? So groß z.T. der Nachholbedarf immer noch ist, so erfreulich zahlreich sind inzwischen auch die Beispiele, bei denen die Architektur diesen Zweck erfüllt und auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht: Individualität und Flexibilität sind dabei wichtige Parameter. So müssen die Gebäude und Räume individuell auf Gruppengröße und Alter zugeschnitten und flexibel bespielbar sein, ohne dabei unverbindlich oder gar anonym zu wirken. Im Gegenteil, um ein Zuhause sein zu können, müssen Bauten für Kinder einen definierten architektonischen Rahmen vorgeben und eine eigene Atmosphäre schaffen. Mit welchen Mitteln – ob Grundriss-, Licht- und Akustikplanung, Material und Farbwahl – das erreicht werden kann, zeigen unsere ausgewählten Beispiele.

Der Raum, neben dem Lernen voneinander und von den Erziehern, als dritter Pädagoge – was fast schon etwas abgedroschen klingt, verliert deshalb ja nicht an Bedeutung. | Ulrike Kunkel

Artikel

2. September 2013 Martin Höchst
deutsche bauzeitung

»Geerdete Pusteblume«

Kita und Stadtteiltreff »Flugfeld« in Böblingen

Mit der neuen Kita in Böblingen ist es (se)arch Architekten gelungen, ein starkes Haus für die Kinder und den Stadtteil zu bauen, das Stabilität vermittelt, viel Freiraum für Pädagogik lässt und außerdem die Sinne von Kindern und Erwachsenen anspricht.

Auch in Böblingen, das bislang nicht mit seinen städtebaulichen Qualitäten punkten konnte, stößt der Wohnungsmarkt an seine Grenzen. Ortsansässige große Arbeitgeber wie z. B. Daimler und IBM tragen dazu bei, dass die Nachfrage nach zeitgemäßem Wohnraum nicht abreißt. So nimmt das ehemalige Flughafengelände direkt am Bahnhof, das zwischenzeitlich von den amerikanischen Streitkräften genutzt wurde und seit den 90er Jahren brach lag eine zentrale Rolle in der städtischen Entwicklung Böblingens ein. Zusammen mit dem unmittelbar angrenzenden Sindelfingen wird das ehrgeizige Projekt in einer Zweckgemeinschaft vorangetrieben. Die künftige Gestalt des geplanten Stadtteils »Flugfeld« (Städtebaulicher Wettbewerb von 2001, Entwurf von ap'plan, Stuttgart und Kienle Planungsgesellschaft, Stuttgart) ist durch die bereits verwirklichten Straßen, Grünanlagen und Wohn- und Gewerbebauten gut abzusehen. Zentrales stadtplanerisches Gestaltungselement bildet ein lang gestreckter See, der in seinen Abmessungen die Start- und Landebahn des ehemaligen Flughafens nachzeichnet. Umgeben von großzügigen Grünflächen wird er von Baufeldern flankiert: im Westen vornehmlich für Gewerbe- und Dienstleistungsnutzungen und östlich des Sees für den schon weiter gediehenen, verdichteten Wohnungsbau und einige Bildungseinrichtungen.

Ins Zentrum gerückt

Der seit Anfang des Jahres mit Leben erfüllte neueste Baustein des Stadtteils, die Kita Flugfeld an der Nordwestecke des Wohnquartiers in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof, markiert den Schnittpunkt der beiden wichtigsten fußläufigen Wegachsen des Areals: zum einen der vom alten Stadtkern hinüber zum neuen Stadtteil und zum anderen der von Grün begleiteten Promenade entlang des Sees. Auf den beiden jetzt noch unbebauten Nachbargrundstücken der Kita werden zukünftig mehrgeschossige Gebäude in die Höhe wachsen. Darauf reagierten (se)arch Architekten aus Stuttgart beim eingeladenen Wettbewerb von 2009 mit einer Stapelung der geforderten Gruppenräume. In einem Quader zusammengefasst thronen sie leicht überkragend an der exponierten Blockrandecke auf einer geschosshohen Umfriedung des Grundstücks. Dies ermöglicht sowohl einen geschützten Außenbereich für die Kita als auch die allseitige natürliche Belichtung des angehobenen ruhigen Volumens. Um dessen Wirkung nicht durch Einschnitte für Loggien und Fluchtreppen sowie durch unterschiedliche Fensterformate zu beeinträchtigen, umgibt ein hellgraues, perforiertes Textilgewebe die oberen drei Geschosse, jeweils lediglich von drei liegenden Fenstern pro Fassade durchstoßen.

Aufgedruckte überdimensionale Pusteblumen geben zwar einen dezenten Hinweis auf die kindlichen Nutzer und die flugspezifische Vergangenheit des Orts, schmälern den abstrakten Charakter des Gebäudes jedoch nicht und bescheren ihm so die seiner Nutzung angemessene Aufmerksamkeit. Dies umso mehr, als dass der klinkerbekleidete Sockel des EGs darüber hinaus noch den Stadtteiltreff mit Bürgerbüro aufnimmt.

Während Besucher des Bürgerbüros, dessen Verglasung die Kontrolle des ihm zugeordneten Eingangs erlaubt, direkt in das gemeinsame Foyer gelangen, verläuft der Weg der Kinder und Eltern der Kita über den ummauerten Außenbereich. Mit seinem umlaufenden Dachband aus Ortbeton, seinen klinkerbekleideten Wänden und den Lattenrosten, die durchlüftete Abstellräume aufnehmen oder als Zugangstüren dienen, vermittelt er eine konzentrierte und ruhige Atmosphäre. Den »Ort des Ankommens« nennt Architekt Stephan Eberding diesen Bereich. Und in der Tat wird man selbst durch den Ausschluss von Passanten und sonstigen Ablenkungen und dank der erdenden Materialien ruhiger. Dies könnte für manches Kind, dem der tägliche Abschied von den Eltern schwer fällt, durchaus hilfreich sein.

Über verglaste Türen im Foyer angekommen, geht der Weg vorbei am teilbaren Mehrzweckraum, der sowohl von Kita als auch für Veranstaltungen des Stadtteils genutzt wird. Von der vorbeiführenden Seepromenade aus über eine in Teilen gefärbte Verglasung einsehbar, dient er als »Schaufenster« für die Angebote der Einrichtung. Auch die professionelle Küche, deren Gefahrenbereiche an Herd und Öfen für das Kochen mit Kindern gesichert werden können, kommt beiden Nutzern zugute. Eine Toilettenanlage, weitere Nebenräume sowie der Personalraum für die Erzieher mit Zugang und Blickkontakt zum Hof runden das vorbildlich synergetische Raumprogramm des EGs ab.

Treppensteigen

In den drei OGs teilen sich je eine Gruppe von Ein- bis Dreijährigen und eine Gruppe von Vier- bis Sechsjährigen das Stockwerk. Der vorhandene Aufzug steht nur für Ausnahmefälle bereit, was ein Schild an dessen Tür unmissverständlich zu verstehen gibt. Groß und Klein steigen mehr oder weniger schnell über das Treppenhaus in die drei OGs hinauf. Dies war anfänglich v. a. bei den Eltern umstritten, hat sich aber bereits eher als positiver Lerneffekt denn als Überforderung für die Kinder herausgestellt. Flächen in wechselnden kräftigen Farben an den Sichtbetonwänden des Treppenhauses verweisen bereits auf die jeweilige »Stockwerksfarbe«. Bei einem Haus mit 100 Kindern auf insgesamt vier Etagen bietet dieser Farbcode bessere Orientierung und Identifikation. Auf allen drei OGs weitgehend gleich organisiert, betritt man zunächst einen großzügigen Raum für beide Gruppen, die sogenannte Spielstraße, die an beiden Stirnseiten an großflächig verglaste Loggien anschließt. Dadurch zeigt sich dieser gemeinsame Ess- und Spielbereich der zwei angegliederten Gruppen überraschend hell. Im Wettbewerbsprogramm noch nicht vorgesehen, konnten die Architekten mit ihrem Vorschlag der Spielstraße als zusätzlicher Aktionsfläche überzeugen, die nun bestens funktioniert. Hier wie fast im gesamten Haus bestimmen etwas ruppig ausgeführte Sichtbetonwände, ein heller Linoleumboden mit Schmutz verzeihender Musterung und schalldämpfende Holzwolleplatten an den Decken den Werkstattcharakter des Gebäudes. Die Materialien erlauben und verzeihen vieles, ohne dabei ins rein Zweckmäßige abzugleiten.

Zwei Garderobennischen an den Längsseiten, ganz in der jeweiligen Stockwerksfarbe gehalten, bilden den einzigen starken Farbakzent des Raums. Verglaste Türen führen zu den pro Altersstufe jeweils zwei Gruppenräumen, die sich Dank ihrer unterschiedlichen Dimensionierung und Ausstattung für Gruppenaktivitäten oder aber für Rückzug und Mittagsschlaf (fahrbare Betten verschwinden bei Bedarf unter einem Holzpodest) eignen. Die künstliche Beleuchtung zeigt sich beinahe wie zuhause: Strahler und Pendelleuchten vermitteln ein vertrautes Bild. Für die Ein- bis Dreijährigen sind als leichte Einbauten je ein Wickelraum und ein absturzsicheres Kletterobjekt integriert. In den Gruppenräumen sorgen zusätzlich zu den markanten Panoramafenstern mit ihren tiefen Sitzlaibungen weitere bei Tage von außen nicht wahrnehmbare Fenster für viel Tageslicht und unterschiedliche Ausblicke. Und obwohl diese hinter dem Textilgewebe liegen, ist die Durchsicht kaum eingeschränkt und dennoch für Beschattung gesorgt. Auch bei den Loggien, die als zusätzliche Außenräume dienen und über die eine Treppe zum Hof hinabführt, sorgt die leichte Hülle für eine ganz eigene Qualität: abgehoben und luftig jedoch sichtgeschützt und beschattet wird hier Wäsche getrocknet und gespielt. Bei Querlüftung über die großen geöffneten Schiebetüren scheinen selbst Geräusche und Luftbewegung angenehm gedämpft durch den textilen Schleier ins Innere vorzudringen.

Stahlbeton und Individualität

Um die Lasten der als Ganzes betrachtet nicht mehr allzu leichten Hülle aufzunehmen, ist eine kräftig dimensionierte Stahlkonstruktion nötig, die auch für Abstand zur konventionellen hellgrau gestrichenen WDVS-Putzfassade der Stahlbeton-Außenwände sorgt. Beispielhaft vorausschauend wurden einige der tragenden Wandscheiben auch als Träger ausgebildet, um so möglichst auf potenziell störende Stützen im Innern verzichten zu können und damit eine große Flexibilität der Räume zu gewährleisten:»Wer weiß, ob dieses Haus in 50 Jahren noch als Kita genutzt wird!«, so Stephan Eberding. Die ursprünglich favorisierte tragende Holzkonstruktion scheiterte am zeitlichen Aufwand für etliche nötige Einzelzulassungen der Bauteile – bedingt durch die ungewöhnliche Typologie einer viergeschossigen Kita. Energetisch strebte die Stadt Passivhaus-Standard an, machte dies aber nicht zur Auflage, sodass jetzt die relevante EnVe um ca. 30 % unterschritten wird.

Wie bei der Konstruktion gab es auch bei der Vergabe der Trägerschaft der Kita, späte Entscheidungen, insofern konnten sehr spezifische gestalterische Ansätze eines pädagogischen Konzepts in die Gestaltung des Gebäudes kaum einfließen. Umso erfreulicher zeigt sich der disziplinierte Umgang des beauftragten Kitabetreibers »educcare«, der sich aus einer privaten Elterninitiative in Köln zu einem bundesweit agierenden Unternehmen entwickelt hat, mit dem großen Gebäude: Die Belegung des Hofs mit Baum, Sonnensegel, Wasserspiel und Sandkasten erfolgt im Schichtbetrieb in geordnetem Abstieg der Kinder über die Außentreppe. Etliche Spielutensilien und Gefährte werden nach Gebrauch wieder aufgeräumt. Es herrscht ein freundlicher Umgangston auf Deutsch und Englisch (Bilingualität ist Teil des Erziehungskonzepts).

Gerade der eher nutzungsunspezifische Charakter der Räume kommt dem pädagogischen Ansatz des Trägers entgegen, die Individualität des Kindes wahrzunehmen und »die Interessen und Stärken des Kindes zu bilden«. So kleben Bilder und Bastelarbeiten der Kinder an vielen der Sichtbetonwände, ohne dass es der räumlichen Qualität abträglich wäre.

Das großzügige Raumangebot lässt die Einrichtung kleiner individueller Nischen zu, die auch immer wieder umgeräumt werden können. Zudem erlauben die Spielflure die Begegnung der unterschiedlichen Altersstufen, bei denen sich die Kinder gegenseitig fordern und helfen. Die neue Kita scheint bei Eltern, Erziehern und Kindern beliebt zu sein. So sind ein halbes Jahr nach Eröffnung alle sechs Gruppen bereits belegt.

Falls bis zur projektierten Fertigstellung des Stadtteils Flugfeld im Jahr 2031 der Bedarf einer weiteren Kindertagesstätte entstünde, würde man ihr eine ähnlich eigenständige und der Aufgabe dienende Architektur wünschen, wie die der »geerdeten Pusteblume«.

2. September 2013 Christoph Gunßer
deutsche bauzeitung

Das Dorf in der Kiste

Kindertagesstätte im Baukastensystem in Frankfurt a. M.

U 3 macht mobil: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für unter Dreijährige hat in den Kommunen rege Bautätigkeit ausgelöst – inzwischen gibt es in Deutschland rund 52 000 Kitas. Während sich andere dabei mit Provisorien behelfen, ging Frankfurt a. M. frühzeitig mit gutem Beispiel voran: 2009 lobte die Stadt einen Architektenwettbewerb aus, der Baukasten-konzepte für Kitas verlangte, die an 34 Standorten im Stadtgebiet realisiert werden sollten – Ernst May wäre sicher begeistert. Doch ein erster gebauter Prototyp zeigt auch die Grenzen dieser Vorgehensweise auf.

Der Erfinder des »Neuen Frankfurt« könnte der neuesten Vorortsiedlung der Stadt gewiss wenig abgewinnen: Der Riedberg, ein Stadtteil für immerhin 15 000 Einwohner, ist fest in der Hand privater Bauträger. Mitten in dieser zusammengewürfelten Ödnis in bester Südhanglage ließ die für den Stadtteil federführende »Hessen Agentur« einen der fünf Preisträger-Entwürfe des städtischen Kita-Wettbewerbs als Prototyp errichten. Mehr noch als andere öffentliche Gebäude im Quartier liefert er ein totales Kontrastprogramm: Zwischen braven Doppelhäusern und der Baustelle eines Gymnasiums hält sich der zweistöckige Neubau gestalterisch so sehr zurück, dass man nicht einmal auf Anhieb den Eingang findet.

Minimalismus für Kinder

Von »Schöne Aussicht« wurde die Kita zwischenzeitlich in »Schatzkiste« umbenannt, wohl weil sich Kinder wenig um die ferne Skyline Frankfurts scheren und vielleicht auch, weil die Kita äußerlich schlicht eine Kiste ist. Hinter dem obligatorischen Maschendrahtzaun erhebt sich ein flacher Quader auf quadratischem Grundriss. Zentralbauten wie dieser sind bekanntlich schwer zu verorten. Wenn nun noch alle vier Seiten des Gebäudes gleich aussehen, nämlich aus einer verglasten Pfosten-Riegel-Konstruktion mit vorgelagertem Fluchtbalkon bestehen, fällt die Orientierung zusätzlich schwer.

Ist die Pforte im Zaun gefunden, empfängt einen kein Schild, nur eine Schließanlage, um den Zugangscode einzugeben. Anschließend steht man zunächst in einer Art Schleuse vor einer schweren Glastür, luftdicht, wie es der Passivhausstandard verlangt. Erst dahinter öffnet sich der großzügige, abermals quadratische »Dorfplatz«, der von einem großen Oberlicht erhellt wird und in den eine großzügige Treppe eingestellt ist. Dies ist eindeutig das Zentrum, der Schatz des Gebäudes.

Suche nach dem Selbstverständlichen

Für Projektleiter Jochen Günzler von Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten besteht das Wesen des Entwurfsprozesses darin, sich im Team »so lange im Kreis zu drehen, bis Selbstverständliches entsteht«. Hier war es der Dorfplatz, wo es hieß: »So muss es sein.« Tatsächlich ergibt sich beim Spiel mit vier Rechtecken (im Fall dieser Kita sind das drei identische Gruppenräume und ein Büro/Küchenmodul) das einprägsame Schema mit windmühlenartigen Fluren, die in einen zentralen Hof münden. Dieser Typ wurde bereits vielfach ausgeführt (vgl. etwa den Kindergarten in Buchen in db 9/2009), denn er birgt große Vorzüge: kompaktes Volumen, rationell herstellbar durch viele identische Bauteile.

Doch es gibt neben der erwähnten städtebaulichen Neutralität des Bautyps auch interne Schwächen, die besonders kleine Kinder irritieren. So ist die Zahl der räumlichen Situationen gering: Besonders die Flure werden leicht ver- wechselt; durch die Vorfertigung der Module lassen sie sich kaum variieren. Die Besonnung der verschiedenen Gruppenräume ist anders als bei einer linearen Reihung sehr unterschiedlich.

Warten auf die »zweite Schicht«

Bei aller Robustheit und Praktikabilität bedarf der Bautyp also einer differenzierenden Überformung durch eine »zweite Schicht«. Architekten können diese als Farb- oder Materialwechsel oder andere Abweichungen einplanen, um besondere Situationen zu schaffen. Hier auf dem Riedberg übernimmt allein die skulptural in den Hof gesetzte zweiläufige Treppe diese orientierende Funktion.

Leider wurde auch die Chance vertan, über eine differenzierende Freiraumplanung prägnante Orte zu schaffen: Die Spiel- und Grünanlagen sind einfacher Standard und bauen weder Bezug noch Spannung zum Gebäude auf – hier waren offenbar zu viele Ämter im Spiel. Und was hätte sich allein aus der markanten Hangkante alles gestalten lassen! Darin hätte sogar noch ein ganzes besonntes Sockelgeschoss Platz gefunden. In dieser Situation erweist sich ein Baukasten-Ansatz als zu starr. Nun wird es an den Nutzern sein, dem soliden, aber etwas eintönigen Standard mit Esprit und Chuzpe auf den Leib zu rücken. Begonnen hat die engagierte Leitung schon mit einer konkreten Schatzkiste und passenden »abenteuerlichen« Schildern an den Gruppenräumen. Potenzial zur Aneignung bietet auch die große Raumhöhe der Gruppenräume, die bei den Kleinen locker Platz für eine zweite Ebene lässt. Hier kann in den mit 75 m² riesigen, von raumhohen Glasscheiben begrenzten Quadern mit Fantasie eine kontrastierende Welt aus kleinen Höhlen und Nischen entstehen. Darüber mögen puristische Architekten die Stirn runzeln, aber Kinder brauchen und lieben sie.

Option Umnutzung

Das zweigeschossige Bausystem aus zweimal vier Quadern verwenden die Architekten an vier weiteren Standorten im Stadtgebiet. Platz finden die kompakten Quadrate auch auf Restflächen, vorwiegend in Kleingartenarealen. Dabei variiert die Größe der Höfe, und die Unterteilung der Gruppenräume wird z.T. für unter Dreijährige verändert; im Riedberger Typ gibt es dagegen nur zwei Gruppen für über Dreijährige zu ebener Erde sowie im OG drei Hortgruppen.

Ein Kostenvorteil gegenüber individuellen Entwürfen entsteht v. a. durch die gemeinsame Ausschreibung mehrerer gleichartiger Gebäude. Ob diese aber den Aufwand übersteigen, um den fehlenden Ortsbezug auszugleichen, sei dahingestellt. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die fünf Gebäude später unterscheiden, wie sie Wurzeln schlagen. Man könnte die neutralen »Kisten« fast als Instrumente oder Leinwände verstehen, auf denen die Nutzer »spielen«.

Und wenn es mal zu wenige Kinder gibt, um die Kitas zu füllen? Dann sind die Gebäude womöglich neutral genug, um sie ganz anders zu nutzen, für betreutes Wohnen etwa, wie Projektleiter Günzler mutmaßt. Diese Perspektive ist mehr noch als der – in der Marktübersicht und bei diesen geringen Stückzahlen keineswegs triftige – Kostenvorteil das wohl wichtigste Argument für derart neutrale Strukturen, auch wenn es zunächst nahe liegt, kindgerechtere Räume zu fordern.

Konstruktion und Haustechnik

Im Konstruktiven hat sich das Architektenteam früh von der Vorstellung verabschiedet, hier ließen sich tatsächlich vorgefertigte Raummodule wie in einem Lego-Baukasten zusammenfügen. Der Vorfertigungsgrad der Mischkonstruktion aus Stahlträgern und -stützen (vorwiegend in der Fassadenebene) sowie Holzwänden und -decken ist stattdessen eher gering: Die Wände werden im Rahmenbau beplankt angeliefert, die meisten Installationen wie der Ausbau nachträglich eingebracht. Das enge konstruktive Raster von 61,5 cm wird de facto nicht streng eingehalten. Etwas schade ist, dass von der Holzkonstruktion im fertigen Gebäude wenig sichtbar bleibt. Allein die Decke über dem Dorfplatz ist als offen hölzernes Gittertragwerk erkennbar.

Die Decken der Gruppenräume spannen von der Fassade zur Hofwand und kragen dort für die Galerien aus. Die Trennwände zu den Fluren haben lediglich aussteifende Funktion. Nachdem im Riedberger Prototyp eine Holzrippendecke eingebaut worden war, kommt in den vier weiteren Kitas eine Holz-Beton-Verbunddecke zum Einsatz, deren höheres Gewicht einen raumklimatischen Vorteil bedeutet. Die trotz der zweischichtigen Fassade hohen Energieeinträge durch die Vollverglasung lassen sich so besser abpuffern.

Haustechnisch verfügt das im Passivhausstandard ohne Zertifizierung errichtete Gebäude über eine mechanische Lüftungsanlage, die jedoch vorwiegend in der kalten Jahreshälfte läuft, wenn Fernwärme den Restwärmebedarf deckt. Überschüssige Wärme entweicht über das große Oberlicht im Hof. Zwei Ventilatoren in der Fassade sorgen zusätzlich für Querlüftung. Wie die Sonnenschutzrollos in der äußeren Fassadenebene wird diese Haustechnik manuell bedient.

2. September 2013 Roland Pawlitschko
deutsche bauzeitung

Häuser im Haus

Kindergarten St. Irmengard in Übersee

Die Gliederung der Baumasse in sechs zusammenhängende »Häuser« schafft Identifikationspunkte sowie vielfältige Angebote und Freiräume für den Kindergartenalltag. Klare räumliche Strukturen und die Holzmassivbauweise sorgten überdies dafür, dass nur wenige Veränderungen am Gebäudekonzept nötig waren, als sich der Bauherr nach Abschluss der Entwurfsphase entschied, den Neubau als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren.

Am östlichen Rand des zwischen Chiemsee und Chiemgauer Alpen gelegenen Orts Übersee liegt das lang gestreckte Grundstück der katholischen Kirche, auf dem sich bis vor Kurzem noch zwei unscheinbare Kindergartengebäude aus den 50er Jahren befanden. Eines der beiden Häuser steht nach einer energetischen Sanierung kurz vor der Wiedereröffnung als Kinderkrippe. Das andere galt als nicht mehr sanierungsfähig und wurde durch einen dreigruppigen Neubau von Hirner & Riehl Architekten ersetzt.

Der vom Erzbischöflichen Ordinariat München direkt beauftragte Kindergarten in Holzmassivbauweise korrespondiert trotz stattlicher 750 m² Bruttogeschossfläche erstaunlich gut mit der kleinteiligen Nachbarbebauung. Ursache hierfür ist einerseits die maßstäblich gegliederte Grundrissfigur mit gerader Straßen- und gestaffelter Gartenseite, andererseits eine Dachlandschaft, die die Baumasse in sechs gleich breite »Häuser« mit verschränkt asymmetrischen Satteldächern unterteilt. Die einzelnen Gruppenbereiche erstrecken sich dabei als Einheiten aus Gruppen-, Intensiv- und Abstellräumen jeweils über zwei dieser Hausstreifen, was sich von außen nicht zuletzt durch die großen Gartenterrassen abzeichnet. Während unterschiedlich breite und dicke Fichtenholzbretter in fünf Rottönen für eine plastische Außenfassade sorgen, schaffen die lediglich mit einem farblosen UV-Schutz angestrichenen Fichten-Leimholzplatten der Innenräume den ruhigen Hintergrund für das bunte Treiben von maximal 75, auf zwei Mittagsgruppen und eine Nachmittagsgruppe verteilten Kindern.

Rückzugsbereiche auch für die Erzieher

Erster Anlaufpunkt nach Betreten des Kindergartens ist ein langer Spielflur, der zugleich als großzügiger Garderobenbereich dient, in dem das Bringen der Kinder ab sieben Uhr morgens unkompliziert und ohne größeres Gedränge abläuft. Von den Architekten entworfene offene und geschlossene Ablagefächer bieten viel Platz für Schuhe, Jacken und Mützen, während eine höher gelegene Pinnwand mit Filzoberfläche den Informationsaustausch zwischen Eltern und Erziehern unterstützt. Vom Flur aus führt der Weg weiter zur Aula, zum stirnseitigen Mehrzweckraum, zur Küche und zum Personalraum im OG. Hierher können sich die Mitarbeiter zurückziehen – etwa für ungestörte Besprechungen oder um sich kurzzeitig vom Trubel in den Gruppenbereichen zu erholen, wo sie und die Kinder den größten Teil des Tages gemeinsam verbringen.

Raum und Möblierung als Einheit

Die von der Aula bzw. dem Spielflur erschlossenen Gruppenbereiche sind hinsichtlich Grundriss, Farbigkeit und Ausstattung identisch und entsprechen in der Fläche und der Aufteilung in große Gruppen- (50 m²) und kleine Intensivräume (20 m²) den üblichen staatlichen Förderrichtlinien. Die Geometrie der Dächer ermöglichte in den Gruppenräumen jedoch die Einrichtung zusätzlicher offener Spielgalerien, die den Kindern als Kuschelecken oder Rückzugsbereiche zur Verfügung stehen. Das Zusammenspiel dieser ganz unterschiedlich ausgeprägten Räume sowie der größtenteils von den Architekten gestalteten Möblierung (Tische, frei stehende Spielküchen, Einbauschränke etc.) eröffnet Kindern wie auch Erziehern vielfältige kreative Aneignungsmöglichkeiten. Einheitliche Oberflächen in Fichtenholz und die auch im Innern überall ablesbaren »Häuser« führen darüber hinaus zu einer ebenso geborgenen wie anregenden Atmosphäre mit Werkstattcharakter. Schade nur, dass derart feinsinnige Differenzierungen nicht auch den Übergang zwischen Gruppenbereichen und Garten definieren – zumindest bis heute stehen den Kindern dort zwar Terrassen, aber leider keinerlei witterungsgeschützte oder anderweitig gestaltete Bereiche zur Verfügung.

Klare, aber auch flexible Raumstrukturen

Während sich Kleingruppen z. B. zum konzentrierten Basteln oder zur Förderung von Vorschulkindern in den jeweiligen Intensivräumen treffen, finden sportliche oder musikalische Aktivitäten gruppenübergreifend im Mehrzweckraum statt – hier machen die Kinder der Nachmittagsgruppe auch ihren Mittagsschlaf, nachdem sie zuvor in der Aula mittaggegessen haben. Anders als heute sollen die einzelnen Gruppen bis zum jeweiligen Kindergartenschluss in Zukunft allerdings nicht mehr die meiste Zeit unter sich bleiben, sondern sich zeitweise über das ganze Gebäude verteilen können. Sowohl der Spiel- flur als auch die »durchspielbaren« Intensivräume bieten hierfür beste Voraussetzungen.

Nachträgliches Passivhauskonzept

Ebenfalls zukunftsorientiert, wenn auch erst nach Abschluss der Entwurfsphase getroffen, ist die Entscheidung der katholischen Gemeinde, den Kindergarten als zertifiziertes Passivhaus zu realisieren. Dies zog zwar einige Veränderungen im Entwurf nach sich, führte aber nirgendwo zu unlösbaren Problemen. Unkompliziert in das bestehende Raumkonzept integrieren ließen sich z.B. die dreifachverglasten Fenster und die dezentrale kontrollierte Raumlüftung mit Wärmerückgewinnung. Die entsprechenden vier Geräte platzierten die Planer u. a. wegen kürzerer Leitungswege und der einfachen Zu- und Abluftführung über dem Dach in den mittigen Lagern neben den Intensivräumen bzw. in der Küche. Für ausreichend Wärme auch an kalten Wintertagen sorgt eine Wärmepumpe mit Erdregistern, bei der bis zu 4 m tiefe Spiralkörbe das Wasser eines Multifunktionsspeichers für Fußbodenheizung und Warmwasserversorgung erwärmen. Relativ unkompliziert kompensieren ließ sich auch das aus der bewegten Dachlandschaft resultierende, für Passivhäuser eher ungünstige A/V-Verhältnis. Hierfür wurden einfach die Dämmstärken sämtlicher raumbegrenzender Bauteile erhöht – in Außenwänden und Dachflächen betragen diese nun 36 bzw. 40 cm. Da die tragenden Leimholzplatten generell nur 6 cm dick sind, und auch die OSB-Doppelsteg-Dachträger ohnehin große Aufbauhöhen benötigen, ergibt sich aus dieser Maßnahme keine merkwürdig überdimensioniert wirkende Gebäudehülle.

Als tatsächlich eher ungünstig erwies sich allein die ostseitige Ausrichtung der Gruppenbereiche, die jedoch angesichts des schmalen Grundstückszuschnitts kaum anders zu lösen gewesen wäre. Während Mitarbeiter ebenso wie das derzeit laufende Monitoring zum Schluss kommen, dass der Stromverbrauch für technische Anlagen und das Raumklima im Winter und in den Übergangszeiten den ehrgeizigen Passivhausstandards entsprechen, kam es im Sommer in den Gruppenräumen vereinzelt zu Wärmestaus. Diese resultierten z. T. aus den in der Nacht kaum absinkenden Temperaturen, die das nächtliche Auskühlen über die großflächigen Oberlichter verhinderten, z. T. aber auch aus dem allmorgendlichen Sonneneintrag. Grundlegend verändern wird sich dieser Zustand erst, wenn nach Fertigstellung der benachbarten Kinderkrippe endlich auch die längst geplante Gartengestaltung fertiggestellt ist. Mit der natürlichen Verschattung durch gezielt gepflanzte Bäume wird sich dann ein letzter Mosaikstein in ein Gesamtkonzept fügen, das auf der Idee der Architekten beruht, grundsätzlich mit möglichst einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln ein gleichermaßen identitätsstiftendes, die Sinne anregendes und energieeffizientes Haus für Kinder und Erzieher zu schaffen.

2. September 2013 Falk Jaeger
deutsche bauzeitung

Ordnung attraktiv gemacht

Evangelische Grundschule mit Sporthalle in Karlsruhe

Viele Architekten neigen dazu, die von ihnen generell favorisierte disziplinierte Gestaltung, Ordnung und Materialgerechtigkeit für ein probates pädagogisches Programm zu halten, mit dem man Kindern per Schulbau das »richtige« ästhetische Verständnis beibringen kann. Sie irren. Dass ein Schulbau andererseits keine Räuberhöhle oder gebauter Dinosaurier sein muss und trotz regelhafter Architektur erlebnisreich und anregend sein kann, haben wulf architekten in Karlsruhe bewiesen.

Ein wenig abseits liegt die Karlsruher Nordweststadt schon, eine bleiern ruhige Schlafstadt, angelegt nach dem Trabantenstadtprinzip in den 60er Jahren. Bedeutende Architektur hat das Quartier nicht zu bieten, Einfamilienhäuser ohne Ende, hier und da etwas Geschosswohnungsbau, die eine oder andere Schule, ein Sportplatz. Am bemerkenswertesten noch das Wilhelmine-Lübke-Altenwohnheim, 1968 von Bertold Sack erbaut und offenkundig der Ära der Terrassenbauten von Faller und Schröder zuzurechnen. Doch dann lässt am Ende der Trierer Straße ein Ensemble aufmerken, das einen Epochensprung anzeigt. Nicht etwa durch extravagante Bauformen oder schiere Größe, sondern durch eine angesichts des Béton brut in der Nachbarschaft fast elegant zu nennende Leichtigkeit und Anmut: die neue Grundschule von wulf architekten.

Zunächst markiert ein merkwürdiger, offener Campanile den Zugang, der Glockenturm der rechter Hand benachbarten Jacobuskirche. Turm und Gemeindezentrum aus den 60er Jahren einerseits und die Evangelische Grundschule andererseits bilden einen wohlproportionierten Platz, der mit einem althergebrachten Schulhof nicht mehr viel gemein hat. Die Schule selbst versucht gar nicht erst, sich mit abweichenden Baukörperformen unter all den orthogonalen, flach gedeckten Quadern der unmittelbaren Nachbarschaft besonders zu positionieren, sondern ordnet sich städtebaulich unauffällig ein. Sie besteht aus Schulhaus und Sporthalle, zwei klaren, zweigeschossigen Baukörpern. Fragilen, leichten Volumen, deren Körperlichkeit sich bei Annäherung mehr und mehr aufzulösen scheint.

Der erstaunliche Effekt ist den geschosshohen, vertikalen Aluminiumlamellen geschuldet, die in unregelmäßigem Rhythmus zwischen die liniendünnen Deckenplatten gespannt sind und die Außenhaut der beiden Gebäude in einen farbig oszillierenden Schleier verwandeln. Zu der einen Seite sind alle Lamellen in Rot- und Pinktönen lackiert, zur anderen hin in Grüntönen. Einzelne Lamellen sind in Gelb gehalten. Die Stirnseiten zeigen Aluminium-Naturton, ebenso wie die schlanken konstruktiven Stützen übrigens. So wandelt sich das Bild im Vorbeigehen oder im Zusammenklang der beiden versetzt zueinander stehenden Baukörper. In der Bewegung entsteht ein Vexierbild.

»Fröhliche Farben«, der Topos kommt einem in den Sinn und bestimmt den ersten Eindruck. Dennoch handelt es sich nicht um eine hemmungslos bunte Schule; kräftige Farben tauchen nur noch einmal auf, bei den Gewänden der Oberlichter in der zentralen Halle des Schulhauses.

Die zweigeschossige Halle ist Erschließungsraum, Versammlungshalle, aber auch pädagogisches Element, denn die Evangelische Grundschule Karlsruhe ist eine Ganztagsschule mit Montessori-Pädagogik. Die Schule soll nicht nur Lern-, sondern auch Lebens- und Erfahrungsraum in einem umfassenden Sinne sein. Demgemäß ist das Raumprogramm nicht auf Flure, Klassenzimmer und Aula beschränkt. Das »Lernhaus« (wie es in der Montessori-Pädagogik heißt) bietet ein offenes, zweigeschossiges Zentrum mit Freitreppe und Podium sowie Nutzungsbereichen vor den Klassenzimmern. Das Podium aus einzelnen Kiefernholz-Elementen lässt sich für verschiedene Nutzungen zu unterschiedlichen Ebenen und Sitzanordnungen arrangieren. Auch andere Einbauten wie die Garderoben sind aus dem lebendig gemaserten Seekiefernholz gefertigt und prägen den Charakter des Raums.

Wunderbarer Bewegungsraum

Um die zentrale, von Zenitlicht belichtete Halle herum reihen sich im EG der Andachtsraum, der am Abend auch separat vom Windfang aus zu erreichen ist, vier Klassenzimmer mit zwei Multifunktionsräumen, ein Lehrerzimmer und eine große Küche. Treppauf ein ähnliches Raumprogramm mit vier Klassen, Lehrerzimmer, Musikraum, Werkraum, Bibliothek und einer weiteren Küche.

Frontalunterricht vor einer homogenen Klasse spielt in der Montessori-Pädagogik eine untergeordnete Rolle. Häufig werden die Gruppen gewechselt, neu formiert, die Sitzanordnung geändert. Deshalb sind die quadratischen Klassenzimmer mit 80 m² ungewöhnlich geräumig und erlauben vielgestaltige Nutzungsmöglichkeiten jenseits der üblichen schematisch aufgestellten Schulbankreihen. An den Standards des öffentlichen Schulbauwesens hat man sich bei diesem von der Schulstiftung der evangelischen Landeskirche Baden realisierten Projekt offenbar nicht orientieren müssen, wenngleich das knappe Budget mit 8,25 Mio. Euro zu sparsamer Bauweise zwang. Jeweils zwei Klassen ist noch ein zusätzlicher Multifunktionsraum zugeordnet, der weitere pädagogische Möglichkeiten, etwa des Lernens in kleiner Gruppe eröffnet.

Zwischen der eigentlichen Fassade und dem Lamellenstakkato liegt ein Rundgang, der im oberen Geschoss auch als zweiter Rettungsweg fungiert, aber v. a. natürlich wunderbaren Bewegungsraum für die Kinder abgibt. Den Blick beeinträchtigende Geländer gibt es nicht, nur sehr zarte Metallnetze mit äußerst minimierten Abspannvorrichtungen.

Durchgängig im Haus ist die Wertschätzung und Hinwendung zu den Schülern als Individuen zu spüren, bis hin zum Geschirr für das Schulessen, das nicht als Kantinen-Massenware eingekauft, sondern von den engagierten Eltern nach gestalterischen Gesichtspunkten sorgfältig ausgesucht wurde.

Der zweite Baukörper tritt noch luftiger vor Augen, weil die obere Etage nur aus einer Pergola zu bestehen scheint. Der Bau beinhaltet die Sporthalle, die 3 m tief eingesenkt wurde und oberirdisch normale Geschosshöhe erreicht. An der Südseite liegen im EG die Umkleideräume, im OG Rektorat und Verwaltung der Schule. Die Dachfläche der Halle wird als Pausenbereich und Spielfläche genutzt und auf zwei Seiten von der Pergola begrenzt. Sie ist mit Kunstrasen belegt, als Ballspielfläche markiert und ringsum mit einem fast unsichtbaren Edelstahlnetz umfangen, ein ungewöhnlicher, luftiger Spielraum mit vielfältigen Blickbeziehungen. Die Netze spielen bei dem Bauwerk also eine bedeutende Rolle. Sie sind innen wie außen als ephemere Raumabschlüsse und Brüstungen eingesetzt. Bei den Außentreppen werden sie sogar zu tragenden Elementen, denn die Handläufe sind mit Klemmvorrichtungen am Netz befestigt. So tragen sie wesentlich zum leichten, offenen und reizvollen Erscheinungsbild der Schule bei.

Lehrer haben leichtes Spiel

Die anregende Lernumgebung ist geeignet, im Sinn Maria Montessoris das Interesse und die spontane Aktivität bei den Kindern zu wecken. »Alles, was langweilt, entmutigt oder unterbricht, wird zu einem Hindernis, das durch keine logische Vorbereitung des Unterrichts überwunden werden kann«, ist ihr Credo. So gesehen müssen die Lehrer an dieser Schule wohl leichtes Spiel haben.

Welches Glück sie haben wird deutlich, wenn man z. B. eine der strengen, in düsteren Farben gemauerten Schulen Max Dudlers dagegenstellt. Sie mag gestalterische Qualitäten aufweisen, gut detailliert und solide gebaut sein, aber Kinder sollte man damit nicht behelligen.

Für die Evangelische Grundschule gilt: Selten wird ein pädagogisches Konzept so nonchalant und dennoch so konsequent in Architektur umgesetzt. Selten auch gelingt es in diesem Maß, eine zwanglose, freundliche, bei durchaus beibehaltener gestalterischer Disziplin dennoch räumlich ungemein vielseitige und differenzierte Lernumgebung zu schaffen. In diesem Punkt trennen wulf architekten und z. B. Peter Hübner, der ebenfalls anregende Schulen baut, Welten. Doch hier geht es nach Montessori, die dem Kind eine äußere Ordnung vorgeben möchte, damit es sich in seiner inneren Ordnung daran orientiere. »Sie muss attraktiv sein, um das Kind zu jener Aktivität aufzufordern, die es braucht, um von der äußeren Ordnung zur inneren zu gelangen.« Die Ordnung attraktiv machen, womit sicher auch ästhetisch, schön gemeint ist, das war hier die Aufgabe, die von den Architekten gemeistert wurde. Der Spruch hat gewiss einen langen Bart, aber er scheint hier am Platz: Hier würde man gerne nochmal zur Schule gehen.

2. September 2013 Hubertus Adam
deutsche bauzeitung

Schule mit Weitblick

Sanierung und Erweiterung Schule Balainen in Nidau bei Biel (CH)

Bereits 2006 hatten Wildrich Hien den Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Schulhauses Balainen in Nidau gewonnen. Doch erst im Mai 2013 konnte das Projekt, das insgesamt 12 Mio. CHF an Investitionskosten erforderte, fertiggestellt werden. Trotz diverser Sparrunden und Programmänderungen ist es den Architekten gelungen, die städtebaulichen und architektonischen Grundzüge ihres Entwurfs umzusetzen und zu einer überzeugenden Balance zwischen Alt und Neu zu finden.

Im Zentrum der Kleinstadt Nidau im Kanton Bern steht ein 1908 eingeweihtes Denkmal, das an die Väter der ersten Juragewässerkorrektion erinnert: Eine Büste auf einem Postament vor dem Obelisk zeigt den radikal-liberalen Politiker und Initiator des Unternehmens, Johann Rudolf Schneider und ein Porträtmedaillon den aus dem Bündnerland stammenden Ingenieur Richard La Nicca. Zwischen 1868 und 78 wurde La Niccas Meisterwerk umgesetzt: Die Einleitung der Aare über den Hagneckkanal in den Bielersee – und die Ableitung des Seewassers über den Nidau-Büren-Kanal in das alte Bett der Aare. In Kombination mit der Verbindung der drei Schweizer Juraseen durch weitere Kanäle und der Absenkung der Seepegel befreiten die wasserbautechnischen Maßnahmen das Seeland von den periodisch wiederkehrenden Hochwassern und erschlossen weite Flächen von bisherigem Sumpfland für die Landwirtschaft.

Bestandsbau im Heimatstil

Der idyllische Nidau-Büren-Kanal trägt heute maßgeblich zur Attraktivität der Stadt bei, die nahtlos an das nördlich gelegene Biel anschließt und mit diesem auch längst verschmolzen wäre, wenn der Große Rat des Kantons Bern das Zusammenschlussbegehren beider Städte 1920 nicht abgelehnt hätte. Südlich des Zentrums von Nidau war kurz zuvor auf einem unmittelbar an den Kanal angrenzenden Grundstück 1919 das Schulhaus Balainen entstanden. In der zivilisationskritischen Diktion der Zeit wurde der Umzug der Schule aus dem Stadtkern an den Rand in einer Festschrift des Jahres 1937 als »Erlösung« dargestellt: »Dort im Städtchen Kindergeschrei, Wagengerassel, Tramgequieke, Bähnlipfiffe und der Anblick naher Häuserfronten, hier Fernsicht über den stillen Kanal hin auf Kirschbaumgärten und Buchenwald (…).«

Die Bieler Architekten Saager & Frey hatten für ihr Gebäude am Balainenweg, das auf einen Wettbewerb des Jahres 1913/14 zurückgeht, Formen eines purifizierten Heimatstils gewählt: Ein mächtiges Walmdach überdeckt das orthogonale Volumen mit seinen drei Vollgeschossen, der Treppenturm auf der Straßenseite referiert auf den Südwestturm der Stadtbefestigung. Beherbergte das Schulhaus bis in die 60er Jahre hinein alle Schülerinnen und Schüler des Orts, so sind unterdessen zwei weitere Schulgebäude entstanden. Dann stand indes auch für das erste Schulhaus des Orts, das ca. 1960 und 1975 durch Umbauten den Bedürfnissen der Zeit angepasst worden war, eine grundlegende Sanierung und Erneuerung an, welche das seinerzeit in Chur, heute in Zürich ansässige Architekturbüro Wildrich Hien 2006 in einem offenen Wettbewerb für sich entscheiden konnte.

Skulpturaler Neubau

Die jungen Architekten, für die der Wettbewerbssieg den Auslöser für die Gründung eines eigenen Büros bedeutete, hatten vorgeschlagen, die bestehende L-förmige Konfiguration aus Schulhaus und Sporthalle durch ein skulptural wirkendes Neubauvolumen im Osten – als Abschluss des Schulhofs und als Pendant zur Sporthalle – zu einem u-förmigen, sich zum Nidau-Büren-Kanal hin öffnenden Ensemble zu erweitern. Sonderräume in den oberen und unteren Stockwerken von Alt- und Neubau sollten zu den in der Mitte angeordneten Klassenzimmern treten; die neue Sporthalle war unterirdisch unter dem Pausenhof geplant, aus der Sporthalle sollte die Aula werden. Die Jury lobte das maßstäbliche Weiterbauen der bestehenden Situation, den sorgfältigen Umgang mit dem denkmalgeschützten Ensemble und das Schaffen einer überzeugenden Gesamtanlage – und auch die »hohe Flexibilität, welche für zukünftige Nutzungsverschiebungen von Belang sein könnte«.

Diese Bemerkung war durchaus prophetisch, denn den Architekten, die ab dem Bauprojekt eine Arbeitsgemeinschaft mit Frei + Saarinen aus Zürich bildeten, oblag es in den kommenden Jahren, angesichts von Sparrunden ihr Projekt zu redimensionieren und dennoch dessen Qualitäten zu bewahren, die ja schließlich auch den Ausschlag für den Wettbewerbssieg gegeben hatten. Zu den wesentlichen Änderungen zählte zum einen der Verzicht auf die unterirdische Sporthalle. Stattdessen wurde die – nicht wettkampfkonforme – bestehende Turnhalle sanft renoviert, während die Aula als multifunktionaler Mehrzwecksaal im DG des Neubaus Unterbringung fand. Zum anderen revidierte man die Raumaufteilung grundlegend: Die Klassenzimmer verblieben im Altbau, der Neubau ist allein den Sondernutzungen vorbehalten: Handarbeitsraum und Lehrküche im EG, Musik, Naturwissenschaften und Informatik im 1. OG, Bibliothek und Multifunktionsraum unter dem Dach. Die Räume werden von in der Mitte liegenden Korridoren aus erschlossen; je zwei Sonderräume teilen sich einen dazwischen liegenden Vorbereitungsraum. Schiebetüren entlang der Außenwand erlauben es, alle Räume intern miteinander zu verbinden, und schaffen so kurze und informelle Wege.

Mit diesen Ideen konnten die Architekten wichtige Akzente hinsichtlich einer flexibleren Raumanordnung setzen; in diesem Zusammenhang ist auch der große multifunktionale Veranstaltungssaal zu sehen, der gleichermaßen für Kino-, Theater- oder Konzertveranstaltungen genutzt werden kann, aber auch durch seine Panoramascheiben beeindruckende Ausblicke auf den Baubestand und den Kanal bietet. Ein zentrales Anliegen der Architekten ist darüber hinaus die großzügige Treppenhalle, die das Volumen in seiner gesamten Ausdehnung erlebbar macht. Im Innern setzen Wildrich Hien auf helle Farben – sowie Grüntöne für die Einbaumöbel und den durchgefärbten Hartbetonboden in den öffentlichen Zonen. Der Neubau entspricht dem Minergie-Standard; die Technikzentrale im UG des Altbaus ist über den Kriechkeller unterhalb des Pausenhofs mit der Erweiterung verbunden.

Vom Eingang aus führen Treppe oder Lift empor zum Pausenbereich, welcher niveaugleich an das Hauptgeschoss (Hochparterre) des Altbaus anschließt. Das bestehende Schulhaus blieb in seiner Raumstruktur weitgehend unverändert; lediglich ein Gruppenraum pro Geschoss ist anstelle früherer Toiletten getreten. Innovative Unterrichtskonzepte, wie sie in anderen Kantonen erprobt werden, waren hier kein Thema, und so dienen die Gruppenräume auch lediglich als optionale Raumreserven, die vom Lehrpersonal bei Bedarf benutzt werden können.

Sanfte Renovierung

Mit der Reinigung der Terrazzo- und Gussasphaltböden, der Freilegung des Parketts und einer partiellen Wiederherstellung der historischen Farbigkeit inklusive der Zierleisten aus Schablonenmalerei erweisen die Architekten dem Ursprungsbau ihre Reverenz.

Ein experimentelles Raumprogramm zu realisieren, war bei der Erweiterung des Schulhauses in Nidau weder gefordert noch gewünscht. Die Qualität der architektonischen Intervention besteht daher primär im sensiblen Reagieren auf den Altbau – sowie in der städtebaulichen Lösung. So wurde der bei einem früheren Umbau geschlossene Arkadendurchgang zwischen Hauptbau und Sporthalle wieder geöffnet, um eine öffentliche Wegverbindung zwischen Stadt und Kanal zu schaffen. V. a. aber überzeugt der trotz der Planänderungen in seiner Grundvolumetrie, Maßstäblichkeit und skulpturalen Gestalt bewahrte Körper des Neubaus. Er vermittelt zwischen der Einzelbebauung des benachbarten Wohnquartiers und der starken Setzung des Schulhauses. Jede Fassade ist anders ausgebildet, das beherrschende Element ist das große Walmdach, dessen Deckung die Architekten gemeinsam mit der Firma Eternit entwickelten. Auch die markante Lukarne des Dachgeschosses lässt sich als Anspielung auf die Formensprache des Baus von 1919 verstehen. Der helle Beton des Neubaus wurde farblich an die Tonalität der Putzfassade des Altbaus angeglichen; durch Sandstrahlung erhielten die Fassaden eine unprätentiöse, aber lebendige Textur, zu der die rahmenartigen Laibungen aus schalungsglattem Beton wirkungsvoll und markant in Kontrast treten. Aus Beton bestehen schließlich auch die präfabrizierten, pilzartigen Dachstrukturen, die, zu Clusterstrukturen vereint, als Wetterdach und Sonnenschutz dienen und ebenfalls ein Element darstellen, das die Architekten über die Sparrunden retten konnten.