Zeitschrift

TEC21 2013|38
Neuer Saum für die Linth
TEC21 2013|38
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Die Sanierung des Linthwerks

Das neue Linthwerk ist sicherer und naturnäher, zugleich bietet es der Bevölkerung attraktive Naherholungsräume. Am Escher- und Linthkanal sind bauliche Vorkehrungen für den Überlastfall realisiert worden. Das im Frühjahr fertiggestellte Projekt ist ein Vorbild für die anstehenden Sanierungen der Schweizer Flussbauwerke.

13. September 2013 - Markus Jud, Heiner Keller
Als Hans Konrad Escher 1804 mit der Planung des Linthwerks begann, war die kurze und turbulente Zeit der Helvetik eben zu Ende gegangen. Die wieder eingesetzte Eidgenössische Tagsatzung bewilligte das Vorhaben. Das Linthwerk ist somit eines der ersten eidgenössischen Infrastrukturvorhaben, das noch vor der Gründung des modernen Bundesstaats 1848 begonnen wurde. Die wichtigsten Ziele von Escher waren, das Geschiebe in den Walensee abzuleiten, diesen abzusenken, Sümpfe in der Linthebene auszutrocknen und die Schiffsverbindung zwischen dem Zürich- und dem Walensee zu verbessern. Heute wäre Escher erstaunt, wie die Linthebene aussieht: Die Siedlungen haben sich ausgedehnt, zahlreiche Verkehrswege und Hochspannungsleitungen durchqueren die Ebene.

Ein komplexes hydraulisches System

Beim Hochwasser 1999 hielten die Dämme der Linth, die zum Teil 200 Jahre alt sind, den Wassermassen nur mit viel Glück stand. Die Linthkantone St. Gallen, Glarus, Schwyz und Zürich realisierten zwischen 1998 und 2013 das Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000». Das Linthwerk – bestehend aus Escher- und Linthkanal sowie diversen Nebengewässern – ist ein technisch und hydraulisch komplexes Gewässersystem. Im 6 km langen Escherkanal zwischen Näfels/Mollis und dem Walensee präsentiert sich die Linth als wilder Gebirgsfluss. Bei Niederschlägen kommt es zu kurzen, aber hohen Hochwasserspitzen mit viel Geschiebe (Kies) und Schwemmholz. Der Escherkanal leitet die Linth seit 1811 in den Walensee um. Der Walensee dämpft die Hochwasserspitzen (Retention) und nimmt das Geschiebe der Glarner Linth auf. Der Abfluss aus dem Walensee ist deshalb geschiebefrei.

Der 17 km lange Linthkanal leitet das Wasser vom Walensee in den Zürichsee ab. Der Kanal stellt die kürzestmögliche Verbindung zwischen den beiden Seen dar. Er wurde so erstellt und ausgebaut, dass er überall die gleiche Breite, das gleiche Gefälle und den gleichen Ausbaustandard (unbefestigte Sohle, mit Steinen verbautes Ufer) hatte. Mit dem Bau des Linthkanals senkte sich der Wasserspiegel des Walensees um 2.3 m und nach weiteren Abgrabungen im Kanal und Unterwassersprengungen bei Ziegelbrücke zwischen 1840 und 1862 noch einmal um 3 m. Zwischen Weesen und Schänis fliesst die Linth deshalb in einem Einschnitt im Gelände. Weil die Linthebene im unteren Teil flacher wird und der Zürichsee nicht wie der Walensee abgesenkt wurde, muss die Linth in der unteren Hälfte zwischen Dämmen geführt werden. Zwischen Giessen und Grynau fliesst sie deutlich über dem Terrain der Ebene. Wegen der Dämme können Seitenbäche unterhalb von Bilten und Schänis nicht mehr in die Linth eingeleitet werden. Sie begleiten als Hintergräben die Linthdämme beidseitig bis in den Zürichsee. Die Benknerebene (Benken, Uznach) liegt noch einmal tiefer als der Rechte Hintergraben. Sie wird durch ein alphabetisch gekennzeichnetes Kanalsystem entwässert, der F-Kanal nimmt parallel zum Hintergraben das Wasser aller Kanäle auf und führt es zum Pumpwerk Uznach der Linthebene-Melioration, von wo es in den Rechten Hintergraben gepumpt wird. Zwischen Giessen und der Grynau verlaufen somit vier Wasserläufe parallel nebeneinander (Abb. 01 und 02).

Umfangreiche Planung und 130 Einsprachen

Bei der Sanierung des Linthwerks ging es in erster Linie darum, die Hochwassersicherheit für die gesamte Linthebene zu erhöhen. Zudem wollte man mehr Raum für die Natur und neue Naherholungsgebiete für die Bevölkerung schaffen. Die baulichen Massnahmen konzentrierten sich einerseits auf Abschnitte, die besser gegen Hochwasser gesichert werden mussten, und andererseits auf Gebiete, in denen sich mit vertretbarem Aufwand und Landbedarf eine deutliche Verbesserung der Gewässerlebensräume erreichen liess. Das Projekt «Hochwasserschutz Linth 2000» wurde auf der Basis einer Situationsanalyse entwickelt. Über Begleitgruppen und Mitwirkungsverfahren konnten sich breite Kreise mit unterschiedlichsten Interessen im Planungsprozess einbringen. Da verschiedene Anliegen und Ideen ausserhalb des Perimeters des Linthwerks lagen, wurden zusätzlich zum eigentlichen Hochwasserschutzprojekt sogenannte Begleitplanungen durchgeführt.

An der Grundkonzeption des Linthwerks hielt man fest. Ein Teil der Gegner war trotzdem der Ansicht, dass mit dem Sanierungsprojekt das historische Erbe von Escher zerstört werde. Nach Eschers Tod 1823 dauerte die Fertigstellung des Linthwerks jedoch bis 1880. Im 20. Jahrhundert veränderten neue Siedlungsgebiete, mehrere Hochspannungsleitungen, die Nationalstrasse sowie die Linthebene-Melioration die Anforderungen an das Linthwerk sukzessive. Die jetzt ausgeführten Arbeiten sind als weitere Etappe zu sehen, die Hochwassersicherheit für die nächsten hundert Jahre zu gewährleisten. Das Projekt hatte eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu bestehen. Die kantonalen Umweltschutzämter legten die ökologischen Anforderungen fest.

2005 lag das Auflageprojekt vor. Trotz der umfassenden Mitwirkung gingen während der öffentlichen Auflage 130 Einsprachen von Umweltorganisationen und landwirtschaftlichen Kreisen gegen die beiden Teilprojekte Escherkanal und Linthkanal ein. Die Einspracheverhandlungen führten zu mehreren Projektanpassungen (regulierbares Wehr im Hänggelgiessen, zusätzliche Massnahmen zugunsten der Natur, unabhängige Erfolgskontrolle der ökologischen Massnahmen). Die Baubewilligungen wurden 2007 durch die Regierungen der Kantone Glarus und St. Gallen erteilt. Nachdem die kantonalen Verwaltungsgerichte und das Bundesgericht alle Beschwerden gegen die Baubewilligung abgewiesen hatten, konnte man die Ausführungsplanungen und die Bauarbeiten 2008 in Angriff nehmen (vgl. «‹Irgendwann muss man entscheiden›», S. 24).

Die wichtigsten Elemente des Hochwasserschutzprojekts

Am Escherkanal wurden innerhalb der Siedlungsgebiete der Längsverbau erneuert, die Brücken gesichert und die Dammkronen abschnittsweise erhöht. Den linken Damm verstärkte man auf der Innenseite, um Kulturland und naturschützerisch wertvolle Lebensräume des Moorbläulings, eines gefährdeten Schmetterlings, zu erhalten (Abb. 04). Der bergseitige rechte Damm wurde im Bereich der Aufweitung «Chli Gäsitschachen» verlegt und für eine mögliche Überströmung vorbereitet (Kundertriet, Vrenelibrücke). Am Linthkanal verstärkt eine Materialauflast auf der Aussenseite auf einer Länge von zwölf Flusskilometern die Dämme des Hauptkanals. Aus diesem Grund mussten die Hintergräben und der F-Kanal verlegt werden. Im Hauptkanal ersetzen auf einer Länge von rund sieben Flusskilometern neu gestaltete Flachufer den bisher harten Uferlängsverbau (vgl. Kasten). Der Überlastfall wurde im Hänggelgiessen oberhalb der freien Dammstrecke mit einem steuerbaren Wehr gelöst (vgl. «Ingenieurbau an der Linth», S. 21).

Das Wasserbaugesetz verlangt, dass bei Hochwasserschutzprojekten, wenn möglich, der ursprüngliche Verlauf der Gewässer wieder herzustellen ist. Die grössten Möglichkeiten für mehr Gewässerlebensräume ergaben sich in den beiden Flussaufweitungen von je ca. 10 ha im Hänggelgiessen am Linthkanal (vergleiche Titelbild) und im Chli Gäsitschachen am Escherkanal. Die kantonalen Umweltschutzämter beurteilten die Umweltverträglichkeit anhand eines Punktesystems. Angesichts des komplexen hydraulischen Systems war die Herstellung eines ursprünglichen Gewässerverlaufs nur bedingt möglich, deshalb waren als Ersatz zusätzliche ökologische Ausgleichsmassnahmen umzusetzen. Dazu zählen etwa die Vergrösserung von Lebensräumen an Ufern und in der Ebene, deren Verbindung mit Naturschutzgebieten, die Schaffung von artenreichen Wiesen und Riedgebieten ohne Düngung und von Waldreservaten sowie die Wiederherstellung der Fischwanderung vom Kanal in Seitengewässer (Fischtreppen, naturnahe Mündungen). Ursprünglich war am Escherkanal im Kundertriet eine weitere Aufweitung vorgesehen, sie scheiterte aber am Widerstand der Molliser Bevölkerung. Daher mussten weitere Ausgleichsmassnahmen zugunsten der Umwelt realisiert werden. Die Anforderungen der Umweltschutzämter waren hoch. Schliesslich erfüllte das Projekt alle gesetzlichen Anforderungen des Bundes (Umweltverträglichkeitsprüfung, integrale Planung, Vollzug Gefahrenkarten) und erhielt deshalb den höchstmöglichen Bundesbeitrag von 45 %.

Bauliche Umsetzung und ökologische Optimierungen

Die Bewilligungsphase dauerte rund zwei Jahre. Um keine Zeit zu verlieren, wurden bereits während dieser Phase die weiteren Planer- und Bauaufträge ausgeschrieben. Damit erfolgte ein rollender Übergang von der Planungs- in die Realisierungsphase. Die Aufteilung in zwei Teilprojekte ergab sich einerseits, weil so für das Verfahren am Escherkanal der Kanton Glarus und für dasjenige am Linthkanal der Kanton St. Gallen zuständig war. Dieses Vorgehen hatte andererseits den Vorteil, dass bei Verzögerungen infolge von Einsprachen, wie sie am Linthkanal dann auch erfolgten, nicht das ganze Projekt blockiert war.

Mit einer klugen Bauausführung kann viel für die Umwelt erreicht werden. Wasserbauprojekte führen in der Regel zu einem Materialüberschuss. Die Perimeter sollten so gross bemessen werden, dass sowohl verwendbares Material (Kies) als auch nicht verwendbares (Sand, Torf, Aushub) möglichst im Projekt genutzt bzw. «deponiert» werden kann. So wurde etwa in St. Sebastian kiesreiches Material gewonnen, das sich zur Verstärkung der Linthdämme einsetzen liess. Wegen des hohen Grundwasserspiegels entstanden in den bei der Materialgewinnung ausgehobenen Mulden neue Gewässer, die Amphibien als Laichgebiete dienen. Es fielen jedoch auch grosse Mengen Torf an, für den es keine bauliche Verwendung gibt. Statt ihn auf einer Deponie zu lagern, baute man den Torf in den neuen Naturschutzgebieten ein, wo nun eine Riedvegetation gedeiht.

Die Vegetationsschicht mit artenreichen Wiesen auf Dämmen und Nassstellen wurde ca. 10 cm tief abgetragen, separat gelagert und zur Begrünung auf die neuen Flächen wieder aufgetragen. In der niederschlagsreichen Linthebene konnten so die vorhandenen artenreichen Wiesen und Riedflächen (z. B. auf Torf) mit den typischen Arten aus der Gegend innert weniger Jahren wiederhergestellt werden. Eine Ansaat erübrigte sich. Den überschüssigen Oberboden bisher gedüngter Wiesen verwendete man für die Bodenverbesserung von insgesamt 24 ha Landwirtschaftsfläche. Dies kann als eine gewisse Kompensation für die insgesamt 62 ha Landwirtschaftsland betrachtet werden, die für die Sanierungsprojekte benötigt wurden.

Das Wissen an die nächste Generation weitergeben

Nach einer Bauzeit von knapp fünf Jahren konnte die Sanierung des Linthwerks im Frühjahr 2013 zeitgerecht und im Rahmen des bewilligten Kredits von 126 Millionen Franken abgeschlossen werden. Die Verantwortlichen des Linthwerks haben die Erfahrungen an einem Symposium im Juni 2013 zusammen mit Fachleuten diskutiert und in einer Schlussdokumentation festgehalten. Künftig wird die Linthverwaltung jährlich einen Zustandsbericht Sicherheit und Umwelt erstellen. Damit werden die Entwicklung des Linthwerks dokumentiert und dessen Funktionstüchtigkeit regelmässig beurteilt und, falls notwendig, wiederhergestellt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: