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anthos 2013/3
Gesundheit
anthos 2013/3
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Erinnerungslandschaften für Senioren

Das Konzept für die Altersresidenz mit medizinisch betreutem Tagesaufenthalt für Alzheimer-Patienten in Lièpvre beruht auf der Idee, im Park Erinnerungen an diejenigen Landschaften zu evozieren, welche die Menschen ihr Leben lang begleitet haben.

30. September 2013 - Evelyne Schneider-Bénentendi
Eine Altersresidenz mit Tagesaufenthalt für Alzheimer- Patienten … für mich war dies die Gelegenheit, den betagten Menschen ein wenig von dem zurückzugeben, was sie mir während meiner Freiwilligenzeit mit ihnen gegeben hatten. Für den Entwurf haben wir einerseits die imaginären und realen Landschaften analysiert sowie andererseits die körperlichen und seelischen Bedürfnisse der Nutzer, ihrer Familien und des Pflegepersonals.

Lièpvre, von Wäldern und Wiesen umgeben, liegt in einem Tal der Vogesen, seine Geschichte ist industriell und landwirtschaftlich geprägt. Die Menschen, die in dieser Residenz EHPAD (Etablissement d’hébergement pour personnes âgées) leben, kommen aus der näheren Umgebung, sie verlassen ihren Hof, ihre Villa, ihre Wohnung – die Umstellung ist schwierig. Ältere Menschen fühlen sich mit ihren Landschaften stark verbunden: Mit der weiteren Landschaft mit ihren Bergen, Wäldern, Bächen und Wiesen verbinden sie Kindheitserinnerungen wie spielen oder Früchte stibitzen, als Erwachsene arbeiteten sie dort, ernteten, gingen mit der Familie spazieren … Die nähere Landschaft mit dem Garten, den Gemüsebeeten, in denen sie als Kind spielten, als Erwachsene gärtnerten, mit der Familie die Mahlzeiten einnahmen, meditierten … Die Elsässer sind der Natur noch sehr nahe und verarbeiten alles, was sie bietet, als Eingemachtes, Konfitüre, Kräutertee oder Likör.

Tiefe Erinnerungen werden von der Landschaft hervorgerufen und ermöglichen den Alzheimer-Patienten, das Empfinden ihrer Lebensrealität zu stärken. Die Idee, sich anstrengen zu müssen, um in Form zu bleiben, ist unbeliebt, Vergnügen hingegen ist ein mächtiger Antrieb, um Fortschritte anzustreben, und es erhält die Lebenslust wie von selbst.

Das Konzept der Gartenanlagen

Mit den drei Stimmungsbereichen «Kontemplation», «Gärtnern» und «Spazieren» soll der Park all diese Bedürfnisse befriedigen: eine Terrasse mit weinberankter Pergola; ein Gemüsegarten mit Pflanzbeeten, Obstbaumgarten und Dorfplatz-Springbrunnen; eine Berglandschaft mit Bergsee, über Steine springenden Bach, Kiesel, Naturwiesen, Wald (Abb. 2). Über eine kleine Brücke hinweg oder durch das Öffnen einer Pforte bewegt man sich von Bereich zu Bereich – und gelangt von einer Erinnerung zur nächsten.

Die drei Räume können nach Lust und Laune auch den körperlichen Möglichkeiten entsprechend genutzt werden. Die Terrasse ist am leichtesten zugänglich, dort kann man essen, Tee trinken, plaudern, die verschiedenen Ausblicke geniessen – und Lust bekommen, weiter zu gehen.

Im Gemüsegarten kann man sich ausruhen, dem Plätschern des Springbrunnens lauschen, gärtnern, Früchte und Blumen ernten und mit Freunden, Nachbarn und der Familie teilen. Die «natürliche» Landschaft scheint wilder, man findet dort ungestörte Plätzchen, an denen man in aller Ruhe reden kann, Wiesenhügel und Täler, die verbergen oder zu sehen geben, Orte zum Früchte stibitzen … Um den Eindruck langer Spaziergänge zu erwecken, sind die Wege geschwungen, «Abkürzungen» existieren als therapeutische Pfade mit unterschiedlichen Bodenbelägen: Sand, Fein- und Grobkiesel. Diese Pfade können von den Senioren in Begleitung der Physiotherapeuten benutzt werden, um die Sinneseindrücke beim Gehen noch zu verstärken.

Die Landschaft stimuliert das Erinnerungsvermögen und die Lebenslust. Aber auch die natürlichen Elemente wie Bäume, Büsche, Blumen, Früchte, Gemüse, blütenbestäubende Insekten und auf dem Boden krabbelndes Getier wirken stark anregend. Die Jahreszeiten werden durch ihre Blüten, Gerüche und Ernteprodukte in Erinnerung gerufen, man erinnert sich an die wachsenden und blühenden Pflanzen und verarbeitet sie als Konfitüren und Kräutertees.

Für die «natürliche» Landschaft haben wir die in den Tälern der Vogesen einheimischen Pflanzenarten verwendet (Himbeersträucher, Feldahorn, Hainbuche, Vogelbeere, Naturwiese). Im Gemüsegarten gibt es jene Pflanzen, welche in den Gärten des Tals gedeihen (Gemüse, aromatische Kräuter, Rosen, Zwiebelpflanzen, Johannes- und Stachelbeeren, Apfel-, Kirsch- und Birnbäume). Alle diese Pflanzen sind dem Klima und den Böden der Vogesen perfekt angepasst. Wir wählten sie als ausgewachsene Pflanzen aus, um der Stadtgärtnerei von Lièpvre einen extensiven Unterhalt der Anlagen zu ermöglichen. Es ist nur wenig Gehölzschnitt notwendig, lediglich für Totäste oder bei Gefahr für die Senioren; die Wiese wird zweimal im Jahr gemäht.

Eine Landschaft für die Gesundheit

Der Park dieser Seniorenresidenz soll dem Vergnügen und dem Komfort der Einwohner, ihren Familien und Freunden dienen sowie als angenehmes Arbeitsumfeld des Pflegepersonals. Für die Kinder ist er auch ein Ort zum Spielen, zum sich Austoben, zum Naschen von Früchten, zum Sammeln und Ernten für die Küche und zum Teilen all der schönen Momente, die neue Erinnerungen schaffen und Wissen vermitteln.

Der Park stellt die Täler der Vogesen dar, angepasst an die körperlichen Fähigkeiten der Senioren und an ihre imaginäre Landschaft.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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