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TEC21 2013|39
Stücheli weiterbauen
TEC21 2013|39
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Recycling in der Enge

Mit dem Bau des Hauses zur Enge pflügte Werner Stücheli in den 1970er-Jahren das Quartier vor dem Bahnhof Enge in Zürich um. Jetzt steht das Gebäude selbst vor tiefgreifenden Veränderungen; es wird von SAM Architekten aus Zürich umgebaut. Die Fassaden werden ersetzt, doch die ­Organisation des Gebäudes bietet immer noch attraktive Räume. Auf drei Geschossen entsteht das neue Museum der FIFA. Es bringt dem Sockel die öffentliche Nutzung, die ursprünglich dafür vorgesehen war.

20. September 2013 - Stephan Steger
Werner Stücheli hat den «Engi-Märt» von 1974 bis 1978 für die Rentenanstalt, die heutige Swiss Life, erbaut. Das Geschäftshaus mit der eigenwilligen Fassade wurde von Teilen der Öffentlichkeit heftig kritisiert und blieb immer umstritten (vgl. Kasten). Doch immerhin ­gehörte das Projekt zu jenen Überbauungen aus den 1970er-Jahren, die sich von der rektangulären, kubischen Formensprache der noch ein Jahrzehnt zuvor erstellten Bürobauten ­abwandten. Die Hauptgeschosse bilden im Grundriss ein X, die Volumetrie ist von 60- und 120-Grad-Winkeln bestimmt. Durch seine Masse und Gliederung sind Analogien zum ­benachbarten Bahnhof Enge spürbar – der Bau inszeniert sich mehr als gebirgsähnlicher Komplex denn als klar umrissener Solitär. Trotz gänzlich unterschiedlicher Oberflächen ­wirken beide Gebäude massiv und erdverbunden. Diese Schwere schlug sich in den 1970er-Jahren auch in anderen Zürcher Bauten von Werner Stücheli nieder; etwa in dem vor Kurzem erneuerten Geschäftshaus und Restaurant «Guggach» am Bucheggplatz (1973) oder im Geschäftshaus «Zum Stadthof» am Beatenplatz (1970–1975).

Unterschiedliche Nutzungen im selben Mantel

Das Haus zur Enge wirkte trotz Wohnanteil wie ein reines Geschäftshaus mit einheitlicher Fassade. Denn Stücheli gelang es durch einen Trick, eine durchgehende Fassadenwirkung zu erzielen und gleichzeitig mehr Wohnungen unterzubringen: Er gestaltete bei gleicher Gebäudehöhe den Wohnteil mit sechs statt fünf Geschossen. Im Bereich der ehemaligen Venedigstrasse, also an der dem Tessinerplatz abgewandten Seite, zeigte sich eine ­massstabsverkleinerte Variante des Bürotrakts. Hier waren neunzehn Ein- und sieben ­Zweizimmerwohnungen sowie einige grössere Einheiten untergebracht. Ursprünglich wollte die Stadt sie an Betagte vermieten, was nicht ganz eingehalten werden konnte. Die Mieten waren relativ hoch und die Wohnungen entsprechend schwer zu vermieten.

Die Stadt forderte nicht nur einen Wohnanteil, sondern als Ersatz für die Venedigstrasse auch ein öffentliches Wegrecht quer durch das Erdgeschoss. Stücheli wollte offenbar das Sockelgeschoss als öffentliche Durchgangszone gestalten – eine interessante Idee im ­urbanen Kontext. Doch weil dadurch viel vermietbare Fläche verloren gegangen wäre und ausserdem nicht klar war, wie die Passanten diese Zone nutzen würden, schrumpfte der ­öffentliche Bereich schliesslich auf eine eher enge Ladenpassage, an der neben diversen Geschäften auch ein Restaurant lag. Nach 30 Jahren wirkte die Ladenpassage angestaubt, und das Gebäude war erneuerungsbedürftig. Zudem drohten feuerpolizeiliche Auflagen den Betrieb einzuschränken. Das ­Zürcher Büro SAM Architekten untersuchte für die Swiss Life zunächst, wie der Brandschutz gewährleistet werden könne. Als die langjährige Hauptmieterin Citibank 2010 auszog, waren die Voraussetzungen für einen Totalumbau gegeben, und die strategische Planung wuchs zu einem Projekt an. Damit gingen einige Fragen einher: Wie können die heutigen energetischen Anforderungen an dem minimal isolierten Gebäude umgesetzt werden? Was geschieht mit der prägnanten und eigenwilligen Fassade? Wie kann die öffentliche ­Nutzung des Sockels weiterhin gewährleistet werden?

Mehr Wohnungen, neue Fassaden und ein Museum

Der Umbau strukturiert das Gebäude um und verteilt die Büro- und Wohnnutzung neu: ­ So werden auch im nördlichen Teil Wohnungen untergebracht, ebenso im 8. und 9. Ober­geschoss – ermöglicht durch die Aufstockung um ein Geschoss. Christoph Schneider von SAM Architekten betreut das Projekt. Er erklärt, gern mit der von Stücheli entworfenen Struktur gearbeitet zu haben, denn das Gebäude besitze faszinierende Eigenschaften und erscheine in vielem als Prototyp. Zwischen den dreieckigen Treppenhauskernen biete der X-förmige Grundriss eine optimale Erschliessung und garantiere den Arbeitsplätzen auf allen Seiten die gleiche Qualität.

Die baulichen Probleme sind laut Schneider ähnlich wie bei anderen Gebäuden aus der Epoche. Die Anforderungen an den Brandschutz können nicht mehr erfüllt werden; in diesem Fall sind die Treppenhäuser nicht von den Liften abgekoppelt. Die Haustechnik wird komplett ersetzt. Am Übergang vom Sockel in den Turm wechselten aussen stehende Stützen auf ein innen liegendes Tragwerk, ein thermischer Schwachpunkt, der auch bauphysikalisch problematisch war. Der Beton und die Bewehrung sind zwar in einem guten Zustand; doch aufgrund der schlechten Schalldämmung und der geringen Geschosshöhe wurde entschieden, die Decken im bestehenden Wohnbereich komplett zu ersetzen.

Die einprägsamen Fassaden müssen laut Schneider weichen, weil sie die energetischen Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Als System geplant und ausgeführt, liessen sie keine Nachrüstung zu. Details zu den neuen Fassaden werden noch keine bekannt gegeben, da die Architekten diese noch mit den bewilligenden Behörden präzisieren müssen. Der Hauptbaukörper soll aber voraussichtlich vom 3. bis zum 7. Stockwerk mit auberginefarbenen Keramikplatten eingekleidet werden. Die neuen Kastenfenster werden leicht vorstehen, was zu einem Schattenspiel auf der Fassade führen soll.

In einem ersten, bewilligten Projekt waren im 2. Obergeschoss Wohnungen mit direktem ­Zugang zur grosszügigen Terrasse auf dem Sockel vorgesehen. Mitten in der Planung jedoch nahm das Projekt eine entscheidende Wende: Im April 2013 kündigte der Weltfussballverband FIFA an, im Haus zur Enge ein Fussballmuseum zu eröffnen. Da sich das Projekt beim FIFA-Hauptsitz auf dem Zürichberg verzögerte, hatten die Verantwortlichen nach einer ­Alternative gesucht und waren von der Stadt Zürich auf das Haus zur Enge aufmerksam ­gemacht worden.

Fussball belebt den Sockel

Mit der FIFA als Hauptmieterin ergab sich eine neue Situation. Das geplante Museum wird sich vom Unter- bis zum 1. Obergeschoss erstrecken. Im 2. Obergeschoss wird ein Seminar- und Gastrobereich eingebaut. Die Terrasse des Sockelgeschosses wird Restaurantterrasse. Das Museum soll neben Ausstellungen auch ein Forum der Begegnung und Diskussion ­werden, wie die FIFA in ihrer Pressemitteilung vom 25. April 2013 ankündigte. Damit wird das Gebäude zugänglicher und stärker in den urbanen Kontext eingebunden. Wer den Ausstellungsbereich gestalten wird, ist noch nicht entschieden.

Vom 3. bis zum 7. Stockwerk wird weiterhin gearbeitet und gewohnt. An der Süd- und Nordseite kommt je ein Wohnteil zu liegen, der wie ein Keil in die X-förmige Grundrissstruktur des Bürotraktes eingeschoben wird. Die dreieckigen Erschliessungszonen behalten ihre Form und trennen die beiden Bereiche. Wie in der ursprünglichen Baueingabe geplant, werden im 8. und 9. Obergeschoss Wohnungen erstellt, wodurch der Wohnanteil auf 33 % steigt. Alle Wohnungen sind Mietwohnungen, das Gebäude bleibt im Besitz der Swiss Life.

Im Bürobereich will die FIFA 150 Mitarbeitende unterbringen. Der Hauptzugang zum Gebäude und auch zum Museum wird an der Seestrasse liegen, wo die bisherige Split- Level-Situation beseitigt wird. Eine Ladenpassage wird es nicht mehr geben – der Sockel soll dank dem Museum auch ohne Ladenlokale einen öffentlichen Charakter haben.

Neu kombiniert

Die Bauarbeiten beginnen im Dezember 2013, wenn die Bau- und Nutzungsbewilligung ­vorliegt. Nach dem Umbau wird sich das Haus zur Enge von aussen stark verändert zeigen: Einerseits entfallen durch die Aufstockung die markanten zylindrischen Dachaufbauten, andererseits wird das Gebäude mit der vollflächig verglasten Attika höher sein als heute. Die für die Bauzeit charakteristischen Fenster mit abgerundeten Ecken werden durch liegende Fenster ersetzt. Das prägnante Volumen wird sich auf eine völlig neue Art präsentieren.

Fassade und Grundriss bildeten im Entwurf von Werner Stücheli eine Einheit. Nun wird der X-förmige Grundriss mit einer neuen Fassade kombiniert – nach dem Umbau wird sich ­zeigen, wie diese Elemente zueinander passen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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