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db deutsche bauzeitung 10|2013
Auf engem Raum
db deutsche bauzeitung 10|2013

Tanzende Quader

Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung in Berlin

Es zählt die Lage: Das 8 x 12,5 m messende Grundstück könnte – am Eingang des Pfefferberg-Areals, von Künstlerateliers umgeben – für ein privates Museum kaum besser gelegen sein. Aber 100 m² Grundfläche sind für ein Ausstellungs- und Depotgebäude nicht gerade üppig. Mit verschiedenen Auskragungen nimmt die Bauskulptur das unausweichliche Übereinanderstapeln der Funktionen wörtlich und schafft differenzierte Räume für das kostbare Ausstellungsgut. Auch die kunsthandwerkliche Innengestaltung nimmt Bezug auf die Preziosen und schafft erlebnisreiche Räume, die – gerade der beengten Verhältnisse wegen – Freude bereiten und die Wahrnehmung schärfen.

7. Oktober 2013 - Falk Jaeger
Ein labyrinthisches Privathaus, das Anwesen des Architekten Sir John Soane, gilt als Ort der weltweit größten Dichte an architektonischer Kultur. Das großartige Museum in London ist gleichzeitig das älteste Architekturmuseum der Welt. Wenn das Soane's nun die Eröffnungsausstellung der Tchoban Foundation in Berlin bestreitet, so ist der Bogen geschlagen zum jüngsten Architekturmuseum der Welt, denn im Quartier der ehemaligen Brauerei Pfefferberg, in direkter Nachbarschaft des Internationalen Architekturforums Aedes, öffnete im Juni das neue Haus der Tchoban Foundation Museum für Architekturzeichnung seine Pforten.

Der in St. Petersburg geborene Architekt Sergei Tchoban, Partner im Berliner Büro nps tchoban voss und im Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov, ist selbst einer der bedeutendsten Architekturzeichner und mit eigenen Ausstellungen im In- und Ausland präsent. Er ist aber auch Sammler, Förderer, Impresario und Kurator dieser Kunstsparte, die mit dem Aufkommen des CAD, des architektonischen Entwerfens am Computer, ihre Bedeutung als Gebrauchsgrafik in der Baupraxis verloren hat und heute nur noch zum Bereich der Schönen Künste zählt. Seine Sammlung umfasst eine Zeitspanne vom 17. bis in unser Jahrhundert und hat einen Schwerpunkt auf den russischen Konstruktivisten der 20er Jahre. Die bedeutenden Blätter hat Tchoban zum Großteil in eine Stiftung eingebracht, deren neues Museum freilich nicht nur die eigene Sammlung präsentieren soll. Vielmehr hat Sergei Tchoban ein internationales Netzwerk aufgebaut und beispielsweise mit Ausstellungen in der Eremitage St. Petersburg, in der Académie des Beaux Arts in Paris oder im Londoner Soane's den Grundstein für gegenseitigen Austausch gelegt.

Das Soane's Museum bestritt denn auch die Eröffnung mit einem Paukenschlag: »Piranesis Paestum – Neuentdeckung der Meisterzeichnungen«. Zu sehen waren – leider nur bis Ende August – die raren Handzeichnungen des Künstlers, der für seine berühmten Kupferstiche der »Imaginären Gefängnisse« und der römischen Veduten sonst nur Vorskizzen angelegt hatte. Den Zyklus der Tempel von Paestum hatte Giovanni Battista Piranesi 1788 im letzten Lebensjahr mit schwindenden Kräften als detaillierte Ansichten gefertigt, damit sie sein Sohn in Kupfer stechen und postum veröffentlichen konnte. Bis Mitte Februar ist nun die Ausstellung »Architektur im Kulturkampf« zu sehen (Di-Sa 10-17 Uhr, Eintritt frei), die ausschließlich Werke aus der eigenen Sammlung zeigt. Das neue Berliner Museum ist der ideale Ort für derlei intime Kabinettausstellungen.

Von außen scheint das Gebäude wie aus vier nahezu geschlossenen Volumina locker aufgetürmt. Die Wände der tanzenden Quader bestehen aus einem beigefarbenen Beton, der fast wie steinmetzmäßig bearbeiteter Sandstein aussieht und mit Fassadenreliefs dekoriert ist. Die Motive entstammen u. a. der ersten Zeichnung, mit der Tchoban seine Sammeltätigkeit begann, einem Blatt von Pietro di Gonzaga aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Die Zeichnung wurde gescannt, einzelne Partien stark vergrößert und in Form von Kunststoffmatrizen in die Betonschalung eingebracht. Die Farbe des Betons lässt an vergilbtes Papier denken, und die Zeichnungen scheinen sich aufzufächern wie ein Stapel Blätter. So wird die Zweckbestimmung des Baus im Sinn einer narrativen Architektur schon von außen deutlich gemacht.

Zurzeit entsteht gegenüber ein von Justus Pysall entworfenes Atelierhaus in ähnlicher Größenordnung, gewissermaßen der Gegenentwurf mit transparenter, gläserner Fassade. Wie Scylla und Charybdis werden die beiden den Zugang zum neuen Berliner Kulturbrennpunkt Pfefferberg bewachen – und vielleicht auch die Passanten unwiderstehlich anziehen.

Die Wahl fiel auf das nur rund 100 m² messende Grundstück, weil es, etwa im Unterschied zu alternativen Industrieetagen, Gelegenheit bot, in einem angemessenen, kulturell aufgeladenen Umfeld eine eigene Adresse, ein eigenes Haus für das Museum zu schaffen.

Das Grundstück wurde vollständig überbaut, doch weil das Haus mit einer Seite am Teutoburger Platz und mit zwei Seiten am gepflasterten Hof des Pfefferbergs liegt und nur mit einer Seite an die Brandwand eines Nachbarhauses grenzt, kann es seine Außenwirkung voll entfalten. Rücksicht zu nehmen galt es nur in Bezug auf die Stabilität der alten Brandwand und auf die Gefahr eines Brandüberschlags übereck, die eine Brandschutzverglasung erforderlich machte. Ansonsten galt § 34 BauGB – inwieweit sich der Neubau »nach Art und Maß« in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wurde in detaillierter Abstimmung mit Stadtplanungsamt und Denkmalschutzbehörde ausgehandelt. Wirft sich linker Hand das 125 Jahre alte Brauereigebäude, in dem Olafur Eliasson mit 70 Mitarbeitern seine Kunstwerke produziert, als Backsteinversion eines florentinischen Palazzos in die Brust, so vermag Tchobans Museum den Aufmerksamkeitsgrad durchaus noch zu steigern. Es ist schon staunenswert, wie oben auf der irgendwie ägyptisch anmutenden Bauskulptur eine gläserne, an der auskragenden Unterseite verspiegelte Kanzel thront. Die inszenierte Dramaturgie der Annäherung führt vom großen Ganzen zum Detail, von der zyklopischen Stapelung über das Fassadenrelief zur Oberfläche und zur Materialtextur und beim Eintritt ins Innere vom Vorplatz über die Eingangsnische, das intime Foyer, die Treppe mit wechselseitiger Aussicht, die bergenden Ausstellungsräume bis hinauf zum gläsernen Penthaus mit Rundblick auf die Industriekultur, die Dächer des Quartiers und den grünen Stadtpark.

Im Innern wirkt es, sorgsam detailliert und in edlen Materialien ausgeführt, wie ein Schatzkästchen. Das EG wird vom Empfang und einer kleinen Präsenzbibliothek eingenommen. Die Wandvertäfelung aus Nussbaumholz wiederholt die Fassadenmotive. Auch die Betonwände des Aufzugsschachts sind mit dem Dekor reliefiert. Man fährt mit dem gläsernen Lift gewissermaßen durch die Baugeschichte, hat aber auch den Außenbezug.

Der Gestaltung der beiden Ausstellungsgeschosse waren umfangreiche Untersuchungen vorausgegangen. Wie groß müssen (dürfen) die Kabinette sein, in denen die meist nicht besonders großformatigen Blätter gezeigt werden? 3,75 m Wandabstand wurde für das Betrachten der Formate als optimal empfunden. Mit bis zu 70 Zeichnungen sollte eine Ausstellung bestückt werden können, dies die Maßgaben. Es zeigte sich, dass sich diese Verhältnisse auf dem Grundstück gut einrichten lassen. Die geknickten Raumgrundrisse tragen zur Differenzierung bei und wirken der Beengtheit entgegen, wie auch einzelne Fenster und die Loggia im zweiten OG.

Der Zuschnitt der Räume, v. a. aber die Auswahl der Baustoffe bringt einen weiteren Vorteile mit sich: Die konservatorischen Verhältnisse Belichtung, Temperatur und Feuchtigkeit lassen sich so präzise wie bei kaum einem anderen Museum auf die Anforderungen historischer Grafiken einstellen. Mit ihrer Fähigkeit, Feuchte und Wärme aufzunehmen bzw. abzugeben, wirken bereits die thermisch trägen Kalksandsteinwände und ihr Kalkzementputz auf natürliche Weise ausgleichend auf das Raumklima, welches in erster Linie auf die empfindlichen Exponate abgestimmt wird. Durch einen Fallluftstrom sind diese gegen die Emissionen der Besucher abgeschirmt. Dies alles überzeugt die Leihgeber, die ihre Schätze in die Tchoban Foundation gewissermaßen zur Erholung schicken können. Die diffusionsdichte Konstruktion aus weitgehend wiederverwertbaren Baustoffen sowie die energiesparende LED-Beleuchtung erlaubten es, mit denkbar geringen Luftwechselraten zu operieren und somit auch den Raumbedarf für die Gebäudetechnik zu minimieren.

Da die Raumtemperatur über die Heiz-/Kühldecke geregelt wird, kann die Klimaanlage – im Idealfall – außerhalb der Öffnungszeiten sogar abgeschaltet werden. Der rechnerisch spezifische Gesamt-Energiebedarf liegt bei überdurchschnittlich guten 250 kWh/a·m².

Auf die beiden Ausstellungsebenen folgt ein Lagergeschoss mit fest eingebauten Depotschränken als Schauarchiv. Bekrönt wird der hermetische Bau von einem gläsernen Quader mit Rundumsicht und zwei Dachterrassen, wo Kuratoren und Verwaltung einen wunderbaren Arbeitsplatz vorfinden.

Natürlich hat das Haus kein besonders günstiges Verhältnis zwischen Erschließungsflächen und Nutzflächen. Dazu trägt auch die aufwendige Klimatisierung mit auf- und absteigenden Schächten bei. Aber es ist maßgeschneidert, hat für die Ausstellungszwecke die optimale Größe und ist mit wenig Personal zu betreiben.

Expandieren wird das buchstäblich auf »kleinem Fuß« existierende Museum nicht können, aber wer würde sich das wünschen? In Zeiten der kaum zu bewältigenden Mega-Ausstellungen tut es gut, sich auf die stillen Qualitäten der wunderbaren, ausgesuchten Blätter einer überschaubaren Ausstellung zu konzentrieren. »Klein aber fein«, der klischeehafte Spruch war selten so angebracht wie beim neuen Museum für Architekturzeichnung in Berlin.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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