Zeitschrift

TEC21 2013|51-52
Im Avers
TEC21 2013|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Die alte Averserstrasse

Seit 1895 führte eine schmale Fahrstrasse mit zahlreichen Kunstbauten ins abgelegene Seitental Avers. Ende der 1950er-Jahre wurde eine neue Strasse gebaut und die wertvolle alte Strecke fortan dem Verfall überlassen. Vor diesem Schicksal kann sie seit 2000 dank einer lokalen privaten Initiative glücklicherweise bewahrt werden. Die instandgesetzte alte Averserstrasse gilt als historische Strasse von nationaler Bedeutung und ist durchgehend als Wanderroute 757 signalisiert.

13. Dezember 2013 - Oskar Hugentobler
Dass es im Einzugsgebiet des Hinterrheins neben den verschiedenen Strassengenerationen durch die Viamala, über den Splügenpass und den San-Bernardino-Pass noch eine weitere historisch und strassenbautechnisch interessante Weganlage zu erhalten gäbe, war bis um die Jahrtausendwende kaum bekannt. Zwischen 1890 und 1895 baute der Kanton Graubünden die erste Fahrstrasse ins Avers bis nach Cresta mit Gesamtkosten von rund 400 000 Franken. Zwischen der Roflaschlucht und Innerferrera entsprach die Linienführung der ersten Fahrstrasse weitgehend derjenigen des bisherigen Talwegs. Von Innerferrera bis Cresta wich die Linienführung jedoch von derjenigen des alten Talwegs ab. Mit dem Bau der neuen Strasse wurden grosse Teile des Talwegs überschüttet oder zerstört. Um Kosten zu sparen, baute man die erste Fahrstrasse mit Steigungen von bis zu 20 %. Die neue Strasse musste Schluchten, steinschlaggefährdete Hänge und Blockschutthalden durchqueren und den Averserrhein sowie verschiedene Seitenbäche zum Teil mehrmals überbrücken. Bauspezialisten aus Italien gelang es, die notwendigen Kunstbauten mit dem vorhandenen Gesteinsmaterial zu erstellen. Die geologischen Verhältnisse sind Im Ferrera- und im Aversertal vielfältig, sodass die Maurer mit unterschiedlichen Steinen arbeiten mussten. Bogenbrücken, Stütz- und Futtermauern bestehen je nach Standort aus Gneisen, Quarziten, Dolomiten, Marmoren und teilweise auch aus Bündner Schiefern. Die Unterschiede der verwendeten Gesteinsarten zeigen sich in der Dauerhaftigkeit der Bauwerke. Alle Bauten zeugen von den hervorragenden Fähigkeiten der italienischen Handwerker.

Steinbruch und Deponie

Beim Bau der Kraftwerke Hinterrhein (KHR) Ende der 1950er-Jahre wurde ersichtlich, dass die damals 60-jährige Strasse den Anforderungen an grosse und schwere Maschinentransporte nicht genügen konnte. Enge Kurven wurden folglich gestreckt, steile Strassenstrecken mit einem geringeren Gefälle neu angelegt oder mit Tunnels umfahren. Damit trennte man die schwierigen, aber landschaftlich interessantesten Teilstrecken mit ihren prächtigen Kunstbauten von der Strasse ab und gab sie dem Verfall preis. Bewohner aus der Gegend bedienten sich mit Steinplatten und Natursteinsäulen, um damit in ihren Gärten Treppen zu bauen. Die Verwendung des alten Trassees als Deponieplatz für Kehricht, Steinschläge, Eisschläge und Rüfenniedergänge sowie der natürliche Bewuchs mit Sträuchern und Waldbäumen beschleunigten den Zerfall der kunstvoll erstellten Strasse.

Rettung durch lokale Initiative

Der am 11. April 2000 gegründete Verein aASt (alte Averser Strasse) hat zum Ziel, von den historischen Bauten zu retten, was noch zu retten war, und schrittweise eine zwischen der Roflaschlucht und Juf durchgehende Wanderroute zu erstellen. Die betroffenen Gemeinden, der Kanton Graubünden und die Eidgenossenschaft waren bereit, das Projekt finanziell zu unterstützen. Weitere Spender[1] ermöglichten es, die Wiederherstellung und Sicherung der historischen Bauten unverzüglich in Angriff zu nehmen.

Seit der Vereinsgründung konnten verschiedene Bogenbrücken – so die Brücke über den Reno di Lei (vgl. Karte S. 21, ), die obere Crester Rheinbrücke und der Steinsteg von Cröt – abgedichtet und gesichert werden. Mit Bogenfenstern versehene Mauern wie auch Stütz- und Futtermauern sind repariert oder wiederhergestellt worden, Steinsäulen und Wehrsteine wurden neu versetzt.[2] Die durch Felsstürze zerstörte hölzerne Starlerabrücke wurde mit Felsankern weitgehend gesichert und neu erstellt. Beim Bau der Wanderwegverbindungen sind die Spuren des alten Talwegs (Vorläufer der ersten Fahrstrasse), alte Saumwege, Flurwege und Forststrassen mit einbezogen worden. Mit Ausnahme einer etwa 1.2 km langen Strecke oberhalb von Ausserferrera kann man das Tal ausserhalb der Kantonsstrasse erwandern. Die Erstellung dieser letzten Wegstrecke wird sehr kostspielig sein, da der Fussweg zum grössten Teil zwischen dem Ragn da Ferrera und der Kantonsstrasse mit Gitterrosten an die Stützmauer der Kantonsstrasse «angehängt» werden muss.

Verbauungen sind auch Kulturgüter

Momentan sind oberhalb von Cröt verschiedene Sicherungsarbeiten im Gang. Im kommenden Jahr ist geplant, mit der Reparatur der ab 1906 zum Schutz der Strasse erstellten Lawinenverbauungen zu beginnen. Nach der Eröffnung der ersten Fahrstrasse mussten die Bewohner des Averser Obertals feststellen, dass diese infolge der verschiedenen Lawinenniedergänge oft nicht passierbar war. Zur Verhinderung von Lawinen im Anrissgebiet wurden in der Folge Erdterrassen und Natursteintrockenmauern erstellt. Die Verbauungen zum Schutz der alten Averserstrasse sind wichtige Zeitzeugen der frühesten in der Schweiz angewendeten Lawinenschutzmassnahmen.

Soweit die vorhandenen Lawinenverbauungen noch eine Schutzfunktion für die heutige Verbindungsstrasse erfüllen, obliegt ihre Erhaltung dem kantonalen Forstdienst und dem kantonalen Tiefbauamt. Bei den übrigen Schutzbauwerken, die lediglich von historischer Bedeutung sind, kümmert sich der Verein aASt um die Sicherung und Reparatur. Ihre Instandsetzung ist im Bauprogramm der zweiten Etappe des Projekts alte Averserstrasse enthalten.


Anmerkungen:
[01] Fonds Landschaft Schweiz, Pro Patria, Lions Club, Rotary Club.
[02] Der Verein aASt bot den Freunden des Projekts die Gelegenheit, solche Pfosten zu kaufen und sich damit ein kleines Denkmal zu schaffen. Die Geländersäulen wurden nummeriert und den Spendern eine als Briefbeschwerer verwendbare Minisäule mit der gleichen Nummer überreicht. Diese Aktion dauert noch an

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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