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TEC21 2014|03-04
Neubau Messe Basel
TEC21 2014|03-04
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Virtuos und unverträglich

Auch die exzellente Architektur kann nicht darüber hinwegtäuschen:
Basel zahlt einen hohen Preis, um als Messeplatz international zu bestehen.Der Neubau stellt die Hierarchie von Städtebau und
Architektur auf den Kopf.

17. Januar 2014 - Martin Tschanz
Scheinbar mühelos überspannen die neuen Hallen am Messeplatz den Raum und lassen hier ihre gewaltigen Dimensionen von 217 m Länge und 90 m Tiefe beinahe vergessen. Das liegt nicht primär daran, dass das Bauvolumen aus Kostengründen im Vergleich zum Vorprojekt um fast ein Drittel geschrumpft ist. Zwar kommt die Verringerung der Bautiefe um rund 16 m der Situation durchaus zugute. Die Proportion des durch den Neubau verkleinerten Messeplatzes hat sich dadurch verbessert, und der Anschluss an den bestehenden Bau von Theo Hotz (1998–1999) gelingt nun mit grosser Selbstverständlichkeit. Überdies verhilft die nach Süden verlängerte Isteinerstrasse dem benachbarten Landhof zu einem neuen Auftritt.

Die geringfügige Verminderung der Bauhöhe führte dazu, dass der Bau rechtlich kein Hochhaus ist. Trotzdem ist er mit 32 m immer noch höher als manches, was hierzulande als ein solches gilt. Entsprechend hoch einzuschätzen ist die Leistung der Architekten, den Bau so zu gestalten, dass man nicht von seiner Wucht erschlagen wird, wenn man vor oder unter ihm steht. Drei Aspekte sind dabei wesentlich: Entmaterialisierung, dinghafte Ganzheit und Verschiebung der Massstäblichkeit.

Ähnlich wie beim Dogenpalast

Die beiden oberen Geschosse sind gänzlich mit Aluminiumbändern bekleidet. Deren wellenförmiges Auf und Ab erinnert an Streckmetall oder aber an ein Gewebe, dessen Schussfäden durch die Stossfugen der Bänder gerade noch angedeutet werden. Dadurch wird die Längsrichtung betont, wobei die Textur ein Gespanntsein von Kante zu Kante suggeriert. Keine Schwer-, sondern eine Zugkraft scheint hier zu wirken, die die Kanten aus der Vertikalen auskippen lässt. So entstehen lang gestreckte Regelflächen, die durch ihre prägnante Geometrie von Kante zu Kante die Ganzheit der Geschosse unterstreichen. Im Zusammenspiel mit der Textur wirkt dies in der Horizontalen ähnlich wie eine Kolossalordnung in der Vertikalen.

Die Textur als Mittel, einem Baukörper seine Schwere zu nehmen, kennt Vorläufer in der Geschichte der Architektur. Am bekanntesten ist der Dogenpalast in Venedig, wo es auf diese Weise gelang, den mächtigen, weitgehend geschlossenen Baukörper über offene Loggien zu stellen, ohne dass diese optisch erdrückt würden. Der Mauerverband ist dort als Gewebemuster gestaltet, das mit seinen Rauten die Flächigkeit der Wand unterstreicht, und der Bauschmuck der Kanten und Fenstereinfassungen als Bordüre, sodass sogar das filigrane Masswerk der darunter liegenden Loggien textil erscheint: als kostbarer Spitzenbesatz eines gewaltigen Festbehangs.

Dass bei der Messe Basel die Fassadentextur prosaischer ausgebildet ist, schmälert ihre die Schwere und Massivität auslöschende Wirkung nicht. Es entsteht eine Art Entmaterialisierung, ein Effekt, der paradoxerweise durch das Material selbst verstärkt wird. Das anodisierte Aluminium, weder glänzend noch völlig stumpf, ist im Grundton silbergrau, scheint aber keine eigene Farbe zu haben, sondern das wechselnde Licht einzufangen, sodass sich der Bau ständig verändert, entsprechend den Tages- und Jahreszeiten. Mal erscheint er strahlend hell wie der blaue Himmel mit seinen Schönwetterwölkchen, mal ebenso grau und stumpf wie der Hochnebel, mal orange aufleuchtend im Abendlicht, wobei Tönungsverläufe die Kontraste zwischen offen und geschlossen in feinen, die Flächen belebende Übergänge auflösen. Fast wird der Bau selbst zu einer atmosphärischen Erscheinung.

Noch weiter geht die Entmaterialisierung im Erdgeschoss. Hier werden die Grenzen unscharf, wobei die virtuelle Ausweitung des Raums durch Spiegelung und die reelle durch Transparenz fliessend ineinander übergehen. Zum überbauten Teil des Messeplatzes hin treten die Glaswände konkav zurück und greifen den Schwung des zentralen Okulus auf, der im Gebäudeinnern in mehreren Stufen weitergeführt wird. So entsteht eine schrittweise Verdichtung des Raums, die die Härte der Klimagrenze vergessen lässt. Eine stärkere Verzahnung von Messe und Stadt liesse sich kaum denken. Überdies erzeugt das Verspiegeln der Decke eine gewisse Festlichkeit, indem das Geschehen in der sogenannten City Lounge auf sich selbst zurückgeworfen wird. Das städtische Leben wird so zu einem Schauspiel, in dem die Zuschauer zugleich die Akteure sind.

Ein Loch als Anker

Die Erscheinung des Gebäudes mit drei deutlich artikulierten, fast schon voneinander isolierten Geschossen entspricht seinem inneren Aufbau. Drei riesige, lang gestreckte Hallen liegen übereinander, wobei die erste durch den offenen Raum der City Lounge in Messe- und Eventhalle zweigeteilt wird. Jeder Ausdruck eines Lagerns, der damit verbunden sein könnte, wird unterdrückt: durch die bereits beschriebenen Massnahmen, aber auch durch das leichte Ausdrehen der beiden oberen Hallen. Diese scheinen sich um die kreisförmige Öffnung in ihrer Mitte herum drehen zu können, nicht auf dem Boden stehend, sondern angehängt an einer zentralen Achse aus offenem Raum, die den Bau im Stadtraum verankert und das Innere der Hallen zentriert.

Abgesehen davon nimmt sich die Architektur der Hallen ganz zurück. Schwarze Farbe lässt die ruhige, strenge Ordnung von Tragstruktur und Installationen ebenso in den Hintergrund treten wie die Raumgrenzen, sodass die einzelnen Stände und Exponate umso effektvoller ins Licht gesetzt werden können.

Verschobene Wahrnehmung

Die prägnante, dinghafte Gestalt des Baus – zwei flache, umspannte Behälter über einem Erdgeschoss – trägt dazu bei, seine Grösse vergessen zu machen. Seine Dreigeschossigkeit wirkt vertraut, die Geschosse geradezu niedrig angesichts ihrer enormen Ausdehnung. Nichts lässt erahnen, dass jedes für sich gut so hoch ist wie ein dreigeschossiges Haus üblichen Zuschnitts. Die Schrägen verunmöglichen eine präzise perspektivische Wahrnehmung, und alles, was durch eine Referenz auf menschliche Grössen als Massstab dienen könnte, ist unterdrückt. Es gibt weder sichtbare Treppen noch Brüstungen oder Fenster, und die Aluminiumbänder wirken fein wie eine Textur, die wir aus haptischer Erfahrung kennen. Nichts erlaubt es, die wahren Dimensionen zu ermessen.

Als Resultat ergibt sich eine eigenartige Verschiebung der Grössenverhältnisse. Man glaubt sich fast in ein Modell versetzt, dessen Massfiguren – Autos, Trams, Menschen – in ihrer Grösse nicht ganz getroffen wurden. Alles hat die Tendenz, spielzeughaft klein zu wirken, was unangenehm sein könnte, es hier aber nicht ist, weil das Grosse nicht mächtig wirkt. Vielmehr entsteht auf dem und um den Messeplatz eine etwas surreale und durchaus heitere Atmosphäre, die gut zum Ausnahmezustand der Messen passt: ein Raum in Erwartung des Jahrmarkts von Art, Baselworld oder Herbstmesse.

Fein wird grob, klein wird gross

All die beschriebenen Effekte nehmen jedoch ab, je weiter man sich vom Bau entfernt. Die neue Messe gleicht darin dem Scheinriesen Turtur aus Michael Endes Erzählung von Jim Knopf. Während Turtur jedoch aus der Ferne als furchterregender Riese erscheint, der bei Annäherung zu seiner wahren, ganz und gar menschlichen Grösse zusammenschrumpft, scheint der neue Messebau erst mit zunehmender Distanz zu seiner echten, riesenhaften Grösse anzuwachsen. Aus der Ferne verlieren all die virtuos angewandten architektonischen Kniffe ihre Wirkung, weil die Feinheiten des Baus verschwimmen, vor allem aber, weil dieser im städtischen Kontext nur noch fragmentarisch wahrgenommen werden kann.

So kommt es, dass der Bau aus der Clarastrasse heraus gesehen den Raum als mächtige Wand verstellt und dabei die einstmalige Eleganz des Messeturms vernichtet, der nun nur noch gross wirkt und ohne präzisen Ort auf oder in dem neuen Gebilde zu stehen scheint. Von der mittleren Brücke aus, wo früher die zentrale Achse von Kleinbasel der Stadt zu Offenheit und Weiträumigkeit verholfen hat, scheint es nun, als würde Basel von einer neuen Mauer eingeschnürt. Was dahinter liegt, liegt nun im Abseits. Auch von der Pfalz aus, dem zweiten Herzen der Stadt, tritt die neue Messehalle nicht eben vorteilhaft in Erscheinung. Unwirklich, wie eine grosse Nebelbank scheint sie auf den Dächern von Kleinbasel zu liegen, und auch aus dieser Perspektive verbindet sich der gleichsam entmannte Messeturm mit dem Flachbau zu einem unharmonischen Ensemble (Abb. S. 80).

Und die Alternativen?

Man mag einwenden, solches sei der Preis für den Verbleib der Messe in der Stadt und in Anbetracht der gegebenen Aufgabe unvermeidlich – vielleicht zu Recht. Es bleibt jedoch das schale Gefühl, dass aufgrund des gewählten Planungsverfahrens in dieser Frage keine Gewissheit herrschen kann. Durch den Direktauftrag an die Architekten, durch die kurzen Fristen und durch die geballte Macht, mit der die Messe Basel als wichtiger Wirtschaftsfaktor zusammen mit der Autorität von Herzog & de Meuron aufgetreten ist, um die vorgeschlagene Lösung als die einzig mögliche und richtige zu präsentieren, wurde jegliche Diskussion im Keim erstickt. Ob nicht auch eine grundsätzlich andere, vielleicht stadtverträglichere Lös ung denkbar gewesen wäre, mit einer Überbrückung statt Überbauung des Messeplatzes, unter Opferung von Parkhaus und Halle 5, und vielleicht sogar – horribile dictu – der Rosental-Anlage: Wir werden es nie erfahren. Ausser Zweifel steht, dass der gewählte Ansatz mit seiner Überbauung des öffentlichen Raums für die Messe der günstigere ist – nicht zuletzt, weil dadurch eine weitere, zweifellos profitable Bautätigkeit am Messeplatz möglich, ja fast notwendig wird. Es bleibt zu hoffen, dass dabei die Verfahren transparenter und die Resultate besser abgestützt sein werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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