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db deutsche bauzeitung 05|2014
Ingenieurbaukunst
db deutsche bauzeitung 05|2014

Brücke mit Lücke

Baakenhafenbrücke in Hamburg

Die Baakenhafenbrücke ist mit 168 m Gesamtlänge keine Rekordbrücke, durch ihren beweglichen Mittelteil, der bei Bedarf für die Durchfahrt größerer Schiffe mit dem Tidenhub herausgehoben werden kann, weist sie aber mindestens eine (versteckte) Besonderheit auf. Bleibt der eine oder andere Aspekt auch diskussionswürdig, so ist dem Team aus Tragwerksplanern und brückenerfahrenen Architekten doch eine wertvolle Bereicherung der Hamburger Brückenlandschaft gelungen.

19. Mai 2014 - Claas Gefroi
Die Lage der Hamburger HafenCity an der Norderelbe im früheren Freihafen macht den besonderen Reiz des neuen Stadtteils aus – ist aber auch eine große Herausforderung für die Planung der Infrastruktur. Geprägt ist das Gebiet von vier alten Hafenbecken, an deren Kaikanten einst die Stückgutfrachter festmachten, um Waren aufzunehmen oder zu löschen. Die Abfolge von Wasser- und Landflächen macht den amphibischen und maritimen Charakter dieses Raums aus, führt aber auch zu langen Wegen insbesondere auf die Kaiflächen. Ganz besonders gilt dies für den 1887 gebauten 130 m breiten und 1,5 km langen Baakenhafen. Wollte man aus Richtung Innenstadt auf die südliche Landzunge dieses Hafens gelangen, musste man dafür bislang bis zu den Elbbrücken vordringen, um das Gewässer zu umfahren.

In den nächsten Jahren nun wird die HafenCity hier mit mehreren Wohngebieten weiter ostwärts wachsen, weshalb eine Verkürzung der Wege durch eine neue Brücke unumgänglich wurde, die das Baakenhöft mit den nördlich gelegenen HafenCity-Quartieren und der neuen U-Bahn-Haltestelle an der Universität verbindet. Eine Brücke allerdings bedeutet einen empfindlichen Eingriff in die Stadttopografie, die hier von einem offenen Hafenbecken geprägt ist, das weite Blicke in Ost-West-Richtung zulässt. Eine weitere Anforderung war, dass im Bedarfsfalle auch größere Schiffe die Brücke passieren können. Folgerichtig wäre an dieser Stelle eine möglichst filigran gehaltene bewegliche Brücke zu bauen gewesen, doch der Bauherr, die städtische HafenCity GmbH, entschied sich anders: Klapp- oder Hubbrücken hielt man für zu auffällig und Drehbrücken für zu teuer und wartungsintensiv.

Die im Wettbewerb siegreichen Wilkinson Eyre Architects entwickelten zusammen mit den Berliner Ingenieuren von Buro Happold deshalb gleichsam eine eierlegende Wollmilchsau, um die funktionalen und ästhetischen Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Ihre 170 m lange und 21 m breite Baakenhafenbrücke ist eine Kragträgerbrücke, in der das mittlere Element jedoch für Durchfahrten großer Schiffe auszuheben ist. Die Art und Weise, wie hierfür die Kraft der Gezeiten genutzt wird, ist weltweit einzigartig: Bei Ebbe wird ein Ponton mit aufgebautem Trägerrost unter das 30 m lange Aushubelement geschleppt und dort gesichert; dann werden Pressen an den Lagern des Brückenelements eingebaut und die Fahrbahnübergänge sowie die Ver- und Entsorgungsleitungen getrennt. Die Pressen heben das Brückenelement, bis sich die Lager lösen. Mit einlaufender Flut werden Ponton und Brückenteil schließlich emporgehoben und per Schlepper zur Seite gefahren. Zum Wiedereinsetzen des Brückenteils wird in umgekehrter Reihenfolge verfahren. Das Ganze ist aufwendig und zeitintensiv; allein der Aushubvorgang dauert acht Stunden und kann nur an verkehrsarmen Wochenenden erfolgen. Da jedoch rechnerisch nicht mehr als 0,2 Öffnungen pro Jahr vorgesehen sind, erschien der Stadt dieser Nachteil vertretbar. Allzu viele Schiffspassagen dürfen es auch nicht werden, denn die momentane Ruhe täuscht: Im Quartier am Baakenhafen werden einmal 1800 Menschen wohnen und 2500 Menschen arbeiten. Zudem bildet die Straße über den Kai eine wichtige Ausweichroute für den Verkehr zwischen der Innenstadt und den Stadtteilen südlich der Elbbrücken, wenn – wie zurzeit – die nördlich verlaufende Versmannstraße gesperrt ist.

Mächtiges Verkehrsbauwerk durchaus leicht und elegant

So entstand im Ergebnis eine auf hohe Verkehrsbelastung ausgelegte, 2300 t schwere Straßenbrücke, die eine entsprechende Präsenz besitzt. Architekten und Tragwerksplaner taten jedoch einiges, um den gewaltigen Bau optisch zu verkleinern und zu dynamisieren: So wurden die Stützenpaare V-förmig ausgeführt und erhielten facettierte Oberflächen, um sie zusätzlich schlanker wirken zu lassen. Der Überbau erscheint in der Seitenansicht recht schmal und schwungvoll, weil die außen verlaufenden Fußwege von sich verjüngenden Kragarmen getragen werden und zudem sacht auf- und absteigen. Zusätzlich variieren, dem Kräfteverlauf in sanften Kurven folgend, die Hauptlängsträger in der Höhe zwischen 2 und 4 m. Oberhalb der (zur Gewichtsreduzierung als orthotrope Platte ausgeführten) Fahrbahnplatte werden sie geschickt als sich verbreiternde Trennwände zwischen Fahrspuren und Fußwegen genutzt. In ihrem Schutz weiten sich die auf- und absteigenden Fußwege nach außen zu »Belvedere« genannten, mit Sitzbänken versehenen Aussichtsbereichen auf. Ob sie angesichts der Hamburger Witterung und des hier stetig wehenden Winds tatsächlich zu Orten des Verweilens werden, dürfte der kommende Sommer zeigen.

Ob gewollt oder ungewollt manifestiert sich in der Separierung der Brückenoberfläche durch Raumteiler aber auch die recht anachronistisch erscheinende Verkehrsplanung der HafenCity mit ihrer strikten Trennung von Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern. Für letztere ist sie an dieser Stelle eine unangenehme Erfahrung: Als Radler fühlt man sich, weil die Radwege als nur durch eine Linie abgetrennte Streifen entlang der Autofahrbahnen geführt werden, zwischen Autos und Stahlwand eingeklemmt und unsicher. Nicht eben zuversichtlich stimmt außerdem die Möglichkeit, bei steigendem Verkehrsaufkommen durch Wegfall des Mittelstreifens und Verschmälerung der Rad- streifen die Zahl der Autospuren von zwei auf drei zu erweitern.

Nachhaltigkeit sei die entscheidende Leitlinie für die Planung der Brücke gewesen, verkünden die Planer. Nicht nur die Anpassungsfähigkeit an einen steigenden Autoverkehr zeigt, dass damit weniger ökologische Aspekte als die Verlängerung der Lebensdauer und die Reduktion der Wartungskosten gemeint sind: So wird die Entwässerung oberhalb der Hauptträger entlang geführt, um diese nicht durchdringen zu müssen. Deren Stahlhohlträger sind luftdicht geschweißt, um Korrosion zu vermeiden. Die Winkel von Trägern und Flanschen sind so gewählt, dass sich keine Vögel auf ihnen zum Nisten niederlassen. Löcher und Schlitze auf der Unterseite des Überbaus dienen der Aufhängung von Baugerüsten.

Die Baakenhafenbrücke ist effizient und wirtschaftlich – einfach und eingängig erscheint sie nicht. Entsprechend der Straßenführung und der Ausrichtung des nebenan entstehenden Lohseparks quert die Brücke den Baakenhafen in einem ungewöhnlichen Winkel von 60 Grad, was zu einer schiefwinkligen Geometrie aller Komponenten des Überbaus führt. So wird die Komplexität der vom Auf und Ab, den Schwüngen und Brechungen der verschiedenen Bauteile geprägten Brücke noch weiter gesteigert – sie erscheint vielschichtig und spannungsreich – aber auch ein wenig unausgewogen und unübersichtlich. Auch der monolithische Aufbau, also die direkte Verbindung des Überbaus mit den Stahlstützen ohne (wartungsintensive) Fugen und Lager trägt nicht zu einem intuitiven Erfassen des Kräfteverlaufs bei – verstehen wird ein Laie diese Konstruktion nicht; er muss ihr vertrauen. Damit passt die Baakenhafenbrücke gut in unsere Zeit, in der wir hochkomplexe und -effiziente Technologien nur mehr nutzen, sie aber nicht mehr durchschauen und uns wirklich aneignen können. Ihre Hüllen besitzen Kraftlinien und Schwünge, die Emotionen erzeugen, doch die Kühle und Undurchdringlichkeit bleibt bestehen. Was zumindest den Hamburger jedoch am meisten betrübt: Die massive Brücke mit ihren beiden riesigen Beton-Strompfeilern schränkt die Weite des Blicks ein und unterbricht die wichtige optische Verbindung zwischen Hafenbecken und Elbe. Dass der Baakenhafen kein Binnengewässer, sondern einer der ältesten und wichtigsten Umschlageplätze dieses tideoffenen Hafens war, ist so nur noch zu erahnen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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