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db deutsche bauzeitung 05|2014
Ingenieurbaukunst
db deutsche bauzeitung 05|2014

Vielschichtig überwölbt

Elefantenpark und Elefantenhaus im Zoo in Zürich (CH)

Der Ehrgeiz eines zeitgemäßen Tierparks besteht darin, jeder Art und Gattung ein Habitat zur Verfügung zu stellen, das der Wildnis nahekommt – eine gewaltige Herausforderung für die Fachplaner aus Architektur, Ingenieurwesen und Landschaftsplanung. Im Fall des Elefantenparks im Züricher Zoo schufen sie in enger Zusammenarbeit ein außergewöhnliches, in jeder Hinsicht stimmiges Bauwerk.

19. Mai 2014 - Manuel Pestalozzi
Als sich der Zoo Zürich an die Planung der neuen Behausung seiner asiatischen Elefanten machte, waren die Ziele klar: Insgesamt zehn Rüsseltiere sollten möglichst selbständig und weitgehend ohne menschliche Interferenz »haushalten«, sich auf einem geräumigen Gelände, das ihrem Wesen entspricht, fortbewegen können und zu einem gedeihlichen, fruchtbaren Zusammenleben finden – aus gebührendem Abstand betrachtet vom Homo sapiens. »Kaeng Krachan« ist das Motto und der Name, der dem neuen Elefantenpark zugedacht wurde. So heißt ein Landkreis der Provinz Phetchaburi im südwestlichen Teil von Zentral-Thailand. Der Lebensraum der Elefanten im Zoo soll diesen natürlichen Bedingungen weitgehend entsprechen.

Der neue Elefantenpark gehört zur Erweiterung des Zoogeländes, die nach einem Masterplan vorangetrieben wird. Die Möglichkeit der räumlichen Ausdehnung ist der Randlage des 1929 eröffneten Zürcher Zoos zu verdanken. Erbaut auf einem Bergrücken, hoch über Stadt und Seebecken, dem Siedlungsgebiet etwas entrückt, ist das Areal auf drei Seiten von Wald umgeben. Der Masterplan ordnet jedem Zoobereich ein spezifisches Klima zu. Der Elefantenpark, der den asiatischen Monsunwald repräsentiert, befindet sich an der Nordgrenze des Geländes. Die unbebaute Lichtung fällt hier nach Osten ab, weg vom Stadtzentrum. Unmittelbar hinter dem helvetischen Kaeng Krachan beginnt der einheimische Zürichbergwald.

Vom Astwerk zur Schale

Für die Gestaltung des Elefantenparks schrieb das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich im Auftrag der Zoo Zürich AG im Jahr 2008 einen anonymen Wettbewerb mit anschließendem Studienauftrag aus. Als Innenräume waren ein großer Bereich für Kühe (auch bullentauglich), zwei Einzelanlagen für Bullen, eine Quarantänestation und je ein Managementbereich für Kühe und Bullen zu planen. Im großen Bereich wünschten sich die Auslober ein Wasserbecken, das den Besuchern die Gelegenheit gibt, die Elefanten beim Baden zu beobachten. Im Freiraum, der vom Innenbereich ebenso zugänglich ist wie die Savannenlandschaft im Süden, war hangseitig ein Flussbett zu planen.

Gewonnen wurde der Wettbewerb von einem Planungsteam mit Markus Schietsch Architekten, dem Bauingenieurbüro Walt + Galmarini und Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau. Das Projekt platziert den Elefantenpark in eine Lichtung am Fuße des »afrikanischen Gebirges«. Das gerodete Waldstück wird durch neue Aufforstungen kompensiert, wodurch eine kleine Lichtung entsteht. An die Lichtung grenzt der Innenbereich, eine ausgedehnte Halle, über der sich eine spektakuläre Schalenkonstruktion wölbt.

Die Schale sowie die Fassade der Halle simulieren in sorgfältig dosierter Abstraktion die Natur. Das Dach mit seinen Öffnungen wird zu einem abstrahierten Ast- und Blattwerk, das wie die Baumkronen des Regenwalds das Licht selektiv gebündelt auf den Boden und die hier gedeihende Fauna und Flora fallen lässt. In dieser Halle, sie folgt mit ihren Felsnischen, Gehölzgruppen und dem Wasserbassin dem gewachsenen Terrain, bewegen sich die Menschen am Rand entlang, von wo sich immer wieder neue Einblicke in den Lebensraum der Zürcher Elefanten im großen Innengehege ergeben. Der Managementbereich, wo der Kontakt der Tiere mit ihren Wärtern stattfindet, die Quarantänestation und die »Herrenzimmer« für die Bullen befinden sich im nördlichen Bereich, am topografisch höchsten Punkt der Halle, über den Technikräumen, der einzigen Unterkellerung der Anlage.

Formfindung

Der spektakulärste Teil dieses Baus ist zweifellos die Dachschale, die sich frei über rund 6 000 m² ausdehnt und Spannweiten von bis zu 85 m überbrückt. Die Holzkonstruktion dürfte in ihrer Art einmalig sein. Dabei handelt es sich nicht um den »Wurf« eines Künstlers, an dem sich die ausführenden Unternehmen die Zähne ausbeißen mussten, sondern um ein Gemeinschaftswerk von Architekten und Ingenieuren, dessen endgültige Ausformung, Detaillierung und praktische Umsetzung vom Planungsteam in kontinuierlichen Schritten erarbeitet wurde. Architekten und Ingenieure sprechen von einer außerordentlich engen und fruchtbaren Zusammenarbeit. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte bei diesem Prozess auch das Büro Kaulquappe aus Zürich, eine von Architekten und Informatikern betriebene Firma, die sich u. a. auf digitale Planung spezialisiert hat. Sie begann bereits in der Ausschreibungsphase mit der parametrischen Aufbereitung der Konstruktion.

Nachdem die Schale nun in ihrer ganzen Pracht sichtbar ist, fällt auf, wie stark sie den Visualisierungen des Wettbewerbsprojekts von 2009 entspricht. Die Beteiligten wussten, worauf sie sich einließen. Im Gespräch verrät Wolfram Kübler, Dipl. Bauing., Partner bei Walt + Galmarini und Projektleiter des Elefantenparks, dass in der frühen Entwurfsphase auch Überlegungen angestellt wurden, ob man nicht Stützen als Stämme in das Innengehege integrieren könnte. Schnell stellte sich aber heraus, dass die Lasten im Fassadenbereich abgetragen werden sollten und auf diesem Weg eine einfache und relativ kostengünstige Konstruktion möglich war. Dass die Schale aus Holz bestehen würde, stand nicht zur Debatte, das relativ geringe Gewicht (u. a. wegen des in Teilen schwierigen Baugrunds erforderlich) und das Bedürfnis nach einer großen »Naturnähe« legten die Wahl des organischen Materials nahe.

Im Grundriss wirkt die Halle wie ein Kieselstein oder ein Fünfeck mit unregelmäßig abgeschliffenen Ecken. Das berühmte Diktum »form follows function« steht dem Konzept aber näher als das romantische Bedürfnis »organisch« zu bauen. Die Gestalt der Schale und der Verlauf ihres Rands ergibt sich aus den Bedingungen der räumlichen Anordnung im und um das Gebäude: In der Fassade der Halle befinden sich Torbögen, die hoch genug sein müssen, um Elefanten und Fahrzeuge passieren zu lassen, auch der Zugang für die Besucher wird mit einem Bogen signalisiert. Das Dach kann somit keine Kuppel sein, die ihre Lasten gleichwertig nach allen Seiten abträgt. Es bildet aufgrund der vom Programm diktierten Bedingungen eine Freiformschale, die auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen muss. Trotz der um sich greifenden Digitalisierung im Entwurf, bedienten sich die Planer bei der Formfindung auch verschiedener Handskizzen. Und die Methode des berühmten Schalenbauers Heinz Isler, der die statisch optimale Form mit hängenden Tüchern erkundete, kam ebenfalls zum Einsatz – allerdings nur in einer Computersimulation.

Ring und Kanal

Der unter den geschilderten Umständen äußerst komplexe, uneinheitliche Übergang zwischen Dach und Wand wird in statischer Hinsicht durch einen vorgespannten, rund 270 m langen Stahlbetonringbalken hergestellt. Er folgt diskret dem Schalenrand, formt die erforderlichen Bögen und leitet die Lasten in fünf lokale Dachfundationen ab. Vier dieser Fundationen befinden sich an der Peripherie des parkartigen Innenbereichs, der durch die umlaufend verglaste Fassade mit dem Außenraum optisch verbunden ist. Die Lastabtragung erfolgt hier über Gruppen von Pfeilern und Stützen, in statischer Hinsicht handelt es sich um vorgespannte Wandscheiben. Zusammen mit den leicht zurückgesetzten Fassadenstreben mit ihren nach außen vorkragenden Köpfen werden sie als künstlicher Waldsaum wahrgenommen.

Die Schubkräfte der Schale werden im Erdreich abgetragen. Auch hier fanden die Ingenieure eine praktische, für die Formgebung relevante Lösung, indem sie verschiedene Aufgaben miteinander kombinierten. Unter der Fassade verläuft rund um das Gebäude ein Medienkanal aus Stahlbeton. Bei den lokalen Dachfundationen wurden auf der Außenseite des Kanals Regenwasserzisternen angefügt und als Dachwiderlager ausgebildet. Pfählungen fixieren diese unsichtbaren »Strebepfeiler« im heterogenen und schwierigen Baugrund, Felsanker übertragen die Schubkräfte. Die Lastabtragung erfolgt insgesamt sehr diskret, die Statik tritt in den Hintergrund. Dies ist dem Konzept der simulierten Natürlichkeit zuträglich.

Holz isotrop

Während die Schale die Natur imitiert, verhält sich der organische Baustoff Holz in der Schalenkonstruktion ähnlich wie Beton, also eher unnatürlich. Den Ingenieuren war bewusst, dass sich Holz als gerichtetes Baumaterial nicht besonders für ein echtes Schalentragwerk eignet. Diesem Umstand trugen sie Rechnung, indem sie großformatige, ebene Plattenstreifen (bis zu 3,4 x 12 m) planten. Sie erhielten auf dem Bauplatz ihre Krümmung und wurden dreilagig, jeweils unter 60° verschwenkt übereinander wie ein riesiges Puzzle angeordnet. Die Faserrichtung der einzelnen Schichten orientiert sich je nach der Position des entsprechenden Plattenstreifens nach den Dachauflagern. Dieses Verfahren ermöglichte für jede Lage präzise Zuschnittspläne, nach denen sich die ausführenden Firmen richten konnten. Der Zusammenhalt der Holzlagen ist durch Nägel gesichert, pro Quadratmeter Schalenfläche wurden 100 Stück dieser »Armierungselemente« eingeschlagen.

Rund 65 % des Dachs sind geschlossen. Zwischen den Holzschichtplatten, die mit einer wasserabführenden Folie belegt und durch eine Begehungsebene aus aufgeständerten Kerto-Furnierschichtplatten geschützt sind, befinden sich die 271 Öffnungen. Ihre einmaligen Formen ergeben sich aus einem Geflecht von Linien, die zwischen den Auflagern kreuz und quer über die Schale verlaufen. Acht von ihnen lassen sich im Sommer oder im Brandfall als RWA-Klappen öffnen. Jede Öffnung wird durch ein individuell druckreguliertes Luftkissen aus UV-durchlässiger ETFE Folie eingedeckt. Die Technik für den Betrieb dieser Dachflächenfenster ist diskret in der raumhaltigen Schale versteckt, sodass das Geflecht und das diffus einfallende Tageslicht das ganze Jahr hindurch ungestörte Träume von Kaeng Krachan zulassen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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