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db deutsche bauzeitung 11|2014
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db deutsche bauzeitung 11|2014

Weltbühne

WIPO-Konferenzsaal in Genf (CH)

Schauplatz großer Politik und heftiger Stildebatten: Seit bald 100 Jahren dokumentieren die Bauwerke des Genfer UNO-Quartiers die Suche nach einer weltoffenen Architektur. Der WIPO-Konferenzsaal setzt neue Akzente – mit dem uralten Baustoff Holz.

2. November 2014 - Manuel Pestalozzi
Mit der Genfer Konvention, dem Roten Kreuz und dem Völkerbund fing alles an: Ab 1864 fanden sich in der Calvinstadt im äußersten Westen der Schweiz Delegierte aus allen Weltteilen zusammen, um die Grundsätze für ein humanitäres Völkerrecht zu formulieren. Die Abgesandten debattierten zuerst im umgenutzten Hôtel National am Nordostrand der Stadt, dem heutigen Palais Wilson. Zwischen den Weltkriegen entstand dann gut einen Kilometer weiter nördlich, in einer Parkanlage, der Völkerbundpalast. Vorangegangen war ein Architekturwettbewerb, der eine große Stildebatte auslöste und 1928 zur Gründung des Internationalen Kongresses Moderner Architektur (CIAM) führte. Seither haben sich im Quartier »des Nations« zwischen dem Stadtzentrum und dem Völkerbundpalast zahlreiche internationale Organisationen niedergelassen – in Gebäuden, die mit ihrer häufig etwas kraftlosen Interpretation globaler Büroarchitektur und einem oft steril wirkenden Nebeneinander daran erinnern, dass die Stildebatte seit der CIAM-Gründung nichts an Aktualität verloren hat.

Ins Ensemble eingebundener Solist

Neuen Diskussionsstoff bietet der jüngst fertiggestellte Konferenzsaal der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, kurz: WIPO). Das Gebäude steht mitten im UNO-Quartier an der sanft ansteigenden Route de Ferney. Gleich unterhalb schließt sich die Place des Nations an, die auf der Längsachse des Völkerbundpalasts liegt und mit ihrem repräsentativen Gepräge das Wahrzeichen des internationalen Genf ist.

Der Saalbau, im Grundriss ein stumpfer, sich nach Süden öffnender Winkel, schiebt sich zwischen zwei Bürohäuser des WIPO-Ensembles. Südlich erhebt sich auf einem Sockeltrakt das Hauptgebäude der Organisation: ein mit Glas bekleidetes Hochhaus aus den 70er Jahren, dessen scheibenförmiges Volumen zur Place des Nations hin konkav gekrümmt ist. Im Norden erstreckt sich entlang der Route de Ferney ein sechsgeschossiger Riegel mit drei Atrien, der Platz für rund 500 Mitarbeiter bietet. Der mit Lärchenschindeln und bräunlich eingefärbten Aluminiumblechen bekleidete Konferenzsaal vermittelt zwischen den beiden in Blau- und Grautönen gehaltenen, großzügig verglasten Bürohäusern. Zugleich nimmt er als eine Art Pavillon Bezug zu der WIPO-Parkanlage, die einst als Geschenk der Föderativen Republik Brasilien nach Plänen des berühmten Landschaftsgestalters Roberto Burle Marx angelegt wurde.

Für die Planung des Saalbaus zeichnet das Stuttgarter Büro Behnisch Architekten verantwortlich, das auch den 2011 fertiggestellten WIPO-Büroblock an der Route de Ferney entworfen hat. Ursprünglich hätte der Saal in jenes Gebäude integriert werden sollen, doch neue räumliche Anforderungen führten zur nun realisierten »Zwischenraumlösung« nahe den Hauptzugängen der beiden Bürohäuser. Zu deren regelmäßig gegliederten Volumina bildet der Neubau mit seiner eigenwillig bewegten, expressionistisch anmutenden Silhouette einen prägnanten Kontrast. Nach drei Himmelsrichtungen greift er mit großen Fenster-Fühlern in den Raum aus. Im Bereich der Route de Ferney schwebt er über einem Sockel, der direkt in die WIPO-Parkanlage überleitet. Die Place des Nations erreichen die Bewohner des westlich vom WIPO-Komplex gelegenen Stadtquartiers jetzt über einen kleinen Platz zwischen Büro- und Saalbau. Zwar trägt der Neubau auf diese Weise zu einer Belebung des öffentlichen Raums bei, doch wird diese Wirkung aufgrund der rigiden Sicherheitsvorschriften bei internationalen Organisationen etwas beeinträchtigt: Eine Schutzmauer entlang der Route de Ferney steht im Widerspruch zum befreiten Schweben im Stadt- und Parkraum. Immerhin soll eine Begrünung der Mauer die Gegensätze versöhnen.

Virtuos inszenierte Übergänge und Ausblicke

Der Erscheinung nach ein Solitär, fungiert der Konferenzsaal als Erweiterung des WIPO-Hauptgebäudes. Dessen repräsentatives Foyer geht über in eine neu geschaffene Zwischenzone mit Oberlichtern und einer organisch geschwungenen Galerie, die Zugang zu den hinteren Rängen des Konferenzsaals bietet. Der Marmorboden des bestehenden Foyers erstreckt sich bis in die Zwischenzone hinein und endet erst an der Kante, hinter der sich das neue Foyer nach Norden unter das Saalvolumen hinabsenkt. In diesem etwas tageslichtarmen Bereich führen zwei Treppen zum Podium des Saals, außerdem gibt es hier Zugänge zum Parkraum.

In den Saal gelangt man auch über einen kleinen, offenen Hof auf der Nordwestseite des Neubaus. Der Muschelkalk des Hofs setzt sich bei diesem zweiten Zugang als Bodenbelag im Foyer fort und führt als breite Rampe, vorbei an den Glasfronten von Diensträumen, direkt in die erwähnte Zone unter den Saal.

Der Konferenzsaal bietet bis zu 900 Delegierten gleichwertige Sitzplätze. Die Anordnung der Sitzgruppen erinnert an die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun, allerdings wölbt sich die Decke in Genf nicht, sondern folgt – ziemlich knapp über den Köpfen – dem Verlauf der sanft ansteigenden Ränge. Außerdem befindet sich das Podium am Scheitelpunkt des offenen Winkels, unter dem in den Himmel ragenden, nach Norden orientierten großen Dachfenster. Die beiden anderen Fenster öffnen sich nach Südwesten zu besagtem Hof und nach Südosten zur Place des Nations. Zusammen mit kreisförmigen Oberlichtern bringen sie viel Tageslicht in den Saal. Von der Caféteria, eingerichtet am Fenster zum Platz, genießt man eine schöne Aussicht, an der auch die in der darüber liegenden »Kommandobrücke« untergebrachten Übersetzer Anteil haben.

Expression in Holz

Baukörper, Fassade und Auskleidung des Konferenzsaals bestehen aus Holz. So wurde nicht nur in Form und Farbgebung, sondern auch in der Materialisierung ein Kontrapunkt zu den benachbarten Bürobauten gesetzt. Freilich erscheint die Materialwahl keineswegs beliebig, weil die Hülle des Neubaus sehr gut mit den Bäumen und Büschen der nahen Parks korrespondiert. Zudem wollte man die Qualitäten des Baustoffs optimal nutzen und ein »gesundes« Bauwerk realisieren. Die Konstruktion übernahm schlaich bergermann und partner mit T-ingénierie und Lygdopoulos, die Ausführung wurde dem Consortium Bois OMPI (Charpente Concept, SJB Kempter + Fitze AG, J.-M. Ducret) anvertraut.

Die außengedämmte, nahezu geschlossene Schale des Saalkörpers ruht nur auf wenigen, mit sehr viel Bedacht platzierten linearen und punktförmigen Auflagern. Bei den Wänden handelt es sich um beidseitig beplankte Fachwerke. Boden und Dach bestehen aus bis zu 30 m langen Hohlkastenträgern, deren Hohlräume sich als Installationsebenen nutzen ließen. Zum Einsatz kam das in der Westschweiz entwickelte und von der Firma Ducret angewendete System Ferwood: BSH-Träger wurden beidseitig beplankt und als parallele Streifen von 1,25 m Breite auf der Baustelle angeliefert. Metalllaschen bilden die Verbindungen, welche die Streifen in statisch wirksame Flächen verwandeln. Durch die kreuzweise verklebten Brettlagen der Beplankung entstanden aus dem ansonsten aufgrund seiner Fasern gerichteten Werkstoff Holz biaxial lastabtragende Platten.

Bei der Bekleidung dominiert Lärche, die sowohl die Fassade als auch Innenwände und Decken prägt. Hinzu kommen Weißtanne und das geölte, durch Pigmente aufgehellte Eichenparkett. Auf diese Weise präsentiert sich der Saal als ein lichtdurchflutetes Futteral, das Geborgenheit vermittelt – und ausnehmend gut riecht! Neben der ausgefallenen Bauform sind es die allgegenwärtigen, weitgehend unbehandelten Holzoberflächen, die aus dem Konferenzsaal einen besonderen Ort machen, der sich von der Alltagsarchitektur des Quartiers abhebt, Konventionen sprengt und für einen willkommenen Kontrast sorgt. Die Wirkung des natürlichen Baustoffs lässt sich innen und außen von den Delegierten und Mitarbeitern der WIPO sowie der Bevölkerung unmittelbar erleben. Gespannt wartet man auf die ersten Spuren des Gebrauchs und der Alterung.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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