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db deutsche bauzeitung 11|2014
Material wirkt
db deutsche bauzeitung 11|2014

Oberfläche mit Tiefe

26 Seniorenwohnungen Sonnenhof in Wil (CH)

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

2. November 2014 - Dagmar Ruhnau
Zunächst ist das Gebäude ganz unauffällig: Das Grün der Keramikfassade entspricht vollkommen dem Farbton des Laubs der umgebenden Bäume. Der Eindruck ändert sich jedoch, wenn man direkt vor dem Bau steht. Durch den Blick vom Fuß des Hangs nach oben wirkt er recht wuchtig, und das dunkle Grün kontrastiert stark mit den hellen Fassaden des Umfelds, Sichtbeton, Putz und Schindeln. Zu diesem Effekt trägt auch bei, dass für die Baustelle mehr Bäume gefällt wurden als vorgesehen, sodass das Konzept der Architekten, den dreifingrigen Bau in die Lichtungen ragen und mit den Bäumen verschmelzen zu lassen, kaum noch zu erkennen ist. Eine solche Einfügung hätte die Vorstellung der Planer von dem Neubau als »Dépendance« oder »Stöckli« des bestehenden Altenheims unterstützt: verbunden durch Übergänge in EG und UG sowie die Möglichkeit, die Infrastruktur mit zu nutzen; unterschieden jedoch durch die Funktion als Seniorenresidenz mit hochwertigen Wohnungen. Zwar nimmt die Kubatur die bewegte Gliederung der benachbarten Sichtbetonbauten mit ihren Übereck-Balkonen in abgewandelter Form auf, doch macht der Neubau durchaus einen eigenständigen Eindruck: Er steht nicht in der Flucht der Bestandsriegel, sondern vorgerückt am Eingang zum Gelände, und die dunkelgrüne Keramikfassade setzt sich deutlich vom Bestand ab.

Satte Töne, murale Wirkung

Bereits im Wettbewerb waren die glasierten Keramikelemente samt ihrer Farbe Teil des Konzepts. Geplant war der Einsatz von günstiger Stangenware eines italienischen Herstellers, der allerdings schon vor der Ausschreibung in Konkurs ging. In der »Deutschen Steinzeug Schweiz« fanden die Architekten schließlich einen Hersteller, der bereit war, gemeinsam mit ihnen zu experimentieren. Angestrebt war eine Qualität, die ältere Fliesen auszeichnet: Tiefe der Farbe und lebendige Struktur. Tatsächlich konnte der Hersteller diese Vorstellungen mit seinen modernen Brennöfen umsetzen.

Die Mühe hat sich gelohnt: In der Sonne zeigt sich die Tiefe mit mehreren Schichten satter Grüntöne, die eine abwechslungsreiche Fläche bilden – und an den nahe gelegenen Stadtweiher erinnern. Damit vermittelt die Fassade zugleich Wertigkeit, Robustheit und Eleganz. Zur edlen Ausstrahlung trägt auch das Streifenmuster bei, das durch die vertikale Reihung der konkav geformten Fliesen entsteht und eine diskret ordnende Funktion übernimmt. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium für die Fliesen war deren »murale Wirkung« und ein plausibler Umgang mit dem auch in der Schweiz allgegenwärtigen WDVS. In der Tat vermitteln das massive Erscheinungsbild, die Beständigkeit gegen Stöße und ein guter Klang beim Dagegenklopfen die Anmutung einer Wand. Für diese Wirkung spielen die Laibungen eine wichtige Rolle, deshalb sind dort ebenfalls Fliesen verlegt. »Ein Blech wäre zu dünnhäutig gewesen«, kommentiert Marius Hug, einer der Büroinhaber. Überlegungen dazu gab es, schließlich bestehen die Fensterprofile außen ebenso wie Sonnenblenden und Brüstungselemente (an manchen Küchen) aus messingfarben anodisiertem Aluminium und bilden durchgehende Bänder zur vertikalen Gliederung der Fassade. Die Entscheidung für die Fliesen erwies sich aber als richtig: Das Thema »massive Wand« in die Innenräume zu transportieren, bewirkt mehr als eine von außen ohnehin kaum sichtbare Ergänzung der Metallbänder. Im Gegensatz zur bewegten Klinkerfassade wirken die Bänder eher flach, passen sich aber farblich sehr gut ein. Die Farbe changiert je nach Lichteinfall und entfaltet ihre Wirkung von Nahem sehr schön – aus der Ferne sehen gerade die größeren Flächen leider eher nach Faserzementplatten aus.

Bestimmendes Konstruktionselement

Die Architekten entwickelten die Form der Fliese selbst. Um Balkonbrüstungen, -stürze und Außenecken sauber zu umschließen, entstanden ca. fünf Varianten der 126 x 300 mm großen Elemente. Im Planungsablauf bedeutete dies eine besondere Herausforderung: Da sich sämtliche Abmessungen nach der Fliesengröße richten, musste der Wandaufbau samt Rohbaumaßen bereits frühzeitig feststehen.

Um die Keramikteile exakt verlegen zu können, war es wichtig, den Unterbau sauber und stabil auszuführen – immerhin wiegt die Fassade rund 30 kg/m². Die Dämmung wurde auf der Ortbetonwand verklebt und verankert, anschließend mit Armierungsmörtel mit eingelegtem Glasfasergewebe verbunden. Diese Schicht musste extrem plan werden, denn die Fliesen wurden nur mit einem hauchdünnen Kleber befestigt. Marius Hug lobt die Leistung der portugiesischen Fliesenlegertruppe wegen ihres Verständnisses für die Anforderungen der Fassade. Für die Verlegung wurden mehrere Varianten durchgespielt; letztlich entschied man sich für einen regelmäßigen Verband in halber Fliesenlänge, was ein angenehm ruhiges Fugenbild ergibt, in das sich der mittelgraue Fugenmörtel unauffällig einfügt.

Wohnen mit Ausblick

Die Innenräume sind ebenso hochwertig gestaltet wie die Fassade; durch die Verwendung heller Materialien und durch eine kluge Lichtführung wirken sie jedoch leichter. Der reduzierte, erdige Farbkanon aus Messing und Grün zieht sich durch, ergänzt um die Farbe Rot. Den Hintergrund bilden Sichtbetonwände und -decken in den öffentlichen Bereichen bzw. weiß gestrichene Glasfasertapeten und lasierte Sichtbetondecken in den Wohnungen. »Wir wollen das Farbliche eher über das Material tragen«, sagt Marius Hug dazu. Und so enthält der auffällige, grobkörnige Kunstterrazzo der Treppen einen Hauch von Dunkelrot, das bei den auf die Sichtbetonwände gemalten Etagenbezeichnungen aufgegriffen wird und mit den Wohnungstüren aus Eiche harmoniert. Das Material Eiche setzt sich in den Wohnungen im Parkett der Privaträume fort, während in den halbprivaten Bereichen (ebenfalls rötlicher) Travertin verlegt wurde.

Das Gebäude ist als Split-Level organisiert, einerseits natürlich, um den Geländeverlauf aufzunehmen, andererseits aber auch – und das ist sehr gut gelungen –, um durch Blickbeziehungen zwischen den Wohnungen den Bewohnerinnen und Bewohnern das Gefühl von Gemeinschaft zu geben. Diese Haltung manifestiert sich auch anderenorts: Vor der Waschküche bietet ein Freisitz mit Wäschespinne Platz zum Plaudern, vor dem Haus und auf der Dachterrasse stehen Bänke zur Verfügung.

Pro Etage verfügt der Bau über zwei Zweieinhalb- und vier Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen, je drei teilen sich ein großzügiges Podest. Mit der Erschließung durch ein zentrales Treppenhaus reizten die Architekten die zulässige angebundene Gesamtfläche von 700 m² aus. Der Preis dafür sind die eher dunklen Eingangsbereiche der Wohnungen, deren Einbauschränke und Abstell- räume dafür viel Stauraum bieten. Vollends aufgewogen wird der Nachteil durch den breiten Korridor, der an den Privaträumen vorbei zum hellen Wohnbereich mit integrierter Küche und Balkon führt. Die Küchenfronten aus Eiche und der grünliche Ton der Naturstein-Arbeitsplatte sowie die von den Architekten selbst entworfenen brünierten Messinggriffe rufen den Farbkanon des Hauses dezent in Erinnerung.

Die Balkone sind jeweils nach zwei Seiten orientiert, um möglichst viele Bezüge herzustellen. Nach Südosten bietet in der Ferne der Säntis den zumeist aus Wil stammenden Bewohnern einen vertrauten Anblick, nach Norden liegen der Park und die Altstadt. Einen grandiosen Bergblick gewährt v. a. die Dachterrasse, die mit ihren grünen Tischen und Sitzgelegenheiten sowie den mit Wiesenblumen bepflanzten Hochbeeten eine beliebte Freifläche darstellt.

Bergidylle in spe

Eine Wiese mit hohem Gras und Blumen schwebt den Architekten auch für das Gelände um das Haus herum vor, doch es braucht wohl noch einen oder zwei Sommer, bis man auf den Bänken das Bergwiesenflair genießen kann. Einige Sitzgelegenheiten sind in die terrassierenden Betonmauern integriert, die mit grober, herausgekratzter Oberfläche und unregelmäßiger Verteilung über den Hang ebenfalls Anklänge an eine Berglandschaft herstellen werden, sobald sie ordentlich bewittert sind. Sogar eine Art Wasserfall ist vorgesehen. Ob es an dieser differenzierten Ausgestaltung liegt oder an der Lage direkt im Stadtzentrum – die Mieter schätzen sich jedenfalls glücklich, hier zu wohnen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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