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TEC21 2014|48
Radarstation Plaine Morte – Bauen im Grenzbereich
TEC21 2014|48
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wenn es bebt und blitzt

Die Bedingungen auf der Plaine Morte sind einzigartig: Das Tragwerk der Radarstation muss nicht nur heftigen Umwelteinflüssen trotzen, ­sondern auch die Betriebssicherheit des Radars aufrechterhalten. Drei am Bau ­beteiligte Experten erklären, wie sie alle Ansprüche erfüllen konnten.

30. November 2014 - Rolf Liechti, Sassan Mohasseb
Der Turm der Radarstation steht neben dem Gipfel der Pointe de la Plaine Morte auf einer Höhe von 2930 m ü. M. Die Form ergab sich vor allem aus den Nutzungsanforderungen (vgl. «Wir konnten nur etwas Schönes bauen», S. 20). Die technische Infrastruktur musste sich unmittelbar neben dem Radar befinden, um durch kurze Hohlleiterverbindungen den Datenverlust zu minimieren. Die Höhenlage bedingte die Turmhöhe, da bei einem Aufenthalt von Personen in der Umgebung der Station ein minimaler vertikaler Sicherheitsabstand zum Strahlungsbereich des Radars eingehalten werden musste.

Die schlanke vertikale Erschliessung in einem Betonzylinder und die daran angehängten auskragenden Betriebsräume werden den Nutzeranforderungen gerecht. Die massive Bodenplatte und der zylinderförmige Betonkern des Turms gewährleisten die Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit auch unter extremen Erdbeben- und Windlasten. Die Nutzungsanforderung für die Bemessung der Tragstruktur sieht eine Windgeschwindigkeit von 70 m/s (= 252 km/h) für die Erfüllung der Tragsicherheit vor. Zum Nachweis der Gebrauchstauglichkeit war eine Windgeschwindigkeit von 45 m/s (= 162 km/h) vorgegeben. Bei dieser Windbeanspruchung darf die vertikale Auslenkung des Turms nicht mehr als 0.1° betragen, damit die Funktionstauglichkeit des Radars gewährleistet bleibt. Dies bedeutet, dass der Turm bei 45 m/s eine maximale horizontale Auslenkung von 25 mm erhalten darf.

Die Radarstation liegt in der Erdbebenzone Z3b, und aufgrund der besonderen Wichtigkeit wurde dieses Gebäude in die Bauwerksklasse II eingestuft. Der Baugrund (Fels) entspricht nach SIA Norm 261 Klasse A. Die gesamte Turmhöhe beträgt 17.8 m. Der tragende runde Betonkern hat eine Höhe von 12.4 m und weist einen Aussendurchmesser von 4.7 m auf.

Bemessung auf türkisches Beben

Für extreme Höhenlagen der Alpen fehlen gemessene Erdbebendaten. Die SIA-Normen beziehen sich auf Mittelwerte auf Talniveau. Anhand von untersuchten Schäden bei Erdbebenkatastrophen im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten stellte Dr. S. Mohasseb, der Verfasser der Erdbebenberechnung, fest, dass die Erdbebenlasten infolge topografischen Effekten in höheren Lagen normalerweise grösser sind als auf Talniveau. Für die Nachweisführung des Gebäudes wurde in Zusammenarbeit mit der EPFL festgelegt, in welcher Grösse die Erdbebeneinwirkungen zu erhöhen und in welcher Form Vertikalbeschleunigungen zu berücksichtigen sind. Die Beanspruchungen der Vertikalbeschleunigung können bis zu zwei Drittel der Werte einer Horizontalbeschleunigung betragen.

Für die Erdbebenbemessung wurden die drei gängigen Verfahren angewendet und miteinander verglichen: die Ersatzkraftberechnung, die Antwortspektrenberechnung und die Zeitverlaufsberechnung.

Die Ersatzkraftberechnung wurde nach der Norm SIA 261 : 2003 durchgeführt. Aufgrund der vorhandenen Erdbebenzone und der speziellen Gewichtsverteilung des Turms resultierte eine abgeschätzte Grundschwingungszeit von T1 = 0.3 s und eine Horizontalbeschleunigung von Se = 4 m/s2. Da die Struktur nicht einem typischen Gebäude entspricht, wurden die Schubkräfte mit dieser Methode sehr gross.

Für die Berechnungen der Antwortspektren wurde ein 3-D-Modell des Turms erstellt. Die Kerne wurden als Stäbe modelliert. Durch eine 60%ige Reduktion der Stabquerschnitte wurde die Rissbildung berücksichtigt. Der Einbindungshorizont liegt auf Bodenhöhe. Für die Bemessungsspektren wurden q = 2 und γf = 1.2 eingesetzt. Wie erwartet resultierten beim Antwortspektrenverfahren geringere Schubkräfte als beim Ersatzkraftverfahren.

Um eine Zeitverlaufsberechnung durchzuführen, müsste ein Beschleunigungszeitverlauf eines typischen Erdbebens in den Walliser Alpen als Grundlage vorliegen. Solche Verlaufsdaten konnte der an der Planung der Radarstation beteiligte Erdbebenexperte nicht finden. Deshalb griff er auf die internationale Datenbank der PEER Organization der University of California in Berkeley zu, die mehr als 3000 Erdbebenbemessungen enthält.

Aufgrund der Bodeneigenschaften, des Abstands der Gebäude zu aktiven Verwerfungen, der Bruchlänge der Verwerfung und der Erdbebenmagnituden wird mithilfe eines Programms von PEER ein lokales Spektrum berechnet. Danach wird in deren Datenbank ein Erdbeben gesucht, das diesem Spektrum entspricht. Die Suche in der Datenbank führte zum Kocaeli-Erdbeben in der Türkei von 1999. Weil es die Kriterien am besten erfüllte, wurde es für die vorliegenden Zeitverlaufsberechnungen ausgewählt. Das Tragwerk wurde nach den Werten aus dem Ersatzkraftverfahren dimensioniert.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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