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db deutsche bauzeitung 03|2015
Putz
db deutsche bauzeitung 03|2015

Alles auf Rot

Mehrfamilienhaus in Sterzing, I

Einfache Form, einheitliche Farbgebung: In der heterogenen Umgebung am Stadtrand von Sterzing wirkt das neue »Pfarrmesnerhaus« zunächst wie ein beinah fremdartiger Solitär – doch die Putzfassade in Porphyrrot stellt den Bezug zur Region her.

1. März 2015 - Klaus Meyer
Laut Eigenwerbung ist Sterzing ist nicht irgendeine Stadt, sondern die »Alpinstadt«, die »Fuggerstadt«, die nördlichste Stadt Italiens mit »einer der schönsten Altstädte« des Landes. Wer den gleich unterhalb des Brennerpasses gelegenen Ort, der im Italienischen Vipiteno heißt, vom Bahnhof aus zu Fuß erkundet, stellt jedoch zunächst einmal ernüchtert fest, dass es hier ist wie überall: Vor lauter Häusern sieht man die Stadt nicht. Der Weg ins Zentrum führt durch öde Gewerbeparks und mittelprächtige Wohnsiedlungen, es geht vorbei an verlassenen Kasernen, marktschreierischen Hotels und nichtssagenden Zweckbauten. Leider währt auch die Freude an den historischen Putzfassaden der kompakten Innenstadt nicht lang, weil diese, ehe man sich’s versieht, durchschritten ist und das vielgestaltig-eintönige Drumherum von Neuem beginnt.

In solch einem Umfeld fällt jedes qualitätvolle Gebäude aus dem Rahmen. Hier am südlichen Stadtrand sind dies die vor wenigen Jahren errichtete Grundschule von Calderan Zanovello Architetti, die alte Pfarrkirche »Unsere Liebe Frau im Moos«, das noch ältere Ordenshaus der Deutschherren – und seit Neuestem ein monolithischer, viergeschossiger Quader in Porphyrrot.

Das 2014 fertiggestellte Mehrfamilienhaus beherbergt vier Wohnungen unterschiedlichen Zuschnitts. Die größte nimmt fast die gesamte südliche Hälfte des Baukörpers ein und erstreckt sich über alle vier Geschosse. Dort wohnt der Bauherr Helmut Zingerle mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Als die Familie das Grundstück von der Pfarrei erwarb, stand noch das in den 60er Jahren errichtete Mesnerhaus darauf, das zuletzt Bedürftigen als Notunterkunft diente. Der Abriss war von Anfang an beschlossene Sache. Um finanzielle Möglichkeiten und ästhetische Ansprüche in Einklang zu bringen, entschied man sich gegen das klassische Eigenheim und plante stattdessen ein Mehrfamilienhaus, dessen Bau sich durch den Verkauf dreier Wohnungen teilweise refinanzieren ließ.

Bis die Läden hochgehen

Von Beginn an waren Armin und Alexander Pedevilla, die im nahen Bruneck ein Architekturbüro betreiben, in die Planungen involviert. Zingerle kennt und schätzt die Brüder seit Langem. »Sie bauen kompromisslos modern und beziehen sich mit ihren Entwürfen zugleich auf den Ort und seine Geschichte«, sagt der Geometer, der sich mit seiner Firma auf Dienstleistungen für Architekturbüros spezialisiert hat. »Außerdem verstehen sie sich auf einfache und robuste Detaillösungen, die ästhetisch überzeugen.«

Das große Ganze wird dabei nie außer Acht gelassen, so wurden allen Wohnungen wegen des rauen Klimas Loggien als geschützte Außenbereiche zugeordnet. »Die individuellen und heterogenen Grundrisseinteilungen sollten«, so Alexander Pedevilla, »in einer einheitlichen Fassadengestaltung einen gemeinsamen Nenner finden.« Um den monolithische Charakter des Gebäudes zu betonen, das als Massivbau mit Stahlbetontragwerk und WDVS errichtet wurde, erhielten die Metalloberflächen der Blenden, Rollläden und Geländer jeweils Beschichtungen in exakt demselben Farbton wie der Anstrich des Außenputzes. Zudem wurden die Rollläden bündig mit den Außenwänden montiert, sodass sich bei geschlossenem Zustand das Bild eines vollkommen homogenen Quaders ergibt. Gehen die Jalousien nach oben, ändert sich der Eindruck. Denn die Öffnungen der Fenster und Loggien, die zwar jeweils auf einer Geschossebene liegen, aber unterschiedlich groß und unregelmäßig verteilt sind, brechen die geometrische Strenge des Baukörpers und beleben die Fassade ungemein.

Die Farbe zu Füssen

Um die plastische Qualität des Entwurfs optimal zur Geltung zu bringen, bedurfte es einer möglichst glatten Oberfläche. Für die Bauherren schieden Sichtbeton, Holz oder andere Fassadenmaterialien von vornherein aus. Putz sollte es sein, gern in Farbe, aber nicht mit »fleckiger« oder »wolkiger« Struktur. Die Architekten griffen die Wünsche ihrer Auftraggeber bereitwillig auf. Sie lieben Putzfassaden. 2012 überzogen sie die Schule in Rodeneck mit einem groben Putz, der wie ein Wollpullover anmutet; 2007 bereits gaben sie dem Rathaus in St. Lorenzen mit einem ausgewaschenen Putz den letzten Schliff; und auch beim aktuellen Wohnhausprojekt in Sand in Taufers ist die Putzfassade bestimmend.

Hinsichtlich der Farbgebung des Sterzinger Hauses plädierten die Architekten für einen erdigen Ton, der einen Bezug zur Region hat. Dass man die passende Farbe in dem rötlich-violetten Schimmer des Porphyrgesteins fand, ist wenig verwunderlich: Neben Quarzit und Dolomit zählt Porphyr zu den am häufigsten verwendeten Baumaterialien in Südtirol – nahezu jeder Gehweg ist damit gepflastert. Das Gestein selbst verwendeten die Architekten dann zwar nicht für den Fassadenputz, aber für die mannshohe Betonmauer, die das Grundstück zur Straße hin abgrenzt: Eine Beimischung von zermahlenem Porphyr verleiht dem ausgewaschenen Beton einen ungewöhnlichen, zwischen Purpur und Flieder changierenden Unterton. Die Mauer passt farblich hervorragend zum Haus, doch mit ihrer rauen Oberfläche bildet sie zugleich einen deutlichen Kontrast zur ebenmäßigen Fassade und ihren Metallteilen, die wiederum vollkommen glatt sind.

Modelliert von der Sonne

Während die Architekten bislang bevorzugt mit Kalkputzen gearbeitet hatten, entschieden sie sich in Sterzing für einen organischen Putz. Zum Einsatz kam ein feinkörniger Modellierputz, gefärbt mit der eigens entwickelten Sonderfarbe »Porphyr«. Ein auf die 20 cm dicke Mineralwollschicht des WDVS gespachteltes Trägergewebe bildet den Untergrund für den Putz. Die nach dem Putzauftrag geglättete Oberfläche erhielt durch die Bearbeitung mit einer Malerrolle eine feine Netzstruktur, deren Grate abgeschliffen wurden. Eine farblose Imprägnierung komplettiert die Oberfläche. Laut Bauherr und Architekt hat die Versiegelung auch den ästhetischen Effekt, dass die Fläche dadurch noch gleichmäßiger erscheint.

Besonders bei diffusem Licht wirkt die Wand völlig homogen. Bei Sonnenschein wird die Oberfläche durch den Schattenwurf der erhabenen Teile der Netzstruktur modelliert und gewinnt dann, v. a. aus einiger Entfernung betrachtet, an Tiefe. Im Hinblick auf ihre Witterungsbeständigkeit machen sich Bauherr und Architekten keine Sorgen. Zwar ist das Klima im 950 m über dem Meer gelegenen Sterzing rau, aber auch nicht arktisch; die äußere Haut des Gebäudes wurde daher lediglich hydrophobiert. Sollte sich die Oberfläche wider Erwarten verfärben, müsste sie erneut gestrichen werden. »Eine Patina ist unerwünscht«, sagt der Bauherr. »Die Fassade ist nicht auf Alterung hin konzipiert.«

Letztlich steht die harmonische Wirkung im Vordergrund: Sowohl die Deutschordenskommende und Teile der Pfarrkirche als auch die Wohnblöcke der Umgebung haben Putzfassaden – die Oberfläche schafft also eine Verbindung zwischen den disparaten Gebäuden des Viertels. Insofern fällt das neue Pfarrmesnerhaus gar nicht so sehr aus dem Rahmen, wie es zunächst scheint. Mit ihrer Vorliebe für den Putz bekennen sich die Pedevilla-Brüder zu einer Tradition, die italienische Stuckateure einst in Südtirol heimisch machten. In Sterzing zeigen sie erneut das große Potenzial dieser Art der Fassadengestaltung auf – und bereichern die Alpinstadt dadurch.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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