Zeitschrift

TEC21 2015|25
Material I: Das Periodensystem beim Bauen
TEC21 2015|25
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Mehr Gips für den Kreislauf

Gips landet nach dem Gebäuderückbau meistens auf Inertstoffdeponien. Die stoffliche Wiederverwertung wäre dagegen nachhaltiger. Eine Studie des Kantons Zürich zeigt nun, wie gross das effektive Potenzial ist.

19. Juni 2015 - Manuel Stark
Durch Rückbau und Erneuerung des Gebäudebestands entstehen 340?000 t Gipsabfälle pro Jahr. Der Gips-Output aus dem Bauwerk entspricht also etwa 40?% des Inputs. Knapp zwei Drittel des Outputs sind Gipskarton- und Vollgipsplatten. Davon wiederverwertet werden zurzeit lediglich 1 bis 1.5%, also 3000 bis 5000 t pro Jahr. Das Recycling wird in der Branche selbst organisiert und umfasst eine Aufbereitung der Gipsabfälle zu neuen Vollgipsplatten. Der überwiegende Teil wird jedoch in überwachten Inertstoffdeponien abgelagert; ein kleinerer Teil gelangt mit anderen Bauabfällen zusammen in die Kehrichtverbrennungsanlagen. Die Situation ist unbefriedigend, weil viel Deponieraum beansprucht wird und Gips eigentlich gar kein Inertstoff ist (vgl. «Auswaschbare Gipsabfälle»).

Der Absatz von Gipskartonplatten hat in den letzten Jahren stark zugenommen, weshalb die zu erwartende Menge an Gipsabfällen deutlich ansteigen wird. Genauere Zahlen zu den Gipsströmen in der Schweiz hat das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (Awel) in einer Studie erheben lassen (vgl. «Gipsströme in der Schweiz», S. 27). Neben
der aktuellen Massenbilanz wird darin die weitere Entwicklung abgeschätzt: Welche Gipsmengen wurden
in der Vergangenheit respektive werden heute und in Zukunft produziert, importiert und deponiert? Zudem wurde untersucht, in welchen Bauprodukten Gips eingesetzt wird und wie gross die Massenflüsse sind. Darauf basierend wurde das Verwertungspotenzial für Gips abgeschätzt.

Verdoppelung der Stoffflüsse

Die Awel-Studie skizziert zwei Szenarien: «Referenz» schreibt den Istzustand mit der 1%-Quote für die stoffliche Verwertung fort. Bleiben die Entsorgungswege
bis 2035 erhalten, verdoppeln sich die Gipsflüsse in Deponien und KVA beinahe auf knapp 500000 t pro Jahr. Und mit der bisherigen Verwertungsrate gehen 2035 nur etwa 10000 t Gipsabfälle in die Wiederverwertung. Demgegenüber rechnet das «Recycling»-Szenario mit deutlich erhöhten Verwertungsmengen. Voraussetzung ist, dass die inländischen Zement- und Vollgipsplattenhersteller ihren Produktionsanteil an wiederverwertetem Gips (RC-Gips) auf 70?% steigern; mehr lässt sich aus qualitativen und verfahrenstechnischen Gründen nicht beimischen. Zudem können nur Vollgips- und Gipskartonplatten mit vertretbarem Aufwand wiederaufbereitet werden. Die Rückgewinnung von Gips aus Mörtel, Putz und Estrich ist dagegen zu aufwendig.

Im Szenario «Recycling» gleichen sich die Mengenverhältnisse in den unterschiedlichen Verwertungsvarianten an: Die Recyclingmenge liesse sich auf über das 30-Fache steigern; gleichzeitig reduziert sich die deponierte respektive verbrannte Menge an Gips um rund einen Drittel auf 338000 t pro Jahr. Realistischerweise lassen sich etwa 150000 bis 200000 t pro Jahr wiederverwerten, bei einem theoretisch berechneten Potenzial von 328000 t pro Jahr.

Gipsplatten für die Wiederverwertung

Die Differenz zwischen Theorie und Praxis wird durch den Aufbereitungsaufwand für Vollgips- und Gipskartonplatten sowie durch die Qualitätssicherung in der Gipsproduktion bestimmt. Unter anderem kann nur ein Teil des Rohmaterials durch RC-Gips (300000–350000 t pro Jahr) ersetzt werden. RC-Gips ist in der Schweiz ebenfalls ein Sekundärrohstoff für die Zementproduktion. Eine Recyclinghürde sind zudem die Importe: Heute schon werden pro Jahr rund 300000 t Gipskartonplatten eingeführt; auch künftig dürfte der Gipsbedarf zur Hälfte durch Importe gedeckt werden. Und ausserdem kann RC-Gips – entgegen den Modellannahmen – wahrscheinlich nicht exportiert werden, weil es im Ausland keine Nachfrage für Sekundärrohstoffe gibt (vgl. «Gipsrecycling in Deutschland»).

Bevor ein umfassendes Recyclingkonzept für die Schweiz entwickelt werden kann, braucht es weitere Untersuchungen zu den Qualitätsanforderungen am Rohstoffmarkt. Zudem muss ein Sammelsystem gefunden werden, wobei eine zusätzliche Mulde auf der Rückbaustelle ausreichen würde. Schliesslich braucht es einen Standort für eine Gipsaufbereitungsanlage in der Schweiz, der logistisch günstig liegt und mit kurzem Transportweg erreichbar ist.

Dialog mit Industrie

Das Awel hat im Mai 2015 Vertreter von Gipsplattenherstellern, Zementwerken, Entsorgern, von einzelnen Kantonen sowie vom Bundesamt für Umwelt zu einem Workshop über die Gipsrecycling-Szenarien eingeladen. Dieses Treffen hat unter anderem folgende Erkenntnisse gebracht: Es besteht ein grosses, nicht genutztes Potenzial für das Recycling von Gipsabfällen aus dem Baubereich. Gipsabfälle für die Gipsplattenherstellung oder als Zumahlstoff bei der Zementherstellung müssen unverschmutzt und von gleichbleibender Qualität
sein. Für die Zementindustrie wichtig ist zudem die konstante Verfügbarkeit an grossen Mengen, wofür zusätzliche Aufbereitungskapazitäten nötig sind.

Damit die Verwertung von Gips aus dem Rückbau konkurrenzfähig ist, müssen entweder die Deponiepreise für gipshaltige Bauabfälle erhöht oder die Ablagerung auf Inertstoffdeponien eingeschränkt werden. Alternativ können maximale Gipsanteile für das Deponieren von Bauabfällen definiert werden. Wünschenswert wäre, dass der Verband der Gipsindustrie mit weiteren Verbänden und Partnern eine Branchenlösung für das Gipsrecycling prüft. In Betracht zu ziehen ist sodann die Erfassung von verwertbaren Gipsabfällen vor Um- und Rückbauten; ähnlich einer Schadstoffabklärungspflicht gemäss Technischer Verordnung über Abfälle. Die Workshopteilnehmer haben sich darauf geeinigt, die Verwertung der Gipsabfälle durch die Unternehmen selbst respektive durch die involvierten Branchen zu erarbeiten.

Enge Zusammenarbeit

Der Kanton Zürich hat mit dem Gipsmodell Prognosen für die Wiederverwertung von Gips bereitgestellt. Nun liegt es an der Privatwirtschaft, die sekundäre Rohstoffquelle zu erschliessen und das Recycling als funktionierende Wertschöpfungskette aufzubauen.

Zur Ausschöpfung des Gipsrecycling-Potenzials bedarf es der engen Zusammenarbeit von Firmen und Branchenorganisationen entlang der Produktionskette. Das Umwelt- oder Abfallrecht muss so weit angepasst werden, dass die Wiederverwertung von Gips attraktiver wird. Gelingt dies, kann die Gipsbranche das Image
des mineralischen Baustoffs als nachhaltiges Produkt gewinnbringend nutzen.


Anmerkung:
[01] Baudirektion Kanton Zürich; Modell zur Beschreibung der Entwicklung der Gipsflüsse in der Schweiz; Energie- und Ressourcenmanagement GmbH, Schlussbericht vom 31. August 2014 (Bericht und weitere Unterlagen: http://bit.ly/1BVMfmL)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: