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tec21 2006|24
Fussball und Baugeschichte
tec21 2006|24
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zentralstadion Leipzig

Im Januar 2000 wurde der Grundstein für das neue Leipziger Stadion im begrünten Wall des bisherigen Zentralstadions gelegt. Den Basler Architekten Wirth+Wirth war es wichtig, die unter Denkmalschutz stehende Wallanlage möglichst nicht zu verändern.

9. Juni 2006 - Katinka Corts-Münzner
Die Frankfurter Wiesen im Westen der Leipziger Innenstadt wurden bereits in den 1920er-Jahren für die Planung einer „Grosskampfbahn“ nahe der Innenstadt in Betracht gezogen. Nach Planänderungen wurde ein Fest- und Aufmarschgelände, der „Platz der 300000“, angelegt. Zum sächsischen NSDAP-Gautag 1938 wurde er in „Adolf-Hitler-Feld“ umbenannt. Werner March, der Architekt des Berliner Olympiastadions, schlug auf dem Gelände 1939 den Bau eines komplexen Sportfeldes mit Grossstadion vor. Dieses wurde durch den Zweiten Weltkrieg jedoch nicht mehr ausgeführt.

In den 1950er-Jahren wurden auf dem Areal Planungen für ein 800000 m² grosses „Leipziger Sportforum“ umgesetzt (Bilder 1 und 2). Es grenzt im Westen an das Elsterbecken, einen Kanal aus den 1920er-Jahren, südlich liegt das 200000 m² grosse Gelände der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK). Als erste Bauten entstanden ein Schwimmstadion (1950-1952) und das oval in Nord-Süd-Achse ausgerichtete Zentralstadion (1955-1956, Chefarchitekt Karl Souradny). Das Stadion bestand aus einem 23 m hohen und 8 m breiten Wall, der aus 1.5 Mio. m3 Kriegstrümmern aus der Stadt Leipzig errichtet wurde. Die bauliche Nutzung der Trümmer war in einem Stadtbebauungsplan von 1948 festgelegt worden. Der Wall wurde im Osten und Westen untertunnelt, um einen Zugang zur Festwiese zu erhalten. 1954 fand auf der Festwiese das 1. Turn- und Sportfest der DDR statt, 70000 Zuschauer besuchten das Grossereignis. Im Zentralstadion fanden auf 75 Sitzreihen 100000 Zuschauer Platz, was die Sportanlage zur grössten Deutschlands machte. Freitreppen führten in den Stadionkessel, der auf dem Aussenkranz begrünt wurde.

Südlich vom Turm wurde auf dem ehemaligen „Adolf-Hitler-Feld“ eine nahezu quadratische Festwiese mit 41000 m² angelegt. Über 180000 freiwillige Helfer beteiligten sich an den Bauarbeiten. 1956 wurde das Zentralstadion anlässlich des Turn- und Sportfestes eröffnet. Hier fanden in den folgenden Jahren viele Grossereignisse statt: sieben Turnfeste, 49 Fussball-Länderspiele, über 50 internationale Fussballspiele sowie zahlreiche Leichtathletik- und Radsportveranstaltungen. Nach 1995 galt das Zentralstadion als nicht mehr wettbewerbsfähig, da seine Erneuerung nach internationalen Normen jahrelang verpasst worden war. Von 1992 bis 1995 trainierte hier der VfB Leipzig wegen Baufälligkeit seines eigenen Stadions. Die Zuschauerkapazität war durch die Sperrung baufälliger Blöcke damals bereits auf 37000 begrenzt. Mit dem Umzug des VfB musste die Stadt pro Jahr die 3 Mio. DM Betriebskosten für das Stadion alleine aufbringen. Der Erhalt der alten Anlagen rentierte bald nicht mehr für die wenigen sportfremden Veranstaltungen, und Pläne für eine gross angelegte Erneuerung wurden geschmiedet. In der Zwischenzeit fanden die Sportanlagen zwischen den umgebenden Wohngebieten dennoch ihre Nutzer: Die Aussenbecken des alten Schwimmstadions wurden seit 1992 von 50000 Besuchern pro Saison als Freibad genutzt. Unterhalb des Stadionwalls schlug 1993 ein Trödelmarkt seine Zelte auf, der sich schliesslich einmal rund um das Stadion zog und zu den grössten Märkten Europas zählte. Die Festwiese südlich des Stadions etablierte sich zu einem attraktiven Ort für Open-Air-Konzerte. 1991 nahm der Olympiastützpunkt Leipzig in den Gebäuden der DHfK seine Arbeit auf und forderte bessere Sportstätten für seine immerhin 213 Sportler, die hier für Olympia (Turmspringen, Schwimmen, Kanurennsport, Leichtathletik) trainierten.

Neues und altes Zentralstadion

Mit der Bewerbung des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) um die Austragung der Fussball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland meldete Leipzig sein Interesse als Austragungsort an. Eine Sanierung des bestehenden Stadions war aber nicht möglich, da der Tabellenstand der Leipziger Fussballclubs kein Stadion für 100000 Zuschauer gerechtfertigt hätte. Nachdem der DFB Leipzig als Austragungsort berücksichtigen wollte und staatliche Finanzhilfe zugesagt war, lobte die Stadt 1996 einen mehrstufigen internationalen Projektwettbewerb zum Neubau eines Stadions aus. Die darin geforderte Grösse für 45000 Zuschauer sollte Leipzig Viertelfinalspiele der Fussball-WM bringen. Das Konzept des Planungskonsortiums der Basler Architekten Wirth+Wirth gewann den Wettbewerb. Ihr Entwurf sah die Einbettung eines neuen, kompakteren Stadions in den begrünten Wall des Zentralstadions vor und wollte den umgebenden Park in seiner Struktur erhalten (Bild 2). Die letzte Veranstaltung im alten Zentralstadion wurde der Evangelische Kirchentag am 27. Juli 2000, an dem 90000 Besucher teilnahmen.

Nachdem alle Bauvorbereitungen, wie archäologische Untersuchungen, Probebohrungen und die Erstellung der Hauptzufahrt, abgeschlossen waren, begann die Planierung im Stadionoval. Im Januar 2001 wurden die ersten der 720 bis zu 25 m tiefen Rammpfähle gesetzt und Bautrassen angelegt, die später zu Auffahrten ins Parkhaus werden sollten. Bereits im Juli wurden die Treppenhäuser gebaut, im Oktober die Fertigteilstützen gesetzt. Die Sitzreihen für das Stadion wurden von Januar bis April 2002 montiert, im Mai fand im rohbaufertigen Stadion das 31. Deutsche Turnfest statt. Neben der Veranstaltung erschwerte auch eine Baukrise, die zu Insolvenzen beteiligter Baufirmen führte, den Stadionbau.

Verschiebbares Dach

Das auffälligste am Stadion ist die 17 m hohe Überdachung, deren je zwei Tribünen- und Kurvendächer aus Stahl-Fachwerkträgern aufgebaut sind (Bild 6). Schwierig war bei der Dachplanung der sehr schlechte Baugrund nahe des Flusses, der keine Pylonen oder grosse Abspannungen nach aussen zuliess. Die Stützen, Träger und Seile des Stadiondaches wurden so verbunden, dass eine selbsttragende Schale entstand, die nur auf dem oberen Tribünenrand aufliegt. Zwei seilunterspannte Bogenbinder in Längsrichtung sowie Quer- und Längsträger bilden das Tragwerk für das Dach, das eine Fläche von 28000 m² überdeckt. Der erste der beiden 565t schweren Bogenbinder wurde im November 2002 mit mehreren Kränen in die Konstruktion gehoben. Die 202 m langen Hauptträger sind um 26° nach aussen geneigt und zum Dachaussenrand durch Seile stabilisiert und zu den Fassadenstützen abgespannt. Die Bogenbinder bestehen aus Rundrohren als Obergurt, für die Unterspannung kamen Druckstäbe und Seile zum Einsatz. Die Kurventräger hängen an den Bogenbindern und stützen sich zusätzlich auf Stiele am Tribünenrand ab. Eingedeckt wurde das Dach später mit 24000 m² Trapezblech mit Dämmschicht und Folie. Für den inneren Dachbereich wurden UV-durchlässige Polykarbonatplatten eingesetzt, um eine ausreichende Besonnung des Rasens im Stadion zu erreichen. Geplant ist eine mobile Überdachung für das Spielfeld. Da bisher aber noch kein akuter Bedarf nach einer verschliessbaren Grosshalle bestand, wurde sie als additives Element geplant.

Veränderter Gesamteindruck

Die Grünanlagen rund um das Zentralstadion bilden einen wichtigen innerstädtischen Teil des Grünstreifens von Elster und Auenwald. Durch den Baumbestand an der Aussenseite des alten Stadionwalls ist ein grosser Teil des Stadions nicht zu sehen, das weiss glänzende Dach jedoch zeigt deutlich, dass ein Neubau eingefügt wurde. Dieser ist mit der alten Bausubstanz örtlich und funktional verbunden. Das alte Hauptgebäude (Bild 5) dient als Eingangsgebäude für die VIP und die Presseleute und nimmt temporäre Stadionfunktionen auf. Der Besucher erlebt die Verbindung zwischen Alt und Neu beim Überqueren der Brücken, die von den historischen Tribünen zur Eschliessungsebene des neuen Stadions führen. In frei stehenden Kuben sind Cateringstationen und Sanitäranlagen untergebracht. Im Oberrang der Haupttribüne befinden sich die VIP-Logen, die separat von den Parkplätzen unterhalb der Stadionränge aus erreicht werden können. Ein Teil des Erdgeschosses vom alten Hauptgebäude, das teilweise für Stadionveranstaltungen mitgenutzt wird, ist für die Parkhauszufahrt umgebaut worden.

Positiv zu beurteilen ist der sensible Umgang der Architekten mit der Substanz. Im Vergleich zur Sanierung des Olympiastadions Berlin mussten die Architekten beim Leipziger Stadion mit einem wesentlich geringeren Kostenrahmen auskommen. Mit den minimalen Eingriffen in den bestehenden Stadionwall für Erschliessung und Parkebenen, dem Schutz von Baumbestand und Treppenanlagen und der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes ist die Arbeit denkmalpflegerisch gelungen.

Der Preis der WM 2006

In Leipzig wurde zusätzlich die Infrastruktur ausgebaut. Die südlich des Sportforums verlaufende Jahnallee wurde verkehrsberuhigt und die Tramlinie teilweise in einen Tunnel verlegt. Die neu entstandene Kreuzung kann als Nord-Süd-Verbindung für den Autoverkehr genutzt werden, was das anliegende Wohngebiet Waldstrassenviertel stark entlastet. Bis zur WM wird auch der Vorplatz des Leipziger Hauptbahnhofs, ein wichtiger Knotenpunkt für alle Reisenden, komplett behinderten- gerecht ausgebaut. Die Betreibergesellschaft muss nun mindestens für die nächsten 15 Jahre die grosse Aufgabe meistern, die Finanzierung und Auslastung der Stätten des Sportforums zu sichern. Die Festwiese hat immer noch grosse Anziehungskraft auf Konzertveranstalter, die Arena wird mit ihrem begrenzteren Platzangebot auch ihre Auslastung finden. Für das Fussballstadion bleibt zu hoffen, dass sich genug Veranstalter finden, die 30000 bis 45000 Plätze füllen können. Oder dass die Leipziger Vereine wieder in die erste Bundesliga aufsteigen und das Stadion mit ihren Fans füllen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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