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db deutsche bauzeitung 10|2015
Südtirol
db deutsche bauzeitung 10|2015

Investition in die Zukunft

Grundschule in Taufers im Vinschgau (I)

Die neue Grundschule bietet nicht nur zeitgemäße Lernräume für rund 40 Grundschüler aus 5 Jahrgangsstufen sowie eine öffentliche Bibliothek, sie ist gewissermaßen Zeichen einer neuen Zeit und Teil einer komplexen Umstrukturierungsmaßnahme, die dem auf 1 250 m über dem Meeresspiegel gelegenen Straßendorf eine neue Perspektive gibt.

11. Oktober 2015 - Roland Pawlitschko
Für einen Ort mit knapp 1 000 Einwohnern zählt die Durchführung eines Ideen- und Planungswettbewerbs keineswegs zum Tagesgeschäft. Entsprechend sorgfältig ging die Gemeinde Taufers im Südtiroler Vinschgau vor und ließ sich zunächst einmal v. a. viel Zeit. Ziel des 2006 ausgelobten Verfahrens war daher die Entwicklung eines in den darauffolgenden 10-15 Jahren umzusetzenden Gesamtkonzepts zur Neustrukturierung der öffentlichen Einrichtungen. Mit anderen Worten: Es ging um nichts Geringeres als um die Zukunft des Dorfs, das – wie viele andere Dörfer auch – unter der stetigen Abwanderung junger Familien leidet. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das in einer Informationsveranstaltung präsentierte Vorprojekt der neuen Grundschule bei den Einwohnern im Mittelpunkt des Interesses stand.

Die Jury, zu der u. a. die mit dem alpinen Bauen vertrauten Schweizer Architekten Carl Fingerhuth und Conradin Clavuot gehörten, entschieden sich unter den 32 eingereichten Arbeiten für das Projekt des Bozener Büros CeZ Calderan Zanovello Architekten, weil es sich fast so lesen ließ wie die dreidimensionale Übersetzung des Auslobungstexts. Entsprechend heißt es im Juryprotokoll: »Die selbstbewusste und doch subtile Eingliederung und der liebevolle, erfinderische und sinnvolle Umgang mit dem Bestand zeigt den Willen der Verfasser, einen respektvollen und doch Neues und Befreiendes bringenden Eingriff vorzunehmen.«

Im Anschluss erfolgte auf Grundlage des siegreichen Masterplans und der ebenfalls beauftragten Planung des Grundschulneubaus die gesetzlich vorgeschriebene Auslobung weiterer Realisierungswettbewerbe: beispielsweise der Umbau des Rathauses, die Erweiterung des ehemaligen Gasthauses »Schwarzer Adler« zum kulturellen Treffpunkt mit Vereinsräumen (Jugendgruppe, Schützen, Heimatbühne, Frauenchor) sowie der Neubau eines Kindergartens. All diese Verfahren konnten Calderan Zanovello Architekten aufgrund des jeweils preisgünstigsten Angebots für sich entscheiden – mit dem positiven Nebeneffekt, dass die im Umkreis von lediglich 100 m an der Hauptstraße Taufers liegenden Gebäude heute funktional und architektonisch miteinander verbunden sind und harmonieren.

Das neue Schulhaus für ca. 40 Grundschüler der ersten bis fünften Klasse platzierten die Architekten als Solitär an der Stelle eines baufälligen Altbaus unmittelbar an der Hauptstraße. Dass es sich hierbei auf den ersten Blick um ein außergewöhnliches Gebäude handelt, vermitteln allein schon die unregelmäßigen, teils flächenbündigen, teils in abgeschrägte Laibungen gesetzte Fenster sowie der abgerundete Übergang von Außenwand und Traufe (ein Merkmal, über das in der Region nur besondere Bauten verfügen). Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass es gleichzeitig ganz selbstverständlich in die bestehende Dorfstruktur integriert ist. Beispielsweise, weil seine Kubatur und die verputzten Wärmedämmbetonwände dem Erscheinungsbild der Nachbargebäude entsprechen, und weil es zusammen mit dem Schwarzen-Adler-Haus und einer 2006 nach Plänen von Christian Kapeller fertiggestellten Sporthalle einen kleinmaßstäblichen Dorfplatz bildet. Dieser Dorfplatz öffnet sich als neuer Kommunikationsraum im Zentrum Taufers in voller Breite zur Straße und ist dank dreier schmaler Treppen mit dem nach Norden ansteigenden Dorf vernetzt. Eine der Treppen führt über einen glasgedeckten Gang zwischen Sporthalle und Neubau zu dem vom 1. OG der Grundschule erreichbaren Pausenhof.

Vernetzung mit den Nachbargebäuden

So klein der schachbrettartig zum Dorfplatz versetzte und vor Straßenlärm geschützte Pausenhof auch ist, so wichtig ist seine Funktion als Vermittler zwischen den von hier aus erreichbaren alten, neuen, erweiterten bzw. noch zu erweiternden Gebäuden: Ein lang gestreckter Neubau, verknüpft mit dem unteren Geschoss des alten Mehrzweckhauses (hier befinden sich u. a. die Räumlichkeiten der örtlichen Feuerwehr), soll in einem nächsten Bauabschnitt den Kindergarten aufnehmen. In diesem Zusammenhang erhielt die Sporthalle einen zusätzlichen Eingang zum Pausenhof und einen Aufzug, um so die neu über dem Eingangsbereich der Sporthalle eingerichtete Mensa sowie die Sporthalle selbst für die Grundschüler und Kindergartenkinder barrierefrei zugänglich zu machen. Die dreigeschossige Schule öffnet sich zum Hof mit einer großflächigen Holz-Glas-Fassade, hinter der sich ein zweigeschossiger Flurbereich mit einer als Lehrküche dienenden Kinder-Küchenzeile befindet.

Der Haupteingang der Schule liegt unmittelbar am Dorfplatz, die eigentlichen Schulräume befinden sich in den beiden Obergeschossen. Den Großteil der Erdgeschossfläche nimmt eine Bibliothek ein, die sich dank großer Schaufenster in der Straßenfassade deutlich als öffentliche Einrichtung zu erkennen gibt. Als solche bietet sie neben einem umfangreichen Angebot an Büchern, Zeitschriften und Medien auch verschiedene Lesebereiche für Erwachsene und Kinder sowie eine von der Straße abgeschirmte Terrasse unterhalb des Schulgartens. Für die Dorfbevölkerung ist sie über einen eigenen Zugang von der Hauptstraße erreichbar, während Schülern und Lehrern ein Nebeneingang direkt im Eingangsflur der Schule zur Verfügung steht. An diesem zentralen Verteilerbereich liegen überdies der Computerraum und die Werkstatt der Grundschule und ein neu geschaffener interner Verbindungsgang zur Sporthalle. Dieser Gang spielt eine besondere Rolle, da die Halle nicht nur als Mehrzweckhalle und dem Schulsport dient, sondern auch als Ort für Schulveranstaltungen – auf eine eigene Aula wurde im Schulhaus aus Kosten- und Platzgründen verzichtet.

Natürliche Materialien

Der Weg zu den Klassenzimmern führt vom Eingangsflur, an der Bibliothek vorbei, über eine einläufige Treppe ins 1. OG. Ebenso wie der Verbindungsgang zur Sporthalle, die Eingangsbereiche der Gebäude am Dorfplatz und alle anderen Verkehrsflächen des Schulneubaus, verfügt die Treppe über einen Belag aus grauem Luserna-Gneis. Dieser Naturstein aus dem Piemont eignet sich aufgrund seiner hohen Widerstandsfähigkeit insbesondere sehr gut für fließende Übergänge von außen nach innen, wo in schneereichen Wintern mit einem hohen Wassereintrag zu rechnen ist. Für warme Farbtöne und eine angenehm natürliche Atmosphäre sorgen die im gesamten Gebäude verwendeten Lärchenholz-Paneele, die aus Brandschutzgründen mit einer transparenten Brandschutzbeschichtung versehen werden mussten. Sie finden sich als Wand- und Deckenbekleidung ebenso wieder wie bei Einbaumöbeln, Geländern, Türblättern und -zargen.

Neue pädagogische Konzepte

Trotz des großzügig verglasten Windfangs, trotz Glastür zur Bibliothek und Oberlicht im Gang zur Sporthalle – das EG wirkt unwillkürlich düster und kann es kaum verbergen, zur Hälfte in den Hang eingegraben zu sein. Im Gegensatz hierzu erscheint das 1. OG offen, luftig und hell. Hierzu trägt die Glasfassade zum Pausenhof, der großzügige Flur mit offener Lehrküche, aber auch der große Garderobenbereich an der Westfassade wesentlich bei. In der nordöstlichen Ecke des Gebäudes, mit strategisch günstigem Blick auf den Dorfplatz und den Pausenhof, liegt das Lehrerzimmer, während sich zwei Klassenzimmer an der Südfassade um einen »Ausweichraum« für Intensivierungsstunden gruppieren. Die Unterrichtsräume sind »offene Klassenzimmer«, die sich nicht zuletzt dank der beweglichen, flexibel konfigurierbaren Dreieckstische für offene und kommunikative pädagogische Konzepte eignen. Im 2. OG finden sich drei weitere Klassenräume, die sich von den anderen v. a. durch die sichtbar belassene Kiefernholzkonstruktion des Dachs und den noch eindrucksvolleren Blick in die umliegende Bergwelt unterscheiden.

Egal, ob städtebaulich, architektonisch oder funktional – der Schulneubau zeigt sich aus jeder Perspektive und auf jeder Maßstabsebene als überaus sorgfältig in sein Umfeld integriert, ohne sich diesem jedoch in irgendeiner Form anzubiedern. Gerade dies verleiht dem Gebäude jene Kraft, die den Dorfbewohnern signalisiert, dass ihr Bedürfnis nach qualitätvollen öffentlichen Einrichtungen ernst genommen wird. Man wird in ein paar Jahren an den Einwohner- und Kinderzahlen ablesen können, wie gut das Gesamtkonzept zur Neustrukturierung der öffentlichen Einrichtungen aufgeht. Mit den vernetzten neuen bzw. neu strukturierten Einrichtungen stehen die Chancen sicher nicht schlecht, dass die vor gut zehn Jahren in Angriff genommenen Pläne der Gemeinde aufgehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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