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db deutsche bauzeitung 12|2015
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Den Ort lesbar machen

Mittelpunktbibliothek Alte Feuerwache in Berlin

Wer in Berlin ein öffentliches Gebäude bauen will, sollte v. a. mit (wenig) Geld umgehen können und über Improvisationstalent verfügen. Besonders gelungen ist es, wenn man dem Ergebnis das gute Konzept, nicht aber die zahlreichen Einschränkungen ansieht. Den Architekten dieser Bibliothek in Schöneweide ist dies durch die einfühlsame Einbindung des Bestands und mithilfe einiger Tricks gelungen.

1. Dezember 2015 - Anke Lieschke
Niederschöneweide im Bezirk Treptow-Köpenick zählt zu den ruhigeren Stadtteilen Berlins. Abseits der Hauptverkehrsstraßen mag das auch so sein " an der Michael-Brückner-Straße, die Teil der Berliner Bundesstraße B96a ist, spürt man davon aber nur wenig. Stattdessen prägen der Straßenverkehr, die S-Bahn sowie eine Tankstelle mit Autowaschanlage das Bild und v. a. auch die akustische Wahrnehmung. Direkt gegenüber dieser nicht sehr einladenden Szenerie befindet sich eine unter Denkmalschutz stehende Feuerwache, die nun gemeinsam mit einem Neubau von Chestnutt_Niess Architekten als neue Mittelpunktbibliothek des Stadtteils genutzt wird.

Die Feuerwache wurde 1907/08 von Karl Alfred Herrmann gebaut. Für ein Feuerwehrgebäude scheinen die kleinteiligen Elemente ungewöhnlich, sie haben jedoch einen ganz pragmatischen Hintergrund: Der Schlauchturm diente gleichzeitig als Übungsobjekt für die Feuerwehrleute, die an Erkern, Vorsprüngen und Traufen das Anleitern und Aufsteigen trainierten. Nebenan befinden sich eine Schule und ein Pumpenhaus aus der gleichen Bauzeit.

Die Grundschule wurde im Rahmen der Stadterneuerung ebenfalls aufgewertet. Bibliothek, Schule und ein Nachbarschaftszentrum machen diesen Ort nun wieder zu einem Anlaufpunkt für die Anwohner.

Bestandsaufnahme

2009 wurde Chestnutt_Niess Architekten aus vier Büros ausgewählt und mit der Planung der Bibliothek beauftragt. Gleichzeitig begann die umfangreiche Sanierung im denkmalgeschützten Gebäude. Besonders wichtig war den Architekten, die schon mehrere Projekte im Bestand verwirklicht haben, den Ort lesbar zu machen. Jedes Gebäude erzählt ihrer Ansicht nach eine Geschichte, die es zu entdecken und weiterzuerzählen gilt. Chestnutt_Niess nahmen den Bestandsbau als Dreh- und Angelpunkt, indem sie den zweigeschossigen Neubau wie eine Spirale anordneten, die im Norden an den alten Schlauchturm andockt. Im EG gibt es zusätzlich eine Verbindung von Alt- und Neubau durch den eingeschossigen gläsernen Eingangsbereich. Von dort werden die Bibliothek, der Innenhof und auch die als Mehrzwecksaal genutzte ehemalige Wagenhalle erschlossen. Die Spiralform ist nicht nur im Grundriss, sondern auch im Schnitt ablesbar: Das Gebäude nimmt die Höhen der Feuerwache als Referenzpunkte auf. Daher fällt das Dach zum Altbau hin maßstabsschonend ab und fasst durch die Neigung auch den Innenhof ein. Der niedrigste Punkt befindet sich an der Ecke an der Eingangsbereich und Neubau aneinanderstoßen. Dann schlängelt es sich bis zur gegenüberliegenden Ecke im Osten nach oben und fällt danach wieder auf der anderen Seite Richtung Altbau ab.

Das Raumprogramm für die rund 85 000 Medien war eng und umfassend, das Budget knapp, dazu kommen Faktoren wie das kleine Grundstück und der hohe Grundwasserstand. Da eine Bibliothek keine Außenflächen benötigt, wurde das Grundstück unter Berücksichtigung der Abstandsflächen und der nötigen Feuerwehrzufahrt maximal ausgenutzt. Durch dieses Ausreizen der Flächen entstand in der Mitte genug Platz für einen Innenhof, der die Bibliothek belichtet und einen geschützten Außenraum bietet.

Weniger ist mehr

Betritt man die Bibliothek, hat man sofort einen Eindruck über alle Etagen. EG und OG sind wie Galerien über dem UG angeordnet. Deckenausschnitte, Lufträume und Fensteröffnungen sorgen für Großzügigkeit in der eigentlich eher kleinen Bibliothek mit 2 200 m² Hauptnutzfläche und dem Minimum an nötiger Raumhöhe. Die Geometrie des Gebäudes ist komplex, aber dank der Übersichtlichkeit leicht verständlich. Auch die Mitarbeiter der Bibliothek schätzen den Überblick und die intuitive Orientierung im Haus. Die Lufträume sind nicht übereinander gelagert, wodurch vielfältige Blickachsen entstehen und gleichzeitig der Schall besser verteilt und umgeleitet wird – nicht unerheblich in einer Bibliothek. Im OG sorgen gelochte Deckenelemente zusätzlich für Schallabsorption.

Das EG ist zum hellen Hof ausgerichtet, während sich das OG nach außen orientiert. Im OG gibt es keine Fenster zum Hof, was das Dach vom Innenhof aus sehr flächig und präsent erscheinen lässt. Die Wahl der Außenbekleidung verstärkt diesen Eindruck zusätzlich: Vorpatiniertes Zinkblech kam sowohl für die Fassade als auch für das Dach zum Einsatz. Im gesamten Gebäude gibt es – bis auf die 24h-Rückgabestelle an der Straßenseite – keine kleinteiligen Öffnungen. Stattdessen gliedern bewusst platzierte große Fensterflächen den Raum und schaffen so verschiedene Zonen. Im Norden erstreckt sich eine große Öffnung über beide oberirdischen Etagen und einen kleinen Teil des Dachs. Durch die niedrige Gebäudehöhe, den großen Abstand zum nächsten Gebäude und den Oberlichtanteil dringt trotz Nordausrichtung viel Licht ins Innere. Gerade zum Lesen sei dieses indirekte Nordlicht sehr angenehm, so die Architekten.

Um möglichst wenig Flächen zu verschwenden. sind in alle Außenwände und Brüstungen entweder Regale oder Arbeitstische integriert. Alles folgt einem einfachen Prinzip: Stützen, Kern und Decken sind aus Sichtbeton gefertigt, die hinzugefügten Elemente sind sozusagen auf die Konstruktion gestülpt. So ist sofort erkennbar, welche Elemente konstruktiv und welche gestalterisch sind. Für die Wandbekleidung haben die Architekten schlichte Sperrholzbretter verwendet. Als Bodenbelag wählten sie grünes Linoleum, das widerstandsfähig und günstig ist und zudem einen schönen Kontrast zum roten Backstein des Bestandsbaus bildet. Beim Sichtbeton hätten sie auf den ebenfalls eher robusten Eindruck aber gerne verzichtet. »Sichtbetonklasse 1 ist selten der Wunsch der Architekten, das hat natürlich mit Kosten zu tun«, so Rebecca Chestnutt bei der Besichtigung. Insgesamt mussten die Architekten aber kaum Kompromisse eingehen, vielmehr haben sie aus den Vorgaben und Einschränkungen ein Entwurfsprinzip gemacht.

Der Keller beginnt im 3.OG

Zu den Kniffen zählt u.a. die leichte Anhebung des EGs, wodurch sie für das UG weniger in die Tiefe gehen mussten. Die entstandenen Niveauunterschiede zur Straße und zum Bestand werden durch flache Rampen ausgeglichen. Kellerfläche ist teuer, und in Berlin steht das Grundwasser zudem recht hoch. Insgesamt ist das UG mit geringerer Fläche und wenig Nebenräumen für Technik kompakt und wirtschaftlich gehalten. Möglich macht das folgender Trick: In der Alten Feuerwache werden nur die unteren drei Geschosse als Verwaltungsräume und für den Mehrzwecksaal genutzt. Der Turm verfügt wegen seiner kleinen Grundfläche hauptsächlich über Verkehrswege. Hätte man diese Räume ebenfalls für die Bibliothek als Nutzfläche verwendet, hätte man nur wenig Platz gewonnen, wäre aber aufgrund der Höhe in die Gebäudeklasse 5 gerutscht " mit teuren Konsequenzen für den Brandschutz. Auch ein zusätzliches Treppenhaus wäre nötig geworden. Chestnutt_Niess haben daher fast die gesamte Lüftungs- und Heiztechnik in die oberen Turmgeschosse gelegt und sich so Platz im UG sowie strengere Auflagen gespart.

Etwa 50% der Regale sind in die Wände integriert, die andere Hälfte sind schlichte in den Raum gestellte Regale. Beide Regaltypen haben durch die hellen Fronten und dunklen Innenflächen Kontrast und Tiefe. Angesichts der Aussage, dass das Raumprogramm sehr viele Medien vorsah und der Platz begrenzt war, wirken die Regale überraschend leer. Das liegt an einer großzügigen Planung, die Wachstum einkalkuliert, aber auch an der erfreulichen Tatsache, dass die Bibliothek gut angenommen wird und daher nicht annähernd der gesamte Bestand in den Regalen steht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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