Zeitschrift

TEC21 2015|49
Gebäudebetrieb zwischen Anspruch und Wirklichkeit
TEC21 2015|49
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Was ist der «Performance Gap»?

Ausbessern, wenn das Resultat nicht mit der Absicht übereinstimmt: Simulationsingenieure untersuchen Ursachen für die Differenz zwischen berechnetem Energiebedarf und gemessenem Verbrauch in Gebäuden.

4. Dezember 2015 - Carina Sagerschnig
Traditionell beschreibt der «Performance Gap» die Differenz zwischen Planungszielgrössen und Messungen im Betrieb. Der Jahresenergieverbrauch kann zwischen dem Gebäudekonzept während der Planungsphase sowie dem gebauten und genutzten Gebäude erheblich abweichen. Besondere Brisanz erhält das Ausmass des «Performance Gap» bei der Auslegung und dem Betrieb von Null- bzw. Plusenergiegebäuden und der Gewährleistung des gewünschten Anlagenbetriebs.

Eine Schweizer Praxisstudie

Die Bewertung des «Performance Gap» setzt voraus, dass sowohl aus der Planungsphase als auch aus dem Betrieb ausreichend Informationen vorliegen. Eine lückenlose Dokumentation der Berechnungsgrundlagen ist ebenso erforderlich wie ein passendes Messkonzept und qualitativ hochwertige Messungen im Betrieb.

Um das Phänomen zu erörtern, wurden im Rahmen einer Studie des Vereins IBPSA-CH acht Schweizer Gebäude identifiziert, bei denen in der Planungsphase Gebäudesimulationen zur Anwendung gekommen sind und für die Messwerte aus der Betriebsphase vorliegen. Die betrachteten Gebäude umfassen sowohl Freizeiteinrichtungen, als auch Mehrfamilienhäuser und ­Bürobauten. In der Tabelle unten sind 6 der 8 Objekte aufgeführt. (vgl. auch «Monte-Rosa-Hütte», S. 29)

Die untersuchten Projekte machen deutlich, dass die Ursachen und Einflussfaktoren für den «Performance-Gap» sehr vielfältig sind und die Abwei­chungen von den Zielgrössen sowohl positiv als auch negativ ausfallen können. Aus den acht betrachteten Fallstudien können die folgenden häufig auftretenden Ursachen abgeleitet werden:
abweichende Nutzung des Gebäudes und der Anla­gentechnik (6  von 8 Gebäuden)
abweichende Anzahl der Gebäudenutzer (4 /8)
nicht-bedarfsgerechte Anlagensteuerung (3 /8)
unpassender Detaillierungsgrad des Simulations­modells (3 /8)
Installation von anderen bzw. zusätzlichen Verbrauchern (2 /8)
nicht nutzbare Messdaten in Folge zu hoher Mess­ungenauigkeit bzw. fehlerhafter Installation.

Der so aufgestellte Katalog bildet die Grundlage dafür, die grössten und häufigsten Einflussfaktoren auf den «Performance-Gap» zu bestimmen und Handlungsempfehlungen zu formulieren.

Bewusste Planungsunsicherheiten

Die Ausführungen zeigen, dass es zur Gewährleistung einer gewünschten Energiebilanz auch während der Betriebsphase drei Dinge braucht:
schon während der Planungsphase die Betrachtung von Gebäudenutzung, Spezifikation und Bauqualität als über die Zeit veränderlich ein kontinuierliches Betriebsmonitoring während der Gebäudenutzung
ein erweiterbares Modell des Gebäudes und der Gebäudetechnik.

Mögliche Abweichungen von ursprünglichen Zielgrössen im späteren Betrieb sollen die Anwendung
und Vorteile von Gebäudesimulationen in der Planungsphase nicht einschränken, da «Performance Gaps» ­unabhängig von der angewandten Methodik auftreten. Vielmehr sollte das Bewusstsein für Planungsunsicherheiten stärker im Planungsalltag verankert werden. Unsicherheitsbetrachtungen, Szenariorechnungen und Risikoabschätzungen zur Robustheit können mit Hilfe von Gebäudesimulationen als fixer Bestandteil der ersten Projektphasen die spätere Qualität sicher stellen.

Der «Performance Gap» soll zu Vergleichen ­anspornen, um herauszufinden welche Ursachen das Nicht-Erreichen der idealen Zielgrössen hat. Ab­weichungen können erste Hinweise auf Optimierungspotentiale geben und somit Ansatzpunkte für eine ­Betriebsoptimierung sein.

Viele Annahmen in Planungs-Frühphase

Die steigenden Anforderungen an Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, flexible Raumkonzepte und Regelungsstrategien und die daraus resultierende zunehmende Komplexität in der Planung von Gebäuden und ihren Systemen erfordert integrale Prozesse. Händische Ermittlung von Planungsparametern (aus Tabellen, mit Standartwerten, mit Schematischen Lösungen, Dreisatz) können diese Anforderungen oft nicht mehr abdecken; die Unterstützung von computergestützten Gebäudesimulationen wird nötig.

Der Einsatz von Programmen zur dynamischen Gebäudesimulation ermöglicht es, diese Komplexität zu adressieren. Er ermöglicht, alle Teilaspekte abzudecken und integriert miteinander zu betrachten. Die Ergebnisse bilden oft eine Entscheidungshilfe für komplexe Problemstellungen. Jedoch hat der Einsatz von Gebäudesimulationswerkzeugen in der Schweizer Planungs- und Betriebspraxis bislang eine eher untergeordnete Rolle. Einerseits werden monetäre und zeitliche Mehrkosten heute noch nicht berücksichtigt und andererseits stehen viele Parameter bei der Planung noch nicht fest, die als Eingabe nötigt wären. Bei Gebäudesimulationen in frühen Projektphasen müssen folglich viele Annahmen (z.B. Belegungsdichte, Nutzungszeiten) getroffen werden. Werden später die berechneten Ergebnisse aus der Frühphase mit z.B. den tatsächlich gemessenen Energiedaten aus dem realen Betrieb verglichen, erstaunt es nicht, dass ein «Performance Gap» auftritt. Ein bekanntes Beispiel ist die Monte Rosa Hütte (vgl. S. 29), deren Beliebtheit dazu führte, dass die Belegungszahlen bis zu 70 % über den Planungswerten lagen und zu einem deutlich höheren Energieverbrauch führten.

Oft wird der «Performance Gap» kritisiert und der Fehler bei der Simulation gesucht. Hierbei wird jedoch nicht beachtet, dass sich in der Regel im Laufe der einzelnen Projektphasen und im späteren Betrieb die Randbedingungen ändern und die Annahmen aus der frühen Planungsphase nicht mehr zutreffen. Somit ist die Grundlage für die Simulationsergebnisse nicht mehr aktuell. Für aussagekräftige Vergleiche müssten die Grundlagen in solchen Fällen angepasst und neue Simulationen durchgeführt werden.

Mit der stetigen Verschärfung der nationalen aber auch europäischen Normwerke und dem mittelfristigen Ziel, Net-Zero Energiebilanzen zu erzielen, werden die Differenzen zwischen Zielwerten während der Planung und dem Betrieb stärker wahrgenommen. Der zwischen dem Vorprojekt und der Betriebsphase kann sich aus den einzelnen oder kumulierten «Performance-Gaps» zwischen Vorprojekt und Bauprojekt bzw. Bauprojekt und Bewirtschaftung zusammensetzen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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