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db deutsche bauzeitung 03|2016
Holz
db deutsche bauzeitung 03|2016

Mit Bauch und Hirn

Kinder- und Familienzentrum in Ludwigsburg-Poppenweiler

1. März 2016 - Christian Holl
Auf Klischees kindgerechten Bauens haben die Architekten beim Bau dieses Kinder- und Familienzentrums erfreulicherweise verzichtet. Sie haben sich darauf konzentriert, Klarheit durch reduzierte und abstrahierte Formen zu schaffen. Zum Glück sind sie auch darin nicht zu weit gegangen.

Poppenweiler ist heute zwar ein Stadtteil von Ludwigsburg, bis 1975 war es aber eine selbstständige Gemeinde. Durch Neckar und Felder von der Kernstadt getrennt, hat sich der etwas mehr als 4 000 Einwohner zählende Ortsteil seinen ‧eigenständigen, von Landwirtschaft und Weinbau geprägten Charakter bewahrt. Direkt an die ehemalige Kelter grenzt das Schul- und Freizeitgelände Poppenweilers. Grundschule, Turn- und Schwimmhalle sowie zwei Sportplätze sind dort um ein Familien- und Kinderzentrum erweitert worden. Dazu hat die Stadt ein Wohnhaus aus den frühen 90er Jahren aufgekauft und kleinere Nachbargebäude abgerissen. Für den Umbau des Wohnhauses und den Neubau des Kindergartens ist das junge Büro VON M Architekten aus Stuttgart in einem VOF-Verfahren u. a. jungen Büros ausgewählt worden.

In der Abstraktion liegt die Kraft

Der Entwurf nimmt Elemente des Bestands und der Umgebung auf und entwickelt daraus eine ruhige, abstrahierende Sprache. Der Bestandsbau hatte Loggien, die geschlossen wurden sowie einen vorstehenden Erker mit Balkonen, der bis auf die Ebene der Längswand rückgebaut wurde, auch der Dachüberstand wurde auf ein Minimum reduziert. Der mit einem WDVS und einem sandfarbenen Putz versehene Altbau lässt sich nun nicht mehr ohne Weiteres zeitlich einordnen – man könnte ihn auch für ein deutlich älteres, saniertes Bauernhaus halten. An ihn schließt sich der Neubau des Kindergartens mit 103 Plätzen an, von denen 30 für die Kleinkinderbetreuung reserviert sind. Die Traufkante des Bestands wird übernommen, ansonsten aber unterscheidet sich der Neubau deutlich. Das war auch das erklärte Ziel und einer der Gründe für die Wahl von Holz als Konstruktions- und Fassadenmaterial. Die Gemeinde war einverstanden, gerade für Kindergärten und Kitas ist Holz ein auch von den Bauherren geschätztes Material. Inspiriert wurden die Architekten zudem von den Remisen, Anbauten und Scheunen der Bauernhöfe, wie sie für die Region typisch und im Ort sowie in der unmittelbaren Nachbarschaft zu finden sind. Doch letztlich sei die Entscheidung für Holz aus dem Bauch heraus gefallen, so Dennis Müller, einer der Architekten.

Auch wenn mit den durch die unterschiedliche Dachneigung voneinander getrennten Segmenten auf die Kleinteiligkeit der Umgebung Bezug genommen wird, so hat der Neubau doch nichts von einer sentimentalen Reminiszenz an landwirtschaftliche Gebäude oder ängstlicher Anpassung, sondern formuliert in der Klarheit des (großen) Baukörpervolumens eine eigene Sprache, die das Bild variiert, das wir von der Grundform des Hauses haben. Damit diese Konzeption überzeugt, musste sorgfältig geplant werden. Das Holz ist im Fassadenbereich durchgehend mit einer mit Aluminiumpartikeln versetzten Lasur behandelt, die den Eindruck des natürlich ergrauten Holzes vorwegnimmt, ohne dass die Schattierungen auftreten, die sich ohne diese Lasur unweigerlich ergeben würden. Die vertikale Lattung aus Fichteleisten, offen vor den Fenstern, als Boden-Deckel-Schalung vor den Wänden, wird lediglich im Bereich der Geschossteilung unterbrochen und vereinheitlicht die Straßenfassade. Dass der Kindergarten nach Süden, zur Straße hin geschlossen ist und keine Freiräume angelegt sind, liegt daran, dass die Anwohner direkt gegenüber nicht gestört werden sollten – auch der Eingang wurde deswegen auf die Nordseite gelegt. Man hat sich darauf konzentriert, den Baukörper nach Norden großzügig mit bis zum Boden reichenden festverglasten Fenstern zu öffnen. Öffnungsflügel liegen hinter den auf Lücke gesetzten Fassadenbekleidungen und sind von außen nicht sichtbar. Dank des nach Norden abfallenden Grundstücks kann sich das halb im Erdreich liegende EG, in dem die Kleinkinder betreut werden, ebenerdig an den Außenraum anschließen.

Konstruiert ist der Kindergarten aus vorgefertigten Holzständertafeln in Schottenbauweise, die Ständerkonstruktion aus Fichte ist mit DWD-Platten außen und OSB-Platten innen beplankt. Dach und Geschossdecken wurden aus massivem Brettsperrholz gefertigt. Eine Splittschüttung unter dem Estrich half, die Lärmschutzwerte einzuhalten. In die auf dem Betonfundament montierten Tafeln ließen sich die umfangreichen Technikinstallationen (u. a. für eine kontrollierte Be- und Entlüftung) integrieren. Konstruktionsebene und Technikebene der Tafelelemente verspringen am Schnittpunkt der unterschiedlich geneigten Dachflächen gegeneinander – so konnte die Geometrie der Dächer auch konstruktiv schlüssig bewältigt werden, die Giebelaußenflächen liegen in derselben Ebene. Auch das ein Vorteil des Bauens mit vorgefertigten Holzelementen – ihn zu nutzen bedarf es freilich umso sorgfältigerer Planung, denn Fehler können vor Ort nicht mehr gutgemacht werden.

Lebendig durch Variation

Bis auf die innenliegenden Sanitärbereiche und Schlafkojen im EG, die mit farbig beschichteten Gipskartonplatten bekleidet wurden, sind die Holztafeln mit hell lasierten Dreischichtplatten beplankt. Sie hellen die Räume auf, vor Ort wirken sie glücklicherweise weniger steril, als es auf den Bildern den Anschein hat. Grundsätzlich haben die Architekten nur an wenigen Stellen Farbe eingesetzt: die Lebendigkeit kommt durch die Kinder und die Nutzung, so die Überzeugung. Die helle Lasur mindert die Dominanz der Maserung; aus Kostengründen wurde darauf verzichtet, auf die beste Oberflächenqualität zurückzugreifen. Und tatsächlich liegen die Kosten für den Neubau in einem moderaten Bereich: mit etwa 1750 Euro pro Quadratmeter reine Baukosten ist man innerhalb des vorgegebenen Gesamtbudgets von rund 3,8 Mio. Euro geblieben.

Die Raumaufteilung folgt der Konstruktion, drei Galerien im DG sind untereinander über einen Gang verbunden, Einschnitte im OG sorgen dafür, dass auch in die im Erdreich liegenden Bereiche des EGs ausreichend Licht fällt. Die Fläche der Galerien ist soweit reduziert, dass sie baurechtlich nicht als DG ‧gewertet wird, was den Brandschutz erheblich erleichtert: Fluchtwege in beide Längsrichtungen der untereinander verbundenen Räume erfüllen die Anforderungen ausreichend, die Abbrandraten werden entweder durch die Dimension der Beplankung oder durch die Verwendung von Gipskartonplatten gewährleistet.

Die Verbindung der Räume ist aber auch aus Sicht der Nutzung sinnvoll. Im Kindergarten sind die Räume nicht nach Gruppen, sondern thematisch geordnet – einer ist Lesen und Spielen vorbehalten, die weiteren für Theater und Kunst, Rollenspiel sowie Werken eingerichtet. Ein Musikraum ist im Altbau, in dem sich auch eine Küche und ein Essraum, die Büros und ein getrennt zugänglicher Familienraum befinden. Dieser kann für Besprechungen, kleine Veranstaltungen, Seminare oder auch einfach nur als Treffpunkt genutzt werden. Als Bodenbelag wurde meist graues Linoleum verwendet. Die Möbel und Einbauten sind größtenteils von den Architekten zum Preis von Serienprodukten entworfen worden, einige wurden auch aus den hier zusammengefassten Einrichtungen übernommen. Man mag das z. T. aufgenommene Hausmotiv etwas überstrapaziert finden, allerdings drängt es sich einem vor Ort nicht übermäßig auf.

Das Hausmotiv, das dem Entwurf zugrunde liegt, ist glücklicherweise im Gesamten mehr eine intellektuelle Stütze, als ein sich in den Vordergrund spielendes Element. Das, in Verbindung mit Holzfassaden gerade im ländlichen Kontext schon seit geraumer Zeit überstrapazierte Bild des vermeintlichen Haus-Urtyps ist schließlich nur ein Konstrukt. Es bekommt hier dank der variablen Interpretation eine Lebendigkeit, derer es bedarf, um nicht zum unhinterfragten Klischee zu verkümmern.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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