Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 04|2016
Wohnen – gut und günstig
db deutsche bauzeitung 04|2016

Gruppendynamik

Wohnquartier »Urbanes Wohnen mit der Sonne« in Münster

3. April 2016 - Jan Rinke
Der Bau von Sozialwohnungen ist ohne eine Mischung mit teureren Angeboten derzeit nicht wirtschaftlich darstellbar. Die 60 geförderten Einheiten und 32 Eigentumswohnungen im Süden von Münster sind baulich explizit nicht voneinander unterschieden. Sie profitieren trotz vergleichsweise klassischer Merkmale wie Zeilenbau, Massivbauweise und Lochfassade von differenzierten Außenräumen und punkten mit Übersichtlichkeit, Privatheit, aber auch Offenheit und gestalterischem Gespür, sodass eine »Adresse« entstehen konnte.

Es geht ein Zombie um in der Wachstumsstadt Münster. Für die Beobachter der Stadtentwicklung trägt dieser Zombie rote Hosen (Klinker im Parterre) und einen weißen Pullover (Wärmedämmverbundsystem an den oberen Stockwerken). Die Baukultur-Szene befürchtet, das Ziel, 3 000 neue Wohnungen pro Jahr zu errichten, werde zu Billigbauten führen, die höchstens Buntspechte erfreuen. Diese lieben den Fassadensound beim Erhämmern kuschelig gedämmter Bruthöhlen. Selbst das stadteigene Wohnungsunternehmen Wohn+Stadtbau plant trotz des Eigeninteresses gegen Ghettobildung derzeit ein solches Quartier mit billiger Anmutung.

Mit dem Wohnquartier Scheibenstraße von 3pass aus Köln beweist derselbe Bauherr aber: »Wir können auch anders.« Von der städtebaulichen Konzeption, der Freiraum- bis zur Ausführungsqualität setzt das Projekt solide Maßstäbe für das Ziel, den überhitzten Wohnungsmarkt gerade im Segment für Single- und Zweipersonenhaushalte zu entspannen. Für dieses Projekt hat die Wohn+Stadtbau jetzt den Ausloberpreis der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen bekommen. Mit dem anderen Projekt wird sie keinen Blumentopf gewinnen.

Skaterlegende Titus Dittmann betreibt gegenüber der Wohnanlage in einer alten Gewerbehalle seinen »Skaters Palace«. Über den Sport betreibt er u. a. Integrationsarbeit für geflüchtete Jugendliche. Austausch und Zugang zur Gesellschaft befördert auch die Wohnanlage. Sie öffnet sich zu allen Seiten und signalisiert damit: Hier geschieht keine Ausgrenzung. Ein Drittel der Wohnungen ist öffentlich gefördert und damit sozial gebunden. Nach außen ist der Anteil dieser Wohnungen an den viergeschossigen Gebäudeteilen erkennbar, die aufgrund der besseren Flächenausnutzung günstiger realisiert werden konnten. Die Eigentumswohnungen in den kostenintensiveren Dreigeschossern waren bereits kurz nach Fertigstellung im April 2015 vollständig vermarktet. Der Bauherr verkaufte sie innerhalb kürzester Zeit, ganz im Gegensatz zu einem Gated-Community-Projekt eines anderen Bauherrn, das in Münster floppte, bis der Investor es schließlich verramschte.

Das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Projekt von 3pass umfasst sieben Baukörper in West-Ost-Ausrichtung. Vier dreigeschossige Volumen auf polygonalen Grundflächen sind zwischen drei auf die westliche und östliche Quartiersseite aufgeteilte viergeschossige Gebäuderiegel eingestellt. Der Wettbewerbsentwurf sah noch eine komplett viergeschossige Bebauung vor. Nach Einwänden gegen die Bebauungsdichte im vorhabenbezogenen Bebauungsplanverfahren und intensiven Modellstudien der Architekten zu Besonnung und Verschattung entstand schließlich die realisierte Differenzierung. Die ‧resultierende GFZ liegt aber immer noch bei stolzen 1,1.

In Nord-Süd-Ausdehnung ergeben sich dazwischen Freiräume, die sich unregelmäßig weiten und verjüngen, und über welche die Baukörper von den Zugängen zur Wohnanlage her erschlossen sind. In der warmen Jahreshälfte dienen diese Räume dem vielfältigen Nachbarschaftsleben. Sie verknüpfen das Quartier mit dem angrenzenden Wegenetz. Dadurch ist der Zugang zum lokalen Busnetz sowie zu verschiedenen Sozialeinrichtungen gegeben. Kindertagesstätte und Services für ältere und behinderte Menschen liegen in fußläufiger Entfernung. Die Nahverkehrsanbindung ermöglichte eine Reduktion der von der Bauordnung verlangten Anzahl an PKW-Stellplätzen im Quartier.

Sowohl die Höhendifferenzierung als auch das Ausscheren der Raumwände aus der Geradlinigkeit spielen mit dem Thema subtiler Abweichungen und lassen im Außenraum keine Monotonie aufkommen. Die im Quartiersinnern von der Parallelen abweichenden Wände erzeugen räumliche Dynamik.

Ein einheitlich gelblicher Klinker verblendet, sorgfältig gefügt, alle sieben Volumen. Selbst bei trüber Witterung sorgt das helle Beige-Gelb der Klinkerfassaden für eine freundlich-warme natürliche Belichtung der zum Freiraum orientierten Wohnungen. Die kompakten Wohnungen wirken erstaunlich großzügig, wozu auch beiträgt, dass Flurzonen auf ein Minimum reduziert sind, wodurch Tageslicht alle Räume durchfluten kann.

Die einheitliche, auf dauerhafte Qualität ausgelegte und entsprechend sorgfältig detaillierte Klinkerfassade signalisiert Gemeinschaft und Zusammenhang der Baukörper. Unterschiedliche Kubaturen und zu allen Seiten der Anlage sich öffnende Freiräume setzen Individualität und Offenheit dagegen. Keines dieser Prinzipien dominiert, sie sind gut austariert. Wenn die Wohnanlage so ein Modell der (Stadt-) Gesellschaft ist, darf man in Münster angesichts der Integrationsaufgaben sagen: »Wir schaffen das.«

Eine Adresse haben

Zur Kostenbegrenzung wurden in den geförderten Gebäuderiegeln bisher keine Aufzüge eingebaut. Der Raum für Über- und Unterfahrt optional nachzurüstender Aufzüge ist aber bereits über und unter dem großzügig bemessenen Treppenauge vorhanden. So konnte der Erschließungsstandard günstig gehalten werden. Dem Wertverfall durch den Ausschluss einer Anpassung an Bedürfnisse alter und behinderter Bewohner wurde damit vorgebeugt. Gleichzeitig ergibt die Dimensionierung der ohne besondere Gestaltungsmerkmale schlicht gehaltenen Treppenräume eine Großzügigkeit, die man in der Erschließung von Sozialwohnungen nicht erwartet. Auch Leistungsbezieher haben hier eine gute Adresse. Hierin, wie auch an der Qualität der Fassade, zeigt sich das Interesse des Bauherrn an seinem Gebäudebestand und der Qualität der Stadt. So macht das Wohnungsunternehmen Wohn+Stadtbau mit diesem Quartier seinem Namen alle Ehre, es baut nicht bloß Wohneinheiten, sondern die Stadt mit. Es setzt damit Maßstäbe und muss sich einmal selbst daran messen lassen. An diesem Projekt messen darf man auch, dass andere Städte das wertvolle Instrument der eigenen Wohnungsbaugesellschaft zur Haushaltssanierung voreilig aus der Hand gegeben haben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: