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db deutsche bauzeitung 06|2016
Ausstellung gestalten
db deutsche bauzeitung 06|2016

Bar jeder ­Bergidylle

Sonderausstellung »FRONT – HEIMAT«. Tirol im Ersten Weltkrieg in Innsbruck (A)

Unter Verwendung natürlicher Materialien, weniger ­Formen und dezenter Farben entwickelten die Architekten ein veränderbares Ausstellungssystem, das die dargestellten Themen auch architektonisch erfahrbar macht und in das die einzelnen Exponate wie eingewoben sind. Die variable Struktur zieht sich konsequent durch die Ausstellungsgestaltung und setzt das sensible Thema »Tirol im Ersten Weltkrieg« angemessen in Szene.

3. Juni 2016 - Ulrike Kunkel
Fläche und Linie – darauf basiert ganz wesentlich das bestechend klar und einfach gehaltene architektonische Gesamtkonzept der Ausstellung »Front – Heimat« von münzing architekten aus Stuttgart am Tiroler Landesmuseum in Innsbruck. Vertikal oder horizontal angeordnet, verdichtet oder aufgeweitet, nebeneinander oder ineinander verschränkt, geordnet oder in Unordnung geraten: Das System aus Flächen und Linien wird über die neun Ausstellungsstationen jeweils variiert und verdeutlicht so auf architektonische Weise die dargestellten Themen eindrücklich für den Betrachter.

Ordnung und Unordnung

Die Sonderausstellung (gezeigt von Mai bis November 2015) thematisierte auf rund 1 200 m² auf zwei Ebenen die Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Kriegsende in Tirol. Mit dem Kriegseintritt Italiens am 23. Mai 1915 wurde auch Tirol zum Kriegsschauplatz und in den Alltag der Bevölkerung, in ihre Heimat, drängte sich die Frontlinie hinein – daher auch der Ausstellungstitel Front – Heimat. Erzählt wird aus der Perspektive von Einzelpersonen, das besondere Augenmerk liegt auf dem Menschen und seinen alltäglichen Erfahrungen und Katastrophen in dieser Zeit. Als Grundthema gingen die Architekten, die frühzeitig in die Überlegungen zum Ausstellungskonzept mit einbezogen wurden und dieses mit entwickelten, den Fragen nach: Was verändert sich, wenn plötzlich in der Heimat eine Front entsteht? Welche Umwidmung erfahren gewohnte Gegenstände, Themen und ­Situationen in Kriegszeiten? Um das zu beantworten und für den Besucher nachvollziehbar zu machen, bildet den Auftakt der Ausstellung eine Art ­Bestandsaufnahme Tirols im frühen 20. Jahrhundert. Mit wenig Text und zahlreichen Objekten wie Tourismusplakaten, Modelleisenbahnen, Möbeln und Gebrauchsgegenständen wird ein Stimmungsbild erzeugt. Die Ausstellungsarchitektur ist hier klar und geordnet, wie das ungestörte Leben vor Kriegseinbruch, Flächen und Linien bilden Räume für verschiedene Situationen, die skizzenhaft Eindrücke vermitteln.

Nachdem der Besucher zunächst also auf die damalige Zeit eingestimmt ­wurde, kommen am sogenannten Strategietisch und in den Rahmenstruk­turen gegenüber geschichtliche Fakten und Hintergründe hinzu. Daran ­anschließend, in einem immer dichter und unübersichtlicher werdenden »Stelenwald« werden Einzelschicksale anhand von Totenbildern und Totenbüchern dargestellt; der Krieg wird präsent, die Geschichten der Front stören den Alltag und prägen ihn. Dies wird auch über die Ausstellungsinstallation vermittelt: Die Struktur beginnt sich aufzulösen, die Installation lässt den Raum nach hinten hin immer enger werden, der Besucher wird (durch den Krieg) bedrängt und eingeengt. Verstärkt wird dieser Eindruck zusätzlich durch die gegenüber liegende, sich schräg in den Raum schiebende Medienwand, auf der über projizierte Bilder und Schlagzeilen von Flugblättern und Zeitungen den persönlichen Schicksalen die offizielle Kriegspropaganda ­gegenübergestellt wird. Die riesige Wand verbindet außerdem die beiden Ausstellungseben miteinander; entlang einer künstlerischen Großgrafik auf der Rückseite gelangt der Museumsbesucher ins OG. In einer Punktewolke werden hier die gefallenen Tiroler Soldaten sinnbildlich dargestellt.

In der nächsten Sektion, »Hinterland« (hinter der Front), begegnen einem wiederum Alltagsgegenstände und -themen, nun aber durch den Krieg in ­ihren Funktionen umdefiniert. Die in den ersten Ausstellungsstationen noch stehenden Rahmenstrukturen sind wie in sich zusammengefallen und in­einander verschränkt.

Die definierten Flächen sind hier weitgehend als Flachvitrinen ausgebildet, in ihnen und auf der Holzstruktur direkt sind die Expo­nate verteilt. Ebenso die begleitenden Objekt- und Ausstellungstexte, die, ­­wie angepinnt, mal in der Vitrine, mal auf dem Holz, mal neben, dann wieder über dem Objekt angeordnet sind. Die nicht definierte Platzierung, die ­unterschiedlichen Formate sowie die gewählte Typografie nehmen Bezug auf ­Aushänge und plakatierte Bekanntmachungen in der Zeit des Ersten ­Weltkriegs.

Natürliche Materialien, dezente Farben

Die von den Architekten für die gesamte Ausstellung gewählte zurück­haltende Farbigkeit hat etwas Natürliches; sie orientiert sich am Menschen. So sind die Flächen, auf denen die Exponate präsentiert werden, in zartem Matt-Rosa gehalten.

Die durchgängig verwendete Rahmenstruktur aus gehobelten Kanthölzern ist an den ersten Stationen der Ausstellung noch dunkler, kontrastreicher lasiert, zum Ende hin wird die Lasur immer heller und dezenter: Das Leben, das Gewohnte ist in Auflösung begriffen, die Ausstellungsarchitektur ist es ebenfalls und auch die Farbe schwindet mehr und mehr.

Von der Sektion »Hinterland« aus hat man den Blick »an die Front«. Ein ­zerlegtes Großfoto (gedruckt auf Stoff) zeigt den mühsamen Aufstieg der ­Soldaten zur Frontlinie. In dieser Sektion strebt auch die Architektur nach oben; die Holzrahmen wachsen in die Höhe, ähnlich einem Gebirge entstehen Spalten und Nischen, die die Objekte beherbergen. Der Besucher bahnt sich den Weg hindurch und wieder zurück, bevor er sich im mittleren Bereich des Ausstellungsraums abermals mit persönlichen Kriegsschilderungen u. a. in Form von Briefen sowie offizieller Berichterstattung konfrontiert sieht.

Den Abschluss bildet das »Plateau der Funde«. Wie Eis- oder Erdschollen ­liegen die begehbaren Flächen auf dem Boden, leicht angehoben durch Kanthölzer; in den spaltenartigen Zwischenräumen befinden sich die Exponate ­direkt auf dem Boden. Es sind archäologische Funde des Ersten Weltkriegs, die erst mit der Zeit freigegeben wurden.

Das Ausstellungsprojekt war bereits die sechste erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen münzing architekten und dem Tiroler Landesmuseum. Das »bestehende Grundvertrauen«, so Uwe Münzing, »merkt man dem Ergebnis durchaus an.« Beide Seiten profitieren auch davon, dass die Architekten mit der nicht ganz einfachen Raumsituation – im Grunde ein großer Erschließungsbereich, der ursprünglich nicht für Ausstellungen vorgesehen war – bereits vertraut sind. So konnte dieses komplexe Projekt in kürzester Zeit quasi Hand in Hand zwischen Kuratorin, Architekten und der Werkstatt des Museums überzeugend entwickelt und umgesetzt werden. Wollen wir hoffen, dass es nicht das letzte war!

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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