Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 07-08|2016
Polen
db deutsche bauzeitung 07-08|2016

Städtebauliche Anschubhilfe

Internationales Kongresszentrum MCK in Kattowitz ­(Katowice)

Über die Jahre wurde ein mitten in der Stadt gelegenes Zechengelände zum Kulturareal umgestaltet. Das Kongresszentrum MCK versucht den Spagat zwischen enormer Baumasse und wie selbstverständlich wirkender Parklandschaft. Begehbare Gründächer und expressive Formen machen den Neuzugang unverwechselbar und zum beliebten Aufenthaltsort. Der Mangel an städtebaulicher Vorplanung ließ sich dadurch aber leider nicht ausgleichen.

1. Juli 2016 - Krzysztof Mycielski
In der postindustriellen Stadt Kattowitz in Oberschlesien sind sich die Befürworter und die Gegner des modernen Städtebaus bis heute nicht einig geworden. Die Diskutanten identifizieren sich jeweils mit zwei sehr unterschiedlichen Stadtfragmenten. Der südliche Teil der Innenstadt, der bis zum Ende der 30er Jahre errichtet wurde, weist eine Blockrandbebauung mit einem traditionell angelegten Netz aus intimen Straßen und Plätzen auf, die heute mit gutem Willen problemlos in vollwertige öffentliche Räume umgestaltet werden könnten. Der nördliche Teil der Innenstadt ist in der Zeit entstanden, in der Kattowitz zum repräsentativen Bergbauzentrum des kommunistischen Polen wurde, als konsequente, abstrakte Komposition aus einzelnen freistehenden Großobjekten. Den Schwerpunkt dieses Bereichs, der heute als Zentrum der Stadt gilt, bildet ein großer Kreisverkehr, an dem sich die breite Korfanty-Allee und eine mehrspurige Durchgangsstraße treffen.

Als Point de vue schiebt sich eine expressive Sport- und Konzerthalle in die Perspektive der Allee. Aufgrund ihrer ausdrucksstarken Form von den Bewohnern als Untertasse (Spodek) bezeichnet, steht die Großform beispielhaft für die modernistische Architektur der frühen 70er Jahre (s. auch db 7/2008, S. 14-16).

Der Streit um die städtebauliche Identität der zukünftigen Straßenräume in Kattowitz erreichte 2006 seinen Höhepunkt beim Wettbewerb für den Umbau des Stadtzentrums. Der Siegerentwurf sah rund um die modernistische Korfanty-Allee eine dichtere Bebauung und qualitativ hochwertigen öffentlichen Raum in einem für die Menschen überschaubaren Maßstab vor. Die Idee wurde von den Verfechtern des von Le Corbusier propagierten Architekturstils blockiert. Sie befürchteten die Zerstörung zahlreicher einzigartiger Objekte der modernistischen Ära. Das Ergebnis der Debatte überraschte die Stadtplaner und Architekten aus vielen anderen Städten Polens, die mitunter bereits seit zwei Jahrzehnten die Rückkehr zur traditionellen Städteplanung befürworteten und in die Tat umsetzten.

Die Kattowitzer Behörden haben die Korfanty-Allee deshalb ein Jahrzehnt lang außer Acht gelassen und stattdessen ab 2000 eine alternative Vision der Innenstadt verfolgt.

Auf einer Fläche von 20 ha in unmittelbarer Nähe zum »Spodek«, an der Stelle des aufgelassenen Bergwerks Katowice, wurde eine sogenannte Kulturzone errichtet. Sie besteht aus drei benachbarten repräsentativen öffentlichen Gebäuden: dem Schlesischen Museum, der Philharmonie des Nationalen Symphonieorchesters des Polnischen Rundfunks und des Internationalen Konferenzzentrums (MCK – Międzynarodowe Centrum Kongresowe w Katowicach). Das mehr oder minder gleichzeitige Entstehen dreier wichtiger Kulturstätten mit attraktiver Architektur führte zur Verdopplung des Reiseverkehrs. Dennoch stieß die Kulturzone auf ernst zu nehmende Kritik vieler Planer und Stadtaktivisten: Der neue Innenstadtabschnitt neben der stark befahrenen Hauptverkehrsstraße beeindruckt zwar durch ikonische Objekte, aber eben nicht durch den öffentlichen Raum dazwischen, dessen Potenzial ungenutzt bleibt. Die alte modernistische Sünde der Separierung von Funktionen wurde hier wiederholt. Auch das Zusammenbinden umliegender Stadtteile oder gar das Einbeziehen der benachbarten Städte, die zusammen mit Kattowitz einen der bevölkerungsreichsten Ballungsräume in Polen bilden, unterblieb. Zwischen den Gebäuden fehlen attraktive Funktionsbereiche, die städtisches Leben hervorbringen könnten. Die sporadische Bespielung der weitläufigen Parkplätze mit pointierten Kunstaktionen, Street Art und alternativer Musik allein wird aus diesen überdimensionierten Räumen noch keine Kulturlandschaft, geschweige denn einen innerstädtischen Ort machen. Es ist der Kulturzone anzumerken, dass sie ohne einen Masterplan, lediglich auf der Grundlage schnell erstellter Raumstudien entstand – eine Art Improvisation, das Ergebnis einzeln ausgeschriebener Architekturwettbewerbe.

Man darf jedoch betonen, dass sich die ausgewählten Architekturbüros durchaus Mühe gaben, auf den jeweils zugewiesenen Parzellen wertvollen öffentlichen Raum zu schaffen. Die Grazer Riegler Riewe Architekten haben das Schlesische Museum (s. db 7-8/2016, S. 40) ganz unter die Erdoberfläche verlegt und auf dem Dach eine öffentliche Terrasse mit Blick auf das Stadtpanorama eingerichtet. Die schlesischen Architekten der Philharmonie haben ein kompaktes Gebäude in der Grundstücksecke entworfen, sodass vor dem Haupteingang ein Platz in einem traditionellen städtischen Maßstab mitsamt Springbrunnen entstehen konnte. Die gesamte Anlage ist von einem attraktiven Garten umgeben.

Rettungsversuch

Das Architekturbüro JEMS aus Warschau hat bei der Planung des dritten Gebäudes einen denkbar breiten Kontext in den Blick genommen. Die Architekten wiesen bereits bei der Vorplanung auf die trennende Wirkung des ehemaligen Bergwerksareals hin. Die historischen Arbeitersiedlungen im Norden wie auch das im 19. Jahrhundert von den Bergwerkseigentümern erbaute Viertel Bogucice liegen isoliert vom Stadtzentrum. Letzteres ist eine vernachlässigte und vergessene, fast magisch zu nennende Welt für sich, mit einer Kirche auf einer Anhöhe und einer herabmäandernden Hauptstraße, die sich im Kulturareal verliert.

Die Architekten waren sich bewusst, dass ihr groß angelegtes Gebäude, das hauptsächlich für internationale Tagungen gedacht ist, für die Stadt zu einem weiteren Klotz am Bein werden könnte, v. a. aufgrund fehlender Angebote für die Bürger. So zerteilten sie den Baukörper durch einen öffentlichen Raum, der unter dem Spodek beginnt und sich in Richtung Bogucice wendet, in zwei Teile. Das auf diese Weise entstandene grüne Tal zieht die Menschen aus dem Stadtzentrum direkt in die Kulturzone und weiter auf das Bauerwartungsland zwischen dem MCK und Bogucice. Dies legt den zukünftigen Planern und privaten Investoren nahe, den öffentlichen Raum in dieser Richtung auszubauen und die getrennten Stadtteile zu verbinden.

JEMS ist eines der beachtenswertesten Planungsbüros in Polen, seine ideologischen Wurzeln reichen bis zum niederländischen Strukturalismus der 60er Jahre zurück. Die zahlreichen Projekte erheben sich über die breite Masse durch die Schaffung eines attraktiven humanistischen Umfelds für die Gebäudenutzer. Beim MCK wendet sich das Büro jedoch weitgehend von einer einheitlichen Gebäudestruktur, wie sie für fast alle seine Bauten kennzeichnend ist, ab und überrascht mit dem grünen Tal wie auch mit der Gebäudeform, die kaum auf die Funktion schließen lässt.

Die Sport- und Konzerthalle Spodek wurde zur wichtigsten Referenz. Beide Gebäude sind durch eine breite Unterführung miteinander verbunden und bilden auch auf betrieblicher Ebene eine Einheit. Die Dimensionen des Neubaus bedeuteten eine Gefahr für den ikonischen Nachbarn, den man auf keinen Fall herabmindern wollte. So gesellte man dem Spodek ein rechteckiges Gebäude bei. Der runde und helle Altbau steht dabei für ein modernistisches Spiel der Körper in der Sonne und die dunkle, aus dem schwarzen Boden emporragende Regelfläche des Neubaus bildet dazu eine Art »natürlichen« Hintergrund. Auch die schwarz lackierte, im Sonnenlicht schimmernde Streckmetall-Fassade nimmt dem Gebäude einiges von seiner Dominanz. Sie ist an den Fenstern und an den Luftauslässen weniger dicht und lässt dadurch ein leichtes Patchwork erkennen, welches unaufdringlich widerspiegelt, was sich im Innern des Gebäudes abspielt.

Das in den schwarzen, minimalistischen Körper eingefurchte grüne Band setzt sich aus dreieckigen Flächen und Treppenläufen zusammen, die zu einem Aussichtspunkt unter dem verspiegelten Dach führen. Man schaut von dort auf eine postindustrielle, im Grunde hässliche, aber doch energiegeladene Stadt, deren Bewohner auch wochentags hierher strömen.

Erst beim Betreten eröffnen sich die enormen Dimensionen des MCK. Das dunkle Foyer ist als Negativform des grünen Tals zu erleben. Wände und Decken wurden mit demselben dunklen Metall überzogen wie die Fassaden. Antoni Domicz, einer der bekanntesten polnischen Architekten schrieb:
»... das Foyer wirkt wie ein Stollen im Bergwerk, der durch den Schein der Grubenlampen ausgeleuchtet wird«.

Die Architekten haben sich im Laufe der Planungsarbeiten von ihren bevorzugten strukturalistischen Regeln immer weiter entfernt, schließlich lassen sich für einen solchen Mehrzweckbau nicht alle Nutzungsvarianten vorhersehen und vorab determinieren. In allzu starren Strukturen hätten sich die Komplexität und die Anforderungen zahlreicher Richtlinien nicht realisieren lassen. Von der Idee des Strukturalismus ist hier nur die Unterteilung in die beiden Funktionseinheiten Konferenz- und Ausstellungsbereich geblieben. Das Innere besteht letztlich aus unterschiedlichen Gebäuden, die in einem rechteckigen Kasten miteinander verbunden wurden. Eine lange, gebogene Innenstraße führt zu allen Bereichen – eine Art »Zwischenraum«, der ähnlich wie in Gebäuden von Herman Hertzberger für das hier pulsierende Leben einen groben Rahmen bildet.

Auch wenn sich die Kulturzone in Kattowitz stadtplanerisch als eine verpasste Chance erweisen sollte, werden die darin errichteten Anlagen den industriellen Geist der Region auffangen. Das Internationale Konferenzzentrum an der Stelle des ehemaligen Bergwerks erzählt vom komplizierten Kontext Oberschlesiens. Das Gebäude ist minimalistisch und konsequent, und doch voller Schwung und Leben.

Möge man so in der Zukunft auch den Charakter von ganz Kattowitz beschreiben können!

(Aus dem Polnischen von Proverb oHG)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: