Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 10|2016
150 Jahre Standpunkte in der Architektur
db deutsche bauzeitung 10|2016

Senator Probst und Dr. Oswald

Zur Ära der Baupathologen und Spürnasen: Die Schwachstellen-Serie in der db

Die Artikelserien über Bauschäden zählen zum begehr­teren Lesestoff in der db, denn vom frisch gebackenen Diplomanden über den kreativen Entwerfer bis hin zum gestandenen Projekt- und Bauleiter weiß jeder ­Architekt, dass man von den Fehlern Anderer viel ­lernen kann. Von Beginn der 70er Jahre an bereicher­­ten Berichte über folgenreiche Missgeschicke am Bau die ­bautechnischen Aspekte in dieser Zeitschrift – geprägt von Senator h.c. Raimund Probst und Dr. Rainer ­Oswald.

29. September 2016 - Klaus Siegele
Von dem amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright erzählt man sich die Anekdote, er habe einst von einem Bauherrn ein Telegramm bekommen, in dem sich dieser darüber beschwerte, dass das Dach undicht sei und das von oben herabtropfende Wasser das antike Mobiliar ruiniere, explizit einen wertvollen Sessel im Louis-Seize-Stil. Wright entgegnete, ebenfalls im knappen Telegrammstil, berufstypisch arrogant: »Move in«, also: Schieben Sie den Sessel zur Seite! Ein Alptraum für jeden Bauherrn, damals wie heute. Egal wie berühmt der Architekt auch sein mag, heutzutage wäre nach einem solchen ..., nun ja: Mailverkehr, sofort der Gutachter zur Stelle und würde Foto und Risskarte zücken. Sein Schadensbericht gäbe vor Gericht den entscheidenden Hinweis, ob denn das Sesselrücken dem Schadensbild angemessen wäre oder vielleicht doch das Dach nachzubessern sei. Der Fall hätte außerdem Eingang in die Bauschadenserie der db gefunden und, redaktionell in Sprache und Bild sorgfältig aufbereitet, den Leser auf amüsant-spannende Weise darüber aufgeklärt, wie es zu einem solchen Schaden kommen kann und wie man ihn vermeidet.

Der hemdsärmelige Baupathologe

Angefangen hat die Bauschadenserie zu Beginn der 70er Jahre, als der Diplom-Ingenieur Raimund Probst nach seiner Spezifikation zum selbst ernannten »Baupathologen«, sprich Bauschadensgutachter oder im Architektenjargon: Nestbeschmutzer, vom damaligen Chefredakteur der db, Karl Wilhelm Schmitt, als Fachautor für Bauschadensfälle geworben wurde. Probst hatte in Karlsruhe Architektur studiert und war an der dortigen Technischen Hochschule später Dozent für das Fachgebiet Analyse von Bauschäden sowie Initiator des Bauschäden-Forums in Rottach-Egern. Den Auftakt machte er mit dem »Bauschaden des Monats«, einer 36-teilige Serie mit ausgesuchten Fällen seiner Gutachterpraxis. Monat für Monat benannte er in hemdsärmeliger und sehr direkter Sprache Schlamperei und Murks am Bau. Darauf folgte die nächsten drei Jahre seine »Analyse von Bauschäden«, gefolgt von einem weiteren 36er Trommel-Wortrevolver des Typs »Baufehler, Bauirrtümer, Bausünden«.

Raimund Probst hatte mit der db die Bühne erhalten, sich über Bauschäden zu mokieren und etablierte zugleich ein Format für bautechnische Beiträge, das die Folgen fehlerhafter Planungsrezepte ebenso schonungslos ­offenlegte wie es die schadensträchtige Ausführung auf den Punkt brachte. Probst nahm dabei kein Blatt vor den Mund.

Das Ende der Ära Probst

In den Jahren 1982-83 pausierte er kurze Zeit, während derer Prof. Friedrich Haferland das Mängel-Feld zu bestellen versuchte, dessen akademischer Schreibstil »im vorliegenden Falle« den Leser bei Weitem nicht so zu fesseln verstand, wie das Raimund Probst manchmal auch zu viel des Guten pflegte.

Von 1984-85 nahm Probst mit seinen »Baukonstruktiven Erkenntnissen« in 24 Beiträgen wieder Fahrt auf und beendete seine Ära in der db mit der »Baupathologie« im Jahr 1988, in der nicht nur Bausünden, sondern auch vermehrt Wortsünden zu finden waren. Inzwischen hatte Wilfried Dechau das Ruder als Chefredakteur der db übernommen und beerbte damit auch die Bearbeitung der Manuskripte von Probst, dessen oft deftige Wortwahl dem sprachverliebten Hanseaten zunehmend aufstieß. Zum Eklat kam es, als Dechau dem viel gehuldigten Senator h. c. Probst das Wort »Scheiße« aus dem geheiligten Text pathologisierte, was dem Pathologen selbst gar nicht gefiel und dieser erzürnt den Stab an seinen Sohn Michael Probst weitergab, der sich auch als Bauschadensgutachter verdingte. Dieser versuchte sich im Jahr 1989 mit 12 weniger wortstarken Beiträgen zur »Bautherapie« an Wiedergutmachung, jedoch war der eigentliche Nachfolger von Raimund Probst in dessen berufsidealistischem Gegenspieler Dr. Rainer Oswald bereits ausgemacht: Oswalds sachlich-fundierte und direkte Herangehensweise an die Bauschadensanalyse imponierte Dechau. So kam pünktlich mit der innerdeutschen Wende auch die redaktionelle Wende hin zu einer zweimonatlich erscheinenden »Schwachstellen«-Serie mit hohem inhaltlichen Niveau und verständ­licher Sprache ohne polemische Spitzen.

Die db bekommt begehrte Schwachstellen

Rainer Oswald studierte und promovierte an der RWTH Aachen Architektur mit dem Schwerpunkt Baukonstruktion und Bauphysik. Mit seinem Aachener Institut für Bauschadensforschung (AIBau) und als Leiter der Aachener Bausachverständigentage ging ihm nie der Stoff für Schäden aus, der Alltägliches und Spektakuläres gleichermaßen bediente.

Seine Manuskripte schrieb der viel gefragte Oswald an verschiedensten Orten auf dem Weg zu oder in seinen Unterkünften während des bundesweiten Ortstermin-Hoppings und manchmal auch im seltenen Urlaub, am wenigsten jedoch im heimischen Büro. Entsprechend anstrengend war es für uns Redakteure, ihn an die Termintreue zu binden und rechtzeitig zu erfahren, über was er das nächste Mal denn schreiben wolle. Entbehren wollte kein Redakteur seine Beiträge, die auch in der Leserschaft bis heute hoch geschätzt sind.

Meine Bekanntschaft mit Rainer Oswald machte ich schon vor meinem offiziellen ­Beginn bei der db im Juli 1994, als mein damaliger Kollege Ignaz Hollay mir nach dem Einstellungsgespräch das aktuelle Manuskript Oswalds mit einem erleichterten Seufzer »zum Einüben« in die Hände drückte.

Konstruktive und respektvolle Zusammenarbeit

Ich kannte Rainer Oswald bis dahin nur aus den Veröffentlichungen in der db und merkte schnell, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige seines Formats keinen Widerspruch gewohnt sind. In meinem berufsanfänglichem Eifer und dem mir eigenen Anspruch an die Lesbarkeit technischer Fachbeiträge redigierte ich seinen Text mit sichtlichen Korrekturvermerken und lernte beim kurz darauf anberaumten Klärungsgespräch die Primadonna Oswald kennen. Wilfried Dechau vermittelte die Argumente zwischen uns Kontrahenten des gutachterlichen Sachverhalts und der lesefreundlichen Schreibe, was die Basis für eine zehn Jahre andauernde respektvolle Zusammenarbeit legte. Auf meine Korrekturen folgten seine Gegenkorrekturen, und so lernten wir beide voneinander: ich von seinem allumfassenden Wissen um die komplexen Zusammenhänge des schadensfreien Bauens, er von meinen Strategien und Fähigkeiten, Schachtelsätze zu entwirren, Hilfsverben zu echten Verben zu verhelfen und unnötige verkomplizierende Substantivierungen hinwegzuzaubern. Was hatte ich Mühe, den Problemkreis auf das Problem zu reduzieren – aber unsere Zusammenarbeit war stets konstruktiv und zielorientiert. Die Primadonna war ebenso gezähmt wie mein redaktioneller Über­eifer. Die Schwachstellen-Serie hatte von unser beider Arbeit profitiert.

120 Fachaufsätze in 20 Jahren

Im Jahr 2004 kam es zu einem grundlegenden Wechsel in der db-Redaktion – nach einem kurzen Intermezzo bei der Frage nach der Neubesetzung der Chefredaktion übernahm Ulrike Kunkel die Führung und hält die db bis heute auf gutem Kurs. Nach meinem Wechsel in die Selbstständigkeit übernahm Christine Fritzenwallner die Zusammenarbeit mit Rainer Oswald, die sie als »angestrengt-angenehm« empfand. Weiterhin war der Spagat zu leisten, nur im begrenzten Umfang zu redigieren, was zwischenzeitlich aber ganz gut machbar war, denn in Oswalds Manuskripten gab es natürlich keine fachlichen Fehler und die Gliederung war stets durchdacht und logisch aufgebaut – das Redigieren beschränkte sich also auf sprachliche Feinheiten. Was sich indes nie änderte, war die viel zu späte Abgabe seiner Unterlagen – alles kam auf den letzten Drücker, und dazu war erst nach Durchsicht von Text und Bildern klar, wie viele Seiten sein Beitrag diesmal im Heft einnehmen würde. Auch der Grafiker verzweifelte immer wieder, weil die Auflösung der Bilder zu klein war, der Ausschnitt unglücklich gewählt, das Datum im Foto retuschiert werden musste und immer wieder der gleiche AIBau-Schriftzug die Risskarte krönte.

Rainer Oswald blieb von 2004 an der db noch weitere sechs Jahre treu – sein letzter Beitrag erschien im November 2009, überschrieben mit dem fragenden Titel: »Sisyphusarbeit?« Die Antwort darauf fällt leicht und gab sich Oswald selbst: Ursachen von Schäden und Streit sind meistens systembedingt und werden immer weiter bestehen. Trotzdem leisteten Probst und Oswald mit ihren Aufsätzen wichtige Aufklärungsarbeit, von denen die db-Leser bis heute profitieren [1, 2].

Artikel über Bauschäden bleiben begehrt

Seit 2013 ist die Schwachstellen-Serie in den Metamorphose-Teil in der db gerückt, was den Rhythmus der Serie auf drei Monate gestreckt hat. Die Beiträge werden derzeit redaktionell von Dagmar Ruhnau betreut. Obwohl inzwischen die Autoren immer wieder wechseln und die über 20 Jahre vertraute Oswald´sche Methodik somit nicht mehr besteht, ist die Serie nach wie vor sehr beliebt. Die Architekten mögen daher die Gutachter als Nestbeschmutzer beschimpfen, von ihren Erfahrungen bei der Analyse von Bauschäden profitieren sie gerne bis heute ungebrochen. Wie sagte schon Johann Wolfgang von Goethe? »Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine«.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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