Zeitschrift

TEC21 2016|43
Gemeinsame Wege – getrennte Systeme
TEC21 2016|43
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Höhere Fügung

Systemtrennung am Gebäude ist ein Nachhaltigkeitsthema. Entscheidend für den Erfolg sind die Verknüpfung der Komponenten und die interdisziplinäre Planung.

21. Oktober 2016 - Viola John
Das Thema Systemtrennung ist seit einigen Jahren fester Bestandteil der Diskussion um nachhaltiges Bauen, kommen hier doch alle drei Nachhaltigkeitsaspekte zusammen. Aus ökologischer Sicht geht es um Ressourcen­effizienz in der Baustoffverwertung durch eine vereinfachte Nutzbarmachung von Bau­stoffen für die Wieder- bzw. Weiterverwendung und das Recycling (Abb. «Ökologische Betrachtung»).[1]

In ökonomischer Hinsicht lässt sich durch leicht erreich- und austauschbare Bauteile eine Kostenreduktion bei der Instandhaltung und -setzung im Gebäude­lebenszyklus realisieren. Aus dem gesellschaftlichen Blickwinkel stehen Umnutzbarkeit und Nutzungsflexibilität im Vordergrund, dank denen zukunftsfähige und anpassbare Bauwerke entstehen. Hierzu wird das Gebäude konzeptionell in verschiedene Systeme von baulichen Einheiten gegliedert, die sich durch ihre Lebensdauer und Funktion unterscheiden und daher voneinander konstruktiv separierbar ausgeführt werden sollen (Kasten unten: «Die Systeme»).

Rückbaufähigkeit und Nutzungsflexibilität

Werden kurzlebige Bauelemente untrennbar mit lang­lebigen verbunden, reduziert sich die Lebensdauer des ganzen Gebäudes mitunter auf die der kurzlebigen Bauteile. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Integration von Installationen und Gebäudetechnik in die tragende Konstruktion (etwa durch das Einbetonieren von Leitungen), deren Erneuerung dann mit hohem Aufwand verbunden ist. Während die Gebäudetechnikkomponenten in der Regel nach etwa 15 bis 20 Jahren ausgetauscht werden, ist die Haupttragstruktur darauf ausgelegt, 60 Jahre und länger Bestand zu haben.

Zur Zeit der Planungsphase ist noch kaum absehbar, ob und wie stark sich die Anforderungen des Nutzers bis zum Lebensende des Gebäudes wandeln werden. Eine spätere Anpassung des Bestands wird insbesondere dann erschwert, wenn das Bauwerk strukturell und funktionell auf eine spezielle Erstnutzung ausgerichtet wurde (der Siedlungswohnungsbau der 1970er-Jahre beispielsweise lässt sich aufgrund seiner Bauqualität und seiner Grundrisse nur schwer an heutige Nutzerwünsche adaptieren). Eine bauliche Umgestaltung ist dann oftmals sehr aufwendig.

Getrennte Systeme im Lebenszyklus …

Um solche potenziellen Herausforderungen des Gebäudelebenszyklus schon in der Planung von Neubauten adäquat zu berücksichtigen, wird heute zunehmend das Prinzip der Systemtrennung angewandt. Systemtrennung ist aber auch ein Erneuerungsthema, bietet sie doch eine mögliche Antwort auf die Frage, wie wir zukünftig mit Bestandsbauten umgehen wollen. Der Aufwand für Abriss und Ersatzneubau des gesamten heutigen Gebäudeparks wäre riesig, Entkernen und technisches Umrüsten nach Prinzipien der Systemtrennung stellen daher eine sinnvolle Strategie dar.

Das wirft in der Erneuerung allerdings ebenso wie im Neubau immer wieder die Frage auf: Wie muss ein Haus aussehen, das auch in 50 Jahren mühelos verändert werden kann, sodass man lang daran Freude hat? Und nach welchen Kriterien kann eine Opti­mierung im Lebenszyklus idealerweise erfolgen? In der Gebäudezertifizierung haben solche Kriterien zur Systemtrennung bereits Einzug gehalten. Das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen (DGNB) bewertet unter anderem die Anpassungsfähigkeit von technischen Systemen. Laut DGNB ist diese dann besonders nachhaltig umgesetzt, wenn der Wandel mit einem geringen Ressourceneinsatz verbunden ist.[2]

Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS konstatiert, dass eine flexible und anpassungsfähige Raumstruktur mit hoher Gebrauchsqualität die Basis für einen ressourcenschonenden Raumbedarf bildet. Entsprechend findet sich in der aktuellen Ausgabe des «Kriterienbeschriebs Hochbau» für Wohn- und Bürobauten des SNBS (vgl. «Note 4 oder besser für Wettbewerbsprojekte») eine Übersicht der Punkte, die es beim Unterhalt und Ersatz von Bauteilen im Sinn einer unkomplizierten Um- und Rückbaubarkeit von Bauwerken zu beachten gilt (Kasten unten: «Auf einen Blick: Worauf ist laut SNBS zu achten?»).[3]

Die spätere Nutzungsflexibilität des Gebäudes kann z. B. über ausreichend grosse Gebäuderaster mit entsprechenden Gebäudetiefen berücksichtigt werden, wodurch unterschiedliche Grundrisslayouts möglich werden. Auch die Geschosshöhen lassen sich im Hinblick darauf optimieren. Das Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern beispielsweise arbeitet für die Planung öffentlicher Gebäude mit der Empfehlung, dass die Raumhöhe in den Erd- und Ober­geschossen von Neubauten 3.6 m betragen sollte (vgl. «Wandlungsfähige Häuser»).[4]

Zur Gewährleistung der Nutzungsflexibilität gehört auch, in der Bemessung der Primärkonstruktion etwaige Anpassungen der Nutzlasten und gegebenenfalls eine Verstärkung der Fundamente einzuplanen. Für technische Installationen kann Reserve­platz in den Steigzonen und Horizontalerschliessungen vorgesehen werden für den Fall, dass in Zukunft in grossem Umfang heute unbekannte Technikkomponenten eingebaut werden müssen. Die Zugänglichkeit für Wartung, Unterhalt und Nachinstallation wird über Revisionsöffnungen gewährleistet.

… und ihre Fügung

Die Leitungen für Strom, Heizung und Lüftung können über dezentrale Installationseinheiten an Decke oder Fassade gleichmässig im Raum verteilt werden. Dieses Vorgehen hat sich unter anderem bereits im Bürobau und bei Funktionsbauten bewährt. Mittlerweile gibt es auch im Wohnungs­bau Beispiele für eine revisionierbare Unterbringung von Installationsleitungen über Vorwand­elemente und flexibel zugängliche Elektroinstallationen über Bodenkanäle. Eine generelle Empfehlung auf Bauteilebene ist, bei der Fügung verschiedener Baustoffe mit unterschiedlichen Lebensdauern auf Klebeverbindungen zu verzichten und stattdessen mechanische Verbindungen, beispielsweise mit Schrauben, zu bevorzugen.

Wenn ein Gebäude schnell errichtet, umnutzbar und gut rückbaubar ausgeführt werden soll, ist der Systembau eine interessante Möglichkeit. Hierbei werden vorgefertigte Bauteile oder Module auf der Baustelle zusammengesetzt. Durch die Vorfertigung der Elemente verkürzt sich die Bauzeit. Vorteile bieten sich auch durch die Witterungsunabhängigkeit während der Vorfertigungsphase und die Präzision in der seriellen Fertigung.

Auf der Baustelle fällt zudem durch standardisierte Prozesse weniger konstruktionsbedingter Abfall an. Die Produktion im Werk bietet die Möglichkeit, den Anteil sortenreiner Materialchargen zu erhöhen, und begünstigt so späteres Recycling. Ein weiteres Plus: Modulares Bauen braucht nicht unbedingt mit dauerhaften Materialien realisiert zu werden, denn auch kurzlebige Baustoffe können einfach ausgewechselt und der Verwertung zugeführt werden.

Der Systembau hat sich zum Beispiel bei Funktionsbauten, Hallen oder grossen Bürogebäuden durchgesetzt, wo als Material hierfür häufig Stahl verwendet wird. Bei Wohnbauten, Schulen und Kindertagesstätten, Büros und Produktionsgebäuden hat sich der modulare Holzbau etabliert.

Im Team digital planen

Zur Umsetzung der Systemtrennung und des Systembaus muss detailliert strategisch vorausgedacht werden, damit die Fügung der Komponenten auf Gebäude- und Bauteilebene optimiert werden kann. Unabdingbar ist insbesondere die enge interdisziplinäre Zusammen­arbeit von Architekt, Ingenieur und Fachplanern im frühen Stadium des Projekts. Der Planungsaufwand kann sich dadurch gegenüber einer konventionellen Bauweise erhöhen.

Zudem müssen die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten miteinander vereinbart werden, wodurch die Systemtrennung nicht immer konsequent umgesetzt werden kann (vgl. «Mehr als die Summe der Teile»). Architekten sehen sich dann manchmal auch mit Kompromissen und gewissen Einschränkungen ihrer entwerferischen Freiheit konfrontiert. Hierin liegen sicher einige Gründe dafür, dass sich die Systemtrennung – trotz ihrer Vorteile – in der Bau­praxis noch immer nicht recht durchsetzen konnte.

Andererseits verspricht die fortschreitende Digitalisierung im Planungsprozess durch das Building Information Modelling (BIM) zukünftig eine vereinfachte gewerkeübergreifende Überlagerung der verschie­denen Fachdisziplinen; dadurch lassen sich Prinzipien der Systemtrennung schon früh in den planerischen Ablauf integrieren. Ausserdem bieten digitale Planungsprozesse die Möglichkeit der Modularisierung von Teilsystemen, wie im Automobilbau. Dabei wird das programmierte Gebäude nicht als Ansammlung von Einzeldaten, sondern als Modell mit überschaubaren Teilmodulen verstanden (vgl. «Gebäude programmieren», TEC21 42/2015).

In Zukunft sollte es möglich sein, einige der planungsbedingten Nachteile endgültig mit den Vorteilen der systematischen Bauteiltrennung aufzuwiegen. Diese Entwicklungen ebnen den Weg dafür.


Anmerkungen:
[01] Sebastian El khouli, Viola John, Martin Zeumer: «Nachhaltig konstruieren», DETAIL Green Books, München 2014.
[02] DGNB (Hrsg.): «DGNB Kriterien», http://www.dgnb-system.de, 2016.
[03] NNBS (Hrsg.): «SNBS Kriterienbeschrieb Hochbau», Version 2.0, https://www.nnbs.ch, 2016.
[04] AGG Bern: «Richtlinien Systemtrennung», Amt für Grundstücke und Gebäude des Kantons Bern, Bern 2009.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: