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db deutsche bauzeitung 11|2016
Kleine Bauten
db deutsche bauzeitung 11|2016

Verstetigte Wolke

Ausstellungspavillon am Huangpu-Fluss in Shanghai (CHN)

Die erste, zunächst temporäre Variante des Pavillons kam so gut an, dass die Verantwortlichen die Abänderung des Konzepts zu einer dauerhaften Einrichtung ­beauftragten. Es ist zwar noch gar nicht entschieden, wie das Gebilde aus Beton, Stahl und Glas genutzt ­werden soll, die edle Ausführung macht es aber schon jetzt zu einem atmosphärischen Ort mitten im öffent­lichen Raum.

5. November 2016 - Fanny Hoffmann-Loss
Am Ufer des Huangpu, inmitten eines großräumigen Konversionsgebiets im Süden der Shanghaier Innenstadt, ist ein architektonisches Kleinod ein­geschwebt, das auch kunstinteressierte Flaneure an die neu angelegte Ufer­promenade mit Grün- und Sportanlagen lockt.

Die Konversion ehemaliger Hafen- und Industrieanlagen entlang des Flusses ist seit einigen Jahren ein Schwerpunkt in der Stadtentwicklung Shanghais. Das als »West-Bund« bezeichnete Areal im Südwesten des Xuhui-Distrikts liegt etwa 7 km flussaufwärts vom eigentlichen »Bund« entfernt, dem von ­kolonialen Prachtbauten gesäumten historischen Wahrzeichen der Stadt. (Bund ist Hindi für »befestigte Uferzone« – ein von den Briten aus den indischen Kolonien eingeführter Begriff).

Entlang des West-Bunds wird durch Erhalt einzelner Industriefragmente wie Bahnanlagen, Verladekräne und Öltanks an den industriellen Charakter des Gebiets erinnert. Das »Shanghai Dreams Center« im Süden des Areals soll in Zukunft neben Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten und Büros auch nationale und internationale Filmindustrie beherbergen. Mehrere erfolgreiche Kunstmuseen in Ufernähe, wie z. B. das Long Museum West Bund des Shanghaier Architekturbüros Atelier Deshaus (s. db 8/2014, S. 64), sind bereits eröffnet. Nördlich davon entsteht ein neuer urbaner Schwerpunkt mit Einrichtungen des Gesundheits- und Finanzwesens, Dienstleistungen, öffentlichen Parkanlagen und weiteren Kulturfunktionen (Planung: gmp Architekten).

Die West Bund Kunst- und Architekturbiennale gab im Jahr 2013 den Auftakt für die kulturelle Entwicklung der ufernahen Bereiche mit Skulpturenpark, Galerien und Pavillons.

Im Vorfeld waren 20 nationale und internationale ­Architekturbüros (neben Schmidt Hammer Lassen u. a. Michael Bell und Eunjeong Seong, Wang Shu, Anton Abril, Yung Ho Chang, Atelier Bow-Wow, Li Hu und Johnston Marklee) aufgefordert worden, temporäre Pavillons an selbst gewählten Bauplätzen am Ufer zu entwerfen und mögliche Nutzungen vorzuschlagen.

Die ursprüngliche Idee für den »Cloud Pavilion« fußte laut Chris Hardie, Partner von Schmidt Hammer Lassen und Architekt des Pavillons, auf dem ephemeren Charakter der Bauaufgabe, der Anknüpfung an die his­torische Nutzung des Orts und dem Wunsch, das Areal in Gänze erfahrbar zu machen: Gleich einer vorüberschwebenden Wolke sollte der Pavillon auf ­einem der erhaltenen Verladekräne »hängenbleiben« und als leichtes, lichtes Konstrukt Überblick über die neuen Entwicklungen beiderseits des Flusses geben. Das Bild der Wolke, in China ein glückverheißendes Symbol, sprach die Kuratoren an, und so wurde der Entwurf von Schmidt Hammer Lassen als einer von zwölf Pavillons für die Biennale ausgewählt (von denen allerdings nur die Hälfte realisiert wurde).

Sicherheitsbedenken, Zeit- und Budgetknappheit holten die Wolke aber bald aus luftigen Höhen herab und verankerten sie auf festem Grund. Die zunächst geplanten lichtleitenden Glasfaserkabel, zwischen zwei filigrane Platten gespannt, wurden durch weiße Seile und Stahlstützen zwischen weiß lackierten Betonplatten ersetzt. Trotz der etwas groben Ausführung war der Pavillon am Ufer ein Publikumserfolg: Die Seile luden zum Hindurchschlängeln ein, nach einigem Verschleiß auch zum Schwingen und Verknoten.

Baukunst zum Anfassen – auch in China auf jeden Fall ein Renner!

So entschied der Auftraggeber, die Shanghai West Bund Development Group, den ehemals für nur zwei Monate Ausstellungszeit gebauten Pavillon in eine permanente Einrichtung für Einzelexponate oder Veranstaltungen umzuwandeln. Auch die Neuauflage, von den Architekten »Cloud Pavillon 2.0« getauft, durfte bedauerlicherweise nicht in die Lüfte gehoben werden und arbeitet nun mit der vorhandenen Struktur der auf runden Stahlstützen aufgeständerten Betonplatten. Da nun auf der rechteckigen Grundfläche ein abgeschlossener Raum von 100 m² mit kleiner Küche und Lagerraum gefordert war, ließ sich die luftige Leichtigkeit und Transparenz nicht nach dem ursprünglichen ­Konzept herstellen – Glasfaserkabel lagen auch diesmal nicht im Budget.

Die Cloud wird nun durch gebogene Glaswände um eine homogene Licht­decke in Form einer stilisierten Wolke gebildet. Außerhalb der Wolke sind in quadratischem Raster Vierkantrohre aus gebürstetem Edelstahl gestellt oder gehängt, deren Reflexion in der mit spiegelndem Edelstahl bekleideten, leicht auskragenden Deckenplatte eine optische Erhöhung des Raums bewirkt – Vierkante anstelle von Rundstäben, da die leicht verspiegelte Verglasung ihre Kanten als feine Linien reflektiert und vervielfältigt. Der außermittig gesetzte, zylindrische Küchenkern ist mit vertikal um die Rundung gesetzten Kant­hölzern bekleidet. Ziel dieses Spiels mit Linien und Reflexionen ist die optische Auflösung des gläsernen Wolkenkörpers. Dies gelingt v. a. an (in Shanghai leider eher seltenen) klaren Sonnentagen – dann findet sich die filigrane Ästhetik der »Cloud 1.0« wieder. Bei Nacht lässt die weiße Lichtdecke in ihrer comic-haften Form das Spiel der Stäbe in den Hintergrund treten; von innen betrachtet erscheint sie als lichter Himmel, während die Umgebung in der Spiegelung der Glasfassade verschwindet.

Die Bauqualität darf man als gut einstufen, die glatte Betonplatte ist unempfindlich und leicht zu reinigen. Allerdings droht im hiesigen Klima immer die Gefahr, dass Stahl Flugrost ansetzt. Sicher hätte sich die Konstruktion auch noch ein wenig filigraner umsetzen lassen; die örtlichen Statiker arbeiten vor dem Hintergrund möglicher Erdbeben aber lieber mit höheren Sicherheitsbeiwerten.

Auch in seiner neuen Gestalt setzt der Pavillon einen erfrischenden Akzent entlang des Flussufers. Die Plattform lädt Flaneure weiterhin zum Verweilen ein, wenn auch nicht mehr in ihrer spielerisch offenen, interaktiven Form – durch die Belegung der Mitte durch den doppelverglasten Raum bleibt nur wenig Fläche zum Niedersetzen oder gar Durchschreiten übrig. Gemeinsam mit den Architekten wünscht man sich eine kulturelle, nicht kommerzielle Nutzung – es wurde noch nicht entschieden, wie und wann dort etwas stattfinden wird –, doch das bleibt, wie die übrigen budgetgetriebenen Entscheidungen, die die Wolke so pragmatisch auf den Boden holten, im Ermessen des Auftraggebers. Wie dieser sich auch entscheiden mag, im Kontext der Uferpromenade bleibt uns ein ästhetisches, gutes Stück Architektur mit hoher Qualität und Attraktivität.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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