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TEC21 2017|12
Hamburger Himmelsstürmer
TEC21 2017|12
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Von Welle und Klang

Die vom Wellenschlag geprägte Formensprache der Elbphilharmonie setzt auch im Innern des Konzertsaals Akzente. Aufwendige Computersimulationen und digitale Fertigung sollten den Klang optimieren. Dennoch weist die Akustik des Saals noch Schwächen auf.

24. März 2017 - Viola John
Wie bringt man einen Konzertsaal, der räumlich und formal alles andere als konventionell zu nennen ist, optimal zum Klingen? Vor dieser Frage stand der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota, als er den Auftrag zur Ausgestaltung des grossen Konzertsaals der Elbphilharmonie in Hamburg erhielt. Seine Antwort darauf: ein «demokratischer» Aufbau. Die Besucherränge, die rund um die Bühne und das Orchester angeordnet sind, steigen in dem verwinkelten Saal terrassenartig wie ein Weinberg an. Dadurch soll jedem einzelnen Zuhörer ein gleichermassen gutes Klang­erlebnis beschert werden, während er gleichzeitig dem Geschehen auf der Bühne räumlich näher rückt.

In keinem vergleichbar grossen Konzerthaus der Welt sitzen die ­Besucher so dicht am Orchester, die maximale Entfernung zur ­Bühne beträgt 30 m. Ca. 2100 Personen fasst der Saal, der höchste Platz liegt 17 m über dem Parkett. Der Grosse Saal ist als Haus im Haus konzipiert und akustisch vom restlichen Gebäude abgekoppelt. Die Saalwände sind zweischalig: Sie bestehen aus einer äusseren und einer inneren Betonschale, die einander nicht berühren. Der gesamte Saal ist zudem an seiner Unter­seite durch mehr als 300 Stahlfedern vom rest­lichen Gebäude abgekoppelt (vgl. «Kraftfluss für die Musik»).

Ein von der Decke in den Raum ragender Akustikpilz sorgt im Zusammenspiel mit der von Yasuhisa Toyota vorgesehenen «weissen Haut» aus Akustikpaneelen an Wänden und Decke für die gezielte Streuung des Schalls (vgl. Abb. 3). Die «weisse Haut» besteht aus 10.000 individuell CNCgefrästen Gipsfaser­platten, deren Oberfläche eine wellige Struktur aus schalldiffundierenden Zellen bildet und so die ebenfalls von Wellen geprägte Formensprache der Elbphil­harmonie aufgreift. Das unregelmässige Muster der Paneele wurde von Architekt und Informatiker Ben­jamin S. Koren über Algorithmen in aufwendigen Computersimula­tionen entwickelt (vgl. Kasten unten).

Acht Jahre Arbeit und 18.000 Zeilen Programmiercode stecken im digitalen Planungsprozess. Je nach ihrer Lage im Konzertsaal und in Abhängigkeit davon, wie viel Schall von ihnen reflektiert werden soll, wurden die Akustikpaneele in ihrer Stärke und die schalldiffundierenden Zellen in Form, Grösse und Tiefe rechnerisch angepasst. Die einzelnen Zellen variieren daher in ihrem Durchmesser von 4 bis zu 16 cm. Für die Werks und Montageplanung der Paneele arbeitete das beauftragte Ausbauunternehmen eng mit Korens Planungsbüro zusammen, das ein Softwareprogramm zur ­Automatisierung der 3DPlanung und der digitalen Produktion entwickelte. Im Werk wurden die Platten mittels einer FünfachsFräsmaschine gefertigt. Die raue Haptik der Oberfläche ­erreichte man, indem das dreidimensionale Schalldiffusionsmuster unter Verwendung eines Kugelfräsers in parallelen Spuren und mit grossen Achsabständen in die Platten gefräst wurde.
Schon das Optimum?

Seit dem Eröffnungskonzert in der Elbphilharmonie tauchen in den Medien auch Berichte von enttäuschten Konzertbesuchern auf, die das von Yasuhisa Toyota angestrebte «demokratische» Klangerlebnis vermissen. Im Saal scheint es bessere und schlechtere Plätze zu geben. Zudem wird gern betont, dass der Saal eher für die leisen Töne geeignet sei und den Zuhörer bei allzu lauten Stücken akustisch schnell überfordere. Das klang­liche Optimum ist noch nicht überall erreicht. Nach Einschätzung von Benjamin S. Koren ist dies jedoch kein Grund zur Beunruhigung, ist doch ein nachträgliches Nachrüsten der akustischen Komponenten eines neuen Konzertsaals eher die Regel als die Ausnahme (vgl. Kasten unten). Auch Yasuhisa Toyota räumte bereits ein, dass die Akustik im Saal zukünftig immer wieder nachjustiert werden müsse.[1] So bleibt die Elbphilharmonie noch eine Weile «work in progress», um ihr Ziel zu erreichen: eines der besten Konzerthäuser der Welt zu werden.


Anmerkung:
[01] Horst Hollmann: «Wie gut ist die Akustik der Elbphilharmonie wirklich?», NWZ Online, 17.2.2017.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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