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db deutsche bauzeitung 2018|1-2
Bauen für Kinder
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Pavillons im Park

Sanierung und Erweiterung der Primarschule Felsberg in Luzern (CH)

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Luzern ein bis vor einiger Zeit weitgehend in Vergessenheit geratenes Meisterwerk des Schulbaus: die Primarschule Felsberg. Menzi Bürgler Architekten aus Zürich haben den Bestandsbau den heutigen Anforderungen angepasst und durch einen Neubau für Kindergarten und Hort ergänzt. Die Balance gelingt auf Augenhöhe.

2. Februar 2018 - Hubertus Adam
Das Wesembergquartier, am Hang hoch über der Hofkirche St. Leodegar und der Altstadt gelegen, zählt zu den bevorzugten Wohngegenden Luzerns. Der kontinuierliche Zuzug neuer Bewohner hat seit Längerem auch Auswirkungen auf die Nachfrage nach Kindergärten, Betreuungsangeboten und Schulen. Dies führte Anfang der 2000er Jahre zu der Überlegung, das Schulhaus Felsberg abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Das wäre tatsächlich möglich gewesen – das Bauensemble aus dem Jahr 1948 stand seinerzeit noch nicht unter Denkmalschutz. Doch die Verantwortlichen besannen sich eines Besseren und entschieden sich für die denkmalgerechte Sanierung des Altbaus und den Neubau eines Baukörpers, der einen zweigruppigen Kindergarten und einen Hort beinhaltet – eine Investition von gut 16 Mio. Euro. Das auf Basis eines Wettbewerbs 2010 entwickelte Gesamtprojekt musste zunächst eine Volksabstimmung passieren. Dass die Bürger für ein Projekt votierten, das mehr Kosten verursachte als ein reiner Neubau, ist dem ebenso plausiblen wie sensiblen Entwurf der Architekten Menzi Bürgler aus Zürich zu verdanken. Es ist aber auch ein Beweis für die eminenten architektonischen Qualitäten des Bestandsbaus, der sich harmonisch in eine Geländestufe mit wert vollem Baumbestand einfügt. Und letztlich mag man sie auch als eine Verneigung vor Emil Jauch verstehen ‒ dem weitgehend vergessenen Architekten des Primarschulhauses Felsberg.

Skandinavische Einflüsse

Zur Zeit ihres Entstehens wurde die Schule viel beachtet, nicht zuletzt durch ihre Aufnahme in das wegweisende Buch »Das neue Schulhaus« von Alfred Roth, das 1950 erschien und mit internationalen Beispielen den Typus der Pavillonschule ins Zentrum rückte. Emil Jauch, 1921 in Luzern geboren, hatte 1936 an der ETH Zürich diplomiert und nach kurzen Tätigkeiten in schweizerischen Architekturbüros vier Jahre in Stockholm sowie weitere Aufenthalte in Graz und im oberschlesischen Königshütte verbracht, ehe er in die Schweiz zurückkehrte und Anstellung im Berner Stadtbauamt fand. 1944 nahm er am Wettbewerb für das Felsbergschulhaus im heimischen Luzern teil und erhielt den 1. Preis. Für die Ausführung zwischen 1946 und 1948 bestand eine Arbeitsgemeinschaft mit dem zweitplatzierten und baupraktisch erfahreneren Architekten Erwin Bürgi, die auch nach der Fertigstellung des Projekts noch andauerte.

Jauch rückte das Schulhaus nicht an die durch eine grandiose Aussicht über Stadt und Vierwaldstättersee privilegierte Hangkante, sondern platzierte es an der rückwärtigen Seite der Geländestufe, sodass der bestehende Park den vorgelagerten Schulhof bildet. Das langgestreckte Volumen treppt sich dem Gelände entsprechend ab und gliedert sich in drei um je ein Stockwerk versetzte und leicht abgewinkelte Baukörper mit jeweils vier Klassenzimmern im OG sowie gemeinschaftlichen Räumen und überdeckten Vorbereichen im EG. Den oberen Abschluss des dreigliedrigen Schulgebäudes bildet das Volumen des Musiksaals; dieser findet sein Pendant im freistehenden Baukörper der Turnhalle an der Hangkante, wodurch sich eine Art von Torsituation zum öffentlich zugänglichen Schulareal ergibt.

Aktualisiertes Programm

Im Zuge der Renovierung wurde die Raumstruktur im Innern vereinheitlicht und verändert. Der Kindergarten im unteren Pavillon zog aus, an seine Stelle trat ein weiteres Klassenzimmer mit zugehörigem Gruppenraum. Ansonsten dient das EG des unteren Pavillons mittlerweile als Werkraum (vormals ‧Nadelarbeitsraum), das des mittleren als Lehrerzimmer (vormals Sammlungsraum und Hobelwerkstatt) und das des obersten als Bibliothek (vormals Schulküche). In jedem der drei OGs wurde die Reihung von vier gleich großen ‧Klassenzimmern durch eine Abfolge von drei Klassenzimmern mit zwei ‧zwischengeschalteten Gruppenräumen ersetzt. Dies ließ sich durch die Entfernung einer Wand und die Installation zweier neuer relativ leicht bewerkstelligen; hinter den vier Korridortüren verbergen sich jetzt also fünf Räume, wobei die Gruppenräume nur über die benachbarten Klassenzimmer zu betreten sind. Durch diese vergleichsweise geringe Umstrukturierung gelang es, viel von der historischen Substanz zu bewahren. Das gilt insbesondere für die Korridore und die Eingangshallen mit ihren bunten Mosaiken aus gebrochenen Fliesen, ihren polygonalen Bodenplatten und ihren Wasserbecken. Die liebevolle Ausstattung der Entstehungszeit setzt sich in der Außenraumgestaltung fort – die bombierten Granitsäulen der Pausenvorhallen und die Plattenwege lassen sich als für die Schweizer Architektur der 40er Jahre typische Tessiner Referenzen verstehen, während andere Teile des Gebäudes, insbesondere der Musiksaal mit seiner Eingangsüberdachung, deutlich von der zeitgenössischen skandinavischen Architektur beeinflusst sind. Auffällig gestaltet ist auch die östliche Außenwand des Musiksaals – gemauert aus Geröllsteinen referiert sie als architecture parlante über den Namen der Schule, was fast wie eine Vorlage für die Postmoderne wirkt.

Höhle und Panorama

Die Erweiterung des Komplexes mit Kindergarten und Hort haben Menzi Bürgler vom Schulhaus abgerückt und an der Hangkante platziert, sodass sie einen Dialog mit der Turnhalle aufnimmt. Entscheidend für die genaue Positionierung sowie die Ausbildung des Volumens waren die Mammutbäume des Parks. Weil deren Wurzeln weiter ausgreifen als die Kronen, besitzt der Neubau nur einen vergleichsweise geringen Fußabdruck. Die Fassade des EGs, das neben Haupteingang und Treppenhaus lediglich einige Technikräume aufnimmt, zeigt sich mit Sichtmauerwerk; Natursteinbekleidung und steinerner Bodenbelag verknüpfen den Neubau mit dem Bestand. Die beiden OGs, die ebenfalls quadratische Grundrisse aufweisen, kragen aus und sind leicht zueinander verdreht geschichtet, sodass sie sich zwischen die Baumkronen schieben können. Um den grandiosen Ausblick in den Park und über die Stadt zum eigentlichen Thema zu machen, ist die Fassade umlaufend verglast. Zusammen mit dem zentralen Erschließungskern übernehmen vier weitere Betonvolumina in den Eckbereichen die Lastabtragung des Gebäudes. Sie dienen z. T. als Sanitärräume, z. T. aber auch als Spielhöhlen der Kinder. So entstanden kleine Refugien, die zum Klettern, Herumtoben oder Ausruhen einladen und dadurch den Gegenpart zur fließenden, nach außen hin sich öffnenden Raumlandschaft der beiden Geschosse übernehmen.

Pyramidenstumpfförmig das Dach durchstoßende Lichtkanonen sorgen wie auch beim Treppenhaus für die Belichtung. Die zwei Kindergartengruppen nutzen das 1.OG, der Hortbereich befindet sich im weiter auskragenden 2. OG. Die vier Betonvolumen führen im Zusammenspiel mit dem zentralen Kern zu einer vorteilhaften Gliederung der Geschosse, die sich gut bespielen lässt. Die Garderobenbereiche sind nach Norden orientiert und dem Park zugewandt, und drei weitere Aufenthaltsbereiche schließen sich an. Letztere lassen sich flexibel nutzen und können bei Bedarf durch hölzerne Schiebetüren voneinander getrennt werden. Durch die größere Grundrissfläche im 2.OG ergab sich der Platz für zwei Loggien, die nach Westen bzw. nach Osten ausgerichtet sind.

Menzi Bürgler haben einen Erweiterungsbau verwirklicht, der sich perfekt in das parkartige Schulgelände einfügt. Die liebevolle Detaillierung und die feinteilige Differenzierung des Altbaus findet im Neubau ihre zeitgemäße Fortsetzung. Versuchte Emil Jauch durch die versetzte und abgetreppte Anordnung mehrerer Baukörper mit dem Gelände zu versöhnen, so reagieren Menzo Bürgler auf den Ort mit sukzessiver Auskragung, Verdrehung und geschickter innerer Differenzierung der Geschosse. Das bewusst Spielerische wird auf diese Weise zu einem verbindendenden Moment, jedoch ohne jede Anbiederung an vordergründige Kindgerechtigkeit. Eichenholz und Beton garantieren die nötige Robustheit im Neubau, die Spielhöhlen bieten die nötigen Rückzugsräume im kinderkompatiblen Maßstab. Böden, Teppiche und Mobiliar sind farblich kräftiger gehalten als im Altbau. So schafft der Neubau seine eigene Welt, die jedoch mit der vorgefundenen eine perfekte Liaison eingeht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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