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TEC21 2018|17
Ein Weg zur Dichte: der Mehrwertausgleich
TEC21 2018|17
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Die Bieler Baulandrochade

Biel hat seit letztem Jahr ein Reglement für den Mehrwertausgleich. Bereits davor gelang es der Planungsbehörde, mit Grundeigentümern die Aufwertung eines Siedlungsraums einvernehmlich zu vereinbaren.

27. April 2018 - Paul Knüsel
Biel baut und Biel wächst, so wie fast alle anderen Städte. Die Bevölkerungszahl steigt jährlich um rund 1 %, was genau dem Mittel der urbanen Schweiz entspricht. Dazu macht Biel, was andere ebenso sollten: sich im Innern verdichten. Und vor allem hat die Uhrenstadt etwas, was andere Städte ebenfalls gern möchten: eigenes Bauland, das zum wichtigen Pfand für eine qualitativ hochstehende, urbane Entwicklung geworden ist.

Nicht zuletzt darum kann, was im Wohnquartier Biel-Mett realisiert wird, den Neid aussenstehender Siedlungsplaner und Urbanisten wecken. Auf einer knapp 7 ha grossen Brache, direkt neben dem Güterbahnhof, ist es gelungen, unterschiedlichste, private und öffentliche Anliegen flächenschonend, grosszügig und hochwertig unterzubringen. Die westliche Arealhälfte gehört dem Uhrenkonzern Swatch, der hier bis im Herbst seine repräsentative Firmenzentrale, das schlangenförmige Holzgebäude des japanischen Ar­chitekten Shigeru Ban, fertigstellt. Im Osten folgt der «Jardin de Paradis»; seit letzten Sommer wohnen über 500 Personen in dieser urbanen Neubausiedlung (kpa architectes Freiburg). Der eigentliche Garten liegt im Süden: Ein grosszügiger, öffentlicher Park (Fontana Landschaftsarchitektur) rundet den Entwicklungsraum, knapp ausserhalb des Stadtzentrums von Biel, ab.

Der Standort markiert einen städtebaulichen Übergang; hier grenzen die Uhrenwerke an ein locker bebautes Wohngebiet. Bis vor Kurzem belegten eine Grossgärtnerei sowie Fussball- und Tennisfelder das offene Gurzelengelände. Nun drängen sich voluminöse Baukörper bis an die erste Reihe des für Biels Westen typischen Ein- und Mehrfamilienhausquartiers.

Die bauliche Verdichtung wird jedoch mit ausreichendem Ausgleich realisiert. Direkt daneben ist nämlich ein Park entstanden, «eine grüne Lunge für die Stadtbevölkerung». Die Schüssinsel nimmt fast einen Drittel des Neubauareals ein. «Die Idee existierte von Anfang an; der Entwicklungsschwerpunkt benötigt grosszügigen Freiraum», sagt Florence Schmoll, Abteilungsleiterin der Stadtplanung Biel.

Mehrfach ausgezeichneter Stadtpark

Das neue Naherholungsgebiet ist eine künstliche Insel, die sich mit naturnahem Charakter dem Lauf der Schüss entlang zieht. Schon wenige Tage nach Eröffnung im letzten Sommer war der Standort gut besucht. Und auch die Fachwelt war unmittelbar davon angetan: Der lang gezogene Inselpark erhielt letztes Jahr den goldenen Hasen für die schönste Landschaftsarchitektur sowie den Flâneur d’Or für die attraktivste Fussverkehrsverbindung in der Schweiz. Gäbe es eine Auszeichnung für die cleverste Städteplanung, die Bieler Stadtinsel wäre auch dafür aussichtsreiche Kandidatin.

Der offizielle Startschuss fiel vor zehn Jahren, als die Bevölkerung ihre Zustimmung für ein kompliziertes, aber profitables Liegenschaftsgeschäft gab. Zuvor sass die Stadtbehörde mit zwei weiteren Grundeigentümern am Verhandlungstisch: Der erste war der Uhrenkonzern, der für die Erweiterung des Produktionsareals warb, der zweite ein institutioneller Investor, der die ehemalige Gärtnerei überbauen wollte. Und die Stadt selbst war Eigentümerin der Sportanlagen, die in der Folge zum wichtigsten Pfand im Entwicklungspoker wurden. Alle Parteien besassen zu Beginn fast identisch grosse Parzellen von jeweils 3 ha Fläche, aber mit unterschiedlicher Baureserve. In der Folge sprachen sich die Verhandlungspartner so lang untereinander ab, bis eine zweifache Grundstückrochade die individuellen Ansprüche «im gegenseitigen Einverständnis» unter einen Hut bringen konnte, bestätigt Schmoll.

Trotz weniger Fläche sind alle zufrieden

Die Kohärenz der Interessen schaffte eigentlich Unmögliches: Der interne Grundstückhandel brachte nur Gewinner hervor. Swatch erwarb 2 ha Land dazu, als Standort für den Prunkbau aus Holz. Die Anlagestiftung gab sich mit kleinerer Fläche zufrieden, durfte aber darauf höher und dichter bauen. Die Stadt Biel gab ebenfalls einen Drittel der Fläche ab und war am Schluss auch damit mehr als zufrieden: Der öffentliche Haupt­erlös aus dem Abtauschgeschäft lag bei rund 17 Mio. Franken, wobei damit der Ersatz der Sportanlagen am westlichen Stadtrand finanziert werden konnte.

Damit der finanziellen und sachlichen Gegenleistung aber nicht genug: Das Ausgleichspaket umfasste substanzielle Vereinbarungen mit beiden Landeigentümern. Der Uhrenkonzern gestattet einen öffentlichen Uferweg auf der eigenen Parzelle. Der Wohninvestor wiederum bezahlte der Stadt Biel eine Mehrwertabgabe von 1 Mio. Franken. Zwar reicht dieser Zustupf bei Weitem nicht aus. Das Budget für den Park lag bei 14 Mio. Franken. Da es jedoch gelang, weiteres Geld aufzutreiben, etwa für die Verbesserung des Hochwasserschutzes, konnte die Schüssinsel in dieser Form rea­li­siert werden. Neben Verhandlungsgeschick und pla­ne­rischer Weitsicht der Stadt ist dies dem kreativen Wage­mut der Landschaftsarchitekten und dem interdisziplinären Engagement kantonaler Amtsstellen zu verdanken.

Ein Auge auf den Entwicklungsraum hatte die Behörde bereits 1999 geworfen, obwohl dieser noch in drei Einzelparzellen unterteilt war. Die damalige Änderung des kommunalen Zonenplans spurte die baurechtlichen Rahmenbedingungen für die nun vollzogene Arrondierung vor. Unter anderem ist die städtische Liegenschaft, die im Wesentlichen das ehemalige Gärtnereiareal umfassste, als öffentliche Nutzungszone festgesetzt worden. 2008 folgte ein städtebaulicher Studienwettbewerb, der den ersten Teil des Gesamt­areals umfasste; das Bieler Büro :mlzd Architekten siegte mit einem Vorschlag, der erstmals die Idee von mehreren kleinen Parkinseln skizzierte, aber den Planungsperimeter sprengte. Für das Gesamtprojekt war die Ausweitung der Grenzen jedoch ein Gewinn, sodass die weitere Planung angepasst wurde.

In der landschaftsarchitektonischen ­Über­arbeitung war zusätzlich der Hochwasserschutz zu berücksichtigen. Die drei auf dem Plan entworfenen Inseln hängte man tatsächlich zu einer einzigen zusammen; das Gelände wurde zudem so weit erhöht, dass die Insel selbst zum Damm wird. Und schliesslich konnte auch die Archäologie als letzte Hürde gemeistert werden: Man war auf prähistorische Funde aus der Bronze- und Römerzeit gestossen, weshalb ein kurzzeitiger Projektstopp in Kauf zu nehmen war.

Zusatzansprüche geschickt integriert

Die Schüssinsel bietet nun mitten in der Uhrenstadt einen Raum für Mensch und Natur. Die Gestaltung schliesst möglichst wenig aus und versucht, anfänglich gegensätzliche Zusatzansprüche zu integrieren. Der positive Effekt dabei ist: Das Projektbudget konnte auf verschiedene Kassen aufgeteilt werden. Für die Flussrevitalisierung haben Bund, Kanton und der Ökofonds des regionalen Energieversorgers rund 80 % der Kosten übernommen. Die Fuss- und Radwege wurden als Bestandteil des Agglomerationsprogramms von Bund und Kanton mitbezahlt. Die Stadt Biel musste nur knapp die Hälfte des Budgets selbst finanzieren; dank Mehrwertabgabe und Landerlös war auch dies beinahe ein Nullsummenspiel.

Biel hat, was andere gern hätten: viel eigenes Land. Ein Viertel der Gemeindefläche sind Eigentum der Stadt. Entsprechend aktiv und umfassend lässt sich die eigene räumliche Entwicklung beeinflussen. Aber demnächst haben die anderen Schweizer Städte, worüber Biel seit zwei Jahren verfügt: die Mehrwert­abgabe zum Ausgleich der internen Siedlungsverdichtung. Die Stadt im Seeland hat 2016 eine Richtlinie eingeführt, wonach 40 % des Planungsmehrwerts einge­fordert werden dürfen. Die Gurzelen fiel jedoch unter ein früheres Ausgleichsregime, mit dem der Kanton Bern seinen Gemeinden mehr Flexibilität zugestanden hatte. Damals wurde weniger Geld eingenommen. Umso willkommener ist nun die verbindliche, erhöhte Abgaberegel. Als wichtige Hilfestellung wird sie von der Planungsbehörden sowieso empfunden. Florence Schmoll hält ein solches Förderinstrument für öffentliche Räume sogar für unerlässlich: «Der Bedarf in wachsenden Städten nimmt zu; ohne zusätzliche Mittel aus dieser Spezialfinanzierung kann die Qualität der baulichen Entwicklung nicht erhöht werden.» Deshalb ist nicht nur für Biel zu hoffen, dass Ausgleichsvorhaben wie die Schüssinsel weiterhin Raum finden und derart gut gelingen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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