Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2018|05
Außenraum
db deutsche bauzeitung 2018|05

Park mit Schleife

Victor-Hugo-Park in Utrecht (NL)

Eine nur 3 ha große Grünanlage zwischen der Innenstadt von Utrecht und dem Neubaugebiet Leidsche Rijn nimmt seit 2017 eine Schule und eine schwungvolle Rampe zu einer Fahrradbrücke auf. Dem Planerteam ist es erstaunlich gut gelungen, die erforderlichen Funktionen auf engem Raum zu verbinden und dadurch möglichst viel Parkfläche zu erhalten.

2. Mai 2018 - Anneke Bokern
»Mehrfache Raumnutzung« (meervoudig ruimtegebruik) ist ein oft gehörtes Stichwort in den Niederlanden. V.a. im Ballungsraum Randstad, der mit über 900 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den dichtest besiedelten Regionen der Welt gehört, herrscht chronischer Platzmangel. Da bleibt nur, Funktionen zu stapeln oder miteinander zu verschränken. So entstanden in der Region ­innerhalb der letzten Jahre u. a. ein Strandboulevard mit integrierter Park­garage, ein Park auf einem Einkaufszentrum, das auch als Deich fungiert, ein Sportplatz mit Regenwasserrückhaltebecken – und schließlich eine Schule mit Fahrradrampe auf dem Dach, eingepasst in den kleinen Victor-Hugo-Park in Utrecht.

Die Dafne-Schippers-Brücke, benannt nach einer niederländischen Leichtathletin, liegt westlich der Innenstadt von Utrecht und verbindet den Stadtteil Oog in Al mit dem Neubauviertel Leidsche Rijn. Sie führt über den Amsterdam-Rheinkanal, eine der wichtigsten Binnenschifffahrtsrouten der Niederlande. Während Oog in Al ein ruhiges, grünes Wohnviertel aus den 30er Jahren ist, handelt es sich bei Leidsche Rijn, das jenseits des Kanals liegt, um das derzeit größte Neubaugebiet der Niederlande. Bis 2030 sollen dort auf einer Fläche von 2 500 ha insgesamt 100 000 Menschen wohnen – in einem Meer aus Reihenhäusern, unterbrochen von höherer Wohnbebauung entlang der Hauptstraßen. Um zu vermeiden, dass all diese Vorstadtbewohner mit dem Auto in die enge Innenstadt pendeln, bedurfte es einer neuen Fahrradverbindung über den Kanal. In Utrecht ist fahrradgerechte Planung ein großes Thema, denn wenngleich die Amsterdamer Fahrradkultur international viel bekannter ist, profiliert sich die viertgrößte Stadt des Landes gerne als Fahrradhauptstadt. Im »Copenhagenize Index 2017« belegt Utrecht den zweiten Platz – selbstverständlich hinter Kopenhagen, aber einen Platz vor Amsterdam.

7000 pro Tag

Zwar gab es bereits zwei Brücken über den Kanal, die auch für Radler freigegeben sind, aber sie bieten keinen direkten Anschluss an die Innenstadt, ­liegen in einem Abstand von zwei Kilometern voneinander entfernt und sind obendrein stark befahrene Autobrücken.

Schon in den ersten städtebaulichen Plänen für Leidsche Rijn, die 1995 entstanden, wurde deshalb der Victor-­Hugo-Park als »Anlandepunkt« einer Fahrradbrücke auserkoren, denn er befindet sich direkt am Kanal, auf halber Strecke zwischen den beiden bestehenden Brücken. Außerdem ließ sich von diesem Standort aus ein ebenerdiger Fahrradweg in beinahe gerader Linie zum Hauptbahnhof führen, wodurch sich die Entfernung von Leidsche Rijn in die Innenstadt um etwa einen Kilometer verkürzt. Wenn der neue Stadtteil fertiggestellt sein wird, sollen davon schätzungsweise 7 000 Radfahrer pro Tag profitieren.

Und genau das war anfänglich das Problem.
Umstanden von Wohnblöcken aus den 30er Jahren war der Victor-Hugo-Park vor seiner Umgestaltung eine etwas vernachlässigte Grünfläche mit einem Schulgebäude aus den 50er Jahren, dessen Pausenhöfe in den Park integriert waren. Die Außenraumgestaltung bestand aus einer Rasenfläche, einigen Bäumen und einer (noch immer vorhandenen) zierlichen Bronzeskulptur ­einer Hirschkuh. Bei den Anwohnern stieß die Vorstellung, dass ihr Park ­einer riesigen Brückenzufahrt geopfert und obendrein zur Durchgangszone für tausende Radfahrer täglich werden würde, auf wenig Gegenliebe. Auch die konservativen und sozialistischen Parteien im Stadtrat waren dagegen, denn sie hielten die bestehenden Brücken für ausreichend. Letztlich wurden sie­­­­ jedoch von den Grünen und Linksliberalen, die die Mehrheit im Stadtrat haben, überstimmt. Zum Projekt, das insgesamt 25 Mio. Euro gekostet hat, gehörte neben der neuen Brücke und Außenraumgestaltung auch der Abriss des bestehenden Schulgebäudes sowie der Neubau einer Montessori-Grund­schule sowie 15 neue Reihenhäuser an der Südseite des Parks. Da die Fahrradverbindung aufgrund des Schiffsverkehrs in 7 m Höhe über den Kanal geführt werden musste, entstand die Idee, die neue Schule in Teilen darunter zu schieben und so den Flächenverbrauch zu minimieren.

Besänftigt

Die Europäische Ausschreibung gewann ein Team aus dem etablierten Architekturbüro Rudy Uytenhaak + Partners Architecten gemeinsam mit dem jüngeren Büro Next Architects, dem Ingenieursbüro Arup und den Landschaftsarchitekten von Bureau B+B. Alle beteiligten Planer hatten bereits zuvor erfolgreich zusammengearbeitet, wenngleich auch in anderen Konstellationen. In der Vorentwurfsphase arbeiteten sie das Projekt gemeinsam aus und teilten erst danach die einzelnen Aufgabenbereiche untereinander auf. Einzig die Reihenhäuser gehörten nicht zum Projektumfang und wurden später von ­einem anderen Architekturbüro realisiert. Die Anwohner und die Schul­leitung wurden bereits früh in die Planung einbezogen. Es wurden mehrere Informationsabende veranstaltet und Arbeitsgruppen zusammengestellt. Nach der Präsentation des Vorentwurfs waren die Anwohner etwas besänftigt und leisteten weniger Widerstand gegen das Projekt, im Wissen, dass ihr Park nicht völlig verschwinden würde.

Die weiße, stählerne Hängebrücke selbst, zu der die Rampe durch den Park führt, überspannt 110 m und entfaltet v. a aufgrund ihres nur 30 cm dicken Brückendecks eine filigrane Wirkung. In Leidsche Rijn wird der Überbau von einem A-förmigen Pylon getragen, in Oog in Al von einem niedrigeren, H-förmigen Pylon, der an den Maßstab des Wohnviertels anknüpft. Der gesamte Radweg ist, wie in den Niederlanden üblich, rot asphaltiert – wobei das Rot hier besonders kräftig ausgefallen ist und eher an eine Leichtathletikbahn erinnert. Der Grund ist, dass die Brücke auch als Laufstrecke gedacht und mit entsprechenden weißen Abstandsmarkierungen versehen ist.

Schwungvoll

Die Brückenzufahrt liegt sehr prominent an der Südseite des Victor-Hugo-Parks. In Utrecht ist sie bereits als »Korkenzieher« bekannt, denn um den ­Höhenunterschied für Radler kräftesparend zu überbrücken, führt sie in einer schwungvollen Mäanderbewegung in die Höhe. Ihre Steigung beträgt ­zwischen 2,56 % und 4,05 %. Als große Schleife umfasst sie einen runden ­Basketballplatz mit einer halbrunden Bank, der auf Wunsch der Anwohner hier (anstatt, wie zunächst geplant, mitten in der Grünanlage) angesiedelt wurde. Danach führt der Radweg über eine Brücke, die für den Schulhof ­darunter als Torsituation auf dem Weg zum Schuleingang fungiert, und schließlich über das Dach des niedrigeren Bauteils der Schule, bevor er in ­einem rechten Winkel nach Westen abknickt und in die Brücke übergeht.

Die beiden Bauteile der Grundschule sind mit abgerundeten Ecken sowie ­einer Fassade aus bunt melierten Klinkern versehen. Der niedrigere nimmt die Turnhalle auf. Der höhere, zweigeschossige Bauteil, in dem sich die Aula und je zwei Spiel- und Klassenzimmer befinden, begrenzt Park und Schulhof zum Kanal hin. Während das Dach des Hauptbaus 109 Solarpaneele, oberhalb einer extensiven Begrünung, aufnimmt, dient das Dach der Sporthalle ‒ von der Brücke aus begehbar ‒ als Schulgarten.

Lerneffekt

Der kleine Victor-Hugo-Park selbst zeigt sich als geometrisch geformte Landschaft, in der die Rasenflächen in Richtung der Brückenzufahrt ansteigen, von zwei Fußwegen durchkreuzt und von zwei großen Lichtmasten beleuchtet. Zum Basketballplatz hin fällt der »Rampenhügel« in Form eines terrassierten Amphitheaters ab. Die kniehohen Mäuerchen mit Abdeckungen aus Betonfertigteilen, die den Radweg von den Rasenflächen abgrenzen, bestehen aus denselben Klinkern wie die Schulfassade. Die »niederländisch steile« Betontreppe wiederum, die Fußgängern als direkter Zugang zur Brücke dient, verweist mit ihren weißen, metallenen Geländern deutlich auf die Gestaltung der im weiteren Wegeverlauf folgenden Brücke.

Für den Bau der Brückenzufahrt und der Schule mussten einige bestehende Bäume weichen, aber zur großen Freude der Anwohner wurden sogar mehr Bäume neu gepflanzt als zuvor gefällt wurden. Da der vormalige Baumbestand kein ausgeprägtes Blütenbild aufwies, entschieden sich die Landschaftsarchitekten von Bureau B+B bei den Neupflanzungen für Magnolien.

Im Ergebnis ist mit dem Projekt eine in ihrer funktionalen Vielfalt erstaunlich kohärente Außenraumgestaltung als Synthese aus Architektur und Landschaftsarchitektur gelungen.

Für Radfahrer ist es ein echtes Erlebnis, von der Brücke in einer schwungvollen Bewegung ­herabzurollen, über die Schule hinweg und an spielenden Kindern vorbei. Zwar ist die Brückenzufahrt mehr als dominant, dient zugleich aber auch als identitätsstiftendes Element. Mit ihrer großen Schleife umarmt sie den Schulhof und das Basketballfeld und wirkt geradezu beschützend. Ob die kleinen Mäuerchen zwischen Rasen, Schulhof und Radweg deutschen Sicherheitsvorschriften genügen würden, ist zweifelhaft. Auf die Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, dass Kinder beim Spielen auf den Radweg rennen, antwortet eine Lehrerin mit niederländischem Gleichmut: »Dass sie das nicht tun sollten, lernen sie schnell genug.«

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: