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db deutsche Bauzeitung 2018|11
Architektur der Stille
db deutsche Bauzeitung 2018|11

Wald-Achtsamkeit mit Kompromissen

Meditationshaus in Krün

Soll der Pavillon seinen Zweck erfüllen, müssen Architektur-Touristen unbedingt draußen bleiben: Er dient als Rückzugsraum für Yoga und die in Japan aufgekommene Therapieform »Waldbaden«. Als Architekten hat man sich gezielt einen Meister der Verbindung von Natur und sensiblen Bau-Kunstwerken ausgesucht – aber auch dieser unterlag beim Bauen in den Bergen dem Zwang zum Kompromiss und musste die angestrebte Einheit von Bild und Konstruktion aufgeben.

5. November 2018 - Christoph Gunßer
Auch wenn Kengo Kuma inzwischen große Kulturbauten realisiert – gerade erst das Victoria and Albert Museum im schottischen Dundee –, ist er ein Meister der kleinen Form geblieben. Für den Anti-Helden der japanischen Architektur ist »Smallness« viel mehr als eine Fingerübung; sie ist Lebensprogramm und Weltmodell. Dass er derzeit als Nr. 5 der Architektur-Weltmeister gehandelt wird, spricht für seine Virtuosität, zumal eben dieses Star-System Architektur bisher allein in den großen Metropolen und als laute Landmarke gelten ließ. Kengo Kuma profilierte sich dagegen meist auf dem Lande. International bekannt machten ihn vier Bauten in dem waldreichen Bergstädtchen Yusu­hara weit im Süden Japans.
Mitten im Wald steht auch sein neues Werk, bei einem Fünf-Sterne-Resort rund 15 km hinter Garmisch, für das nachhaltiges Bauen zur angebotenen Wellness gehört.

Vorigen Sommer lud der Hotelier ihn ein und man stapfte gemeinsam zwei Stunden durch den Wald, um den rechten Platz für das gewünschte Meditationshaus zu finden. Dass Kuma insgesamt viermal hierher kam, zeigt, wie nah ihm Landschaft und Bauaufgabe gingen: Die Szenerie des Hochtals am Fuße des Wettersteingebirges, auf über 1000 m zwischen Karwendel und Zugspitze gelegen, erinnert wirklich ein wenig an Japan, wie man es von Zeichnungen kennt. Kuma äußerte, dass er hier eine Verwandtschaft spürt. Und ein religiöses Gebäude fehlte bislang noch im umfangreichen Œuvre. Über seinen Bezug zum Wald sagt er im Gespräch: »Ich bin in einem alten Holzhaus aufgewachsen und gehe immer noch sehr gern in den Wald. Vielleicht ist das sogar eine noch ältere Erinnerung: Die Menschen wurden im Wald geboren, und er hat sie oft beschützt.«

Waldesruh und Mimikry

Wer dem schmalen Pfad folgt, der sich vom Hotelparkplatz 300 m durch den Fichtenwald schlängelt, lässt den Trubel des 130-Zimmer-Hotels bald hinter sich. Auf dem kleinen Hügel herrscht Waldesruh.

»Meine erster Gedanke war: Wie schaffe ich Harmonie mit dem Wald? Wir wollten ein bescheidenes Bauwerk schaffen«, erklärt der Architekt. »Der Wald ist wie eine Art Filter für das Licht, die Luft. Die Blätter, die Zweige, das schafft eine ›weiche‹ Atmosphäre. So ist der Wald das Vorbild für unsere Details.«

Die Rückseite des Gebäudes, der man sich zuerst nähert, folgt vollkommen dieser Mimikry: Ein Geflecht aus ineinander gesteckten kurzen Brettern beschirmt unter dem flachen Walmdach die Stirnwand. Das Material, Weiß­tanne aus der weiteren Umgebung, bezeichnet der Architekt als »leise«, weil sie sehr homogen wirkt und wenig Maserung erkennen lässt. Mit der Zeit, wenn das Holz vergraut und Flechten sich darauf ansiedeln, wird der Bau­körper in seiner Umgebung fast aufgehen, so eins ist er materiell mit ihr.

Mies mit Mütze – und Brettergewitter

Beim Umrunden des Gebäudes auf der kleinen Lichtung schält sich aus dem Geflecht indes ein kristalliner Glaskörper, wie wir ihn von Kuma schon kennen – etwa im filigranen Glass/Wood House in New Canaan und zuletzt im Coeda House in Shizuoka (s. db 9/2018, S. 62). In bester Mies‘scher Tradition trennt nur eine bodentiefe Scheibe den mit Eichenparkett belegten Hauptraum vom moosigen Außenraum. Das leicht auskragende Walmdach entpuppt sich indes als komplexere, aus fünf Dreiecken gefügte Konstruktion mit einem kleinen Fenster an der Spitze.

Was nun aber diesen »Mies mit Mütze« besonders macht, ist das Weiterweben oder eher -wabern des Holzgeflechts: Aus der noch disziplinierten, wohlgefügten Rückseite, hinter der übrigens eine massive Betonwand mit WDVS steht, entwickelt sich die hölzerne zweite Haut nach und nach zu einer Art Wolke oder Kissen, die mal hier, mal da in wechselnden Winkeln unter der Traufe hängt – Kumas Filterschicht in Analogie zum Wald. Bestand diese äußere Schicht bei seinen anderen Projekten aus sehr vielen feinen »Pixeln« unterschiedlichen Materials, so sind es hier insgesamt »nur« 1 550 Bretter, deren Mehrzahl im Innenraum das raumhaltige Dach ausfüllen.

Dort entlädt sich über dem transparenten Hauptraum ein regelrechtes Brettergewitter, das wenig von einer Akustikdecke hat, sondern eher an Kurt Schwitters’ expressionistisch wuchernden Merzbau von 1923 erinnert. Das ­Innen und das Außen des Holzgewölks sind dabei durch die rechtwinkligen Glasscheiben strikt getrennt.

Kumas Kompromiss mit Stahl: das Tragwerk

Wer von ferne noch mutmaßte, die Bretter hätten – aufgrund ihrer relativen Größe und nach Art von Kumas berühmten Kantholz-Stabwerken – tragende Funktion, hat die Rechnung ohne die enormen Schneelasten des Standorts gemacht. »Dies ist eine wahnsinnig raue Gegend«, sagt Kumas Projektleiterin aus dem Pariser Büro fast entschuldigend. Der Statiker aus dem nahen Garmisch erinnert an die Erdbebenzone und meint: »Rein aus Holz wäre das alles viel mächtiger geworden.« … Auch die geforderte Feuerwiderstandsklasse F30 wäre mit den dünnen Hölzern nicht zu erreichen gewesen, wie Barbara Poberschnigg, die den Bau vor Ort ausführende Architektin, anmerkt.

Die Dachlast wird also von Stahlträgern auf einem traufparallelen Ringbalken aus verschraubten Doppel-T-Trägern aufgenommen, zusätzlich querversteift und mit einer 12 cm dicken Massivholzplatte gedeckt. Darauf ruhen Dichtung, Dämmung und Zinkblechdeckung samt Schneefängern. Die Lastabtragung geschieht über einen massiven Betonkern und die Rückwand sowie – innerhalb der Verglasung – schlanke eingespannte Stahlstützen, die man aus Kumas früheren Glashäusern kennt. Zwischen den in mühsamer Kletterarbeit abgehängten Brettern sind die kräftigen weißen Stahlträger zu erkennen. Kumas Konstruktionen sind bisweilen sehr raffiniert (etwa, wenn er im Coeda House das Stabwerk der zentralen Baumstütze mit unsichtbaren Karbonstäben verbindet), aber ist das hier noch konstruktiv klar und »ehrlich«?

Raumwirkung vor konstruktiver Klarheit

»Ich versuche immer, größtmögliche Transparenz zu schaffen«, sagt Kuma dazu und bestätigt, dass ein reiner Holzbau stärkere Querschnitte erfordert hätte: »Wir versuchten daher, einen guten Kompromiss zu finden, ähnlich wie im neuen Olympiastadion in Tokio, das wir zurzeit planen. Dort verbinden wir Stahlrohre mit Brettschichtholzträgern.«

Nun gut, Konstruktion ist nicht alles. Die Atmosphäre im Haus strahlt die vom Bauherrn gewünschte meditative Ruhe aus. Der Wald umfängt den Besucher, außen real und formal abstrahiert von oben und hinten, allerdings nur visuell. Denn thermisch wie akustisch ist das kontrolliert be- und entlüftete, als (per Kaminofen) beheiztes Nichtwohngebäude errichtete Haus rundum isoliert, die Drei-Scheiben-Verglasung beugt Zugerscheinungen vor. Es ist warm und fast zu still. Die Geräusche des Waldes dringen erst herein, wenn die breite Schiebetür auf der Westseite geöffnet wird.

Mehr Naturnähe bietet eine offene Yoga-Plattform in Sichtweite. Beim »Waldbaden« spielen ja gerade die ätherischen Elemente des Waldes eine Rolle.
Das Weißtannenholz, das frisch durchaus streng riechen kann, ist im Innenraum in dieser Hinsicht, zumindest bewusst, nicht mehr wirksam. Auch eine schalldämpfende Wirkung der zerklüfteten Holzkonstruktion war vor Ort nicht wahrnehmbar: Die hölzerne Höhle mit 270 °-Panorama klingt relativ hart, zumal das 160 m² große Haus absichtlich von Möbeln freigehalten wurde – bisher steht im Hauptraum nur ein Gong, und man kann fast eine Stecknadel fallen hören.
Wenige Downlights hängen versteckt in der Bretterskulptur (auch außen) und tauchen den Raum indirekt in gedämpftes Licht. Während bei Tag die Verglasung nur schemenhaft Einblick erlaubt, löst sich die Trennwirkung nachts auf, und die Höhle leuchtet überaus mystisch mitten im Wald.

Achtsamkeit beginnt auf der Baustelle

Ließ sich die Waldlichtung noch schonend roden und mit einem Rückepferd freiräumen, musste zum Bau doch schweres Gerät in den Wald: Dank sorgfältiger Nacharbeit sind Baustraße und -platz jedoch bereits wieder gut zu­gewachsen – auch das gehört für die Initiatoren zur Achtsamkeit. Diverse Auflagen waren zu erfüllen. So musste eine nötige Dränage auch deshalb gelegt werden, um Zink-Einträge ins Grundwasser zu verhindern. Kengo Kumas holzbauerfahrene Kontaktarchitektin vor Ort, Barbara Poberschnigg vom Innsbrucker STUDiO LOiS, ist des Lobes voll über die gute Zusammenarbeit mit dem Meister aus Fernost – sie plant bereits ein weiteres Gebäude mit ihm.

Das Meditationshaus ist ganzjährig nutzbar und verfügt neben WCs auch über einen Raum für die Teezeremonie. Dieser nüchterne Raum liegt introvertiert auf der Nordseite des Gebäudes und ist mit Tatami-Matten ausgelegt. Das Hotel vermietet das Haus auch stundenweise. Vorrangig wirbt es aber mit seinen Meditationsexperten, die den Besucher mitnehmen auf eine »Reise in die Stille«.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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