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TEC21 2018|48
Das Dilemma mit den neuen Arten
TEC21 2018|48
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ein Problem verschärft sich

Die steigende Mobilität der Menschen und der globale Handel führen dazu, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten in neue Gebiete gelangen. Oft profitieren wir von ihnen, manchmal bereiten sie uns aber auch Probleme. Und das Thema weckt Emotionen.

30. November 2018 - Lukas Denzler
Vor 60 Jahren veröffentlichte der britische Wissenschaftler Charles Elton sein Buch «The Ecology of Invasions by Animals and Plants».[1] Eindrücklich beschrieb er, was geschehen kann, wenn fremde Arten auf neue Kontinente oder abgelegene Inseln gelangen. Elton gilt als Begründer der Invasionsbiologie. Seither haben die Mobilität der Menschen und der globale Handel weiter zugenommen. Und so werden immer mehr neue Arten an neuen Orten bewusst eingeführt oder auch unabsichtlich eingeschleppt.

Das Thema beschäftigt Politik, Behörden und internationale Organisationen. Und es taucht in Lehrbüchern für Schulkinder auf. Kürzlich ist sogar ein entsprechendes Globi-Buch auf den Markt gekommen. Es trägt den neutralen Titel: «Globi und die neuen Arten».[2] Der «Blick» legte sogleich eins drauf: «Globi und die Masseneinwanderung». Und auch die NZZ am Sonntag machte mit der Überschrift «Invasion der Tiere und Pflanzen» auf den eigenen Artikel aufmerksam.

Missverständliche Begriffe

Wissenschaftlich lassen sich Phänomene rund um die Einwanderung neuer Organismen mehr oder weniger objektiv beschreiben: Neue Arten fassen Fuss, vermehren sich, verdrängen möglicherweise einheimische Arten. Ökosysteme wandeln sich und passen sich an veränderte Umweltbedingungen an. Die verwendeten Begriffe wie «Invasion» oder «Kolonisierung» sind oft emotional aufgeladen und immer wieder auch eine Quelle für Missverständnisse.

Fremdländische Sträucher und Baumarten sind nicht zwangsläufig Monster oder kaltblütige Eroberer. Im Gegenteil: Oft holte man sie wegen ihres schönen Aussehens, ihrer auffallenden Blüten oder ihres farbigen Herbstlaubs – und legte sie in Parkanlagen und Gärten an.

Als einheimische Arten werden solche bezeichnet, die natürlicherweise schon immer in einem Gebiet vorhanden waren. Neophyten hingegen sind Pflanzen, die erst nach 1492, als Kolumbus erstmals amerikanischen Boden betrat, an einen anderen Ort gelangten. Der Zeitpunkt mag willkürlich erscheinen, hat aber seine Logik, denn mit der Besiedlung der Neuen Welt nahm der Austausch zwischen Europa und Amerika laufend zu. So gelangten über den Atlantik etwa der Mais, die Kartoffel und die Tomate nach Europa. Wären diese Nutzpflanzen nicht eingeführt worden, würden heute auf unseren Menukarten Rösti oder Polenta fehlen. Viele Kulturarten gelangten mit menschlicher Hilfe aber auch schon viel früher in fremde Länder. Bereits die Römer brachten Aprikose, Pfirsich, Feige, Walnuss und Edelkastanie nach West- und Mitteleuropa. Oft ist uns gar nicht mehr bewusst, dass diese Köstlichkeiten vor langer Zeit auch einmal eingeführt wurden.[3]

Wenn heute von invasiven gebietsfremden Arten die Rede ist, so ist klar definiert, was damit gemeint ist. Als «gebietsfremd» gelten Pflanzen, Tiere, Pilze oder Mikroorganismen, die durch menschliches Zutun in Lebensräume ausserhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets eingebracht werden. Als «invasiv» werden diejenigen Arten bezeichnet, von denen bekannt ist oder angenommen werden muss, dass sie durch ihre Ausbreitung in der Schweiz die biologische Vielfalt, Ökosystemleistungen und deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigen oder Mensch und Umwelt gefährden können. Damit sind zwangsläufig immer auch Bewertungen verbunden.

Fokus auf Naturschutzgebiete

Im Kanton Aargau bereiten in den Naturschutzgebieten von kantonaler Bedeutung, die eine Fläche von 2200 Hektaren bedecken, unter anderem die Amerikanischen Goldruten, das Drüsige Springkraut, das Einjährige Berufkraut und der Sommerflieder Probleme.[4] Die Arten besiedeln Flachmoore, Riedwiesen, artenreiche Magerwiesen und Ruderalflächen. In den Auen und an revitalisierten Fliessgewässern richtet sich das Augenmerk auf die Asiatischen Staudenknöteriche. Laut Norbert Kräuchi, dem Leiter Abteilung Landschaft und Gewässer, beträgt das Budget für die Bekämpfung von gebietsfremden invasiven Arten total 730 000 Franken pro Jahr. Wollte man die aktuelle Neobiota-Strategie des Kantons vollumfänglich umsetzen, wären jedoch zusätzliche Mittel von 1,3 Mio. Franken pro Jahr erforderlich.

Um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen, hat der Bund eine Strategie erarbeitet, die er 2016 veröffentlichte.[5] Der Umgang mit gebietsfremden Arten ist in verschiedenen Bundesgesetzen und Verordnungen geregelt. Bei der Verwendung von Pflanzen ist vor allem die eidgenössische Freisetzungsverordnung bedeutsam.[6] Sie legt unter anderem fest: Wer Organismen in der Umwelt in Verkehr bringen will, hat vorgängig die möglichen Gefährdungen und Beeinträchtigungen für den Menschen, aber auch für Tiere, die Umwelt sowie die biologische Vielfalt zu beurteilen. Aufgrund dieser Verpflichtung trägt der Inverkehrbringer auch das Risiko für spätere Schäden.

In diesem Zusammenhang ist die sogenannte Schwarze Liste relevant. Auf ihr sind Arten verzeichnet, die gemäss aktuellem Wissen Schäden verursachen. Sie wird im Auftrag des Bundesamts für Umwelt von InfoFlora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum zur Schweizer Flora, anhand wissenschaftlicher Kriterien erstellt.[7] In der Freisetzungsverordnung sind auch einige Arten aufgeführt, mit denen der Umgang verboten ist. Aktuell sind es drei Tier- und 18 Pflanzenarten (vgl. Kasten unten). Bei den Pflanzen zählen etwa Ambrosia, der Riesenbärenklau, der Essigbaum und die Asiatischen Staudenknöteriche dazu. Eine gute Übersicht über die verbotenen Neophyten und diejenigen mit invasivem Potenzial bietet die Webseite der Branchenorganisation JardinSuisse.[8]

Gefürchtete Staudenknöteriche

Die Asiatischen Staudenknöteriche besiedeln Flussufer, wenn sie nicht samt Wurzelwerk entfernt werden. Im Winter sterben die Stengel ab, weshalb auf dem ungeschützten Boden verstärkt Erosion auftreten kann. Auch bei Grundstücksbesitzern und Baufachleuten sind Staudenknöteriche gefürchtet. Abzutragender Boden, der verbotene invasive gebietsfremde Arten enthält, muss gemäss Freisetzungsverordnung an Ort und Stelle bleiben oder fachgerecht entsorgt werden. Bei Bauprojekten kann das kostspielig sein. Muss mit Knöterich durchwachsener Boden ausgehoben werden, verursacht dies Kosten von 6000 Franken pro Are. Die Arbeitsgruppe Invasive Neobiota (AGIN) unterstützt die Kantone dabei, ihre Aufgaben im Bereich der invasiven Arten wahrzunehmen. Eine ihrer Broschüren widmet sich speziell den gebietsfremden Problempflanzen bei Bauvorhaben.[9]

Vor allem auch in Grossbritannien sorgen die Asiatischen Staudenknöteriche für hitzige Diskussionen. Die invasive Art wird von der britischen Regierung als grosses Problem eingestuft. Fred Pearce, ein englischer Umweltjournalist, gibt nun Gegensteuer. Sein Buch «Die neuen Wilden», das auch auf Deutsch vorliegt, sorgte für viel Aufsehen.[10] Darin kritisiert er Invasionsbiologen, Biodiversitätsfachleute und Naturschützer – sie würden übertreiben und hätten einen einseitigen, verteufelnden Blick auf die neuen Arten. Pearce glaubt sogar, dass Neophyten dereinst sehr wichtig werden, um das Überleben auf dem Planeten zu sichern.

Und hier trifft er tatsächlich einen wunden Punkt. Im Zeitalter des Anthropozäns und des fortschreitenden Klimawandels müssen wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie es gelingt, unsere Ökosysteme fit und funktionsfähig zu halten. Neue Arten in die Überlegungen einzubeziehen ist notwendig, jedoch keinesfalls mit einer Laissez-faire-Mentalität gleichzusetzen.


Anmerkungen:
[01] Charles S. Elton: The Ecology of Invasions by Animals and Plants, Chicago 1958.
[02] Globi und die neuen Arten, Zürich 2018.
[03] Vgl. auch Hansjörg Gadient: «Einheimische Pflanzen?», in TEC21 11/2011.
[04] Fotos der Pflanzenarten: www.ag.ch > Themen A–Z > N > Neobiota > Prioritäre invasive Neophyten.
[05] Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten, 2016. Download auf www.bafu.admin.ch/gebietsfremde-arten
[06] Verordnung über den Umgang mit Organismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung).
[07] www.infoflora.ch > Neophyten > Kriterienkatalog.
[08] www.neophyten-schweiz.ch
[09] Broschüre Gebietsfremde Problempflanzen bei Bauvorhaben, 2014, AGIN. Download auf www.kvu.ch > Arbeitsgruppen > AGIN > Information für (Garten-)Bau und Planung mit Neophyten.
[10] Fred Pearce: Die neuen Wilden – wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten. München 2016.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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