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db deutsche bauzeitung 2019|04
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Zwischenstand

Hotel Kitz in Metzingen

Das unauflösbare Spannungsfeld zwischen Altstadtflair und Outletlandschaft, zwischen Platzmangel und Verwertungsdruck wurde zum zentralen Thema des kleinen Boutique-Hotels erhoben. Die Bauformen schaffen sowohl Ausgleich als auch individuellen Ausdruck – an einem Ort, der mit vielerlei Unentschiedenheiten und Spannungen zu kämpfen hat.

4. April 2019 - Achim Geissinger
Wer will denn in Metzingen übernachten? Eine legitime Frage insofern als Metzingen, wie ungezählte andere schwäbische Klein- und Mittelstädte auch, keine wirklichen Attraktionen zu bieten hat. Zudem hat der Ort das Pech, bei jeglicher Betrachtung immer zwischen den Polen zu stehen: Zwischen Landeshauptstadt und Schwäbischer Alb gelegen darf es sich nicht mehr zur Region Stuttgart zählen, kann aber auch noch nicht mit direktem Naturerlebnis punkten. Er rangiert zwischen wirtschaftlich stark und protestantisch bescheiden, wirkt herausgeputzt, bisweilen aber auch bedauernswert banal.

Aber: Metzingen hat Tradition in der Textilfabrikation und entwickelte sich in den letzten Dekaden zu einem der bekanntesten Outletstandorte in Deutschland. Derzeit werden jährlich etwa 4 Mio. Besucher gezählt – man rechnet künftig mit 7, sobald das neue, in Bau befindliche Outletcenter des örtlichen Platzhirschs Hugo Boss eröffnet sein wird.

Die Schnäppchenjäger strömen über Tag aus allen Richtungen, reisen nach getanem Waidwerk allerdings sofort wieder ab. Für die wenigen, die dennoch ihr müdes Haupt im Ort betten wollen, v. a. aber für Mitarbeiter und Geschäftspartner der ansässigen Textil- und Maschinenbaufirmen hat der Gastronom Angelo Procopio zunächst sein Restaurant »Achtender« um sieben Fremdenzimmer erweitern lassen. Seine Geschäftsidee trug Früchte und mündete schließlich in den Bau eines kleinen Hotels garni wenige Gehminuten entfernt.

Die Bauaufgabe hatte es in sich: Das Grundstück – der rückwärtig gelegene Restflecken eines größeren Areals, das ein Outletbetreiber nur entlang der hochfrequentierten Hauptstraße bebaute – ist eigentlich zu klein und für einen klaren Baukörper zu unregelmäßig geschnitten.

Das nähere Umfeld in einer vom Trubel abgewandten Altstadtgasse will mit seiner ungleichmäßigen, in Teilen schäbigen Bebauung nicht so recht zu einem frischen Boutique-Hotel passen; die gesammelte Gegensätzlichkeit von glitzerndem Outletgetöse und hausbackenem Altstadtflair scheint unauflösbar. Doch statt in einer lauten Architekturgeste die Befreiung aus diversen Restriktionen und Spannungen zu suchen, nahm das Gespann aus Bauherr und Architekten alle Linien auf und erarbeitete einen Beitrag, der sich ebenfalls klar positioniert – aber eben: dazwischen.

Balancefindung

Der Gebäudekubatur ist schon ein wenig anzumerken, wie stark sie vom Willen zur maximalen Grundstücksausnutzung geprägt ist. Die mächtig aufragenden Dachgauben verleihen der Straßenansicht etwas Hochgeschlossenes und drängen das ortstypische Element, die geneigte Ziegeldachfläche, in den Hintergrund. Die Höhenentwicklung nagt am Ermessensspielraum des Baurechtsamts und setzt schon einmal eine Marke für zukünftige Neubauten in der Nachbarschaft.

Trotz der Baumasse und dem strengen Fassadenraster, das sich über dem schaufensterhaften EG erhebt, ergibt sich aus der Farbe der Lärchenholzläden ein auffallender Bezug zum verklinkerten Nachbargebäude aus dem 19. Jahrhundert. Die Grüntöne der Fassade erscheinen zunächst gewagt, sind aber in der Tat dem Bestand entlehnt; die überstrichenen Klinkerriemchen im EG lassen einen inzwischen verschwundenen Sockel von gegenüber farblich weiterleben.

Letztlich verweist die Farbigkeit aber auf das gastronomische Konzept des Betreibers, der mit allerlei Waldassoziationen spielt und auf sein Stammhaus »Achtender« nun diesen Ableger als »Kitz« folgen ließ.

Formal übt sich das junge Ding in Reduktion: Dachüberstände wollte man sich zugunsten der klaren Geometrie verkneifen. Die tragenden Wände über dem Ortbeton-Keller bestehen aus Hohlwandelementen, dazu Element­decken mit Aufbeton, die im Innern allesamt sichtbar belassen wurden. Ihren farblichen und konstruktiven Eigenschaften traute man in Bezug auf die ­Außenansicht dann aber doch nicht über den Weg und entschied sich für konstruktiv weniger Aufwendiges: WDVS.

Im Innern folgt die Ästhetik dem Gedanken des veredelten Rohbaus und zeugt damit von der pragmatischen Vorgehensweise der Architekten: was nicht gebraucht wird wegzulassen. In den scharfen Kontrast aus sauber gearbeiteten Holztüren und Beton-Fertigteilen lassen sich schwäbische Eigenheiten wie der Hang zum Hochwertigen bei gleichzeitiger Verweigerung von Luxus hineinlesen. Freudlos geht es gleichwohl nicht zu. Die seidigen Betonoberflächen verleiten nicht nur Architekten zum Anfassen. Ein riesenhaftes Panoramafenster im Treppenhaus holt den Himmel herein. Durch den Verzicht auf abgehängte Decken bleibt das konstruktive Raster erlebbar und im obersten Geschoss die Dachform spürbar.

Pragmatisch auch die Entscheidung, die Zimmer nicht im dunklen Lärche-Ton der bereits bestellten Türen, Fenster und Klappläden auszustatten, sondern alle Wände aus Sperrholz mit heller Birkenoberfläche zu bekleiden und lieber das Nebeneinander zweier Holzfarben auszuhalten als die ohnehin äußerst knapp bemessenen Räume in schwerer Holzoptik ertrinken zu lassen.

Die 23 Zimmer (zwei davon barrierefrei, vier davon Suiten unterm Dach mit Ausziehcouch und somit bis zu vier Schlafplätzen) haben mit ihren schallharten Oberflächen ohne Teppich oder plüschige Möbel eine eigentümliche, dabei aber keineswegs unangenehme Hörsamkeit. Zwischen Fertigteildecke und geschliffenem Zementestrich wirken sie, nicht zuletzt wegen der ausgeprägten Schattenfugen, wie in den Rohbau eingestellte Boxen – im Grunde sind sie das ja auch; alle Trenn- sind Trockenbauwände.

Viel Stauraum gibt es nicht, schmale Einbauschränke links und rechts der Bettnische müssen reichen – dazu als Kleiderhaken einzelne Holzrundstäbe in den Wänden und ein aus der Wand auszuklappendes Tischchen.

Gute Stube

Was an Platz und Aufenthaltsmöglichkeiten in den Zimmern fehlt, macht der weitläufige, über die gesamte Gebäudebreite reichende Gemeinschaftsraum im EG wett. Als Herz des Hauses vereint er die Funktionen von Rezeption, Lobby, Frühstücksbereich, Bar und Lounge. Die Innenarchitektin Monika Hesprich hat ihn mit stark farbigen Kelims und unterschiedlich hohen Tischen mehrfach in Wohn- und Essbereiche unterteilt und sich bei der Farb- und Formenauswahl subtil von Heimatklischees der 50er Jahre leiten lassen – und das Motiv der Waldidylle und Jägernostalgie glücklicherweise ebenso wenig überstrapaziert wie die Architekten.

Der deutlichste Auswuchs davon ist ein wandhohes Textilbild mit Blattwerk und Waldtieren, das Wohnzimmeratmosphäre schafft. Dazu tragen auch die voluminösen, unterschiedlich getönten Kristallgasleuchten in geometrischen Grundformen bei, deren Unregelmäßigkeiten im Material ihre handwerkliche Herstellung erkennen lassen – ein Prinzip, das sich durch das ganze Haus zieht: eine gewisse Ablesbarkeit und Wertschätzung der handwerklichen Prozesse.

Weniger deutlich fällt die Assoziationskette aus, die von den Absturzsicherungen vor den französischen Fenstern zur Badgestaltung führt: Das diagonal eingefügte Gitter lässt an den Drahtzaun eines Wildgeheges denken. Diagonal verlegt sind folglich die Akustikdämmplatten der Lobby-Untersicht, die tannengrünen Fliesen am und hinter dem Bartresen, die Badfliesen und selbst der Pflasterbelag im Außenbereich.

Die Architekten sind froh, dass verschiedene Einsparungen im Roh- und Ausbau nicht vom Bauherrn einbehalten, sondern in die Qualität der Einrichtung gesteckt wurden. Aufseiten der Technik hat man sich einiges verkniffen – so ist allein der Gemeinschaftsraum zusätzlich zur Fußbodenheizung (per Gastherme und Solarthermie) mit temperierter Belüftung ausgestattet, die Zimmerbäder werden ohne Wärmerückgewinnung entlüftet (Hersteller ästhetisch ansprechender Fensterfalzlüfter mögen sich bitte beim Architekten melden!).

Fahrt aufnehmen

Durch den stetigen Zuzug weiterer Outlets erlebt Metzingen immer wieder neue Entwicklungsschübe. Die etablierten Outletquartiere, die sich auf ehemaligen Industriearealen ausgebreitet haben, punkten inzwischen mit städtischen Plätzen und kurzen autofreien Straßenzügen. Die Stadt versucht mit einer aufgehübschten, für kleinere Läden des täglichen Bedarfs interessant gemachten Fußgängerzone, dem etwas entgegenzusetzen. Doch die parallel verlaufende Pfleghofstraße wirkt von der Hotellobby aus immer noch so, als würden abends die Bürgersteige hochgeklappt.

Es ist dem Ort nicht zu wünschen, dass seine Bebauung neue Höhenmarken erklimmt oder zum Träger architektonischer Duftmarken verkommt – was an einzelnen Stellen schon zu lautstarken Störungen im Stadtbild geführt hat. Mut machen aber ein paar wenige architektonische Glanzstücke, die mit Einfühlung und ohne Anbiederung die richtige Richtung weisen. Wenn man also Bauherren und Architekten gewinnt, die im gemeinsamen Aushandeln die örtlichen Gegebenheiten zu nutzen und zu transformieren verstehen, dann kann aus dem ärmlichen Weinbauerndorf ein schmuckes Städtchen werden. Ein kleiner Baustein dazu ist das »Kitz«, dessen Betreiber mit seinen Architekten schräg gegenüber schon das nächste Projekt plant.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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