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TEC21 2019|16-17
Trinkwasser: Der Kreislauf stockt
TEC21 2019|16-17
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ein Wasserschloss mit «Trockenregionen»

Wie setzt der Klimawandel dem Wasserreichtum in der Schweiz zu? Zwar sprudeln Grundwasser und Quellen auch in Trockenzeiten munter weiter. Dennoch sind saisonale und regionale Engpässe zu erwarten. Die Infrastruktur und die Bewirtschaftung der öffentlichen Trinkwasserversorgung müssen zwingend verbessert werden.

26. April 2019 - Paul Knüsel
Die Erinnerung an die letztjährige Hitzewelle treibt den Schweiss noch heute auf die Stirn: Das Thermometer kletterte wiederholt über 35  °C und sank in einigen Städten wochenlang selbst in der Nacht nicht unter 20  °C. Der nationale Wetterdienst registrierte 2018 den wärmsten je ge­messenen Sommer und den höchsten Jahresmittelwert. Das unmittelbare Empfinden, wie heiss es werden kann, stimmt mit den Messungen der Klimaforscher also überein. Nicht so einfach nachvollziehbar ist hingegen, wie sich der Treibhauseffekt auf den Niederschlag auswirkt. Von Januar bis Dezember 2018 schlug das Pendel heftig nach oben und ebenso stark nach unten aus.

Im Winter fiel Schnee in noch nie gemessener Menge auf die ­Walliser und Bündner Berge. Auch im Mittelland war es in der kalten Jahreszeit ausgesprochen nass. Viele Grundwasservorkommen waren reichlich gefüllt, als zur ­Hitzewelle eine monatelange Trockenheit dazu kam. In vielen Regionen sank der Grundwasserspiegel trotzdem auf ungewohnt tiefes Niveau. Am stärksten betroffen war die Ostschweiz: Hier sank die Niederschlagsmenge gegenüber einem Normaljahr um 40 %.

Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas; der Regen sowie die Schnee- und Gletscherschmelze verteilen sich via Inn, Ticino, Rhone, Doubs und Rhein über den ganzen Kontinent. Der Abfluss ist derart üppig, dass auch die inländische Wasserversorgung ausreichend profitiert. Die zahlreichen Quellen, Grundwasserströme und Seen werden auch angesichts des Klimawandels kaum versiegen. Dennoch dürfte der Wassernutzungskreislauf ins Stocken geraten, weil Angebot und Nachfrage räumlich und zeitlich auseinanderdriften.

Reserven und Gewissheiten schwinden

Das Dargebot gleicht einem komfortablen Überfluss: Nur etwa 10 % des Grundwassers wird effektiv genutzt. Und die meisten Trinkwasserpumpen können bei Bedarf das Doppelte liefern. Allerdings sind diese Gewissheiten seit 2003, ebenso wie die tatsächlichen Reserven, zumindest temporär am Schwinden. Inzwischen bleibt der Regen jedes vierte Jahr in irgendeiner Region wochen- bis monatelang aus. An öffentliche Aufrufe zum sparsamen Umgang mit Wasser hat man sich bereits gewöhnt. Und dass die Trinkwasserversorgung einiger Gemeinden vorübergehend per Tankwagen sichergestellt wird, ist auch nicht mehr ungewöhnlich.

Hydrologen erwarten tatsächlich einen Rückgang der Reserven, unter anderem weil die Gletscher schrumpfen. Quellen im gebirgigen Karst und Grundwasser, das im Schotterbett unter den Tälern hindurchfliesst, werden in den folgenden Jahrzehnten bis zu 20 % Ergiebigkeit verlieren. Kommen längere Trockenzeiten hinzu, kann dies etlichen Regionen in den Voralpen oder im Jura prekäre Versorgungslagen bescheren. Dennoch wissen viele Gemeinden nicht, woher sie das Wasser beziehen sollen, wenn nicht aus den bislang sprudelnden Quellen. Die Bergkantone decken sich zu 80 % damit ein; ansonsten wird Trinkwasser mehrheitlich aus dem Grundwasser hochgepumpt. Als dritte Versorgungsvariante steht Seewasser zur Verfügung. Jeder fünfte Liter Trinkwasser wird in der Schweiz daraus aufbereitet. Die Bezugsquellen und das hydrologische Einzugsgebiet bestimmen deshalb, auf welche Dargebotsschwankungen man sich lokal und regional gefasst machen muss.

Nicht überall sind das Knappheitsrisiko und die gefährdeten Orte bekannt. Immer noch scheinen manche unvorbereitet auf die nächste Trockenphase zu warten. Weil die Trink- und Brauchwasserversorgung eine kommunale Aufgabe ist, fehlt eine generelle Übersicht. Der Wissensstand der Verantwortlichen, die in Gemeinden, Genossenschaften oder Korporationen arbeiten, ist höchst unterschiedlich. Auch darum fühlte sich der Bund berufen, auf abschätzbare Veränderungen in regionalen Wasserkreisläufen aufmerksam zu machen. Und siehe da: Einige Kantone haben potenzielle ­«Trockenregionen» entdeckt.

Überforderte Versorgungsinfrastruktur?

Eine Ersterkundung hat man inzwischen in der Urschweiz durchgeführt. Für die weitläufige Region rund um den Vierwaldstättersee hat ein nationales Pilot­projekt überprüft, wo Wasser knapp werden kann. Die Analyse der 59 Gemeinden – von der Stadt Luzern bis zum Urner Bergdorf Realp – liefert wenig Grund, Alarm zu schlagen. Doch periphere Lagen sollten aufhorchen: Weil entlegene Gemeinden wassertechnisch meistens autonom funktionieren, können lokale Versorgungsengpässe auftreten. Grund dafür sind aber nicht nur die Lage oder fehlende Ausweichvarianten, sondern auch eine steigende Wassernachfrage. Zwar zählen die Schweizer Haushalte zu den sparsamsten in Europa. Und zudem sinkt der Konsum kontinuierlich, wie der Schweizerische Verband des Gas- und Wasserfachs jährlich ausweist. Doch sobald es heiss wird und der Regen ausbleibt, steigt der Durchfluss in bestehenden Anschlüssen. Aber es kommen auch neue Ansprüche dazu: In Landwirtschaftsregionen sind Äcker, Wiesland, Obstplantagen und Rebberge zu bewässern. Und in wachsenden Agglomerationen nimmt mit der Bevölkerung auch der Grund- und Trinkwasserverbrauch zu. Erste Kantone wie Thurgau oder Luzern warnen aufgrund eigener quantitativer Abschätzungen: «Die Bevölkerungsentwicklung und das tendenziell rückläufige Dargebot werden potenzielle Engpässe zunehmend verschärfen.»[1]

Hat das Hitzejahr 2003 die Umweltbehörden erstmals aufgerüttelt, war die Überraschung über die letztjährige Trockenheit eigentlich unberechtigt. Zudem weiss man seit 2014, wie die «Zukunftsstrategie zur Sicherung der Ressource Wasser» in der Schweiz aussehen soll. Formuliert hat sie das Nationale Forschungsprogramm 61 «Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz». Die zentrale Erkenntnis ist wie so oft: Es gibt noch viel zu tun; auf fast alle Regionen kommen neue Aufgaben zur Vorsorge zu. Verknappt der Klimawandel die Wasserressourcen, verschärft der wachsende Nutzungsdruck das Versorgungsproblem. Einiges wirkt hausgemacht, etwa in Tourismusgebieten, deren Wasserbedarf für das Beschneien von Skipisten steigt. Oder überall dort, wo das Siedlungswachstum bestehende Trinkwasserfassungen verdrängt. Das NFP 61 schätzt, dass jede zweite Gemeinde bereits Schutzzonen überbauen liess, ohne die eine Grundwasserpumpstation rechtlich als nicht gesichert gilt. Solche Versäumnisse in der Siedlungsplanung sind aber schweizweit ein Problem (vgl. «Trinkwasser im Dichtestress», S. 27). Die Gefahr droht, dass sich Gemeinden selbst den sicheren Zugang zu den eigenen Wasserressourcen versperren.

Regionale Eingriffe in den Kreislauf

Auch anderswo greift der Mensch über Gebühr in den natürlichen Wasserkreislauf ein. Die Siedlungsentwässerung und die Abwasserreinigung beeinflussen die Hydrologie vieler Regionen. Im Basel­biet hat man untersucht, wie viel Wasser zur Speisung der natürlichen Reserve fehlt, weil es nicht mehr an Ort und Stelle versickern kann. Und eine regio­nale ARA stört das natürliche Einspeisen von Wasser in den Untergrund stärker als ein dezentrales Abwassersystem. Technische Massnahmen wie künstliche Filter für leicht verschmutztes Meteorwasser können durchaus Abhilfe schaffen. Doch damit sich Gemeinden überhaupt einen Überblick über die hydrologischen Verhältnisse ihrer Umgebung verschaffen können, braucht es übergeordnete Planungsinstrumente. Ein solches ist die Generelle Wasserversorgungsplanung (GWP); nur ist sie nicht überall bekannt. Einzelne Kantone vernachlässigen zudem ihre Aufsichtspflicht.[1] Auf der Strecke bleibt eine angemessene Vorsorge und die Gewähr einer jederzeit funktionierenden, flächendeckenden Versorgungssicherheit.

Nur: Fast 3000 Organisationen kümmern sich um die Trinkwasserversorgung der Haushalte und Gewerbebetriebe in der Schweiz, mehr als es Gemeinden gibt. Diese Verzettelung ist unproblematisch, solange jede auf Nachfrageschwankungen unmittelbar reagieren kann. Doch ein einziger Anschluss an das Grundwasser bedeutet in regenarmen Wochen: Es fehlen Ausweichvarianten. Gewässerexperten raten deshalb zur übergeordneten Vernetzung, die ganze Regionen mit neuen unterirdischen Trinkwasserleitungen verbinden soll. Grenzüberschreitende Wasseranschlüsse helfen, lokale Trockenperioden zu überbrücken. Denn die Wasserverknappung wird dort zum Verteilproblem, wo die Versorgungsinfrastruktur dezentral, isoliert und ohne Redundanz organisiert ist. Auf eine Verbesserung dieses strukturellen Handicaps zielt das Bundesprojekt «Sichere Wasserversorgung 2025» ab. Für das nachhaltige Wasserressourcenmanagement sind sowohl die Ressourcen als auch die Infrastruktur zu überprüfen.

Der Blick in die Landschaft beweist, dass es einen regen Zuwachs an Grundwasserpumpwerken für regionale Bedürfnisse gibt und einzelne Neubauten auch architektonischen Ansprüchen genügen können. Von den Vorteilen eines grossräumigen Verteilnetzes profitiert etwa die Agglomeration Zürich: Die angeschlossenen Gemeinden greifen bei zeitweise versiegenden Quellen gern auf das reichliche Wasserangebot der Stadt Zürich zurück. Denn deren Versorgungskapazität wird wesentlich vom Zürichsee bestimmt.

Seewasser als teure Alternative

Nicht nur die grösste Stadt der Schweiz, auch Luzern, Genf oder Neuchâtel decken weit über die Hälfte ihres Eigenbedarfs mit Wasser der angrenzenden Seen. Vor 80 Jahren entstanden die ersten Seewasserwerke zur Trinkwasseraufbereitung. Inzwischen ist der Anteil schweizweit auf 19 % gestiegen. Auch hier sind weitere Vorhaben in Planung, um saubere Oberflächengewässer als fast unerschöpfliche Trinkwasserreservoire zu erschliessen. Dennoch ist die hygienische Aufbereitung im Vergleich zu Grund- und Quellwasser bedeutend aufwendiger. Zudem hat der Hitzesommer 2003 auch die Seewasserversorger überrascht: Nicht die Menge war das Problem, sondern der Sauerstoffgehalt des ungewöhnlich warmen Wassers sank. Aus welcher Tiefe es abgepumpt wird, bestimmt daher die Qualität der Ressource wesentlich mit.

Die Schweiz bleibt trotz Klimawandel und Gletscherschmelze ein Wasserschloss; der nasse Rohstoff wird kaum versiegen. Trotzdem werden sich saisonale und regionale Wasserbilanzen stark verändern. Damit haben sich die Kantone und Gemeinden zwingend auseinanderzusetzen. Wenn der Regen über Tage, Wochen oder Monate ausbleiben sollte, darf dies mittelfristig keinen Trinkwasserverantwortlichen mehr ins Schwitzen bringen.


Quellen:
[01] Regierungsrat Kanton Luzern, Antwort auf parlamentarische Vorstösse Februar 2019.
[02] Nationales Forschungsprogramm 61 «Nachhaltige Wassernutzung in der Schweiz», SNF 2014 (www.nfp61.ch).
[03] Bundesamt für Umwelt: Wasserressourcenmanagement mit Fallstudien (www.bafu.admin.ch).

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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