Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|05
Ingenieurbaukunst
db deutsche bauzeitung 2019|05

Elegant übers Getöse

Fussgänger- und Radfahrerbrücke in Lahr

Zwischen zwei im Rahmen der letztjährigen Landesgartenschau neu angelegten Stadtteilparks im Lahrer Westen liegt das Bundesstraßenkreuz B3/B415: vierspurig, zweistöckig, mit kleeblattförmigen Abbiegespuren. Eine vom Architekten und vom Ingenieur gemeinsam entwickelte Brücke überwindet dieses Hindernis höchst elegant und einprägsam.

8. Mai 2019 - Christoph Gunßer
»Als ich die Situation zum ersten Mal sah, war mir bewusst, das wird schwierig«, sagt Architekt Klaus Reuter. Für den im Jahr 2012 ausgelobten, ­beschränkten Wettbewerb entwickelte er mit dem Bauingenieur Achim Sattler darum »eine klare, ruhige Form, die dieses ganze Durcheinander neu bestimmt«.

Heterogen ist die Lage am westlichen Lahrer Stadtrand in der Tat: Punkthochhäuser, Grünanlagen und Gewerbegebiete säumen die Straßen – eine autogerechte Stadt ohne Form oder Fokus. Das Wegekreuz, an dem sich die zwei überörtlichen Straßen schneiden, wäre prädestiniert für ein Zeichen, das im kollektiven Bewusstsein haften bleibt, doch das Einzige, was der Knoten im Umfeld bis dahin hinterließ, waren Restflächen.

Während sich die meisten Mitbewerber beim Wettbewerb durch die verfahrene Situation eher kleinteilig hindurchlavierten, nutzt Reuters und Sattlers zu Recht prämierter Entwurf eben diese Restflächen für einen großen Auftritt: Im Grundriss ein ruhiges Kreisbogensegment mit weit ausgreifenden Rampen, hängt die Brücke im Kreiszentrum an einem 50 m hohen Pylon. Zwölf Seile halten diese »Sichel« harfenförmig, zwei weitere verankern die Stütze im Boden – im Ergebnis eine exzentrisch gelagerte Schrägseilbrücke: die neue Landmarke.

»Nadel« oder »Finger« nennen die Planer ihr Ausrufezeichen. Als Ganzes nimmt die markante Konstruktion auch vielfältige Bezüge auf, etwa zum organischen Verlauf der Fahrbahnen und, kontrastierend, zu den benachbarten Hochhäusern, die der Pylon knapp überragt.

So bildet die Brücke einen neuen Raum, auch wenn der weiterhin von Lärm und Abgasen geprägt ist. Elegant schlängelt sie sich mit einem durchgängigen Lichtraumprofil von 3,50 m erst über, dann unter den bestehenden Verkehrswegen hindurch, um dann sanft in die Parks überzuleiten – ein Kraftakt und ein Kunststück zugleich.

Torsionskasten, Widerlager und Gabelköpfe

Die Brücke ist eine Mischkonstruktion. Praktischerweise dienen die zwei geforderten Treppenabgänge als massive Widerlager für den stählernen, knapp 118 m langen Überbau. Dieser besteht aus einem aus Blechen geschweißten Torsionskastenträger, dessen etwa 1,40 x 1,60 m großer, unregelmäßiger Querschnitt zugleich die innenseitige vollwandige Brüstung der Brücke bildet. Die 3,50 m breite Gehfläche ist als auskragende orthotrope, also über aufgeschweißte Stege bzw. im Fachjargon Sicken versteifte Blechplatte auf der Unterseite des Kastenträgers angesetzt und endet sehr schlank in einem filigranen Geländer aus Flachstahl oberhalb einer Entwässerungsrinne.

Im Abstand von 7,85 m greifen die zwölf geschlossenen, 40 mm dünnen Drahtseile in angeschweißte Ösen. An diesen Stellen ist der Kastenträger durch Querbleche verstärkt. Torsion tritt durch diese wohlbalancierte Aufhängung nur bei asymmetrischen Lasten auf.

Im Winkel bis 38° zur Horizontalen laufen die Seile am Kopf des Pylons übereinander in Gabelköpfen zusammen, wodurch sie dort oben keine klare Harfe mehr bilden. Auch der Kopf wurde wie der Torsionskasten aus üblichen S355-Blechen bis 30 mm Dicke geschweißt. Der bogenförmig gegen die angreifenden Kräfte »gespannte« Pylon ist tailliert, er verjüngt sich entsprechend dem Momentenverlauf aus einem trapezförmigen zum dreieckigen Querschnitt. Zusammen mit den Anschlussblechen am Kopf entsteht so ein fast florales Erscheinungsbild.

Zwei 65 mm dicke Trossen verankern die eingespannte Stütze rückwärtig im Erdreich. Weil man am Standort erst in etwa 5 m Tiefe auf tragenden Grund stößt, erfolgte die Gründung über 10 bis 12 m lange und 88 cm dicke Bohrpfähle. »Bereits das Eigengewicht der Pfähle reichte fast, um die Lasten aufzunehmen«, merkt Ingenieur Achim Sattler an.

Seitlich eingespannt ist der Torsionskasten an beiden Enden über ein kraftschlüssiges Bauteil, das die Planer Igel nennen: Das Ende des Kastens ist hier verjüngt und greift über Kopfbolzen in die Bewehrung des Widerlagers. Insgesamt bleibt die stählerne Sichel also nur über die Seilaufhängung elastisch. »Das Brückenbauwerk beinhaltet eine Vielzahl von außergewöhnlichen Herausforderungen im Ingenieurbau« heißt es in der Begründung zum Stahlbaupreis 2019, den das Projekt unlängst zugesprochen bekam.

Die äußeren Rampen führen das L-förmige Profil der Stahlkonstruktion in Stahlbeton weiter, sodass der Materialwechsel zwischen den Bauteilen kaum auffällt: überdies läuft das Flachstahlgeländer an der Außenseite durch. Die bis zu 17 m frei spannenden Stahlbeton-Platten der Rampen sind mit ihren Pfeilern in Querrichtung biegesteif verbunden, in Längsrichtung hingegen ist eine Ausdehnung über gelenkige Auflager möglich, und so gibt es auf 56 m Länge nur eine einzige Dehnfuge. Die Steigung überschreitet an keiner Stelle des Überwegs 4,5 %, sodass keine Podeste notwendig waren.

Als relativ leichte Konstruktionen neigen Schrägseilbrücken zum Schwingen. Das ist auch in diesem Fall so, wenngleich es vor Ort nicht unangenehm oder gar beängstigend auffällt. Nachträglich wurden dennoch Schwingungstilger für die drei Eigenfrequenzen der Brücke angefertigt. Sie sollen noch zwischen die Rippen der Gehweg-Unterkonstruktion eingefügt werden. Dies wird hoffentlich bald geschehen, denn bislang stehen sie noch wie klobige Bänke auf der Brücke und damit dem Verkehrsfluss im Wege. Die Konstruktion ist auf eine Belastung von 5 t ausgelegt, um z. B. auch eine Befahrung mit Reinigungsfahrzeugen zu ermöglichen.

Die Wegflächen des Überbaus wurden mit besandetem Epoxidharz beschichtet. An der geschlossenen Brüstung ist die Beschichtung zudem signalrot eingefärbt, was tags wie nachts – dann effektvoll illuminiert – den kühnen Linienschwung des prägnanten Brückenbauwerks hervorhebt. Untersicht und Geländer, an dessen Flachstahlprofilen entlangstreifender Wind mitunter eigenartige Heultöne erzeugt, sind mit Eisenglimmer lackiert.

In sieben Teilen quer durch die Republik

Zum Entwurf entwickelte das Planungsteam auch eine Montageanleitung – bei weitgespannten und komplexen Brücken ist dieser Nachweis der Baubarkeit auch unabdingbar. Während die Betonbauteile vor Ort gegossen werden konnten, mussten die Bestandteile der Stahlkonstruktion aus dem Ruhrgebiet zur Baustelle transportiert werden. Dies erfolgte beim Pylon in zwei Teilen, beim Überbau in fünf ca. 6 m breiten Abschnitten, die erst vor Ort miteinander verschweißt wurden. Die Bundesstraße 415 musste während des Einbaus des letzten Teilstücks für drei Wochen gesperrt werden: Während der Schweißarbeiten bis zum Einhängen des Überbaus fingen auf der Straße ­errichtete Leergerüste dessen Eigenlast ab.

Ein triftiges Argument für die weitgespannte Hängekonstruktion – neben ihrer Eleganz – ist, dass sie mit nur wenige Fußpunkten im nicht zugänglichen und auch kaum von Anprall gefährdeten Kreuzungsbereich auskommt und so auch die Baulogistik beträchtlich erleichterte. Dass der zu begehende Bereich des Überbaus seitlich, statt wie üblicherweise auf dem Kastenträger angeordnet wurde, führte zu einer Minimierung der Bauteilhöhe, was wiederum zur Verringerung der notwendigen Gesamtlänge beitrug.

Am Ende wurde die Fertigstellung der Brücke trotz langen Planungsvorlaufs doch noch zur Zitterpartie, da die Stahlbaufirma mit der Produktion der Segmente im Verzug war. Die Brücke wurde aber im vorigen April zur Eröffnung der Landesgartenschau gerade noch rechtzeitig fertig. Dieser Stress indes war rasch vergessen. Die Lahrer sind stolz auf ihre seit Herbst letzten Jahres öffentlich zugängliche Landmarke am Stadteingang und nutzen sie rege zum Promenieren und Joggen.

Solange mit der Verkehrswende zumeist nur eine zusätzliche, andere Mobilität und kein Rückbau von Straßen gemeint ist, wird es noch reichlich Gelegenheit geben, Barrieren der autogerechten Stadt gefahrlos und ästhetisch zu überwinden, etwa im Rahmen der vom Bund geförderten Radschnellwege. Es bleibt zu hoffen, dass dies weitere Bauwerke von solcher Prägnanz und Kühnheit wie die Brücke in Lahr hervorbringen wird.

Das Team Henchion Reuter und EiSat arbeitet daran, auch künftig seinen Beitrag dazu zu leisten: Vor Kurzem erst errang es mit der Emscher-Querung in Castrop-Rauxel einen zweiten Preis, abermals mit einer grazilen Schrägseilbrücke.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: