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db deutsche bauzeitung 2019|06
Anders bauen!
db deutsche bauzeitung 2019|06

Nur scheinbar unscheinbar

Bürogebäude »Green Office® ENJOY« in Paris Batignolles (F)

Vergleichsweise unscheinbar steht das neue Bürogebäude an einer breiten Bahnschneise in einem neuen Viertel am nördlichen Pariser Stadtrand. Dabei hat das mit bescheidener Eleganz über einem begrenzt tragfähigen Bahndeckel errichtete Plusenergiehaus mit hybrider Holz-Leichtkonstruktion durchaus einiges zum Thema Suffizienz und somit zukunftsweisendem Bürobau zu erzählen.

12. Juni 2019 - Roland Pawlitschko
Obwohl er noch nicht ganz fertiggestellt ist, präsentiert sich der Martin-Luther-King-Park schon heute als bemerkenswert urbane Grünfläche. Der insgesamt 10 ha große Park ist nicht nur voller großer Bäume, Wiesen und Wasserflächen, sondern auch voller Menschen und Aktivitäten. Er bildet die Mitte des neuen Viertels Clichy-Batignolles, das sich – wie der Park selbst – seit gut zehn Jahren vom stillgelegten Güterbahnhof in einen offenbar wirklich vitalen Stadtteil mit 7500 Einwohnern und fast doppelt so vielen Arbeitsplätzen verwandelt. Östlich des Parks befindet sich ein altes Quartier aus Haussmann’scher Zeit, im Norden und Süden stehen dicht an dicht bis zu 18 Geschosse hohe Wohnhäuser (nebst Schulen, Kindergärten, Läden etc.), und den Blick nach Westen dominiert Renzo Pianos abgetreppter Glasturm der neuen Cité judiciaire. Wäre der Vergleich nicht so vermessen, man könnte sich hier atmosphärisch fast an den Central Park in New York erinnert fühlen, zumindest an dessen äußersten nördlichen Rand.

Fluch und Segen des Standorts

In zweiter Reihe, hinter den südlichen Wohnhäusern befinden sich einige neue Bürohäuser, die dem Viertel gleichsam als Sicht- und Lärmschutz zur breiten Bahnschneise zum Bahnhof Saint-Lazare dienen. Hier steht auch das neue, von Baumschlager Eberle Architekten mit dem Partnerbüro Scape Architecture geplante Bürogebäude, das vom Bauherrn unter dem euphemistischen Namen »Green Office® Enjoy« vermarktet wird.

Das Baugrundstück ist durchaus privilegiert. Zum einen profitiert es von ­einer exponierten Randlage und verfügt über eine polygonale Umrisslinie, die die Ausbildung eines differenzierten Baukörpers begünstigt, zum anderen liegt es – leicht erhöht – an einem der breiten Hauptzugänge zum Park, was den nördlichen Büroräumen einen herrlichen Blick ins Grüne beschert. Diese erhöhte Lage hat jedoch ihren Preis, denn sie entsteht durch einen brückenartigen Betondeckel, unter dem noch immer Züge verkehren, sodass der Neubau an keiner Stelle den Boden berührt. Außerdem waren sowohl die Form als auch die Auflagerpunkte und Gesamtlasten des bereits vor zehn Jahren errichteten Deckels unveränderbar. Insofern lag eine der Hauptaufgaben der Architekten darin, das Gesamtgewicht ihres Gebäudes mit 17.400 m² Nutzfläche so gering wie möglich zu halten.

Haus und Park

Besucher und Mitarbeiter (momentan ist das ganze Haus an einen Versicherungskonzern vermietet) ahnen nichts von diesen Herausforderungen, wenn sie sich dem Haus vom Park aus nähern – in zwei Jahren öffnet dort zudem eine neue Métro-Station der Linie 14. Sie gelangen an ein unaufgeregtes Bürogebäude mit elegant cappuccinofarbener Aluminiumfassade und Ladenlokalen zur Straße. Dessen Gliederung in drei horizontale Schichten mithilfe von einzelnen bzw. geschossübergreifenden, hochrechteckigen Fensteröffnungen wird vermutlich nur wenigen auffallen – ebenso wie die Tatsache, dass die Laibungen der Fenster zur Bahntrasse aufgrund der verschiebbaren Lochblech-Sonnenschutzelemente wesentlich tiefer und damit plastischer sind als jene zum nördlichen Park. Details wie diese tragen aber dazu bei, das Haus insgesamt wesentlich differenzierter erscheinen zu lassen als die meisten der benachbarten Investorenprojekte.

Die große Eingangshalle an der Rue Mstislav Rostropovitch zeigt sich repräsentativ. Weniger wegen der Eichenholzbekleidung und des Natursteinbodens (Bleu de Hainaut) als vielmehr durch die angenehme Weite. In Verlängerung der Achse vom Park zum Haus führt eine breite Himmelsleitertreppe hinauf ins 1. OG – u.a. in einen begrünten Innenhof, der sich terrassenförmig bis auf eine Dachfläche im 3. OG entwickelt. Das Panorama von hier über die Bahngleise und die Stadt ist imposant, nicht zuletzt, weil sich dieses Geschoss dank des gut 10 m hohen Betondeckels bereits 19 m über den Gleisen befindet. Noch spannender ist jedoch der Blick zurück auf eine verwinkelte Terrassenlandschaft, die auf drei Ebenen völlig verschiedene Außenräume bietet – für Pausen und zurückgezogene Gespräche ebenso wie für kleine Events. Bedauerlich nur, dass dieser Raum, der in gewisser Weise den Park ins Haus fortführt, ausschließlich den Büromitarbeitern offensteht.

Hybride Konstruktion aus Beton, Holz und Stahl

Da ein Bürogebäude aus Stahlbeton allein aufgrund des zu hohen Gewichts nicht infrage kam, entschieden sich die Architekten für Holz als wesentliches Tragwerksmaterial. Auf Grundlage eines eher pragmatischen als dogmatischen konstruktiven Ansatzes entstand ein hybrides Gebäude, dessen untere beide Ebenen in Beton errichtet wurden. Diese Betonkonstruktion, die zum Abfangen der Schwingungen aus dem Bahnbetrieb vollständig auf dämpfenden Federn aufliegt, war unerlässlich, um die erheblichen Höhenunterschiede auf dem Betondeckel zu nivellieren und eine geeignete Basis für die nahezu identischen Bürogeschosse auszubilden. Für den Skelettbau ab dem 2. OG kamen dann hauptsächlich Holz, aber auch Stahlbeton für die Erschließungskerne und Stahl für die Aussteifungselemente und den Dachaufbau zum ­Einsatz.

Bürogeschosse in Holzbauweise

U.a., weil der Mieter zum Zeitpunkt der Planung noch nicht feststand, sollten die Bürogeschosse frei aufteilbar sein. Dies gelingt durch die Gebäudeform, die dank der mittigen Anordnung von Eingangshalle und Haupterschließungskern drei große, voneinander unabhängige Mieteinheiten pro Geschoss erlaubt und zugleich relativ wenige innenliegende Bürobereiche schafft. Für Flexibilität sorgt natürlich auch das Büroraster von 1,35 m, das entlang der Außenfassaden die in heutigen Büros üblichen Raumgrößen ermöglicht.

Die wesentlichen Tragwerkselemente sind: Fichten- und Tannen-Brettschichtholz (BSH)-Stützen in Fassadenebene und im Gebäudeinneren, die Deckenelemente aus Kiefern-Brettsperrholz tragen. Letztere sind im Bereich der Fassadenstützen mithilfe von Stahl-Einbauteilen an den BSH-Randbalken und -Stützen montiert, während sie auf der anderen Seite auf Stahl-I-Trägern bzw. direkt an den Betonwänden der Erschließungskerne befestigt sind. Horizontal ausgesteift wird das System zum einen durch die Kerne, zum anderen durch die in jeder Fassade im Innern über alle Geschosse hinweglaufenden Stahl-Diagonalen.

Baustellenfotos zeigen ein sehr klar strukturiertes, hybrides Skeletttragwerk. Insgesamt dominiert Holz zwar das Bild, dennoch ist es auf selbstverständliche Art und Weise nur einer von vielen Baustoffen. Die Architekten verspürten jedenfalls nicht den Drang, Holz ostentativ zeigen zu müssen. Hierzu passt, dass der Holzbau von außen nur am Abend bei illuminierten Büros zu erkennen ist, aber auch, dass die Fassadenelemente im Kern zwar aus Holz ­bestehen, dieses allerdings ebenfalls unsichtbar bleibt.

Green Office® Enjoy

Der Anteil von Sichtholzflächen im Innenraum ist angesichts der teppichbelegten Doppelböden und der weißen Leichtbauwände und Heiz-Kühldecken zwar relativ gering.

Dennoch prägt es auf angenehme Weise maßgeblich den Raumeindruck. Überall sind die Holzrippen der Deckenelemente und die Holz-Fassadenstützen und -Randbalken zu sehen, die v.a. in den kleinen Büros mit nur 2,7 m Achsbreite einen wohltuend warmen Rahmen bilden. Zur Nutzerfreundlichkeit tragen auch die öffenbaren Fensterflügel bei, deren vorgelagerte Lochbleche vor Wind, Wetter und Insekten schützen. Direkten Kontakt ins Freie ermöglichen dagegen die drei zweigeschossigen Loggien im 6. OG. Sie bieten geschützte Außenräume mit Blick zu Montmartre, Eiffelturm und Cité judiciaire und dienen – gleichsam als Störelemente – der Auflockerung der Fassade. Noch erhebender ist naturgemäß nur der Blick vom Dach.

In diesem Fall lohnt aber auch der Blick aufs Dach. Über einer leichten Stahlkonstruktion und den dort untergebrachten haustechnischen Anlagen befinden sich gut 1700 m² Photovoltaikelemente, die mit einer Gesamtleistung von 22 kWh/(m²a) nicht nur den niedrigen Energiebedarf von 19,1 kWh/(m²a) decken. Vielmehr machen sie das ans Pariser Fernwärmenetz angeschlossene Bürogebäude zudem zum Plusenergiehaus.

Dies alles ist von der Straße genauso wenig zu sehen wie die Ökozertifizierungen, über die das Gebäude verfügt (z.B. HQE, BREEAM, BBCA), oder die Tatsache, dass es durch die Verwendung von 2700 m³ Holz hilft, 520 To CO2 zu binden. Dennoch machen sie das nur scheinbar unscheinbare Gebäude unverwechselbar. Und sie lassen noch einmal über den Projektnamen nachdenken. Am Ende muss man zugeben, dass darin vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit steckt: dass es sich hierbei um ein grünes Büro handelt, in dem sich Menschen wohlfühlen können.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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