Zeitschrift

TEC21 2019|20
Pe­ter Zum­t­hor: Kon­trol­le und Ma­gie
TEC21 2019|20
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Die Dinge in der Zeit verankern»

Eine Qualität, die Peter Zumthors Bauten prägt, ist ihr ästhetisches Alterungsverhalten. Wir haben mit ihm über Architektur gesprochen, die Jahrhunderte überdauert, über die Spuren der Zeit, über natürliche und künstliche Materialien und die Rolle, die der Geschichte beim Bauen ­zukommt.

TEC21: Herr Zumthor, in der vergangenen Woche haben wir auf einer Tour durch Graubünden, in die Eifel und nach Bregenz einige Ihrer Gebäude besucht. Manche davon sind ja schon zu Ikonen geworden. Die meisten Architekten kennen sie von früheren Besuchen oder zumindest von Fotos. Wir waren neugierig zu sehen, wie sich die Bauten in der langen Zeit seit unseren ersten Besuchen verändert haben. Zu unserer Überraschung sind sie wenig gealtert. Wie beziehen Sie den Alterungsprozess eines Baus in den Entwurf mit ein?
Peter Zumthor: Ich kenne mich einigermassen aus damit, wie man natürliche Baumaterialien behandelt oder eben nicht behandelt. Wie sie altern, das hat mich schon immer interessiert. Stahl, Holz, Beton und Stein – und das sind sie schon, die ich hauptsächlich verwende. Da ist noch Keramik, Ton, Ziegel und gebrannte Ware. Ich arbeite gern mit diesen Dingen. Allein die Hölzer bieten eine grosse Palette. Es ist das Material selber und wie man damit umgeht – ich bin zufrieden, wie sich das jeweils entwickelt. Zum Beispiel das Atelier nebenan ist aus Lärchenholz. Das ist heute so, wie ich es mir beim Entwerfen in den Achtzigerjahren vorgestellt habe: silbrig auf der Nordseite und verbrannt auf der Südseite.

TEC21: Trägt der Alterungsprozess zur Schönheit der Gebäude bei?
Peter Zumthor: Sicher, das ist wie bei den Menschen, die sollen auch schön altern.

TEC21: Was heisst das genau, schön altern? Bei Menschen sagt man doch eher «würdevolles Altern».
Peter Zumthor: Ich glaube, es ist kein Zerfall. Holz, das 300 Jahre in der Sonne ist und schwarz wird, bei dem die weichen Jahresringe ausgewaschen sind und die harten hervorstehen, erhält eine eigenartige Schönheit. Es ist der Abbau von Material, aber er ist tatsächlich würdevoll. Farbe blättert ab, aber Holz tut dies nicht.

TEC21: Kann nicht auch abblätternde Farbe schön aussehen?
Peter Zumthor: Ja, das kann der Fall sein, aber in der Regel vermeide ich Farbe. Ich will nicht, dass man die Gebäude unterhalten muss, ich will, dass sie aus sich heraus schön altern. Bei der Fassade an meinem neuen Atelierhaus gegenüber habe ich zum ersten Mal etwas gemacht, das ganz gut gelungen ist: Um die ersten zehn unansehnlichen Jahre von Natur­eichenholz zu überbrücken, haben wir das Holz gebeizt und es vorbewittert, wie man es auch vom Zinkblech kennt. Die Beize ist auf Wasserbasis. Sie wäscht sich im Lauf der Jahre heraus, und dieser Prozess überschneidet sich mit dem Alterungsprozess, in dem der typische Grauton der Eiche erscheint.

TEC21: Man kann versuchen, den Alterungsprozess zu verlangsamen oder wie bei der Eiche vorwegzunehmen oder sogar zu verhindern. Wie stehen Sie dazu?
Peter Zumthor: Verhindern will ich die Alterung sicher nicht. Im Übrigen hängt das auch vom Material ab. Die Idee, in den Verwitterungsprozess der Eiche einzugreifen, hängt damit zusammen, dass sie zehn Jahre lang unschön aussieht. Wenn man geduldig ist, gewinnt sie aber ihre Schönheit zurück. Aber Keramik oder Backstein muss man nicht verändern. Das sind von Anfang an perfekte Mate­rialien, die sinnvoll eingesetzt werden können. Da können Sie meine Mutter fragen – in ihrem Haushalt hat sie Materialien immer passend eingesetzt: hier Holz, dort Keramik. Das ist auch in der Architektur das Tolle, dass man die Materialwahl mit dem ­Gebrauch begründen kann – dann wird es selbstverständlich und schön.

TEC21: Was gefällt Ihnen am Alterungsprozess in Ihrem Privathaus? Werden bestimmte Orte besser als andere, die man erneuern müsste? Gibt es Materialien, über die Sie sich freuen?
Peter Zumthor: Ich bin extrem zufrieden. Gerade hier mit der Stube. Das ist der Schweizer Ahorn, der ist gelb (Tisch), und das an den Wänden und am Boden ist kanadischer Ahorn. Der wird rötlich und dunkler, das ist bewusst so gewählt. Die Oberfläche ist geölt und geseift.

TEC21: Sie arbeiten meist mit natürlichen Materialien – ­jeder von uns kann sich altes Holz vorstellen oder Stein. Im Gegensatz dazu gibt es keine Langzeit­erfahrungen mit modernen hybriden Materialien, von denen man nicht genau weiss, wie sie sich mit den Jahrzehnten verändern.
Peter Zumthor: Ja, das ist so. Andererseits weiss man aber genug über Plastik. Das schwimmt in grossen Mengen im Meer. Dazu will ich nicht auch noch beitragen. Ich habe Mühe damit, dass wir in zehn Generationen unsere biologischen Reserven aufbrauchen, die in Billionen Jahren entstanden sind. In der biologischen Masse ist so viel Energie enthalten. Manchmal komme ich aber nicht drumherum. Die Markise da vorn ist auch ein Gewebe aus Nylon, damit sie Wetter und Licht eine Weile standhält. Klar, man muss in gewissen Fällen Kompromisse eingehen. Das Hexenmemorial in Norwegen, ein zeltartiges Objekt, wollte ich aus richtigem Segeltuch machen. Aber man hat mir gesagt, dass das alle sieben Jahre ersetzt werden müsste. Daraufhin haben wir uns für ein Gewebe aus Nylon mit einer Teflon-Beschichtung entschieden. In diesem Fall mussten wir das so machen, aber ich versuche, den Einsatz solcher Materialien zu minimieren.

TEC21: Ablagerungen und Abtragungen sind zwei ver­schiedene Altersspuren. In der Therme Vals kann man beide auf eine sinnliche Art spüren, und in der Bruder-Klaus-Kapelle gibt es Spuren von Dingen, die gar nicht mehr da sind. Geruch und Russ vom Verbrennen der inneren Schalung.
Peter Zumthor: Das habe ich mir noch nie so genau überlegt, aber Sie haben recht. Dazu gibt es neben Ablagerungen und Abtragungen noch Verfärbungen. Beim Beton ist es offensichtlich ein chemischer Prozess, durch den das Material sich selbst reinigt und heller wird. Die Wände in meinem Haus waren so dunkel, dass ich deprimiert war, als sie aus der Schalung kamen. Jetzt sind sie hell und werden zusehends noch heller. An anderen Orten bin ich umgekehrt traurig über das Aufhellen. In der Feldkapelle ist ein Minera­lisierungsprozess im Gang: Irgendetwas kommt an die Oberfläche, das das Schwarz verdrängt. Der Beton lebt. Er frisst den Russ. Eines Tages wird er nicht mehr da sein. Leider! Das Innere dort war pechschwarz, und so hatte ich es mir gewünscht.

TEC21: Ja, so etwas hat uns auch der technische Leiter vom Kunsthaus Bregenz bestätigt. In einem lang­samen Prozess lassen sich die Klebspuren an den Ausstellungswänden abwaschen. Der Rohbeton stösst den Klebstoff immer wieder von innen an die Oberfläche, wo er wiederholt abgespült werden kann, bis er irgendwann ganz verschwindet. Aber dem Ter­razzo­boden ist offenbar ein Stoff zugeschlagen, der ihn elastisch macht, damit der monolithische Belag nicht reisst. Warum möchten Sie diese Risse, die typisch für Terrazzo sind, nicht zulassen?
Peter Zumthor: Das ist mir neu. Ich wollte das sicher nicht verhindern. Wenn das so ist, dann liegen die Gründe dafür bei der Herstellerfirma. Es gibt ausserdem feine Haarrisse.

TEC21: So rein sind die Baustoffe also manchmal nicht, wie man sich das wünscht?
Peter Zumthor: Nein, das sind aber praktische Aspekte, um zum Beispiel das Arbeiten zu erleichtern. Auch die Gläser der Fassade in Bregenz sind mit Folie zwischen den Scheiben gesichert, die verhindert, dass grosse Stücke herunterfallen könnten – das sind Situationen, wo das Plastik viel kann. Aber das geschieht nicht oft.

TEC21: Im Fall der Fassade am Kunsthaus ist das mit den geklemmten Scheiben geschickt detailliert. So sind keine Bohrlöcher nötig, die eine weitere Angriffs­fläche für die Verwitterung der Plastikfolie darstellen würden.
Peter Zumthor: Ja, das wollten wir unbedingt so, dass sie ganz altmodisch aufliegen und nicht gebohrt sind.

TEC21: Ist Ihr Verständnis zum Alter von Material mit Ihren Erfahrungen ein anderes als in früheren Jahren?
Peter Zumthor: Das Altern hat mir immer gefallen. Mit dieser Vorstellung arbeite ich. Hingegen habe ich mich früher gern über fachliche Zusammenhänge hinweggesetzt – wenn ich zum Beispiel ein spezielles Detail haben oder eine bestimmte ästhetische Wirkung erzielen wollte. Im Nachhinein muss ich sagen: Gewisse Dinge sind sinnlos. Zum Beispiel die furnierte Tür hier im Atelier, die ich schon zweimal austauschen musste, und das wäre jetzt schon wieder nötig, denn das Furnierholz blättert ab. Ich musste auch andere Dinge ändern, die ich ein bisschen forciert habe: Da stand auch draussen beim Atelierhaus ein Eichen­pfosten mit dem Stirnholz auf einer Metall­platte. Ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass er fault. Mein Vater, ein Schreinermeister, hatte immer gesagt, mit Eiche könne man alles machen – was offenbar nicht stimmt. Das nehme ich inzwischen ernster, ich bin sorgfältiger geworden mit den Mate­rialien.

TEC21: Und wie gehen Sie mit wirklichen Schäden an einem Bau um?
Peter Zumthor: Da gibt es kein Patentrezept. Im Kolumba in Köln besteht die Wand aus einem massiven einschaligen Mauerwerk. Nach rund acht Jahren ist auf der Westseite Wasser eingedrungen und innen ein feuchter Fleck entstanden. Der Mörtel war wohl zu fest, sodass es Haarrisse in den Fugen gegeben hat. Der Schlagregen hat dann unter dem Winddruck die Feuchtigkeit hineingedrückt, und im Sommer konnte diese nicht austrocknen. Es hat lang gedauert, eine Lösung zu finden. Jetzt hat der Dombaumeister von der Kathedrale nebenan jede Fuge der ganzen Fassade von Hand oben geschlossen und verspachtelt. Aber das sind die verdeckten Mängel, die Garantiearbeiten, die mit dem eigentlichen ­Alterungsprozess nicht viel zu tun haben.

TEC21: Gibt es ein Gebäude, das Sie sehr lieben wegen der Art, in der es altert?
Peter Zumthor: Generell finde ich alte Landschaften, alte Kunst, alte Bauten fantastisch – so die Kathedrale in Chur oder das Kloster in Müstair. Ich will auch Teil davon sein und etwas machen, das alt wird – das vor allem schön alt wird. Ich weiss nicht, ob meine Bauten je so alt werden, dass man vergisst, wer sie entworfen und gebaut hat, und nur noch die Arbeit von Menschen darin sieht. Je älter ich werde, desto mehr fasziniert mich diese Einbettung in einen historischen Kontext.

TEC21: Die Geschichte, die ein Gebäude sich einverleibt, ist vielleicht nicht sichtbar – aber ist sie auch eine Spur des Alters?
Peter Zumthor: Ja, es ist schön, einen Tisch zu haben, an dem der Grossvater schon sass. Es ist auch schön, einen Gegenstand oder ein Gebäude zu machen, das immer wieder gebraucht, geändert oder umgebaut wird – und das trotzdem oder gerade deshalb bleibt. Das verbindet mit dem Ort, aus dem man kommt. Das ist nicht so in einer billigen Neubausiedlung, wo alles nach sieben Jahren auseinanderfällt, wo das Plastik von den Decken und Fassaden herunterkommt. Ich will so bauen, dass etwas bleibt – nicht meinetwegen, sondern damit etwas in der Welt bleibt und verschiedene Menschen daran Teil haben können. Das ist wichtig – die Dinge in der Zeit zu verankern.

TEC21: Wie ist das hier in Haldenstein, am Süsswinkel, wo Sie wohnen?
Peter Zumthor: Das ist ein Langzeitprojekt. Meine Familie, meine Freunde und ich besitzen einen grossen Teil der Häuser in der Strasse. Ohne uns wären sie schon lang ersetzt durch pseudohistorische Bauten. Wir betreiben so eine Art Denkmalpflege durch Besitz. Jetzt will das Bauamt überall die Strassen erneuern. Sie haben oben im Dorf angefangen und Randsteine angebracht – klar abgegrenzte Trottoirs gegen die Strasse, hier gehen, dort fahren. Da sind einige von uns vom Süsswinkel zur Gemeindepräsidentin gegangen und haben gesagt, dass wir uns etwas anderes wünschen: Traditionell läuft bei uns der öffentliche Raum über die Strasse bis an die Türschwelle. Der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Grund ist nicht sichtbar. Sie hat das zur Kenntnis genommen, und jetzt gibt es eine Wohn­strasse, so sind wir mit einem modernen Wort wieder beim alten Konzept.

[Das Interview führten Danielle Fischer und Hella Schindel im April 2019 in Peter Zumthors Wohnhaus in Haldenstein.]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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