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TEC21 2019|21
Drei Buch­sta­ben für die Si­cher­heit
TEC21 2019|21
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Für alle Fälle gerüstet

Die Betriebs- und Sicherheitsausrüstungen (BSA) gelten als Eigenart bei der Planung von Verkehrsanlagen. Ein Blick über den Tellerrand des klassischen Bauingenieurwesens schafft interdisziplinäres Verständnis.

24. Mai 2019 - Ulrich Stüssi
Zu Recht gilt der Tunnelbau als eine der anspruchsvollsten Disziplinen des Ingenieurwesens. Sei es in Bezug auf die Planung, die nach minutiösen und oftmals sehr aufwendigen Vorerkundungen verlangt, die hohen und nach den Launen der Natur nur schwer berechenbaren Baukosten oder die schwülen, staubigen und lauten Baustellen, die den Bauarbeitern und -maschinen in der Ausführung enorm viel abverlangen. Der Tunnelbau versteht sich als sehr ursprüngliche Bauingenieurskunst – eine Kunst jedoch, die sich über den Lauf der Zeit technologisch und gestalterisch stark gemausert hat.

Wo früher noch mit Schwarzpulver, Pickel und Schaufel rohe Löcher in den Fels geschlagen wurden, fahren heute – sofern es das Gestein erlaubt – Tunnelbohrmaschinen als rollen­de Fabrikationsstrassen auf. Die einst massiven Hangverbauungen und schwerfälligen Nebenbauten sind sorgfältig gestalteten Tunnelportalen und dezenten Betriebsbauten gewichen. Davon abgesehen werden an Tunnelbauwerke hohe technisch-funktionale Anforderungen gestellt: Als oberstes Gebot haben sie die Sicherheit ihrer Nutzer sowohl im Normal- als auch im Ereignisfall zu gewährleisten.

Ein Blick in die Normen und die Auseinandersetzung mit den gängigen Standards verdeutlichen den konkreten Umfang dieser Sicherheitsanforderungen. So führen die Projektierungsnormen SIA 197/1 für Bahntunnel und SIA 197/2 für Strassentunnel den Begriff der Betriebs- und Sicherheitsausrüstung (BSA) ein und formulieren die Grundsätze für deren Projektierung. Die planerische Umsetzung findet gemäss Standards aus Fachhandbüchern, Richtlinien, Weisungen oder Interoperabilitätsverordnungen statt.

Was genau sich laut diesen Reglementen hinter dem Begriff der BSA verbirgt, kann in den Augen des Bauingenieurs auf den ersten Blick fremdartig anmuten: Dort finden sich unter anderem Themen wie Energieversorgung, Beleuchtung, Signalisation oder Lüftung. Damit ist die BSA verwandt mit der Gebäudetechnik eines Hochbaus und verlangt Fachkompetenzen, die ausser­halb der klassischen Bauingenieurtätigkeit liegen. Ohne fachlichen Austausch und interdisziplinäre Verständigung geht es daher kaum. Zusätzlich besteht die BSA gerade im Tunnelbau aus vielen Einzel- und Spezialgewerken, die ein hohes Mass an Koordination erfordern.

Somit überrascht es kaum, dass der Parametrisierungs- und Digitalisierungsgrad bei der BSA-Planung heute schon weit fortgeschritten ist – weit über dem Mass, wie es sonst im Tunnel- oder allgemeinen Tiefbau geläufig ist. Dies sorgt einerseits für Ordnung auf diesem fachlichen Tummelplatz und zeigt andererseits eine weitere Parallele zur Gebäudetechnik im Hochbau: Auch hier ist ein technologisch geprägtes Gewerk die treibende Kraft hinter der Digitalisierung.

Vom Ereignis zum Standard

Die BSA ist ein noch junger Begriff im Glossar der Projektierungsreglemente. Nach den Tunnelbränden im Montblanc- und Gotthard-Strassentunnel Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre erliess die Europäische Union eine Richtlinie bezüglich der Mindest­anforderungen an die Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Strassennetz. In der Folge wurden auch die Schweizer Tunnelbauwerke einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Aus diesem Kontext ­heraus sind Standards entstanden, die heute ein einheitliches Sicher­heitsniveau für Tunnel festlegen, und die Erkenntnis, dass bestehende Bauten teilweise Sicherheitsdefizite aufweisen.

In den vergangenen 20 Jahren wurden in der Schweiz zahlreiche Bahn- und Strassentunnel neu gebaut. Daneben besteht eine Vielzahl von Tunneln, die gemäss früheren Standards geplant und errichtet wurden. So laufen aktuell mehrere Projekte, mit denen die Sicherheit bestehender Tunnel erhöht werden soll – grösstenteils werden dabei Synergien mit ohnehin geplanten Erhaltungsvorhaben genutzt.

Eine Eigenheit der BSA ist, dass je nach Verkehrs­träger andersartige Anforderungen an die Anlagen gestellt werden: Während für Strassentunnel gemäss SIA-Projektierungsnormen beispielsweise Beleuchtungsanlagen oder mechanische Lüftungskomponenten ohne Weiteres auch für den Normalbetrieb notwendig sein können, sind diese bei Bahntunneln in der Regel nur für den Ereignis- oder Erhaltungsfall massgebend. Diese Unterschiede basieren auf den individuellen Risiken, die die verschiedenen Verkehrsarten mit sich bringen.

Weiter in die Tiefe dieser normativen Grundsätze gehen die Projektierungsstandards des Bundes­amts für Strassen (Astra) mit dem Fachhandbuch 23001. Es versteht sich als Leitfaden zur Projektierung von BSA-Anlagen auf Nationalstrassen und beinhaltet umfassende technische Merkblätter zu den gemäss SIA 197/2 verzeichneten Ausrüstungselementen. Vergleichbare Projektierungsgrundsätze für Bahntunnel liefern etwa die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität, der UIC-Kodex 779-9 oder die Richtlinie des Bundesamts für Verkehr, die Sicherheitsmassnahmen für neue und bestehende Bahntunnel beschreiben.

BSA-Planung in der Praxis

Bei der BSA-Planung können sich je nach Verkehrsträger oder Auftraggeber die organisatorischen Strukturen stark unterscheiden. Beim Astra ist es üblich, dass die BSA einem Spezialisten als Fachplanung übertragen wird – also spezialisierte Leistungen separat beschafft werden. Bei kantonalen Strassenprojekten werden hingegen häufiger interdisziplinäre Planungsteams beauftragt, die in entsprechender Formation die nötigen Fachkompetenzen einbringen. Ähnliches gilt für Bahnprojekte, wobei sich dort vermehrt Generalplanungsmodelle etablieren.

Charakteristisch für die BSA-Planung ist, dass meist nicht alle Anlagen von einem einzelnen Spezialisten geplant werden. So kommen bei der Tunnel­planung neben Bauingenieuren, Architekten und Ver­kehrs­planern auch Spezialisten aus verschiedenen technischen Disziplinen zusammen. Die Integration all dieser Disziplinen wird zur Gesamtleitungs­aufgabe, die je nach Mandatsstruktur auf Planer- oder Bauherrenseite wahrzunehmen ist. Unabhängig davon, wie die Kompetenzen planerseitig in die Projektierung eingebracht werden, entstehen zwischen den baulichen Objekten und den BSA-Anlagen Schnittstellen, die im Planungsalltag entsprechende Herausforderungen mit sich bringen.

Licht am Ende des digitalen Tunnels?

Zentrale Aufgabe des Bauingenieurs bleibt die Projektierung eines verhältnismässigen Tunnelquerschnitts, der den Forderungen an den verkehrlichen Lichtraum gerecht wird und den Platzbedarf der BSA optimal einbindet. Ein Tunnel wird so zu mehr als einem linienförmigen Bauwerk, das als grösste Herausforderung den geologischen Gegebenheiten baulich begegnet. Zusammen mit dem Parametrisierungsgebot an die BSA ist er ein hochtechnisiertes Infrastrukturobjekt, das eine konfliktfreie Konzeption aller Gewerke bedingt und eine passende Übungsanlage für den digitalisierten Planungs- und Bauprozess hergibt.

Erste Schritte in diese Richtung finden hierzulande längst statt. So wendeten die BSA-­Planer beim Projekt Tunnel Eyholz (A9, Süd­umfahrung Visp) pilotweise die BIM-Methode an. Beim Tunnel Bypass Luzern wird mit einer parametrischen 3-D-Modellierung gearbeitet. Diese Projekte zeigen, dass sich die Tiefbauplanung Richtung Digitalisierung bewegt. Bestätigt wird dies durch aktuelle Entwicklungsprogramme grosser Infrastruktur­eigentümer (z.B. BIM@SBB).

Die ständig widerhallende Frage nach dem ­Potenzial und Mehrwert bei einem Einsatz der BIM-­Methode stellt sich indes auch hier. Entsprechende Antworten wird die Planungspraxis – angetrieben durch den Aktionsplan Digitale Schweiz, nach dem alle bundes­nahen Betriebe ab 2025 bei Infrastrukturanlagen die BIM-Methode anzuwenden haben – in den kom­men­den Jahren und spätestens bei einem ersten BIM-to-field-Erfolg bestimmt finden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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