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TEC21 2019|25-26
Wenn der Berg kommt
TEC21 2019|25-26
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Felsabbruch mit Folgen

In Preonzo bedrohten abstürzende Felsmassen die am Hangfuss liegende Industriezone. Der Kanton Tessin lancierte 2012 ein Projekt, das eine freiwillige Umsiedlung der gefährdeten Betriebe und eine Auszonung des Gebiets umfasst.

28. Juni 2019 - Lukas Denzler
In den 1960er-Jahren standen die Zeichen auf Wachstum. Die Industrie und das Gewerbe benötigten mehr Raum. So auch in Preonzo zwischen Biasca und Bellinzona. Als sich dort Gewerbe- und Industriebetriebe niederliessen, erkannte man die Gefahr noch nicht. Doch 1990 entdeckten Geologen auf der Alpe di Ròscera direkt oberhalb der Industriezone erste Risse im Gelände. In der Folge baute der Kanton Tessin ein Überwachungssystem auf. Im Fels installierte Instrumente messen seither die Hangbewegungen an der Abbruchstelle.

2002 und 2010 ereigneten sich zwei kleinere Felsstürze. Zur Überwachung der ganzen Bergflanke aus sicherer Distanz ist 2012 auch ein Georadar installiert worden. «Diese Methode ist sehr nützlich bei aktiven Geländebewegungen und wenn Entscheide rasch zu fällen sind, etwa die Evakuierung von Personen», sagt Lorenza Re, Geologin bei der Sezione forestale beim Kanton Tessin. Die Situation spitzte sich im Mai 2012 weiter zu. Die Kantonsstrasse und das Gebiet wurden gesperrt. In den Betrieben standen die Maschinen still. Nur zwei Tage später stürzten insgesamt 300 000 m³ Fels ins Tal. Schäden gab es glücklicherweise keine.

Permanente Überwachung

Durch die Entlastung des Abbruchs beruhigte sich die Situation am Berg wieder. Die permanenten Ra­darmessungen wurden daraufhin eingestellt. Die ­Überwachung des Hangs erfolgt derzeit durch neun Extensometer an der Abrisskante und 14 geodätische Messpunkte, deren Bewegungen aus der Distanz durch einen Theodoliten kontinuierlich erfasst werden. Die Kosten belaufen sich auf 20 000 bis 25 000 Franken pro Jahr.

Die registrierten Felsbewegungen liegen seit dem Abbruch in der Regel unter einem Zentimeter pro Jahr und somit wieder im Bereich der Jahre 1990 bis 2000. «Einzig die Felsen am äussersten Rand bewegen sich einige Dezimeter und in einem Fall mehr als einen Meter pro Jahr Richtung Tal», sagt Lorenza Re. Die Fachleute gehen davon aus, dass ein nächster Felsabbruch 30 000 bis 50 000 m³ umfassen könnte.

Fünf Jahre nach dem Felsabbruch 2012 liess der Kanton die Abbruchstelle im Winter 2017/2018 während sechs Monaten zur Kontrolle erneut mittels Georadar permanent überwachen. Laut Lorenza Re zeigten die Radarmessungen keine Abweichungen von den im Hang installierten Messinstrumenten. Bleibt die Situation unverändert, so ist vorgesehen, in etwa fünf Jahren eine nächste Radarmessung durchzuführen. Die Kosten dafür betragen rund 30 000 Franken.

Anreize für eine freiwillige Umsiedlung

Die Lage ist aber weiterhin unberechenbar und kann sich rasch wieder zuspitzen. Nach dem Felssturz und der Evakuierung der Industriezone im Mai 2012 stellte sich die Frage, wie es dort weitergehen soll. Im April 2013 be­willigte die Tessiner Kantonsregierung den Plan einer freiwilligen Umsiedlung der in Preonzo ansässigen ­Betriebe in die bestehenden Industriearale in Castione und Carasso. Das Kantonsparlament stimmte dem ­Kredit zu. Bund und Kanton beteiligten sich dabei mit 70 % an den Kosten von knapp 13 Mio. Franken. Bedingung dafür war, dass die Betriebe im Kanton Tessin bleiben.

«Wir stützten uns bei der Umsiedlung der Industrie­zone auf die eidgenössische Waldverordnung ab», sagt Roland David, der den Tessiner Forstdienst leitet. In dieser ist im Artikel 17 festgehalten, dass die Sicherung von Gefahrengebieten auch die Verlegung gefährdeter Bauten und Anlagen an sichere Orte umfasst. Projekte, die solche Massnahmen vorsehen, können somit durch den Bund und die Kantone finanziell unterstützt werden. Von den insgesamt sieben Betrieben nahmen in Preonzo fünf das Angebot an und haben inzwischen die Industriezone verlassen.

Ein weiterer Betrieb, der sich am Rand des gefährdeten Gebiets in der blauen Zone befindet, wird wahrscheinlich in einer zweiten Phase ebenfalls wegziehen. Die letzte noch verbleibende Firma benötige viel Platz und habe vor wenigen Jahren auch in die Erneuerung der Produktionsanlagen investiert, erläutert Roland David. Ein erneuter Betriebsunterbruch werde momentan in Kauf genommen. Die Industriezone von Preonzo wird aber möglicherweise mittelfristig ganz aufgehoben. Dann müsste auch die letzte Firma die Produktion dort einstellen und an einen anderen Standort umziehen.

Der Rückbau der nicht mehr benötigten Bauten in der Industriezone ist Teil des gesamten Projekts. Das Areal wird künftig als Landwirtschaftsland genutzt, auf einem Teil wächst Wald auf. Im Rahmen des Integralen Risikomanagements könne eine Umsiedlung und ein Rückbau in gewissen Fällen die beste Lösung sein, sagt Roland David. Seiner Ansicht nach werde dieser Ansatz aber nur punktuell zur Anwendung kommen, wenn keine technischen Schutzmassnahmen möglich seien oder wenn diese sehr teuer wären.

Im Tessin gibt es jedoch ein weiteres prominentes Beispiel: Das Eisstadion von Ambrì-Piotta, die Valascia, befindet sich in einem durch Lawinen gefährdeten Gebiet. Das Stadion wird an einen sicheren Ort verlegt. Im April 2019 erfolgte der Baubeginn für das neue Stadion auf dem ehemaligen Militärflugplatz in Ambrì. Rechtzeitig für die Saison 2021/2022 soll es fertig sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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