Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2019|07-08
Offen / Geschlossen
db deutsche bauzeitung 2019|07-08

Passgenaues Implantat

Radio- und TV-Fakultät der Schlesischen Universität in Kattowitz (PL)

Frei von Retro-Allüren haben die Architekten den Neubau geschickt in die Raum- und Belichtungssituationen seiner Nachbarbebauung eingepasst. Mit seinem dunklen Backstein formuliert er klare Raumkanten, bildet mit perforierten Formaten aber auch luftige Brisesoleils und erscheint so gleichermaßen abgezirkelt wie auch durchlässig. Die Unterscheidung in offen und geschlossen bleibt dabei unentschieden in der Schwebe.

12. August 2019 - Falk Jaeger
»Wenn Sie in die Pawła kommen, schauen Sie genau hin, Sie werden es nicht gleich finden«, war der Rat des Passanten auf die Frage nach dem neuen Kattowitzer Fakultätsgebäude. Der geschulte Blick des Kritikers irrte nicht lange herum, aber der Hinweis war aufschlussreich. Offenkundig ist es den Architekten gelungen, den Bau in die Stadtstruktur aus dem 19. Jahrhundert »harmonisch einzufügen«, wie es in Erläuterungstexten so gerne heißt.

Dabei handelt es sich keineswegs um Anpassungsarchitektur mit irgendwelchen Retro-Allüren, die in dem dicht bebauten Innenstadtquartier unweit des Zentrums und der Kulturmeile in einer schmalen Querstraße ihren Platz fand. Ein immerhin 50 m langer, glatter Monolith, in seiner Körperhaftigkeit betont, indem die Dachkante abgefast ist; durchaus, um die Traufhöhe der Nachbarhäuser aufzunehmen, aber eben in einer ortsunüblichen, skulptu­ralen Form. Unüblich wie die Fassade selbst, ein Überwurf aus Lochziegeln, der dem Auge keine Gliederung bietet, schon gar nicht irgendwelche Fensterformen, Simse und dergleichen. Das Haus verschließt sich auch hermetisch den Blicken von außen und von gegenüber, während von innen die Straße wahrnehmbar ist. Zum Beobachten animiert der Durchblick jedoch nicht, weil das Bild doch stark verpixelt wird und die Tiefe des Ziegelgitters die Schrägeinsicht verhindert. Abends freilich, mit Innenbeleuchtung, kehren sich die Sichtverhältnisse um und aus den gegenüberliegenden Nachbarhäusern sind Menschen zu sehen, die agieren, sitzen, arbeiten.

Das dunkle Ziegelmaterial korrespondiert mit der Umgebung – und mit dem Bestandsbau, der wie ein Exponat vom Neubau gerahmt wird. Dabei ist der zweigeschossige, 140 Jahre alte, typologisch unspezifische Ziegelbau nicht eben eine bauhistorische Preziose und war zum Abriss freigegeben. Doch die Architekten mochten ihn nicht aufgeben, restaurierten ihn und präparierten seine dekorative Fassadengliederung heraus. Die Historie trägt die Gegenwart, das Neue fußt auf dem Alten, so die plakative Aussage. Es gibt Arbeitsmodelle und Skizzen, die wörtlich zeigen, wie der Neubau, scheinbar ohne EG schwebend, huckepack auf dem Bestandsbau sitzt. Auch ideell trägt der historische Bau das Institut, denn im Inneren haben die Architekten in einem zweigeschossigen Raum die Bibliothek, gewissermaßen sein Gedächtnis, untergebracht.

Die Historie war den Architekten jedoch kein Fetisch, denn am rechten Rand haben sie den Altbau kurzerhand um 3,5 m beschnitten. Den schmerzlichen Verlust der Symmetrie haben sie in Kauf genommen, um pragmatisch Platz für die Tiefgarageneinfahrt zu schaffen. Da die Vorhangfassade nicht bis auf Straßenniveau herabreicht, bleibt das EG offen, ist voll verglast. Ein großzügiger, überdachter Vorbereich, ein ebenfalls großzügiger Windfang und die geräumige Lobby schaffen eine offene und transparente Eingangssituation mit unverspiegeltem Durchblick von der Straße bis zum Empfangstresen und in den Hof.

Gestaffelt

Auf dem beräumten Grundstück hatten sich die Architekten mit einer typischen Hinterhofsituation konfrontiert gesehen, mit Seitenflügelgiebeln, angeschnittenen Lichthöfen und schrundigen Brandwänden, an denen sich ­frühere Nachbargebäude palimpsestartig abzeichneten. Glücklicherweise passte das Raumprogramm perfekt und war mit der Randbebauung und ein- bzw. zweigeschossiger randständiger Hofbebauung gut zu bewältigen. Höfe und Einschnitte übernehmen die Baulücken der Umgebung und sorgen für genügend Licht und Luft.

Die Dachflächen der niedrigen Bauteile im Hof sind zwar verklinkert, aber nur zu einem kleinen Teil umfriedet und begehbar. Für so viel (kostenintensiv zu unterhaltende) Terrassenfläche gibt es in der zahlenmäßig kleinen Fakultät keinen Bedarf.

Dafür gibt es den großzügiger »Klosterhof« im Zentrum, der die Gebäude belichtet und als Treffpunkt, Verteiler und Ort für Open-air-Events aller Art fungiert. Und wo keine Fenster möglich waren, in der Nordostecke, ist das hauseigene Kino mit 121 Sitzplätzen untergebracht.

Dominierendes gestalterisches und funktionales Element ist der den meisten Fassaden vorgehängte Schirm aus backsteinformatigen, horizontal liegend ­gestapelten Rahmenziegeln. Das Gitter hat ein Wand-Öffnungsverhältnis von 1:1 und wirkt als Lichtfilter und Sonnenschutz. In den nach Westen gelegenen Büro- und Seminarräumen an der Straßenseite gibt es bodentiefe Fenster, doch der Schirm verhindert direkte Einblicke. Die Hörsäle im DG hingegen erhalten durch Fenster in der Dachschräge ohne Gitterschirm volles Tageslicht.

Die Fassaden zum Hof hin sind je nach Nutzungen nur teilweise beschirmt. Rings um den Hof sind die Studios, Schneideräume, Werkstätten und die Mensa angeordnet. Der renommierte Fotograf und Filmemacher Bogdan Dziworski, derzeit Dekan der Fakultät, hat hier z. B. sein Atelier und gerät über die vielfältigen Möglichkeiten der variablen Lichtverhältnisse ins Schwärmen. Er könne abdunkeln oder volles Tageslicht einlassen, habe den Ziegelschirm zur einen, offene Fenster zur anderen und die Terrasse für Freiluftaufnahmen vor der Tür.

Ein architektonischer Höhepunkt ist die Kaskadentreppe, die auf der Hofseite hinter der haushohen Glasfassade nicht nur zur Erschließung, sondern auch als kommunikatives Element die Geschosse miteinander verbindet. Die nackte Glasfront schien den Architekten zwar zu offen; dass der Ziegelschirm hier aus Kostengründen eingespart wurde, geriet aber eher zum Vorzug. Denn so ergibt sich eine eindrucksvolle, stockwerkübergreifende Glasfassade, hinter der man die Studierenden auf und ab gehen sieht und die für mehr Licht in den hinteren Flurzonen sorgt. Die Schwerter für die Gitterfassade waren schon montiert. Sie blieben – eigentlich nutzlos – vor der Glaswand stehen und geben ihr räumliche Tiefe.

Wie überall im Haus wird deutlich: Den offenen Bereichen spürbare Raumgrenzen zu geben, ist das von den Architekten verfolgte Grundprinzip. So gibt es die Gitter auch als Bereichstrennwände und zwischen manchen Büros und dem Flur. Sie tragen zu einer großen Vielfalt an anregenden Raumeindrücken bei, die beim Gang durch das Haus zu erleben sind, mit Sichtbeziehungen vom Schaufensterblick bis zum heimlichen Auge wie bei der Maschrabiyya (einem dekorativen Holzgitter der traditionellen islamischen Architektur) und ins gleißende Zenitlicht des Himmels. Eine »Schule des Sehens«, wie sie in einer Fakultät der Medienmenschen sicher willkommen ist.

Die Atmosphäre im Haus wird v. a. durch den an Wänden, Treppenstufen und Fußböden der Flure, Säle und Seminarräume allgegenwärtigen Ziegel bestimmt. Einmal glatt versintert, dann wieder als raue Torfbrandklinker, mal flächengleich, dann wieder im lebendigen Relief vermauert, harmoniert der Ziegel mit anthrazitgrauen stählernen Türgewänden, mit warmgelben, gediegenen Holzeinbauten und mit den Betonstützen- und Decken.

Er schluckt freilich auch viel Licht, was sich im Stromverbrauch des Hauses bemerkbar machen dürfte. Vielleicht ist der Umgang mit Licht und Schatten Katalonien, dem Herkunftsland der Architekten, geschuldet. In den heißen Sommern dort ist das prima. Während der osteuropäischen Herbst-und Winterzeit wünschte man sich jedoch, die Vorhangfassaden zur Seite schieben zu können, um jeden Strahl Tageslicht nutzen zu können.

Insgesamt beeindruckt das Geschick, mit dem das Bauvolumen passgenau in die innerstädtische Situation implantiert wurde und mit dem die unterschiedlichen Nutzungen miteinander verknüpft und in die Raum- und Belichtungssituationen eingepasst sind.

Noch befindet sich das Stadtviertel im Halbschlaf. Doch hier und da sind Ansätze neuer Entwicklungen zu registrieren und der Aufschwung des zentrumsnahen Quartiers ist absehbar. Die Radio- und TV Fakultät der Universität mit ihrer agilen, kulturaffinen Studentenschaft wird zweifellos ihren Anteil daran haben.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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