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db deutsche bauzeitung 2019|09
Im Norden
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Hamburger Understatement

Umbau ehem. Hauptzollgebäude Speicherstadt in Hamburg

Mit dem Fall der Zollgrenze im Hamburger Hafen verloren auch die historischen Zollämter in der Speicherstadt ihre Funktion. Das ehemalige »Hauptzollgebäude« gleich gegenüber der Altstadt wurde von den Architekten BIWERMAU zum zeitgemäßen Bürogebäude auf eine derart nobel-zurückhaltende Art und Weise umgebaut, wie sie hamburgischer nicht sein könnte.

16. September 2019 - Claas Gefroi
Nirgends sonst hat sich die Handels- und Kaufmannsstadt Hamburg so eindrucksvoll materialisiert wie in der Speicherstadt – ein bis heute einzigartiger Komplex von Lagerhäusern, der sich südlich der Innenstadt wie ein langes rotes Band zwischen Norderelbe und Zollkanal entlangzieht. Errichtet einst, weil die Stadt, bis dahin vollständig zollfrei, 1888 ins deutsche Zollgebiet eingegliedert wurde. Hamburg konnte dem Reich jedoch abringen, dass ein Großteil des Hafens eine zollfreie Enklave blieb. So wurde der Hafen mit einem Zaun umhegt und der bisher fließende Übergang zwischen Stadt und Hafen durch eine scharfe, mit Zollstationen gespickte Grenze ersetzt. Ein Großteil der Lagerhäuser stand nun im Zollinland. Für sie musste im Freihafen Ersatz geschaffen werden, und das möglichst nahe der Kontore der Kaufleute in der Innenstadt. So wurden auf den Brookinseln die alten Wohnquartiere abgerissen und von 1885 bis 1913 auf 26 ha Fläche der weltweit größte Speicherhauskomplex errichtet.

Zurück zu den Wurzeln

Der Warenumschlag in diesem Teil des Hafens rund um Sandtor-, Grasbrook- und Magdeburger Hafen sowie in der Speicherstadt florierte in den Jahren zwischen den Weltkriegen und auch nach dem Zweiten Weltkrieg in rasch wiederaufgebauten Schuppen und Lagerhäusern. Doch seit den 70er Jahren verringerte sich der Handel hier dramatisch, weil der bisherige Stückgut- durch den Container-Transport verdrängt wurde. Die Kaffee-, Tee- und ­Gewürzhändler in den Speichern wanderten ab und wurden durch Kreativagenturen, Webdesigner und Museen ersetzt. Mit den Planungen für die HafenCity ­wurde die Zollgrenze 2003 schließlich aufgehoben. Welche Bedeutung der Freihafenstatus hatte, lässt sich jedoch bis heute nicht nur an erhaltenen Zollwärterhäuschen und Resten des Zollzauns erkennen, sondern auch an den eindrucksvollen Verwaltungs- und Abfertigungsgebäuden des Zolls in der Speicherstadt. Wie die Speicher selbst verloren auch sie peu à peu ihre Funktion und wurden umgenutzt. Das ehemalige Zollabfertigungsgebäude am Wandrahm beispielsweise wurde zum Deutschen Zollmuseum umgebaut. Das benachbarte, ebenfalls am Zollkanal gelegene Zollgebäude 2 wurde von der städtischen Hafengesellschaft HHLA mit einem Nutzungsrecht bis 2089 an die maxingvest AG vermietet – der noch heute vollständig im Besitz der Familie Herz befindlichen Dachgesellschaft der Tchibo und Beiersdorf AG. Für das Unternehmen war die Anmietung eine Rückkehr zu den Wurzeln, denn in der Speicherstadt eröffnete einst der Tchibo-Gründer Max Herz sein erstes Kontor.

Modifiziert wiederhergestellt

Für die neue Nutzung als Unternehmenszentrale musste das denkmalgeschützte Gebäude umfangreich umgebaut werden – hier war dies ein Glücksfall, weil der Bau sich in keinem guten Zustand befand. Im Zweiten Weltkrieg durch Bombentreffer stark beschädigt, wurde er unter Verlust zahlreicher ­architektonischer Details in den 60er Jahren wiederhergestellt. Dort, wo sich einst eine abwechslungsreiche Dachlandschaft mit Steildächern, Türmchen und Dachgauben erhob, wurde ein schmuckloses, flach eingedecktes Büro­geschoss aufgesetzt. Die alten vielgliedrigen Fenster wurden durch stark vereinfachte Varianten ersetzt und im EG gar eine Tordurchfahrt für LKW durch das Gebäude getrieben. Im Innern war durch die Aufteilung der einstigen Kontorräume in Einzelbüros von der historischen Substanz fast nichts mehr zu sehen. Die direktbeauftragten Architekten BIWERMAU ließen, in Ab­sprache mit dem Denkmalschutz, also zunächst einmal all die hinzugefügten Wände, Decken und Bekleidungen entfernen. Zum Vorschein kamen preußische Kappendecken, Fliesen-, Holz- und Granitböden, gusseiserne Stützen und in den Treppenhäusern sogar noch historische Wandbemalungen.

Beim Umbau galt die Maxime, sich wo immer möglich dem historischen Bild anzunähern, die Eingriffe der Nachkriegszeit jedoch nicht vollständig auszulöschen. Zudem sollten alle neuen Zutaten als solche ablesbar bleiben. Man kann dies exemplarisch an der Tordurchfahrt sehen: Sie wurde geschlossen und im Innern ein neues zentrales Foyer geschaffen. Die Eingänge an den Stirnseiten des Gebäudes wurden dafür aufgegeben. Im Innern der neuen Eingangshalle sind die Betonbügel der 60er Jahre noch sichtbar, außen hingegen wurden sie von einer neuen Backsteinschicht verhüllt. Diese Schicht aus Wasserstrich-Klinkern springt nicht nur vor, sondern setzt sich auch farblich etwas von den alten Ziegeln ab. Die Fugenfarbe orientiert sich am Bestand, die neuen Fugen jedoch liegen etwas tiefer als die historischen. Den Architekten war es zudem wichtig, dass alte und neue Steine nicht direkt aufeinandertreffen – so wurden in die Ecken des Vorbaus als optische Trennung vertikale ­Fugen vorgesehen, in denen die Fallrohre Platz finden. Die neue Eingangsfront wird zudem durch Pilaster gegliedert, die wohltuend die Vertikalität der alten Fassade aufnehmen.

Das DG von 1967 wurde entfernt und durch ein neues 3. OG ersetzt, dessen sehr enge Fensterachsen von außen eher den Eindruck eines Zierbands als das eines Vollgeschosses erwecken. Darüber schließlich erwächst eine neue, am historischen Vorbild orientierte, steile, kupfergedeckte Dachlandschaft. Lediglich ein Turm in der Dachmitte wurde zugunsten eines Oberlichts weggelassen und statt der einst kleinen sind nun große Dachgauben eingebaut, die viel Licht in das DG lassen. Da das Steildach sich über dem neuen 3. OG erhebt, ist der Bau heute höher als zu seiner Fertigstellung im Jahre 1899, was seinen Proportionen jedoch durchaus zum Vorteil gereicht. Auch weil die alten Ziegelfassaden nur vorsichtig ausgebessert und gereinigt wurden, alte Holzfenster aufgearbeitet und Nachkriegs-Fenster durch solche mit schmalen Stahlrahmen ersetzt wurden, erscheint der Umbau so dezent und selbstverständlich, dass man ihn überhaupt erst bei bewusster Betrachtung bemerkt. Das passt bestens zu den überaus zurückhaltenden Bauherren.

Nah am Wasser

Betritt man das Gebäude durch die neuen gläsernen Eingangstüren, muss man zunächst eine Wand umrunden. In der Halle angekommen erkennt man, dass dies die Rückwand des neuen Fahrstuhlschachts ist. Dessen Beton­oberflächen verbinden sich gut mit den ebenfalls betonierten alten Kappendecken und den Betonbügeln der Tordurchfahrt. Die wenigen weiteren neuen Zutaten sind der Belgisch-Granit-Boden und der hölzerne Empfangstresen. Das Foyer liegt, bedingt durch den einstigen Umbau für die Tordurchfahrt, ebenerdig und damit tiefer als das restliche EG. Da das Gebäude wie die ganze Speicherstadt im Überflutungsbereich der Elbe steht (weshalb sich auch eine Umnutzung für Wohnzwecke verbot), musste dieser Bereich gesondert geschützt werden: Vor den Glaselementen des Foyers liegen, hinter Metallblenden der Fensterlaibungen verborgen, die Führungsschienen für eine Dammbalkenanlage, in die bei Sturmflut die Schutzbalken eingeschoben werden. Über einige Stufen geht es dann hinauf in den östlichen bzw. westlichen Bereich des EG, in dem früher die Zollabfertigung und die Kassen lagen, und in denen heute u. a. ein Café seinen Platz gefunden hat.

Die drei OGs sind jeweils unterschiedlich ausgebaut: Es gibt Bereiche mit Einzel-, Gruppen- und Großraumbüros. Längs durch alle Etagen führen jeweils mittig angeordnete, mitunter recht schmale Flure, die die Büros mit dem zentralen Aufzug und den an den Gebäudeenden liegenden Nebenräumen und historischen Treppenhäusern verbinden. Es gibt in den Büros viele Einbauschränke und -regale entlang der Wände und Fensterbrüstungen und auch die Flurwände werden als Regal- und Schrankräume genutzt. Die ungemein platzsparende Bauweise, die in ­ihrer Effizienz fast schon an das Interieur von Schiffen oder Eisenbahnwaggons erinnert, war notwendig, weil das Gebäude aufgrund seiner einstigen Kontorhaus-Struktur über eine nur sehr geringe Tiefe verfügte. Die neue Innenarchitektur ist puristisch und streng: Als Materialien wurden nur Stahl, Glas, Holz und Putz verwendet. Als großes Glück erwies sich die solide Bauweise des Altbaus: Die massiven Außenwände sind so dick, dass keinerlei zusätzliche Dämmung notwendig war. Auch auf künstliche Belüftung und Klimatisierung konnte verzichtet werden und eine Fußbodenheizung sorgt bei Bedarf für Wärme. Das neue DG schließlich ist noch nicht ausgebaut, steht als Erweiterungsfläche jedoch parat. Die dortigen Räume an den Stirnseiten des Gebäudes mit ihrer Rundum-Befensterung lassen den Blick herrlich schweifen, über die Altstadt mit ihren Kirchtürmen, die HafenCity und die Elbphilharmonie. Dass Eigentümer und Vorstand sich hier keine repräsentativen Büros eingerichtet haben, ist eigentlich nicht zu erklären – außer mit Hamburger Understatement.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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