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Wenn, dann doch gleich richtig

Korkhaus in Eton

Das kleine, ganz aus massiven Korkblöcken und etwas Holz errichtete Wohnhaus in der Einflugschneise des Flughafens Heathrow kommt fast ganz ohne Folien und Kleber aus. Rechnerisch ist im verwendeten Material mehr CO2 gebunden als über den gesamten Lebenszyklus des atmosphärisch gestalteten Gebäudes je abgegeben wird.

9. Dezember 2019 - Achim Geissinger
Aus dem Unbehagen heraus, dass selbst beim Bauen mit Naturbaustoffen meist nicht ohne eine Vielzahl von Folien, Klebern, metallischen und mineralischen Bauteilen auszukommen ist, haben sich Dido Milne und ihr Partner Matthew Barnett Howland überlegt, wie der üblicherweise komplexe Schichtaufbau von Wänden und Dächern maximal zu reduzieren sei.

Ihre Erkenntnisse aus langjährigen Recherchen und der Zusammenarbeit mit verschiedenen Instituten und Firmen sind in ein Experiment im Maßstab 1:1 geflossen, das vermutlich nur zustande kommen kann, wenn wie hier Bauherr, Architekt und Bauunternehmer in Personalunion agieren: ein ganz aus Kork aufgeschichtetes, kleines Wohnhaus, dessen eigentümliche Formen Sehgewohnheiten hinterfragen und ein wenig das Klischee britischer Exzentrik bedienen.

Wunder-Material?

Die Suche nach einem Material, das Wandbaustoff, Dämmung, Fassade und innerer Raumabschluss zugleich sein kann, führte die Architekten zu Backkork – einem natürlichen, naturnah belassenen Werkstoff mit bisweilen unwahrscheinlich erscheinenden Eigenschaften, von wasserdicht und gleichzeitig diffusionsoffen, über schwer entflammbar bis hin zu schimmelresistent und insektensicher. Aus Stanzabfällen der Flaschenkorkenproduktion werden unter Einwirkung heißen Wasserdampfs Blöcke oder Platten gepresst. Dabei dehnen sich die Korkpartikel aus, was die Dämmeigenschaften optimiert. Zudem tritt Harz (Suberin) aus, das die Partikel umfließt, um sich beim Erkalten wieder zu verfestigen; künstlicher Bindemittel bedarf es somit nicht.

Mit ihren professionellen Partnern zusammen haben die Architekten Bausteine entwickelt, die sich über Nuten und Falze unverschieblich aufeinanderstapeln lassen, um daraus sowohl die Hauswände wie auch die Dächer aufzuschichten. Kaum zu glauben: Die vom Roboter akkurat gefrästen Korkblöcke (hier kam die Bartlett School of Architecture ins Spiel) sitzen ganz ohne Mörtel, Kleber oder sonstige Ausgleichsschichten aufeinander, allein durch Reibung und den Druck aus dem Eigengewicht der Konstruktion verbleiben sie an Ort und Stelle und – man staune – sind luft- und wasserdicht. Nebenbei bemerkt: Aus dem Fräsabfall wurden Briketts zum Heizen der Fräswerkstatt gepresst.

Einziger Wermutstropfen: ein 10 mm dickes selbstklebendes Komprimierband auf der wetterabgekehrten Seite, also innen, das Luftströme hemmt, sollten in den Fugen doch einmal Spalte entstehen.

Dem Bau des Hauses gingen umfangreiche Tests voraus: Zusammen mit der University of Bath und der BRE Group wurden im Labor einzelne Elemente auf Bewitterung, Dichtigkeit, Feuerbeständigkeit, Dämmeigenschaften usw. hin geprüft.

Die Statiker hatten das richtige Verhältnis zwischen Materialdichte (Tragfähigkeit) und Dämmeigenschaften (Wanddicke) und daraufhin auch das Kriechverhalten (Kommpression bei Auflast) zu berechnen.

Man ließ sich Zeit – auch um die nötigen Fördergelder anzapfen zu können – und erkundete die Eigenschaften von Material und Konstruktion über die Jahreszeiten hinweg zunächst anhand von Prototypen, die immer noch im Garten stehen und seit Jahren der Witterung trotzen. An ihnen wurde deutlich, dass ein ausgeklügeltes System aus Dränagerinnen innerhalb der Blockstruktur unbrauchbar und an den Materialeigenschaften vorbei gedacht war. Vielmehr durfte man zur Kenntnis nehmen, dass der Kork unabhängig von Fugen und Rinnen Feuchtigkeit durch Diffusion ebenso leicht wieder abgibt wie er sie bei Regen aufnimmt.

Form und Lebenszyklus

Einmal gebacken, lässt sich der Kork zwar nicht mehr neu in Form pressen, dafür aber als Granulat für diverse andere Anwendungen, v. a. im Außenbereich hernehmen. Biologisch abbaubar ist er ohnehin. Der Grundstoff, die feuerhemmende Rinde der Korkeiche, kann alle neun Jahre geerntet werden. Das regelmäßige Schälen erhöht sogar den Feuerwiderstand der Bäume durch die Bildung einer noch dickeren Korkschicht. Korkeichen binden etwa fünf mal so viel CO2 wie andere Baumarten, und der Betrieb von Korkplantagen gilt mitunter als besonders nachhaltig, weil das Entfernen von Buschwerk mögliche Brandherde eliminiert und erstaunlicherweise eine höhere Biodiversität hervorbringt.

Die 1 268 Korkblöcke, aus denen das gesamte Korkhaus besteht, sind so dimensioniert, dass sie sich leicht von einer Person bewegen lassen. Matthew Barnett Howland ist stolz, ohne Gerüst oder Hilfskonstruktion die meisten Blöcke selbst von Hand eingebaut zu haben – und alles auf demselben Wege wieder auseinandernehmen zu können.

Als Fundament dienen 14 Stahlschrauben auf der eine (korkgedämmte) Bodenplatte aus Kreuzlagenholz (Fichte) aufliegt. Darauf lagern die Korkblöcke, die es trotz Breite und präzisem Zuschnitt statisch in sich haben – um Bauchungen und Kippen zu verhindern mussten die frei stehend errichteten Wände solange mit Hölzern und Spannriemen zusammengebunden werden, bis die Stürze und Ringbalken aus acetyliertem Holz eingebaut waren und das statische System wirksam wurde.

Ihren Grundgedanken in Bezug auf nachhaltiges Bauen umschreiben die Architekten mit dem Schlagwort »form follows life-cycle«. Dabei versuchen sie, alle Aspekte von der Materialerzeugung, über das Zusammenfügen und die Nutzung bis hin zu Demontage und Wiederverwertung gedanklich zu durchdringen. Dido Milne betont dazu, dass eine Konstruktion umso nachhaltiger ausfällt, je simpler die Geometrie gehalten wird, denn mit jeder Verschneidung wächst der Bedarf an Sonderlösungen mit viel Verschnitt, weiteren Materialien und letztlich Abfall.

Daraus erklärt sich die eigentümliche Struktur des Gebäudes, das sich aus fünf, jeweils von einem Pyramidendach bekrönten Kompartimenten zusammensetzt. Die Frage, wie auch ein Dach einheitlich aus Kork, ohne separate Haut und ohne Sparren ausgeführt werden kann, führte zum uralten Prinzip des falschen Gewölbes, wie man es etwa aus Mykene oder auf den britischen Inseln von Bienenkorb-Häusern her kennt. Schicht um Schicht kragen die Korkblöcke raumwärts ein wenig aus und formen so hohe Dachräume, die dem Innern eine erstaunliche Großzügigkeit verleihen.

Wohngefühl

Das Grundstück mit einem denkmalgeschützten Mühlenhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert, das man sich nach der Veräußerung deutlich weniger idyllisch gelegener Liegenschaften leisten konnte, bietet drei unterschiedliche Gartenbereiche. Das Korkhaus fungiert als Trennung und zugleich als Bindeglied zwischen den beiden rückwärtig gelegenen. Die erste von fünf Pyramiden überdeckt eine Art zweiseitig geöffnete Loggia, von der aus Haus und Garten zugänglich sind. Die zweite beinhaltet das Bad und darüber eine per Leiter erreichbare Ebene mit denkbar einfach gehaltenen Gästebetten.

Nummer 3 und 4 überspannen die Essküche und das Wohnzimmer. Dahinter folgt, abgetrennt, das Schlafzimmer.

Von 44 m² BGF ist die Rede. Das Haus wirkt größer. Dazu trägt sicher die Höhe der Räume bei und auch das großflächige Schiebefenster im Wohnzimmer, das den Garten von Norden her förmlich hereinholt. Es mag aber auch am dunklen Material der Wände liegen, das enorme Mengen Lichts schluckt und der Eindeutigkeit der Raumbegrenzung entgegenwirkt. Nach Süden hin gibt es kaum Öffnungen, denn man schaut nur auf eine Gartenmauer und das städtische Wasserwerk. Entsprechend staunt der Gast über den Raumeindruck, denn der ist durchaus kein düsterer. Selbst an einem wolkenverhangenen Tag erscheinen alle Gegenstände und Personen hell, sind sie doch in Zenitallicht getaucht, das aus den Oberlichtern herunterflutet – Oberlichter deren Gewicht im Übrigen bewirkt, dass die Korkschichten auch bei Sturm an Ort und Stelle verbleiben.

Hell sind auch die Böden aus aufgeschraubten, rau gesägten Eichendielen. Sie sind nicht hundertprozentig plan – die an anderen Stellen gepflegte Akkuratesse war hier nicht gewünscht, um ein Materialgefühl, die Faserigkeit des Werkstoffs, auch beim Gehen zu vermitteln. Hell auch Teile der beiden Schrankeinbauten, die als Scheiben der Queraussteifung dienen und neben Stauraum auch Platz für die Küchen- und Badarmaturen aus Messing bieten.

Vertraut wirkt die Hörsamkeit, wie in einem Blockhaus, recht ungewohnt hingegen die Mauerwerksanmutung der im Verband gesetzten Korkblöcke, deren Oberflächen auf Druck ganz leicht nachgeben.

In allen Einzelbereichen des kleinen Hauses ergibt sich ein merkwürdig zwittriger, gleichzeitig höhlig-gemütlicher aber auch offen-heller Raumeindruck, der kaum attraktiver sein könnte. … sicher nicht für jedes Gemüt geeignet, spätestens wenn der Holzofen bollert, aber behaglich und idealer Ausgangspunkt für »hyggelige« Gefühle, zumal überall der leicht rauchige, durchaus nicht aufdringliche typische Duft des gebackenen Korks präsent ist.
Das Korkhaus kann sicherlich nicht als Blaupause für flächendeckendes Bauen dienen. Als Experiment und Prototyp seiner selbst führt es aber den Beweis, dass die Kombination aus Natur-Materialien, altbewährten einfachen Konzepten und neuen Techniken zu vertretbarer Bautätigkeit führen kann.

Es gilt dranzubleiben und nach allen Richtungen zu forschen.

So bleibt abzuwarten, wie das Haus altert – voraussichtlich wird es weder Patina noch Flechten oder Moos ansetzen. Allein die Farbe kann sich unter UV-Einwirkung leicht verändern und, wenn es klappt, im selben Maße vergrauen wie die schützenden Planken aus dem Holz der Riesen-Thuja auf dem Dach.

Und es ist auch noch gar nicht geklärt, ob Dido und Matthew selbst einziehen, sobald der Hype um das Haus abgeklungen ist, oder ob doch die Mutter das Häuschen für sich allein haben darf.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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