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Innere Größe

Haus mit zwei Wohnungen in Pfinztal-Berghausen

Das kleine Gebäude mit zwei Mietwohnungen, das einen Puffer zwischen dem Haus der Bauherren und einer stark befahrenen Straße bildet, ist ein Anlageprojekt. Mit ihm ist Milla Architekten aus Karlsruhe vermeintlich Unvereinbares gelungen: an einem Standort mit herausfordernden Bedingungen kostengünstigen und zugleich großzügig wirkenden Wohnraum in hoher architektonischer Qualität zu verwirklichen.

9. Dezember 2019 - Martin Höchst
Berghausen ist mit seinen rund 8 000 Einwohnern der größte von vier Ortsteilen der zwischen Karlsruhe und Nordschwarzwald gelegenen Gemeinde Pfinztal. Mit zwei Bundesstraßen und dem Quellverkehr, der durch die notwendigen Wege zwischen den vier Ortsteilen entsteht, kämpft auch Berghausen wie die meisten Orte im Umkreis größerer Städte mit einer enormen Verkehrsbelastung.

Objekt statt Häuschen

Der stark befahrene Straßenabschnitt unweit einer der drei S-Bahn-Stationen von Berghausen wird im Süden von einer geschlossenen, vorwiegend zweigeschossigen Bebauung relativ einfacher Wohngebäude gefasst. Nach Norden hin, wo vormals die großzügigen, ansteigenden Vorgärten der Doppelhäuser aus den 20er Jahren das Straßenbild prägten, wurden über die letzten Jahre sehr konventionelle Wohnbauten etwas zurückgesetzt von der Straße errichtet. Neben einer der letzten Lücken in der Reihe dieser Allerweltsbauten fällt ein Gebäude deutlich aus dem ernüchternden Rahmen. Obwohl jüngeren Datums, erweckt es aufgrund der furchtlos kräftig proportionierten Traufdetails und dem Gestaltungsansatz, Fenster als eigenständige Fassadenabschnitte und nicht als Öffnungen in geschlossenen Außenwänden zu definieren, 70er-Jahre-Assoziationen. Das diese zeitliche Zuordnung allerdings nicht zutreffen kann, wird in Anbetracht der schlecht gealterten Nachbargebäude aus den 80er bis 2 000er Jahren deutlich. Auch die fast durchgängig graue Farbigkeit und das flach geneigte Satteldach sprechen dagegen. Das Motiv der an den beiden Traufseiten nach oben hin geschossweise um 25 cm nach außen vorspringenden Fassade wiederum erinnert an die Bauweise mittelalterlicher Fachwerkgebäude und gibt einen ersten Hinweis auf die Holzbauweise, in der das Gebäude errichtet wurde. Zusammen mit der durchgängigen Farbigkeit von lasierten, vertikal angeordneten Holzlatten und matten, verzinkten Blechoberflächen ergibt sich so, insbesondere übereck betrachtet, ein geradezu skulpturaler Charakter – und dies nicht zufällig: Die verantwortlichen Planer des Büros Milla Architekten aus dem nahen Karlsruhe strebten bei Entwurf und Realisierung an, dem Haus objekthafte Charakterzüge zu verleihen, um es möglichst vor der sonst oft im privaten Wohnungsbau aufkommenden Banalität zu bewahren – mit Erfolg. Im Falle der Blechdeckung des Dachs kam zu diesem Zweck trotz Kostendeckelung sogar ausnahmsweise (statt einer Betonsteindeckung) nur die zweitgünstigste Ausführung zum Einsatz.

Die Giebelseite auf der Grenze zum Nachbarn im Westen wurde aus Brandschutzgründen mit Wellblech bekleidet: Hier wird früher oder später angebaut und damit die letzte größere Lücke entlang der Straße geschlossen.

Nebeneinander statt übereinander

Üblicherweise würden bei der Bauaufgabe, zwei Wohnungen von jeweils ca. 65 m² Wohnfläche in einem Gebäude unterzubringen, die beiden Wohnungen übereinandergestapelt und über einen Hauszugang und ein gemeinsames Treppenhaus erschlossen. Nicht so in diesem Fall: Trotz der relativ geringen Größe der beiden Wohneinheiten, sollte ihnen zu gleichen Teilen der Vorteil eines OGs zugutekommen. Bei zwei übereinanderliegenden Wohneinheiten hätten sich wegen der Hanglage und der Nähe zur lauten Straße eine Kellerwohnung mit Stau vor dem Fenster und eine privilegierte, helle Wohnung im OG ergeben. Und so dient der »Vorgarten« des Gebäudes auch nicht wie bei den Nachbarn als nur unzulänglich vor Lärm und Blicken geschützter Freisitz, sondern wird von der geschotterten Fläche zweier Stellplätze bestimmt. Der eigentliche Freisitz ist zwar ebenfalls nicht vor dem Straßenlärm geschützt, liegt aber eine Etage höher, auf einem Balkon.

Um nicht Assoziationen an ein Doppelhaus aufkommen zu lassen, läuft die Fassadengliederung der Traufseiten jeweils bruchlos von Giebelwand zu Giebelwand durch. Die wechselnd übereinander angeordneten geschlossenen Fassadenabschnitte und die Fensterbänder in Gebäudebreite verunklären, dass das Haus im Innern vertikal geteilt ist und tragen so ihren Teil zur objekthaften Wirkung des Baukörpers bei. Lediglich die beiden Hauseingänge und die flankierenden Zugänge zum Abstellraum verweisen darauf, dass hier zwei Wohneinheiten nebeneinander angeordnet sind.

Die Grundrisse der beiden jeweils über alle Geschosse ineinander übergehenden Wohnungen sind spiegelsymmetrisch zueinander angeordnet. Im massiven EG findet sich, erschlossen über je einen kleinen Eingangsbereich, neben einem funktionalen Duschbad auch der ansonsten einzige abgeschlossene Raum der beiden Wohnungen mit Ausblick auf die hinter dem Haus ansteigende Wiese. Bereits unmittelbar hinter der Haustür eröffnet die Deckenaussparung der einläufigen Holztreppe, die zum eigentlichen Wohngeschoss hinaufführt, den Blick entlang der Giebelwand bis unter das geneigte Dach.

Das OG wirkt mit Zementestrichboden, unbehandelten Holzoberflächen der Deckenuntersicht sowie weniger Abschnitte der Wände, die sich ansonsten fast überall in Form gespachtelter und weiß gestrichener Trockenbauplatten zeigen, licht und großzügig. Der lang gestreckte Raum wird von Tageslicht, das durch die festverglasten Oberlichter beider Traufseiten (an der Gartenseite mit mattierter Verglasung) sowie die Fenstertüren zum Balkon auf der Straßenseite fällt, förmlich geflutet. Über eine Treppenleiter ist zudem noch eine kleine Galerie zu erreichen, die in der kompakten Wohnung Platz für einen Schreibtisch oder ein Bett bietet.

Die tatsächlich kostengünstige und schnelle Ausführung des eineinhalbgeschossigen OGs in Holzbauweise gründet sich auch auf die guten Vorkenntnisse die sich Boris Milla bei vorangegangenen sowohl planerischen als auch forschenden Tätigkeiten (u. a. bei Florian Nagler Architekten, Meck Architekten und am KIT bei Ludwig Wappner) aneignen konnte. Er wusste also, worauf er sich mit einem Holzbau einlässt und konnte den besonderen Herausforderungen während der Planung und Realisierung gerecht werden. Dies geschah auch in regem Austausch mit dem auf Holzbau spezialisierten Tragwerksplaner Peter Metzger (HOLZBAU INGENIEURE aus Karlsruhe). Dessen Vorschläge zur Optimierung des Tragwerks zogen teilweise gestaltbestimmende Modifikationen des Gesamtentwurfs, wie z. B. den aussteifenden Stahlrahmen, der der Straßenfassade im Bereich der Balkone vorgesetzt wurde, nach sich. Boris Milla, ganz dem Prozesshaften des Bauens verpflichtet, sieht darin sympathisch uneitel die »Nutzbarmachung bis dahin schlummernder Potenziale«. Bei der Umsetzung von Wärmedämmung, Fußbodenheizung und Luftwärmepumpe hielt man sich ganz pragmatisch und möglichst kostengünstig an die Vorgaben der EnEV.

In den lichten Räumen der beiden Wohnungen entfaltet sich dank der durchdachten Detaillierung und Anordnung der wenigen räumlich wirksamen Elemente über mehrere zueinander geöffnete Etagen eine Großzügigkeit, die sich auf dem Mietwohnungsmarkt ansonsten nur selten findet. Diese »innere Größe« den Bewohnern zur Verfügung zu stellen, ist aber auch der bewusste Versuch der Planer, einen Ausgleich zum mangelnden Abstand bedrängender äußerer Faktoren herzustellen. Um in Anbetracht der Nachverdichtung aller Orten vermehrt auch an vermeintlich unattraktiven Standorten Wohnraum zu realisieren, ist dies ein zukunftsträchtiger Ansatz, weil er neben den möglichst geringen Baukosten insbesondere das Wohl der Nutzer im Blick hat.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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