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db deutsche bauzeitung 2020|06
Stadtspaziergänge
db deutsche bauzeitung 2020|06

Klar Schiff machen

Schwimmende Siedlung »Schoonschip« in Amsterdam (NL)

Die niederländische Redewendung »schoonschip maken« ist gleichbedeutend mit »klar Schiff machen«, aber »schoon« bedeutet auch ganz wörtlich »sauber«. Damit hat die Flotte aus 46 Wohnbooten, die in einem Kanal im Norden Amsterdams liegt, einen passenden Namen ­bekommen, will sie doch die nachhaltigste schwimmende Siedlung Europas sein. Unsere Amsterdam-Korrespondentin durchstreifte die Siedlung für uns.

8. Juni 2020 - Anneke Bokern
Der Johan van Hasseltkanal ist ein 1908 begonnener, aber nie vollendeter Nebenkanal des Flusses IJ in Amsterdam. Nur 900 m vom IJ entfernt endet er bereits als Sackgasse. Rund um dieses unfreiwillige Hafenbecken erstreckt sich der Polder Buiksloterham, der im 20. Jahrhundert als Gewerbe- und Industriegebiet eingerichtet wurde. Da jedoch der Wohnraumbedarf in Amsterdam groß ist und Buiksloterham nur einen Katzensprung von der Innenstadt entfernt liegt, begann vor etwa zehn Jahren eine Transformation der Gegend: Sie soll zu einem nachhaltigen, zirkulären Wohnviertel werden. Entgegen ihrer Gewohnheit, solche Gebiete aufzukaufen und in einem Rutsch zu beplanen, gibt die Stadt die nur schrittweise zur Bebauung frei. Zurzeit präsentiert sich die Gegend daher als spannendes Mischgebiet, in dem neue Baugruppenprojekte und Nullenergiehäuser zwischen Logistikbetrieben und Baumärkten entstehen.

Mitten in diesem Gebiet liegt, oder besser gesagt schwimmt, die Siedlung Schoonschip im Van Hasseltkanal. Sie zählt 30 Wassergrundstücke mit insgesamt 46 Wohnungen und beansprucht für sich, das »nachhaltigste schwimmende Wohnviertel in Europa« zu sein. Vermutlich stimmt das sogar, denn die Konkurrenz dürfte in dieser Kategorie nicht allzu groß sein.

Schwimmendes Asterixdorf

Von Süden kommend, überquert man eine kleine Brücke über den Kanal, ehe man die Häuser sieht. Wie ein Asterixdorf treibt das bunte Häuflein vor einer Kulisse aus achtgeschossigen Wohnblöcken (darunter mit Patch22 der bislang höchste Holzbau der Niederlande). Auf der gegenüberliegenden Kanalseite blickt man auf den Parkplatz eines Baumaschinenverleihs, vor dem ein altes Feuerschiff vertäut ist; ein Stückchen weiter wachsen entlang des Kais wiederum neue Wohnbauten aus dem Boden empor.

Den Zugang zu Schoonschip bilden hölzerne Stege. Aus der Nähe wird offensichtlich, dass alle schwimmenden Häuser zwar dieselbe Kubatur haben, dass sich ihre Architektur aber stark unterscheidet: von minimalistisch bis anthroposophisch ist alles dabei, wobei Holzbeplankungen in allen erdenklichen Maßen und Schattierungen das Bild bestimmen. Die breiten Stege zwischen den Häusern dienen gleichzeitig als öffentlicher Raum und als Abstellfläche, auf der Fahrräder, Kanus und Blumenkübel stehen. Hier und dort zimmert ein Bewohner noch an Teilen seines Heims, während seine Kinder auf dem Steg oder an der Uferböschung spielen. Neben den Stegen »treiben« kleine Erdhügel im Kanal, die bald zu schwimmenden Gärten werden sollen.

Von der Idee zur Produktion

Die Idee für Schoonschip hatte die Filmemacherin Marjan de Blok, als sie 2008 einen Dokumentarfilm über ein nachhaltiges Wohnboot drehte. Sie träumte von einer energieneutralen und zirkulären Siedlung solcher Häuser, und wusste damit bald auch einige Freunde zu begeistern. Gemeinsam entwickelten sie erste Ideen für die Realisierung. Den Standort fanden sie, als eine Architektin dazustieß, die wusste, dass im Bebauungsplan für Buiksloterham eine schwimmende Siedlung vorgesehen war. Kurz darauf lernte Marjan de Blok bei einem Vortrag über ein anderes Wasserwohnprojekt Sascha Glasl vom Architekturbüro Space & Matter kennen und beauftragte ihn mit einer Machbarkeitsstudie für den Standort in Amsterdam. Space & Matter setzten die Ideen der Freundesgruppe in einen Städtebauplan um und begleiteten die Bauherren, die inzwischen eine Stiftung gegründet hatten, in der Planungsphase. In Workshops mit den zukünftigen Bewohnern stellten sie deren Wünsche fest und entwickelten daraus das Konzept. Um sich moralisch zu verpflichten, musste jeder Teilnehmer ein Manifest unterschreiben, in dem die nachhaltigen Ambitionen festgehalten wurden.

Der Städtebauplan besteht aus fünf T-förmigen Holzstegen, deren Enden durch mobile Stegelemente – eigentlich Flöße – miteinander verbunden sind. An jedem T liegen, der Aussicht zuliebe leicht gegeneinander verdreht, sechs schwimmende Häuser. Während der Bebauungsplan 30 identische Bauten vorsah, schlugen die Architekten vor, die Hälfte der Parzellen mit 120-160 m² großen Doppelhäusern zu bebauen, sodass insgesamt 46 Wohneinheiten entstanden. Als Treibkörper dient jeweils eine 2,5 bis 3 m tiefe Betonwanne mit einem Aufbau in Holzskelettbauweise. Alle Häuser werden an einem Kanal im 10 km entfernten Zaandam gebaut, dann per Kran zu Wasser gelassen und nach Amsterdam geschleppt.

Upfall-Dusche und Mobility Hub

Bei der Materialisierung hatten die Bewohner im Prinzip freie Wahl, aber die meisten haben sich im Sinne des Manifests für natürliche, erneuerbare Materialien entschieden. Fast alle Häuser haben Holzfassaden; ein Wohnboot ist jedoch mit Solarpaneelen bedeckt, und ein anderes hat begrünte Wände. Der Architekt Wouter Valkenier hat sein schwimmendes Heim sogar komplett aus Restmaterialien gebaut. Beton ist, außer natürlich in den Treibkörpern, kaum vertreten, und Stahl wurde nur in wenigen Häusern als Balken für große Überspannungen verwendet.

Auf den Dächern der Häuser befinden sich Solarpaneele und Sonnenboiler. Heizwärme wird mithilfe von Wasserwärmepumpen aus dem Kanal gewonnen, dessen Mindesttemperatur in 4 m Tiefe bei 4-5°C liegt. Bemerkenswert ist, dass die gesamte Siedlung mit einem einzigen Anschluss an das staatliche Stromnetz auskommt. Jedes Haus ist mit einer Batterie ausgestattet, in der der Überschuss an gewonnener Energie gespeichert und mittels eines Smartgrid unter den Bewohnern verteilt wird.

Das Wasser für Duschen und Toiletten stammt aus 1000-Liter-Regenwassertanks. Das reicht, denn die Häuser sind mit Vakuumtoiletten ausgestattet, die nur 1 l Wasser pro Spülung verbrauchen, und viele nutzen außerdem Upfall-Duschen, bei denen das Wasser in einem geschlossenen System zirkuliert und kontinuierlich aufbereitet wird, sodass nur etwa 2 l Frischwasser pro Duschminute benötigt werden.

Autos besitzen die Bewohner von Schoonschip nicht mehr. Stattdessen teilen sie sich einen Fuhrpark mit Elektroautos, -mopeds und -rädern, die in einem Mobility Hub organisiert sind und auf einem nahen Parkplatz bereitstehen.

Einheitliche Bewohnerschaft

Ein Spaziergang über die Stege bietet trotz niederländischer Gardinenlosigkeit weniger Einblicke als man erwarten würde. Zwar offenbaren ein paar Häuser dank großer Fensterfronten ihr großzügiges Innenleben mit Split Levels und offenen Grundrissen – so etwa das schwimmende Haus, das Sascha Glasl für sich selber entworfen hat. Viele andere zeigen dem Besucher jedoch die kalte Schulter und öffnen sich nur zum Wasser hin. Denn bei aller Variation ist eines sehr einheitlich: die soziale Zusammenstellung der Bewohner. Allesamt sind sie junge, gut ausgebildete, gutverdienende Niederländer, darunter viele Kreative und auch manch bekannte Medienpersönlichkeit. Am Zugang zu den Stegen weisen (sehr unniederländische) Schilder darauf hin, dass man sich auf Privatgelände begibt und Besuchergruppen nicht erwünscht sind.

Dementsprechend kam auch schnell der Vorwurf auf, es handele sich um ein elitäres schwimmendes Dorf. Dabei wollten die Initiatoren angeblich sogar soziale Mietwohnungen ins Konzept aufnehmen, aber die kontaktierte Wohnungsbaugesellschaft konnte nicht schnell genug mitziehen. Die Initiatoren hoffen nun, dass ihr Beispiel Schule machen wird.

Und warum auch nicht, denn in den dicht bevölkerten Niederlanden herrscht Wasserüberschuss und werden immer mehr Rückhaltebecken benötigt, während gleichzeitig das Bauland knapp wird. Schwimmende Häuser verursachen dank der ausgelagerten Produktion kaum Baulärm und sind komplett reversibel. Das weiß man schon, seit vor zehn Jahren auf dem Steigereiland (s. db 10/2010, S. 18) die erste Wassersiedlung angelegt wurde, an der sich Schoonschip jetzt orientiert hat. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis irgendwo Version 3.0 auftaucht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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