Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2020|07-08
Ornament
db deutsche bauzeitung 2020|07-08

Reizvolle Ruheinsel

Centre Kàlida Sant Pau in Barcelona

Auf den ersten Blick erscheint er als eine ornamentale Übung auf dem Gelände des Hospital de Sant Pau, einem zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Jugendstil-Komplex. Doch der Pavillon des ersten Maggie’s Centre auf dem Kontinent besticht durch die liebliche Präzision, mit der er sich in seine diffizile Umgebung fügt, und mehr noch durch seine hoch differenzierten Innenräume auf bescheidener Fläche.

6. Juli 2020 - Markus Jakob
Irritierend zunächst der Name: Kàlida, mit befremdlichem K, der das katalanische Wort für warm (càlid) evoziert und entfernt auch die calidad (Qualität) anklingen lässt – letztlich aber wohl gewählt wurde, um eine fürsorgliche, vielleicht sogar mütterliche Wärme auszudrücken und gleichzeitig offen für vielerlei Assoziationen zu sein. Aber hier geht es ja nicht um Sprachkritik.

Sant Pau und Maggie’s

Der Krankenhaus-Komplex Sant Pau umfasst neun Häuserblöcke des Cerdà-Rasters unweit der Sagrada Família. Die Avenida Gaudí verbindet beide Weltkulturerbe-Stätten. Doch während Gaudís Tempel immer frenetischer zur monumentalen Groteske ausgebaut wird, sind die fantastisch durchstilisierten Jugendstilgebäude seines Zeitgenossen Domènech i Montaner sorgsam renoviert worden, und 1999-2010 entstand am Nordostrand des Areals das neue Krankenhaus, entworfen von Bonell Gil + Rius, Canosa y Barberà. Der Vergleich mit der Berliner Charité ist naheliegend – flächenmäßig zumindest und was die diversen Bauabschnitte betrifft. Sant Pau ist zwar nicht das wichtigste Hospital Barcelonas, aber seine Gliederung – der zentrierten Bettenburg fundamental entgegengesetzt – bleibt doch eine Referenz.

Zwischen dem fingerförmig ausgreifenden Neubau, den unterirdisch miteinander verbundenen Preziosen von Domènech i Montaner und einigen weniger ansehnlichen Behelfsbauten blieb ein »terrain vague«, das der Gestaltung harrte. Der Pavillon von EMBT mit seinem Garten ist ein erstes Element, das auf diesem schmalen Streifen auf abschüssigem Gelände für eine liebliche Ordnung sorgt.

Er wurde nach den Prinzipien von »Maggie’s« gebaut. Der Name steht für ein Konzept, das die schottische Schriftstellerin und Landschaftsgestalterin ­Maggie Keswick Jencks erdacht hat: Krebspatienten eine Umgebung nahe der oft feindlich erscheinenden Krankenhäuser zu bieten, in der sie sich wohlfühlen, entspannen und (mit Psychologen z. B.) unterhalten können, stets von einem Garten umgeben. 1996, kurz nach Maggies Tod, wurde der erste Pavillon in Edinburgh eröffnet. Seither sind über 20 davon hinzugekommen, und die Liste der Entwerfer ist ein You-name-it der Weltarchitektur. Barcelona ist nach Hongkong und Tokio der erste Ableger außerhalb Großbritanniens, obwohl die Baufinanzierung wie der Betrieb hier durch lokale Stiftungen übernommen wurde. Daher auch der Name Kàlida (und nicht Maggie’s). Die Generosität vieler der beitragenden Firmen – zuvorderst der Architekten und der Innengestalterin Patricia Urquiola – verleiht dem Projekt eine umso größere Liebenswürdigkeit.

Benedetta und Patricia

Der Pavillon liegt zweigeschossig vor dem am schroffsten wirkenden Teil des Neubaus: der onkologischen Abteilung, die ins Parkhaus überleitet. Er hat zwei Eingänge: nordseitig von der Krebsabteilung aus erschlossen, von dieser aber entschieden durch eine gerundete Mauer getrennt; der andere über eine sich in den Garten hinunter kurvende Rampe zugänglich. Die Hanglage ­wurde genutzt, um diesen versenkten Garten zu schaffen: Das OG liegt auf der Höhe der noch ungestalteten unmittelbaren Umgebung; das EG und der Garten, darin eingebettet, einige Meter tiefer. 

Dieser in mehrerlei Hinsicht verborgene, wiewohl frei zugängliche Garten ist eine Delizie. Jasminblütiger Nachtschatten und Bougainvilleas ranken sich an den Pfeilern der rostroten stählernen Pergola empor und werden sie dereinst weitgehend überdecken, um dem Außenraum Schatten und eine noch intimere Stimmung zu verleihen. Ein Gingko, eine Trauerweide, ein Spitzahorn u. a., alle außer einem verknorpelten Ölbaum jetzt noch jung, setzen die Hauptzeichen der Bepflanzung. Nur das Lüftungsgebrumm vom neuen Krankenhaus her stört dieses Idyll ein wenig.

So wie der Garten und darin die Pergola, im Grundriss organisch, blütenartig erscheinen, wurde auch der Pavillon selbst fächerartig entworfen. Die Aufsicht aus dem höherliegenden Krankenhausneubau zeigt ein Dach, das in drei Grün- und Gelbtönen seinerseits Natur evoziert.

Es mag an eins der späten Projekte von Enric Miralles (1955-2000) erinnern, den Mercat de Santa Caterina: Dort ist die bunte Dachlandschaft zwar nur für einige Anwohner in voller Pracht sichtbar – dennoch gehört sie zu den Ikonen der jüngeren Architektur Barcelonas.

Nun hat Miralles’ Witwe Benedetta Tagliabue – mit ihr zusammen firmierte das Studio als EMBT, und sie leitet es unter demselben Namen erfolgreich weiter – fast zwei Jahrzehnte nach seinem Tod diese Ideen in kleinerem Maßstab aufgenommen und variiert. (Erstaunlich bleibt, wie die beiden Lebens- und Arbeitspartnerinnen des kometenhaften Architekten, Carme Pinós und die in Mailand geborene Benedetta Tagliabue, in ihren Karrieren Miralles’ Werk weiterzuentwickeln vermochten.) Kommt hinzu die spanische Innen­architektin Patricia Urquiola, die ihrerseits in Mailand arbeitet. Die Möblierung des Pavillons spielt mit der Architektur auf bemerkenswerte Weise zusammen. Es ist konstruierte Behaglichkeit, freundlich ausgestattetes Wohlbefinden, gemäß dem Auftrag – laut Benedetta Tagliabue einem der schönsten ihres Lebens.

Gebaute Wonne

Als Reminiszenz an die Pavillons von Domènech i Montaner präsentiert sich der Bau von außen in sorgfältig durchgestaltetem, teilweise emailliertem Ziegelstein. Einige Jugendstil-Ornamentationen der historischen Bauten, die gotisierend von abstrahiert floral bis hin zu figürlich reichen, wurden nachempfunden; das in Dreiecke geteilte Hexagon ist ein klassisches Motiv des ­katalanischen Modernisme, ebenso die Emaillierung und die vorkragenden Ziegel. Zugleich filtern Durchbrechungen spielerisch Licht ins Innere. (Man könnte bei dieser Backstein-Feingliederung auch an die Amsterdam-Schule denken.)

Die Dreiecke werden in der Horizontalen der Pergola in edelhölzerner Gestalt aufgenommen. Die schrägen Sprossen der Fensterrahmen im EG und die Brisesoleils vor den großen Fenstern im OG sind gestalterische Elemente, die erst im Innern ihre ganze Zauberkraft entfalten. Wie die ganze Fassade überhaupt ihren Charme vorwiegend aus dem Innern bezieht. Von außen kann sie zunächst ein wenig überkandidelt, fast absurd wirken. So nimmt man die südseits vorkragende Außenmauer zwar als willkommene Schattenspenderin wahr; der ästhetische Sinn der Doppelfassade ist jedoch erst vom geräumigen Bürotriangel im OG aus zu erkennen, wo sie zwar keine Außenblicke erlaubt, aber ein wirklich bezauberndes Licht schafft.

Unten öffnet sich der Eingang von der Neubauseite auf den doppelstöckigen Zentralraum mit seinem großen Tisch; darüber hängen Leuchten, deren Form nun fatalerweise an das Coronavirus erinnert. Interessanter sind die Nebenräume – denn im Grunde besteht der Bau nur aus teils offenen, teils durch Schiebetüren abgrenzbaren Kompartimenten, in denen man es sich auf Sitzgruppen – ihrer acht oder zehn, jede anders – bequem machen kann.

Die Architektin beschreibt Kàlida im Gespräch als ein »aus Fragmenten fabriziertes Gebäude« und nennt es »ein wenig surrealistisch: wo Träume in Wirklichkeit verwandelt werden und vice versa«. Bodenbeläge variieren (das Parkett ist ein Meisterwerk für sich), die Wände sind neutral hellgrau (bis auf die ungestrichenen vertikalen Streifen, die Benedetta durchsetzte, obwohl Patricia mit dem neutralen Grau ihre überreiche Möblierung konterkarierte), die Decken wiederum verspielt aus Katalanischen Gewölben (flache Ziegelgewölbe) gebildet.

Es gibt einen winzigen Raum, vor dem ein ebenso winziges Innengärtchen liegt: Man könnte sich in Japan wähnen. Laut einer Kàlida-Mitarbeiterin wird er jedoch selten aufgesucht; die Patienten ziehen die offenen Räume vor. Der leuchtendste davon liegt auf der Westseite im OG, mit seinen von EMBT entworfenen Leuchten. Patricia Urquiola hat das Haus mit eigenen, aber auch vielen anderen Elementen mitgestaltet. Die Korridore beider Geschosse zieren indische Tapisserien, die ihre Firma herstellen lässt. Der Möbelreichtum konfiguriert sich hier, in Konsonanz mit dem räumlichen Reichtum, zu einem großartigen kleinen Ganzen.
Bleibt die Frage, wie klug die Zentralisierung der Krankenhäuser in riesigen Bettenburgen je war. Sant Pau ist das perfekte Gegenbeispiel – war es seit jeher, und der Kàlida-Pavillon liefert dazu einen frischen Beitrag.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: