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Verbindungselement

Erweiterung der August-Lämmle-Schule in Ludwigsburg-Oßweil

Um sowohl den gestiegenen Schülerzahlen als auch den Ansprüchen eines zeitgemäßen Schulbetriebs gerecht zu werden, ordnet der Erweiterungsbau den Grundschulcampus neu. Mit präzisen Setzungen und wohlüberlegten Fügungen gelingt die Einbindung zwischen das identitätsstiftende Jahrhundertwende-Schulhaus und einen funktionalen 50er-Jahre-Bau über eine Kolonnadenarchitektur mit hochwertiger Anmutung.

8. Dezember 2020 - Achim Geissinger
Der Vorort Oßweil ist als Schlafstadt längst mit der Kreisstadt Ludwigsburg zusammengewachsen und dehnte sich jüngst auf Konversionsflächen noch weiter aus. Der daraus entstehende Druck auf die örtlichen Schulen und weiterer Bedarf an Ganztagsbetreuung erzwangen die bauliche Neuordnung der Grundschule im Ortszentrum.

Mit dem Rotstift in der Hand hätte der Gemeinderat beinahe die beiden Altbauten von 1905 und 1954 aufgegeben und es den Architekten mit der Planung eines Komplettneubaus durchaus leicht gemacht. Ein gewisses Maß an Sentimentalität bewirkte jedoch den Erhalt der Bausubstanz und verlangte den Planern bei der Konzeption eines Erweiterungsbaus ein Balance-Spiel ab, das sowohl den Ausgleich unterschiedlicher Boden- und Stockwerksniveaus als auch den dreier Bauepochen bewerkstelligt.

Strukturell und gestalterisch aufräumen

An beide recht weit voneinander abgerückte Altbauten dockt nun ein langer Gebäuderiegel an, der zur Ortsmitte hin einen neuen Eingangsbereich definiert und alle Räume aufnimmt, für die sich der Bestand nicht gut eignet – darunter die Mensa mitsamt Küche und Nebenräumen, die auch den örtlichen Vereinen als Veranstaltungsraum für bis zu 300 Personen zur Verfügung steht. Dazu kommt im OG der Ganztagesbereich mit Spielflur, dessen einzelne Räume bereits so ausgestattet sind, dass sie sich bei Bedarf auch als Klassenzimmer nutzen lassen. Abgesehen von den fensterlosen Toiletten- und Lagerräumen profitiert der Neubau von der Helligkeit und der Weite, die er aus den raumbreiten und -hohen Verglasungen schöpft. Der Blick nach Westen geht über den schmalen Pausenhof und eine grüne Geländekante hinweg hinaus auf den baumumstandenen Fußballrasen. Die ganz in Weiß gehaltenen Räume erfahren schon jetzt durch ihre Bespielung eine enorme Lebendigkeit und bedürfen der Wärme kaum, die sie aus den kräftigen Holzprofilen der Glasfassade beziehen. In den Erschließungsbereichen dominieren robuste, zur Tragstruktur gehörende Oberflächen aus Sichtbeton, naturbelassene Massivholzoberflächen, Schwarzstahl und ein oberflächenfertiger Gussasphaltboden. Es spielt sich aber keines der Materialien in den Vordergrund, vielmehr ergibt der Zusammenklang einen angenehm neutralen Hintergrund für die Ausblicke nach drei Seiten und v. a. für die Aktivitäten der Schüler.

Um die optische und haptische Erlebbarkeit des Gebäudes vor Augen zu führen, erzählt Büropartner Steffen Mayer gerne vom Grundschüler, der staunend über die brettgeschalte Betonoberfläche strich und es kaum fassen konnte, dass man ein solches Relief explizit für die Schüler hergestellt habe.

Der Clou allerdings ist die durchgehende Loggia, die gegen einigen Sparwillen durchgesetzt und auch gegen das ökologische Gewissen aus sandgestrahlten Betonfertigteilen gefügt wurde. Sie bietet tiefe Flächen für freies Spiel und vielleicht sogar Unterricht, und dazu einen gewissen Regenschutz und Verschattung. Zudem ist sie mit zwei Außentreppen, die versteckt hinter den Fassaden der Gebäudeschmalseiten liegen, in das Fluchtwegesystem eingebunden. Notfalls kann die Feuerwehr aber auch direkt vorfahren und ggf. vom teils extensiv begrünten, teils mit Solarpaneelen bestückten Dach retten, das ebenfalls zum Fluchtweg ausgebaut wurde. Die beiden Altbauten blieben so vom Anbau unschöner Außentreppen verschont.

Nach außen hin geben die ausnehmend angenehm proportionierten Kolonnaden dem Neubau die nötige Diszipliniertheit, die das Ensemble gegenüber den Grünflächen gut verträgt und gegenüber der disparaten Nachbarbebauung mit flach gelagertem Vereinsheim und burghaftem Kleinadelsschloss auch dringend braucht. Die Glas-Aluminium-Fassaden mit ihren flirrenden Spiegelungen treten als gestaltendes Element und auch als Raumbegrenzung in den Hintergrund und lassen das Gebäude im EG durch die Mensa hindurch sogar transparent erscheinen. Da beide Altbauten gestalterisch allenfalls durch ihre historischen Geländer und andere Innenraum-Details ins Gewicht fallen, müssen sie sich der Kraft des Neubaus fügen und nach der Fassadensanierung in weiß gestrichenem Putz mitspielen. Ihrer jeweiligen Eigenheit wird das kaum abträglich sein, zumal sich die inneren Strukturen kaum verändern. Am Jahrhundertwendebau lässt sich dies bereits ablesen: Seine »Feuerzangenbowle«-Anmutung wurde erhalten, eine zusätzliche Außenwanddämmung unterblieb, das Dach hingegen wurde thermisch hochwertig gedämmt. Auffallend allein der frische Anstrich und die besonders schlanken Fensterprofile der Dreifachverglasung.

Die beiden halbgeschossig und im Grundriss gegeneinander versetzten Gebäudeflügel von 1954 dienen, dank effektiver Dämmschichten und Dreifachverglasung, auch weiterhin als hauptsächlicher Klassentrakt.

Die Kleinteiligkeit der alten »Penne« von 1905 eignet sich ebenfalls für einzelne Klassen, v. a. aber für die Verwaltung und Arbeitsplätze der Lehrer und Betreuer. Dass auch hier raumhohe Türelemente Einzug halten durften, ist ein großer Gewinn, der sich gegen den Mief des letzten Jahrhunderts stellt. Ebensolche bilden die nötigen Abschlüsse zu den Treppenhäusern und leiten wie selbstverständlich über in den nächsten Trakt. Mit ihren minimalen Schattenfugen wirken sie ein wenig wie eingestellte Möbel und gleichen in gewissem Rahmen die Bautoleranzen und unvermeidliche Unebenheiten aus.

Übernimmt der Neubau die Geschosshöhen von 1905, so braucht es am Übergang zum 50er-Jahre-Gebäude kurze Rampen, um die Bodenniveaus zu erreichen, schließlich wird barrierefreie Zugänglichkeit verlangt.

Die Energiestandards durften je Gebäudeteil einzeln abgewogen werden. Die Gebäudehülle des Neubaus mit ihren thermisch entkoppelten vorgesetzten Bauteilen wurde in Anlehnung an den Passivhausstandard ausgeführt Die Wärmeenergie stammt aus dem städtischen Gas-Blockheizkraftwerk und bei Spitzenlast aus einer eigenen Gasbrennwerttherme. Die 146 PV-Module auf dem Dach liefern 43 kWp für Licht, kontrollierte Lüftung etc.

Das in Ludwigsburg ansässige und über ein Verhandlungsverfahren ins Boot geholte Büro hat mit dem kompetenten Bauherrn auf konstruktive Art so manchen Strauß ausgefochten, musste das Rad aber nicht neu erfinden: Eine ganz ähnlich geartete Bauaufgabe war bereits 2014 nicht weit entfernt am anderen Ende der Siedlung gelöst worden, wo die Schlösslesfeldschule unter einer flexibel bespielbaren Tragstruktur eine Mensa und Räume für den Ganztagesbereich bereitgestellt bekam.

Dort wie hier ist die Architektur von überlegten Fügungen, Anschlüssen und Details geprägt, die, wo nur irgend möglich, der geometrischen Wunsch-Linienführung folgen. Es gibt aber auch viele einzelne Konzessionen an Budget und Umsetzbarkeit, die letztlich vielleicht nicht ganz ein architektonisches Idealbild ergeben, aber doch zu einem Charme führen, der gleichermaßen zur Nutzung wie auch zur Wertschätzung animiert. Eine bessere Grundlage kann ein Schulgebäude kaum bieten.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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