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db deutsche bauzeitung 2021|04
Kulturbauten
db deutsche bauzeitung 2021|04

Ein kulturelles Herz für Rotterdam-Süd

Theater Zuidplein in Rotterdam

Rotterdam-Süd ist so etwas wie die »schäl Sick« der niederländischen Hafenstadt. Das Durchschnittseinkommen liegt unter der Armutsgrenze, und 70 % der Einwohner haben einen Migrationshintergrund. Für diese Zielgruppe entwarf De Zwarte Hond einen Theaterbau, der mit islamischer Ornamentik spielt und als niedrigschwelliges, öffentliches Wohnzimmer fungiert. Hier sollen sich bald Kultur und Stadtleben verbinden. Das Haus signalisiert Offenheit und weiß sich als kulturelles Herz in seiner Umgebung zu behaupten.

1. April 2021 - Anneke Bokern
Rotterdam erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Popularität. Der Fernsehsender CNN rief die Hafenstadt zur »capital of cool« aus, und der Reiseführer Lonely Planet zählt sie gar zu den zehn Städten weltweit, die man gesehen haben muss. Im Zentrum schießt eine Architekturikone nach der anderen aus dem Boden: erst der Hauptbahnhof (s. db 2/2014), dann die Markthalle (s. db 11/2014), das Timmerhuis (s. db 3/2016) und demnächst das schüsselförmige Depot des Boijmans Museums (s. db 12/2020).

Jenseits der Hochglanzprojekte gibt es aber auch eine weniger bekannte Seite von Rotterdam. Sie liegt am Südufer der Maas und hat 200 000 Einwohner – fast 40 % der gesamten Einwohnerschaft der Stadt. Rotterdam-Süd besteht größtenteils aus Arbeitersiedlungen aus den Zwanziger Jahren und Stadterweiterungen aus der Nachkriegszeit. Zu Letzteren gehört die Gegend rund um den Zuidplein (Südplatz), die einmal zu einem zweiten Stadtzentrum werden sollte, aber nie fertiggestellt wurde. Heute präsentiert sich der Zuidplein als wenig einladendes städtebauliches Sammelsurium aus Hochbahntrasse, Busbahnhof, Einkaufszentrum, Kongresszentrum und Wohnhochhäusern.

Dazwischen stehen, wie Vorboten einer aufgeräumteren Zukunft, der Neubau eines Schwimmzentrums (s. db-Metamorphose 9/2020, S. 100) und das neue Theater Zuidplein.

Städtebauliches Schiebepuzzle

Seit einigen Jahren ist ein Stadterneuerungsprojekt im Gange, das das Gebiet um den Zuidplein gründlich umkrempeln will. Kaum ein Gebäude entgeht der Erneuerung, und auch der Außenraum soll aufgewertet und fußgängerfreundlicher werden. Damit die Metamorphose möglichst reibungslos vonstattengeht, wird sie in Phasen durchgeführt. Wie bei einem Schiebepuzzle nehmen Neubauten den Platz von Altbauten ein, deren Funktion immer ein Baufeld weiterrückt: Das neue Schwimmbad steht am Standort eines alten ­Bürobaus der Stadtverwaltung; und wo zuvor das Schwimmbad stand, steht nun das Theater Zuidplein. Der Altbau des Theaters – 1954 am Nordende des Zuidplein nach Entwurf von Sybold van Ravesteyn errichtet und in den 70er Jahren bis zur Unkenntlichkeit umgebaut – wird abgerissen. Dort wird in Zukunft der Busbahnhof angesiedelt, sodass der Raum unter und neben der Hochbahn-Haltestelle, wo momentan noch der Busbahnhof liegt, zum autofreien Boulevard werden kann.

Das neue Theater steht direkt neben der Metrostation Zuidplein und ist damit einer der sichtbarsten Neubauten im Ensemble. Sein Eingang ist zu einem kleinen Platz mit Caféterrassen orientiert, der auf der gegenüberliegenden Seite vom neuen Schwimmbad flankiert wird. Mit seinem auskragenden Dach, dem roséfarbenen Backstein und Fassadenpaneelen mit geometrischen Mustern fällt das Theater sofort ins Auge. Aus Lärmschutzgründen ist ein Großteil der Fassadenflächen völlig geschlossen, denn im Norden und Westen stehen Wohnungsbauten in nicht einmal 20 m Entfernung.

Hip-Hop-Konzerte und Bollywood-Abende

Daher hat De Zwarte Hond alle Büros und Umkleiden als Pufferzone auf der Nordseite des Gebäudes angeordnet. Zur Metrostation hin liegt dagegen der größere der beiden Säle hinter geschlossenen Backsteinwänden. Ihr roter Wasserstrichziegel ist mit einer weißen Engobe versehen, deren Deckungskraft variiert und damit Roséschattierungen erzeugt, die Leben in die Wand bringen. Zusätzlich hat der große Saal lange, hohe Fenster, unter denen Sitzbänkchen in die Außenwände eingebaut sind. Für Gliederung sorgt über jedem Fenster ein Streifen aus auf der Seite gemauerten, ihre Mulde nach außen kehrenden Ziegeln. Ihre Vertikalität betont die Höhe des Bühnenturms und kaschiert Notüberläufe und Dehnfugen. Da man mit einer Geräuschkulisse von bis zu 105 dB rechnet, empfahl sich das schwere Ziegelmauerwerk in Kombination mit Hohlräumen, Betoninnenwänden und Box-in-a-Box-Konstruktionen, um den Lärm im Gebäudeinnern zu halten.

Weiterhin bestimmen bronzefarbene, semitransparente Aluminiumpaneele das Außenbild des Theaters. Sie tragen ein Muster aus ineinander verschachtelten Rosetten, die sich aus kleinen Dreiecksformen zusammensetzen. In Kombination mit der Rundung unter dem Dachüberstand verleihen sie dem Gebäude eine exotische Anmutung, die mehr mit islamischer als mit niederländischer Architektur verwandt zu sein scheint. Dahinter steckt das Bestreben des Theaters, die Einwohner von Rotterdam-Süd anzusprechen.

In den 90er Jahren hatte das Theater Zuidplein noch eine konventionelle Programmierung mit Theateraufführungen und klassischen Konzerten – aber die Besucherzahlen schwanden angesichts der Konkurrenz zentraler gelegener, renommierterer Kulturhäuser. Vor etwa 20 Jahren erteilte die Stadt dem Theater daher den Auftrag, fortan auch »neue Rotterdamer« anzusprechen.

Gemeint waren die etwa 70 % der Einwohner von Rotterdam-Zuid mit Migrationshintergrund. Seither stehen Hip-Hop-Konzerte, Bollywood-Abende, Auftritte von Stand-up-Comedians und Jugendvorstellungen auf dem Programm. Ganz bewusst will man all jene in das Theater Zuidplein locken, die mit dem sonstigen Kulturangebot der Stadt wenig anfangen können. Dafür musste der Theaterbau so zugänglich wie möglich wirken.

Der Platz vor dem Theater dient dank der Caféterrasse bei schönem Wetter als Freiluft-Wohnzimmer. Von dort aus betritt man das doppelgeschossige Foyer, das ebenfalls als öffentliches Wohnzimmer formuliert ist. Die durchbrochenen Aluminiumpaneele der Fassade erzeugen tagsüber ein lebendiges Licht- und Schattenspiel im Foyer, während sie das Gebäude abends, wenn sein Innenleben beleuchtet ist, in eine große orientalische Laterne verwandeln.

Beim Betreten der Halle liegt zur Linken eine kleine, mit Glastüren abgetrennte Filiale der Stadtbücherei, in der auch Computer- und Sprachkurse abgehalten werden. Daneben befindet sich eine offene, ebenerdige Bühne für Kindervorstellungen und Nachbarschaftsaktivitäten, über der ein großer LED-Bildschirm hängt. Rechts vom Eingang steht eine pinkfarben beleuchtete Bar- und Kücheninsel, hinter der der Restaurantbereich seinen Platz hat. Überall im Raum verteilte Sitzmöbel, aber auch das Fischgrätmuster des Natursteinbodens tragen zum Wohnzimmercharakter bei.

Kristallgefüllte Geode

Der Zugang zu den Theatersälen liegt im hinteren Bereich der Halle und hebt sich durch seine sattroten Wände, Böden und Decken deutlich vom Dunkelgrau des Foyers ab. Die Farbwahl hat Signalwirkung, ist aber v. a. eine Reminiszenz an den Altbau des Theaters, der seit der letzten Renovierung im Jahr 2004 nicht nur innen, sondern auch außen knallrot war. Der kleine Saal war lilafarben, der große rot bestuhlt – dieses Schema hat De Zwarte Hond für den Neubau übernommen. Während der kleine Saal Platz für 250 Zuschauer bietet, passen in den großen über Parterre und Balkon verteilt 600 Besucher. Er ist rundum in saftiges Rot getaucht, von den Stühlen bis hin zu der akustisch wirksamen Wandbekleidung aus 6 000 Aluminium-Dreiecken, die von einer CNC-Fräse zugeschnitten und dann mit Hilfe eines Algorithmus positioniert wurden. Sie lassen den Saal wie das Innere einer kristallgefüllten, rubinroten Geode oder Druse wirken, reflektieren aber auch das Dreiecksmotiv der Fassadenbekleidung.

Damit möglichst unterschiedliche Veranstaltungen im Saal statt­finden können, ist zwischen Zuschauerraum und Bühne eine hochfahrbare Wand im Boden versteckt. Mit ihrer Hilfe kann die Bühne abgetrennt und in einen Stehsaal für 1 000 Zuschauer umfunktioniert werden. Ungewöhnlicherweise bieten drei vertikale Fensteröffnungen einen Ausblick von der Bühne auf die Straße und die gegenüberliegende Metrohaltestelle. Dieser Blickbezug erscheint als Sinnbild für die Ansprüche des Theaterbaus: Kultur und Stadtleben verbinden, Offenheit signalisieren und neben aus der Ferne angereisten Kulturliebhabern v. a. die Bewohner des Viertels ansprechen. Die eigenwillige Ästhetik des Gebäudes mit ihren orientalischen Anklängen sorgt darüber ­hinaus dafür, dass das neue »kulturelle Herz« von Rotterdam-Zuid sich in der städtebaulichen Kakofonie seiner Umgebung behaupten kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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